19. PLENARSITZUNG

Straßburg, 26. – 28. Oktober 2010

Vom Meer bedrohte Küstenstädte

Empfehlung 298 (2010)[1]

1. Die Bevölkerung der europäischen Küsten lebt in wachsender Angst vor den vom Meer ausgehenden Bedrohungen : dem Anstieg des Meeresspiegels, heftigeren Überschwemmungen, häufigeren Sturmfluten sowie öfter auftretenden extremen Witterungsverhältnissen. Diese übelsten Folgen der Klimaerwärmung gefährden das Wohlbefinden und die Zukunft der Bevölkerung in den Küstenstädten.  

2. Zahlreiche Mitgliedsländer des Europarats haben bereits jetzt mit den Folgen der Erosion ihrer Küsten und der wachsenden Gefahr von Überflutung und Überschwemmungen zu kämpfen. All dies berührt mittelbar oder unmittelbar die Küstenbewohner. Schwerwiegende Folgen sind auch für die Infrastruktur an den Küsten, die Bausubstanz und die Ökosysteme zu befürchten.

3. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats ist aufs Äußerste besorgt über die Beschleunigung der Klimaerwärmung und das wachsende Ausmaß ihrer Folgen. Er ist der Überzeugung, dass der Kampf gegen dieses Phänomen Gegenstand höchster Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger sein und auf allen Verwaltungsebenen Priorität genießen sollte.

4.  Die Küstenregionen sind dicht besiedelte Gegenden und wegen ihres demographischen Gewichts und des Ausmaßes ihrer sozialen und wirtschaftlichen Tätigkeit für den Wohlstand zahlreicher Länder von großer Bedeutung. Die Konzentration der Bevölkerung in den Küstengegenden ist eine Erscheinung, die ständig weiter zunimmt und die von der Politik zur Anpassung der Küsten an die drohenden Gefahren berücksichtigt werden muss.

5. Der Kongress ist der Ansicht, dass den Gemeinden und Regionen eine wesentliche Rolle bei der Reaktion auf die besonderen Herausforderungen, die auf die Küstengebiete zukommen, gebührt.  Der Umfang der vorhersehbaren Umwälzungen erfordert neues Risikobewusstsein, verbunden mit neuen Formen des Verwaltungshandelns. Diesbezüglich verweist der Kongress auf seine bisherigen Arbeiten zur Küstenschutz[2] und zur Stärkung der Anpassungsfähigkeit der Gebietskörperschaften[3].


6. Die komplexe Natur des Problems und seine vielfältigen Auswirkungen erfordern eine gezielte Vorgangsweise und eine Kombination verschiedener Anpassungsmaßnahmen, je nach der Lage in der jeweiligen Region. Die konkrete Durchführung dieser Maßnahmen muss sich auf eine interaktive und fachübergreifende Vorgangsweise stützen, die alle einschlägigen Elemente des Meeresklimas, die zu den Auswirkungen des Klimawandels beitragen können, berücksichtigt und sich auf die weitreichende Einbeziehung aller Beteiligten stützt.

7.  Diesbezüglich möchte der Kongress auf die in der Charta der kommunalen Selbstverwaltung und ihrem am 16. November 2009 zur Unterzeichnung aufgelegten Zusatzprotokoll (CETS Nr. 207) genannten Grundsätze betreffend das Recht zur Teilnahme am kommunalen öffentlichen Leben hinweisen.

8. Das Vorhandensein des entsprechenden Problembewusstseins bildet eine der größten Schwierigkeiten für die öffentlichen Behörden ebenso wie bei der Verwirklichung integrierter und zusammenhängender Küstenschutzmaßnahmen. Wenn auch manche politischen Maßnahmen allein Sache der nationalen Behörden sind, so bedürfen sie doch in der Praxis der Einbeziehung der Gemeinden, um eine bessere Abstimmung der Maßnahmen zwischen den verschiedenen Bereichen und Verwaltungsebenen sicherzustellen.

9. Der Kongress stellt ferner fest, dass der durch die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung entstehende doppelte Druck auf die Küstengebiete häufig dazu führt, dass keinerlei Entscheidungen getroffen werden, was die Risiken natürlich vermehrt.

10. Der Kongress erinnert daran, dass die Staaten es sich schuldig sind, für strikte Einhaltung der Gesetze zu sorgen, mehr zu tun, um die Kosten von Vorbeugemaßnahmen zu übernehmen, die Gebietskörperschaften von Anfang an bei der Ausarbeitung jeglicher Vorbeuge- und Anpassungsmaßnahmen einzubeziehen und sie nicht angesichts des Drucks, dem sie ausgesetzt sind, sich selbst zu überlassen.

11. Ferner begrüßt der Kongress die auf der 12. Ministersitzung des Europa-Mittelmeer-Katastrophenabkommens (EUR-OPA) unter der Bezeichnung « Ethische Werte und Widerstandsfähigkeit» verabschiedete Entschließung, die «den Wert der Anwendung der besten ethischen Grundsätze beim Bemühen um Verminderung des Katastrophenrisikos durch Stärkung der Widerstrandskraft der Gesellschaft» anerkennt.

12. Der Kongress empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarats :

a. das Europa-Mitelmeer-Katastrophenabkommen (EUR-OPA) aufzufordern, mit seinen Arbeiten zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Ethikcharta zur Widerstandskraft gegen Katastrophen fortzufahren und dabei die Rolle und Erfahrung der Gemeinden und Regionen in Fragen der Vorbeugung und Gebietsanpassung in vollem Umfang zu berücksichtigen ;

b. die Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen den Menschenrechten und dem Klimawandel in Europa in die Liste seiner Prioritäten aufzunehmen und der Empfehlung des Lenkungsausschusses für Menschenrechte (CFDH) folgend die Abhaltung einer Konferenz zur Prüfung dieser Frage unter verschiedenen Gesichtspunkten (Menschenrechte und Rechtsfragen, Umweltschutz, sozialer Zusammenhalt usw.) zu beschließen,

13. Der Kongress empfiehlt dem Ministerkomitee, die Mitgliedsstaaten, die dies noch nicht getan haben, zu bitten :

a. sich um eine nationale Politik zur Anpassung an den Klimawandel zu bemühen, die darauf abzielt, die Sicherheit der Bevölkerung und ihrer Habe zu gewährleisten, und die für Küstenanliegerstaaten besondere Maßnahmen zum Küstenschutz vorsieht;

b. das Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung betreffend das Recht zur Teilnahme am kommunalen öffentlichen Leben zu unterzeichnen und zu ratifizieren.


14. Der Kongress fordert das Ministerkomitee zugleich auf, die Mitgliedsstaaten zu bitten :

a. dringend und unter Mitarbeit der Gemeinden und Regionen vorrangige Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandskraft der Küstenstädte und ihres Umlands zu ergreifen und dabei zuvor jeweils die Auswirkungen des Klimawandels auf alle einschlägigen Komponenten des Meeresklimas abzuschätzen;

b. eine integrierte und zusammenhängende Politik zum Schutz der Küsten und zur Anpassung des Gebiets zu entwickeln, die berücksichtigt, was menschlich und materiell auf dem Spiel steht, und stärker die kommunale und regionale Dimension des Problems anerkennt sowie dafür zu sorgen, dass :

i.              die Gebietskörperschaften bei der konkreten Durchführung solcher Politik institutionell und finanziell unterstützt werden ;

ii.             Politik dieser Art den Begriff des vernünftigen Risikos, den Grundsatz der Verantwortlichkeit und die mit dem Umfang der Bedrohung verbundenen moralischen und ethischen Werte einbezieht;   

iii.            die Entscheidungsprozesse transparent sind und dass alle Beteiligten und Betroffenen, auch die Bevölkerung und die Privatwirtschaft, bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen langfristigen Vision und innovativer Schutzmaßnahmen einbezogen werden; 

c.  wissenschaftliche Untersuchungen zur Anfälligkeit des Küstengebiets und zur Entwicklung des Meeresklimas zu unterstützen, ihre Ergebnisse auf kommunaler und regionaler Ebene bekanntzumachen, die internationale und interregionale Zusammenarbeit auszubauen und den diesbezüglichen Erfahrungsaustausch zu fördern.

15. Des weiteren  bittet der Kongress die Europäische Union, in ihrer Politik zur Anpassung an den Klimawandel mehr als bisher die kommunale und regionale Dimension zu berücksichtigen und den Austausch von Know-how und Informationen über gute Beispiele zu fördern.

16. Schließlich fordert der Kongress die Parlamentarische Versammlung des Europarats auf, seine Bemühungen um eine stärkere Einbeziehung der Gemeinden und Regionen bei der Ausarbeitung der entsprechenden Politik zu unterstützen, um größere Effizienz und Kohärenz der Maßnahmen zu ermöglichen.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 28. Oktober 2010, 3. Sitzung (siehe Dokument CG(19)13, Begründungstext, Berichterstatter: : I. de La Serna Hernaiz, Spanien (L, EVP/CD)).

[2] Empfehlung 160 (2005) zur Küstenpflege und der entsprechenden Politik der Gemeinden und Regionen in Europa.

[3] Empfehlung  231 (2008) zum Klimawandel :Stärkung der Anpassungsfähigkeit der Gemeinden und Regionen.