17. PLENARTAGUNG
Straßburg, 13. – 15. Oktober 2009
Überschuldung der privaten Haushalte: Die Verantwortung der Regionen
Empfehlung 279 (2009)[1]
1. Die Kreditvergabe hat sich in einigen europäischen Staaten in den letzten Jahrzehnten erheblich ausgeweitet, manchmal ohne eine ausreichende Überwachung und Regulierung, zum Nachteil der Verbraucherrechte. Bestimmte unangemessene Marktpraktiken werden eingesetzt, um Familien zu einem Missbrauch von Konsumkrediten zu verleiten und einige dieser Familien, die am Rande eines Systems leben, das Kredite in unangemessener Weiser verteilt, greifen auf diese illegalen Praktiken des Wuchers zurück.
2. Spezialisierte öffentliche Stellen und Kredit- und Schuldnerstellen haben das Wiederauftauchen rücksichtsloser Kreditvergabepraktiken beobachtet, die von der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise angetrieben werden. Darüber hinaus sind die Verfahren zum Umgang mit Überschuldung, welche eine Reihe von Mitgliedstaaten eingeführt haben, häufig komplex und neigen dazu, die Schuldner zu bestrafen, indem sie diese und ihre Familien isolieren und sie dadurch von der Gemeinschaft abhängig machen.
3. Die Gemeinden und Regionen sind direkt mit den sozialen Folgen dieser Entwicklung konfrontiert, z. B. immer längeren Wartelisten für Sozialwohnungen, eine steigende Zahl von Personen ohne festen Wohnsitz und ein sich verschlechternder Gesundheitszustand. Der Kongress begrüßt die Bemühungen einiger Gemeinden und Regionen in Bezug auf die Anpassung ihrer Sozialpolitik in diesem Bereich.
4. Mit Verweis auf seine bisherige Arbeit zum verantwortungsvollen Konsum und einer auf Solidarität basierten Finanzierung [2] plädiert der Kongress an die Verantwortung der staatlichen Stellen auf allen Ebenen, aufeinander abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz von Kreditnehmern zu stärken und die finanzielle Eingliederung der schutzbedürftigsten Haushalte zu bewirken.
5. Zu diesem Zweck ruft der Kongress das Ministerkomitee auf, seine Mitgliedstaaten zu bitten:
a. alle ihre Mechanismen für den Umgang mit Insolvenz in Konsultation mit den Verbraucherverbänden zu überarbeiten und sich dabei auf den präventiven Aspekt zu konzentrieren;
b. die maximal zulässigen Zinssätze an Referenzsätze zu binden, anstatt an jene, die von Kreditinstituten benutzt werden;
c. allen Akteuren der Kreditkette ihre Verantwortung vor Augen zu führen, indem sie:
i. eine nationale Datenbank einrichten, die alle von Privatpersonen eingegangenen finanziellen Verpflichtungen auflistet [3], und Auforderung an die Kreditgeber und Kreditvermittler, diese Datenbank zu durchsuchen, um alle erforderlichen Informationen der Darlehensantragsteller zu beziehen, um deren finanzielle Lage und Rückzahlungskapazität zu bewerten und um die geeignetsten Kreditarten und angemessensten Beträge zu ermitteln, die gewährt werden können. Diese Datenbanken sollten überwacht werden, damit die Auflagen für Datenschutz und Wahrung der Privatsphäre eingehalten werden und um ihren Missbrauch zu verhindern (z. B. Kreditwürdigkeitseinstufungen, die ermöglichen würden, höhere Zinssätze von ärmeren Verbrauchern zu verlangen);
ii. Einführen von Regelungen für die Förderung, Verwaltung und Umsetzung von Kreditverträgen, begleitet von zivil- und strafrechtlichen Sanktionen gegen Banken und Kreditorganisationen, z. B. Zinsverlust, und Aufforderung an die staatlichen Organe, deren Praktiken zu prüfen;
d. als Alternative zu juristischen Verfahren das Einrichten eines landesweiten Netzwerks von Schuldnerberatungen (staatliche oder private), die für die rechtliche Aufklärung von Schuldnern im Hinblick auf deren Rechte und Pflichten verantwortlich sind und ihnen helfen, den Kreditgebern Entschuldungspläne vorzuschlagen oder andere legitime Strategien für den Umgang mit ihrer Überschuldung zu entwickeln;
e. in einem Prozess des gegenseitigen Lernens die Förderung der Ausbildung von Verbrauchern in finanziellen Angelegenheiten und von Anbietern in sozialen Fragen zu unterstützen;
f. die Förderung der Entwicklung und Bereitstellung verantwortungsvoller Kreditprodukte im privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen Sektor, welche den Kreditbedarf jener Personen erfüllen, die bisher vom traditionellen Wirtschafts- und Finanzsystem ausgeschlossen waren;
g. Zusammenarbeit mit den kommunalen und regionalen Stellen, um vor Ort gegen Wucher vorzugehen, durch klare rechtliche Definitionen von Wucher und durch das Bereitstellen personeller und finanzieller Mittel für die Einrichtung von Teams mit Sonderbefugnissen, um Untersuchungen durchzuführen und illegale Kreditgeber zu verfolgen;
h. regelmäßige Auswertung der Maßnahmen, die zur Verhinderung und zur Bekämpfung der Überschuldung privater Haushalte und zur Förderung der finanziellen Eingliederung ergriffen wurden.
6. Der Kongress fordert seine Mitgliedstaaten auf, den vom Europäischen Ausschuss für soziale Kohäsion (CDCS) in seinen multilateralen Sozialverträgen entwickelten Ansatz zu verbreiten, die kommunalen und regionalen Stellen und die zivilen Organisationen aufzurufen, ihre Bemühungen zu bündeln, um überschuldeten Personen zu helfen und Dienste anzubieten, einen Dialog mit ihnen zu führen und ihnen insbesondere zu gestatten, ihre Solidarität und zivile Verantwortung auszuüben. Außerdem bittet der Kongress das Ministerkomitee, die Arbeit des CDCS über gemeinsame soziale Verantwortung unter Einbeziehung von Bürgern um Kampf gegen Ausgrenzung zu verstärken.
7. Des Weiteren erinnert der Kongress an die Empfehlung CM/Rec(2007)8 an die Mitgliedstaaten über rechtliche Lösungen des Schuldenproblems, welche die Erleichterung der Auswirkungen einer Entschuldung und die Achtung der Menschenwürde von überschuldeten Personen und Familien fordert. Er bittet das Ministerkomitee, um eine effektive Umsetzung sicherzustellen:
a. die Bekanntgabe der Empfehlung in den Mitgliedstaaten bei allen Beteiligten zu gewährleisten;
b. praktische Maßnahmen zu ergreifen, um deren Umsetzung zu beurteilen, u.a. Sammeln von Informationen aus den Mitgliedstaaten und Austausch guter Praktiken auf nationaler und regionaler Ebene;
c. an der Einführung von Konzepten einer ethischen und sozialen Verantwortung bei Kreditvergabepraktiken zu arbeiten, indem sie die entsprechenden Organe des Europarats damit beauftragen, ein europäisches Modell für Wohlverhalten und ein Modell für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe seitens der Banken und Kreditinstitute zu entwerfen, in enger Zusammenarbeit mit den relevanten Berufsvertretern und nichtstaatlichen Verbraucherverbänden, und den Kongress in deren Entwurf und Verbreitung einzubeziehen.
8. Abschließend bittet der Kongress das Ministerkomitee, die Mitgliedstaaten, die auch Mitglieder der Europäischen Union sind, aufzufordern, die Empfehlung CM/Rec(2007)8 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über rechtliche Lösungen des Schuldenproblems bei der Umsetzung der EU-Richtlinie 2008/48/EG über Kreditverträge für Verbraucher zu berücksichtigen, die sich auf Informationen für zukünftige Kreditnehmer konzentriert.
[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 14. Oktober 2009 und Annahme durch den Kongress am 15. Oktober 2009, 3. Sitzung (siehe Dokument CPR(17)3, Begründungstext, Berichterstatterin : P. Muratore (Italien, L, ULDG)).
[2] Empfehlung 244 (2008) über verantwortungsvollen Konsum und ein auf Solidarität basiertes Finanzierungwesen.
[3] So z. B. die Centrale des Crédits aux Particuliers, die von der belgischen Nationalbank geleitet wird.