15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29
. Mai 2008

Verantwortungsvoller Konsum und ein auf Solidarität basierendes Finanzwesen

Empfehlung 244 (2008)[1]


1. In seiner „Überarbeiteten Strategie für sozialen Zusammenhalt” definiert der Europarat sozialen Zusammenhalt als „die Fähigkeit einer Gesellschaft, das Wohlergehen aller ihrer Mitglieder sicherzustellen, Ungleichheiten zu minimieren und Polarisierungen zu vermeiden”, da es ein primäres Ziel des sozialen Zusammenhaltes im 21. Jahrhundert[2] sei, „ein Europa der Verantwortungen aufzubauen, die allen gemein und sozial sind“;

2. Neue Denkmuster und Praktiken in bezug auf Produktion, Handel und Konsum erlauben es, die Märkte im Bestreben um sozialen Zusammenhalt und Gleichheit einzusetzen und Verläufe zu vermeiden, die zur Ausgrenzung und zur Verschärfung von Ungleichheit führen;

3. Für immer mehr Bürger beinhaltet der Akt des Kaufens eine gesellschaftliche Dimension. Dieses Bewusstsein drückt sich in der Wahl lokaler Produkte mit sozialer Kennzeichnung (oder aus biologischem Anbau) und Finanzinvestitionen aus, die soziale Kriterien erfüllen. Bürgerinitiativen entstehen allerorten, so z. B. Solidaritätslebensmittelläden oder Genossenschaftsverbände und Unternehmen, die die soziale Integration fördern, soziale Mikrodarlehen, sozial verantwortliche lokale Partnerschaften zwischen Produzenten und Verbrauchern, unterstützende Einkaufsgruppen und Vereinbarungen, die auf lokaler Ebene für einen geldunabhängigen Austausch geschlossen werden;

4. Der Kongress ist seinerseits überzeugt, dass die zentralen und lokalen Verwaltungsdienste über die öffentliche Vergabe tätig werden können, indem sie Unternehmen zur Verantwortung ziehen und indem sie wirtschaftlich Benachteiligte unterstützen. Er wünscht zu prüfen, inwieweit ein sozial verantwortungsvoller Konsum und ein auf Solidarität basierendes Finanzwesen hervorragende politische Instrumente zur Erlangung des sozialen Zusammenhalts sein können;

5. Angesichts des Vorstehenden empfiehlt der Kongress den Mitgliedstaaten des Europarats:

a. wo angemessen, einen verantwortungsvollen Konsum und ein auf Solidarität basierendes Finanzwesen sowie den Zugang der Bürger zu denselben zu fördern, indem sie:

i.       soziale Kennzeichnungen schaffen und fördern, die Produkte anzeigen, die soziale Standards einhalten (im Gegensatz zu Herkunftsländern, in denen Kinderarbeit nicht verboten ist und es keine rechtliche Absicherung zur Gründung von Gewerkschaften gibt) sowie europäische Produkte und Dienstleistungen, die im Hinblick auf soziale Standards inklusiv und proaktiv sind;

ii.       mittels der Presse in den Schulen Informationskampagnen über die Möglichkeiten durchzuführen, die ein verantwortungsvoller Konsum und ein solidarisches Sparen eröffnen;

iii.      Verbraucherverbände zu unterstützen, die Aufklärungskampagnen für Verbraucher durchführen und vor allem deren ureigenstes Interesse und Zufriedenheit im Auge haben;

b. im Rahmen der öffentlichen Vergabe ein Beispiel zu setzen und Unternehmen aufzufordern, ein verantwortungsvolles Konsum- und Wirtschaftsverhalten zu entwickeln, insbesondere:

i.       durch Bereitstellung der Möglichkeit, wo dies nicht bereits in der Gesetzgebung oder den Vorschriften zur Regelung öffentlicher Ausschreibungsverfahren gegeben ist (z. B. Vorschriften zur öffentlichen Vergabe), soziale Themen in die Vergabebedingungen oder die Vertragstexte aufzunehmen;

ii.       durch Förderung offizieller Käufergruppierungen, um deren Praktiken insbesondere im Hinblick auf soziale Ethik zu harmonisieren;


c. allgemein die sozioökonomischen und/oder professionellen Akteure aufzufordern, einen verantwortungsvollen Konsum und ein verantwortungsvolles auf Solidarität basierendes Finanzwesen sowie ein verantwortungsvolles wirtschaftliches Verhalten zu fördern, z. B. indem sie:

i.       Vorschriften zum ethischen und professionellen Verhalten, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Werbung und Information, formulieren;

ii.       die Medien auffordern, Initiativen für einen verantwortungsvollen Konsum und ein verantwortungsvolles Sparen zu veröffentlichen;

iii.      das Bewusstsein bei den Lenkern von Verbraucherentscheidungen und Personen, die der Öffentlichkeit bekannt sind und die ihr Image der Werbung zur Verfügung stellen, durch Maßnahmen steigern, die auf die jeweiligen Berufsverbände abzielen, z. B. durch die Vorbereitung von Chartas;

d. die soziale Verantwortung und den verantwortungsvollen Konsum auf globaler Ebene fördern, u.a. durch Einführung einer Sozialsteuer, wie z. B. die Ökosteuer; für Importe, die ein starkes soziales Image aufweisen, und dadurch ermöglichen, die auf diesem Wege erhobenen Steuern für soziale Investitionen in den betreffenden Ländern einzusetzen;

e. den Dialog zwischen den öffentlichen Stellen, den Bürgern und anderen sozioökonomischen Akteuren weiterführen, insbesondere im Kontext der Dialogplattform für ethische und solidarische Initiativen des Europarats, um:

i.       ihre Praktiken zu bündeln, gemeinsame ethische Referenzen zu verabschieden und Vorschläge für eine Ausweitung des verantwortungsvollen Konsums, des solidarischen Sparens und einer verantwortungsvollen Wirtschaft vorzulegen;

ii.       gute Praktiken zu identifizieren und zu verbreiten, u.a. auch solche aus anderen Ländern;

iii.      die Koordinierung ethischer und solidarischer Maßnahmen auf europäischer Ebene zu erleichtern und die Synergien zwischen den verschiedenen Akteuren und Interventionsebenen zu fördern;

6. Des Weiteren empfiehlt der Kongress dem Ministerkomitee des Europarats, eine Bewertung des Konzepts der Menschenrechte vorzunehmen, die die Verantwortung der Bürger einbezieht, und fordert:

a. den europäischen Ausschuss für sozialen Zusammenhalt (CDCS) auf, Arbeiten zur gemeinsamen sozialen Verantwortung zu initiieren, die eine lokale und regionale Dimension gemäß den Empfehlungen der Arbeitsgruppe für sozialen Zusammenhalt im 21. Jahrhundert einschließen;

b. den Lenkungsausschuss für Erziehung und Bildung auf, Richtlinien für die Bildung von Kindern und Jugendlichen in bezug auf einen verantwortungsvollen Konsum zu entwickeln;

c. den Lenkungsausschuss für Jugendfragen (CDEJ) auf, das Konzept eines verantwortungsvollen Konsums aktiv zu fördern und Jugendlichen mit Lehrmaterialien zu helfen, über dieses Thema nachzudenken;

d. die Entwicklungsbank des Europarats auf, Sozialklauseln in die Bedingungen ihrer Darlehensverträge aufzunehmen;

e. die Europäische Kommission auf,

i.       der Vergabe von europäischen Beihilfen soziale Kriterien zugrunde zu legen, ungeachtet des Einsatzbereiches dieser Gelder (z. B. Verpflichtung, einen bestimmten Prozentsatz an Arbeitsplätzen für Strukturen zur Integration durch die Wirtschaft einzusetzen);

ii.       die Möglichkeit zur Gründung einer europäischen Sozialkennzeichnung in Rücksprache mit den betreffenden Akteuren anzubieten.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CG(15)14REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch P. Dee (Vereinigtes Königreich, L, ILDG), Berichterstatter).

[2] Bericht der Arbeitsgruppe zum sozialen Zusammenhalt im 21. Jahrhundert: Für ein aktives, faires und sozial kohäsives Europa (November 2007).