Stellungnahme 23 (2004)1 zum Entwurf einer Empfehlung des Ministerkomitees betreffend das Verfahren bei Änderung der Gebietsgrenzen und/oder der Rechtsstellung von Gemeinden und Regionen

Der Kongress

wurde mit der Angelegenheit aufgrund eines Ersuchens des Lenkungsausschusses für kommunale und regionale Demokratie (CDLR) befasst.

1. Der Kongress hat die vom CDLR übermittelten Texte zum Entwurf einer Empfehlung des Ministerkomitees betreffend das Verfahren bei Änderung der Gebietsgrenzen und /oder der Rechtsstellung von Gemeinden und Regionen geprüft2 ;

2. Der Kongress hat hierbei die einschlägigen Artikel der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Folgenden: die Charta) berücksichtigt und zwar insbesondere :

a. Artikel 4, Abs. 6, der vorschreibt, dass „die Gemeinden, soweit möglich, rechtzeitig und in geeigneter Weise im Lauf von Planungs- und Entscheidungsverfahren, die sie unmittelbar betreffen, zu konsultieren sind“;

b. Artikel 5, der vorsieht, dass „die betroffenen Gemeinden vor jeglicher Änderung der Grenzen des Gemeindegebiets zu konsultieren sind, und zwar gegebenenfalls mittels einer Volksbefragung, wo das Gesetz es gestattet“ ;

3. Der Kongress weist darauf hin, dass berücksichtigt werden muss, dass die oben genannten Artikel auf Grund von Artikel 13 der Charta auch für die regionalen Gebietskörperschaften gelten ;

4. Der Kongress ist der Ansicht, dass auch der erläuternde Bericht zur Charta bedacht werden muss:

a. dort heißt es zu Artikel 4 Abs. 6 u.a., dass „ (.....) die Art und Weise sowie der Zeitplan der Konsultationen so zu gestalten sind, dass die Gemeinden eine tatsächliche Einflussmöglichkeit haben, wobei freilich anerkannt wird, dass außergewöhnliche Umstände, vor allem in Notfällen, einen Verzicht auf das Erfordernis der Konsultation rechtfertigen können. Diese Konsultation hat unmittelbar mit der oder den betroffenen Gemeinde(n) zu erfolgen oder, wenn mehrere Gemeinden betroffen sind, mittelbar mit ihren Verbänden“;

b. zu Artikel 5 wird bestätigt, dass „Vorschläge mit dem Ziel einer Änderung der Gemeindegrenzen – im Extremfall sogar einer Zusammenlegung mit anderen Gemeinden – natürlich für die Gemeinde und ihre Bürger von grundlegender Bedeutung sind. Wenn es in den meisten Ländern auch als unrealistisch angesehen wird, den Gemeinden bei derartigen Änderungen ein Vetorecht zu gewähren, so ist ihre vorherige unmittelbare oder mittelbare Konsultation doch unerlässlich. Eventuell ist eine Volksbefragung hierfür das geeignete Verfahren, jedoch ist dies in manches Ländern gesetzlich nicht vorgesehen. Dort, wo das Gesetz keine Volksbefragung vorschreibt, lassen sich andere Konsultationsmöglichkeiten denken“.

5. In Anbetracht des Gesagten hält es der Kongress für sinnvoll, dass der Empfehlungsentwurf ausdrücklich auf die genannten Artikel der Charta Bezug nimmt;

6. Was die einzelnen Absätze des Empfehlungsentwurfs angeht, möchte der Kongress folgende Vorschläge machen:

a. Absatz 1: Vor dem Wort „Vorbedingungen“ einfügen „die rechtlichen und praktischen“ sowie nach „anzuwendenden... ...Vorbedingungen“ die Worte „einschließlich einer gründlichen Untersuchung der Auswirkungen der Reformen auf die Effektivität und Effizienz der zu erbringenden Dienstleistungen sowie das gute Funktionieren der kommunalen und/oder regionalen Demokratie in der betroffenen Gebietskörperschaft“;

b. Absatz 2: die Worte „wohldurchdachter Entscheidungsverfahren“ durch die Wendung „mit den betroffenen kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften vereinbarten Entscheidungsverfahren“ ersetzen und bei „auf einem guten institutionellen Dialog beruhenden“ nach „Dialog“ einfügen „zwischen den Gebietskörperschaften“;

c. Absatz 3: vor den Worten „einen Plan für die Durchführung der einzelnen Phasen der Reform zu erstellen“ einfügen „im Einvernehmen mit den betroffenen kommunalen und/oder regionalen Behörden“ sowie die Wendung „die diesbezüglichen Zuständigkeiten einschließlich der Federführung klar festzulegen" ersetzen durch die Wendung " und dabei die Zuständigkeiten jeder betroffenen Institution einschließlich der Federführung genau festzulegen“;

d. Absatz 4: am Schluss des Absatzes anfügen „und die betroffenen kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften davon zu unterrichten“;

7. Was den Teil des Textes anbetrifft, der unter den Abschnitten A, B, C und D Beispiele guter Praxis anführt, hält der Kongress es –allgemein gesehen - für wichtig, die oben gemachten Vorschläge an den entsprechenden Stellen zu berücksichtigen;

8. Insbesondere hält der Kongress es für wünschenswert, in den spezifischen Abschnitten dieses Teils zu betonen, dass

a. die von einer Reform betroffenen kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften an all ihren Phasen (der Vorbereitung, der Entscheidung – insoweit mindestens die Regionen mit normativen Befugnissen sowie die Gemeinden und Regionen mit Sonderstatus - , der Durchführung und der Evaluierung) beteiligt werden;

b. die Reformen die Verbesserung der Lebensverhältnisse der betroffenen kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften bezwecken sollten. Insoweit sollte jedes Reformvorhaben die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile für die betroffenen Körperschaften klar aufzeigen, um eine Schwächung der kommunalen und/oder regionalen Demokratie durch damit verbundene Zentralisierungsvorgänge zu vermeiden;

c. die den Dialog auf institutioneller Ebene betreffenden Verfahren stets förmlichen Charakter haben und der Gesamtheit der betroffenen kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften Gelegenheit zur Mitsprache bieten sollten. In diesem Zusammenhang muss darauf bestanden werden, dass die betroffenen Gebietsbehörden die Möglichkeit bekommen, entweder das ganze Verfahren zur Konsultation der von ihnen vertretenen Körperschaften selbst durchzuführen oder aber daran beteiligt zu werden;

9. Was die Form angeht, hält der Kongress es für angebracht, eine möglichst einheitliche Ausdrucksweise zu verwenden und sich dabei an den entsprechenden Stellen auf die Terminologie der Charta zu beziehen. In dieser Hinsicht wird z.B. vorgeschlagen, statt „Gemeinde“ „kommunale Gebietskörperschaft“ und statt „dezentralisierte Behörden“ „kommunale und/oder regionale Behörden“ zu sagen. Aus derselben Überlegung heraus empfiehlt es sich, in Bezug auf die betroffenen Institutionen gezielter von den kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften, Behörden und Gemeinschaften statt in recht vager Form von „den Betroffenen“, „den sonstigen in Frage stehenden Personen“ usw. zu sprechen;

10. Der Kongress schlägt vor, die Ergebnisse der Evaluierung der in den Mitgliedsstaaten des Europarats durchgeführten Reformen dem Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats zur Kenntnisnahme zu übermitteln;

11. Der Kongress beschließt, die vorliegende Stellungnahme direkt dem CDLR sowie dem Ausschuss für institutionelle Fragen der Kammer der Gemeinden zuzuleiten, damit letzterer die Stellungnahme im Rahmen der Ausarbeitung seines 6. Generalberichts zur politischen Kontrolle der Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung beim Punkt „Konsultation der kommunalen Gebietskörperschaften“ berücksichtigen kann.

ANHANG

Straßburg, den 29. Januar 2004

Beschränkt

CDLR (2004) 1
Tagesordnungspunkt

LENKUNGSAUSSCHUSS FÜR KOMMUNALE UND REGIONALE DEMOKRATIE
(CDLR)

ENTWURF EINER EMPFEHLUNG DES MINISTERKOMITEES BETREFFEND DAS VERFAHREN BEI ÄNDERUNG DER GEBIETSGRENZEN UND / ODER DER RECHTSSTELLUNG VON GEMEINDEN UND REGIONEN

Sekretariatsnote,
verfasst von der Generaldirektion 1 – Rechtsangelegenheiten,
Abteilung „Zusammenarbeit für die kommunale und regionale Demokratie“

ENTWURF EINER EMPFEHLUNG DES MINISTERKOMITEES BETREFFEND DAS VERFAHREN BEI ÄNDERUNG DER GEBIETSGRENZEN UND/ODER DER RECHTSSTELLUNG VON GEMEINDEN UND REGIONEN

Das Ministerkomitee, aufgrund von Artikel 15.b der Satzung des Europarats,

in der Erwägung, dass ............

in der Erwägung, dass ........

empfiehlt den Regierungen der Mitgliedsstaaten, wenn sie Reformen der Grenzen und/oder der Rechtsstellung von kommunalen und/oder regionalen Gebietskörperschaften ins Auge fassen :

1. diese gründlich vorzubereiten und dabei die anzuwendenden Vorbedingungen festzulegen;

2. das Vorhandensein oder die Schaffung wohldurchdachter, auf einem guten institutionellen Dialog beruhenden Entscheidungsverfahren zu gewährleisten;

3. einen Plan für die Durchführung der einzelnen Phasen der Reform zu erstellen, die diesbezüglichen Zuständigkeiten einschließlich der Federführung klar festzulegen und für eine fortlaufende Überwachung zu sorgen;

4. eine umfassende und objektive Evaluierung der Ergebnisse vorzunehmen.

Dabei sollten Beispiele guter Praxis, wie sie unten unter A, B, C und D beschrieben sind, berücksichtigt werden. Ferner wäre sicherzustellen, dass die Zielsetzungen, Methoden und Ergebnisse eines Reformprozesses mit den Artikeln der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung vollkommen übereinstimmen.

Darüber hinaus sollten die Staaten gegebenenfalls des weiteren sicherstellen, dass die Zielsetzungen, Methoden und Ergebnisse der Reform ihren Verpflichtungen nach Artikel 7.1. b der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitssprachen und nach Artikel 16 des Rahmenübereinkommens zum Schutz der nationalen Minderheiten entsprechen.

Die vorliegenden Empfehlungen könnten auch dann Anwendung finden, wenn es sich um eine Reform handelt, die eine Ebene unterhalb der gesamtstaatlichen Regierung gegenüber einer ihr untergeordneten Ebene vorzunehmen gedenkt, oder in Fällen, in denen die Behörden von Gebietskörperschaften in einem vorher festgelegten Rahmen sich selber zu Reformen, z.B. zur Zusammenlegung zweier bestehender Gebietskörperschaften der gleichen Ebene oder zur Änderung ihrer Grenzen, entschließen.

A. VORBEREITUNG DER REFORM

a. Voruntersuchung

1. Eine gründliche Vorbereitung erfordert die Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte :

- Die Art und Weise, wie man die Probleme definiert, hat vom Konzept her damit zu tun, welche Lösungsmöglichkeiten man sich vorstellt.
- Es gibt fünf grundlegende Merkmale, die für jedes System von Verwaltungseinheiten auf Gebietsebene unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene gelten: die Größe3, die Zuständigkeiten, der Grad der Selbstverwaltung, die Finanzausstattung und die Funktionsweise4.
- Diese Merkmale beeinflussen sich gegenseitig; Änderungen in einem Punkt haben folglich Auswirkungen auf einen oder mehrere andere Punkte.
- Zwischen den von einer ReformBetroffenen und sonstigen in Frage stehenden Personen muss ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung herrschen, damit der Reform klare Zielvorstellungen vorgegeben werden können.

2. Jede ins Auge gefasste Reform muss sich von vornherein ein Ziel setzen, sei es im Hinblick auf die Größe oder die Zuständigkeiten. Wenn das Ziel nicht klar ist, lässt sich auch kein eindeutiger Aktionsplan aufstellen.

3. Jedes Reformvorhaben muss sich auf eine Vorstellung oder eine umfassende Theorie von der Rolle der verschiedenen Regierungsebenen innerhalb eines Staates5 und ihrem wechselseitigen Zusammenwirken (Leitschema) stützen, d.h. berücksichtigen, wie die verschiedenen Ebenen derzeit gestaltet sind und wie sie nach Durchführung der Reform aussehen sollen.

4. Der soziale und wirtschaftliche Zusammenhang im weiteren Sinne, in dem die Reform vonstatten gehen soll, bedarf einer klaren Untersuchung. Dabei sind besonders die wirtschaftlichen Verhältnisse und die flächenmäßige Verteilung der Bevölkerung zu berücksichtigen.

5. Wenn kommunale und regionale Gebietskörperschaften die nach Art und Umfang vom Bürger erwarteten Dienstleistungen nicht erbringen können und die Demokratie auf ihrer Ebene zu wünschen übrig lässt, schadet das ihrer Legitimität. Eine Untersuchung der Vorbedingungen der Reform muss deshalb Folgendes prüfen:

- Fragen der Effektivität und der Handlungsfähigkeit;
- Fragen der demokratischen Legitimation einschließlich der Auswirkung von Wahlen;
- Fragen nach der Möglichkeit, Konsens zu erzielen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erhalten oder herzustellen.

Jede tendenziöse oder als tendenziös empfundene Neueinteilung von Wahlkreisen ist zu vermeiden.

6. Hinsichtlich der Größe6 sind folgende Punkte zu berücksichtigen:

a. die Größe von kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften hat bedeutsame und vielschichtige Auswirkungen auf ihre Handlungsfähigkeit, die Art ihrer Aufgabenerledigung und die Effektivität der kommunalen und regionalen Demokratie;

b. Reformbemühungen zielen mit Recht auf die ideale Größe, doch gibt es keine einheitliche Idealgröße für alle Situationen. Die ideale Größe hängt von Faktoren wie der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsebenen, dem Ausmaß der finanziellen Selbständigkeit und dem Vorhandensein von Regelungen für einen Finanzausgleich ab.

c. Abweichungen von der idealen Größe lassen sich in gewissem Umfang durch verschiedene Maßnahmen ausgleichen (vgl. die Abschnitte 6.k und 6.l: interne Dezentralisierung und Zuständigkeitsverlagerung in den größeren Einheiten sowie äußerer Zusammenschluss in einem Verband oder Zusammenarbeit zwischen kleineren Einheiten).

d. Die Größe wirkt sich sehr unterschiedlich und mitunter in umgekehrter Richtung aus, je nachdem man die Effektivität und Effizienz der Dienstleistungen oder das Funktionieren der kommunalen und regionalen Demokratie betrachtet. Ferner kann die Auswirkung der Größe auf die Effektivität und Effizienz je nach der Zuständigkeitsverteilung oder der ins Auge gefassten Politik verschieden sein.

e. Größe und Effektivität der Dienstleistungen stehen nicht unbedingt im Verhältnis zueinander. Große Gemeinden können mehr von groß angelegten Wirtschaftsbetrieben profitieren, doch kann es auch ab einem gewissen Punkt zu aufgeblähter Bürokratie kommen, was der Effektivität und Effizienz gemeindlichen Handelns schadet.

f. Auch Größe und gutes Funktionieren der kommunalen und regionalen Demokratie müssen nicht unbedingt im Verhältnis zueinander stehen. Im Allgemeinen ist die Mitwirkung des Einzelnen (hauptsächlich bei Wahlen) in kleinen Gemeinden reger, während die Beteiligung von Vereinigungen nicht so ausgeprägt ist. In den Haupt- und Großstädten können sich interne Dezentralisierung und Zuständigkeitsverlagerung positiv auf die Mitwirkung der Bürger auswirken (z.B. durch Stadtbezirksräte).

g. Größe und Selbständigkeit in finanziellen und Haushaltsangelegenheiten stehen demgegenüber in direktem Zusammenhang: Ganz kleine Gemeinden haben oft nur einen sehr beschränkten (oder überhaupt keinen) finanziellen Spielraum, weil sie zwar erhebliche allgemeine Unkosten, aber nur sehr geringe Einnahmen haben.

h. Der Grad der Zufriedenheit der Bürger mit den gebotenen Dienstleistungen und ihr Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit und das Einfühlungsvermögen der kommunalen/regionalen Behörden sind wichtige Anhaltspunkte zur Bestimmung der idealen Größe.

i. Die elektronische Datenverarbeitung in der Verwaltung kann sich positiv auf das Verhältnis zwischen der Größe von kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften und die Erbringung von Dienstleistungen und das gute Funktionieren der kommunalen und regionalen Demokratie auswirken. Die neuen Technologien erfordern und erleichtern in der Regel die umfangreichere Zusammenarbeit von Gemeinden und gemeinsames Handeln. Parallel hierzu eröffnet der Computer den Bürgern größere Mitwirkungsmöglichkeiten.

j. Die Auswirkung einer kommunalen oder regionalen Gebietsreform muss sowohl unter dem Gesichtspunkt der Effektivität und Effizienz der Dienstleistungen als auch unter dem Gesichtspunkt, wie gut die kommunale und regionale Demokratie funktioniert, geprüft werden. Vor jeder Entscheidung muss eine gründliche Untersuchung stattfinden. Es sind die Folgen die geplante Änderung für die Effektivität und Effizienz in jedem Handlungs- und Zuständigkeitsbereich und für die Demokratie in der örtlichen Gemeinschaft zu prüfen.

k. Wenn eine kommunale oder regionale Gebietskörperschaft als in mancher Hinsicht zu klein empfunden wird, könnte die Lösung in einem Zusammenschluss zu einem Verband oder in einer Zusammenarbeit liegen. Zusammenarbeit dieser Art ist horizontal, vertikal oder (wo die staatliche Gesetzgebung es zulässt) grenzüberschreitend denkbar.

l. Wenn eine kommunale oder regionale Gebietskörperschaft als in mancher Hinsicht zu groß erachtet wird, kann die Lösung in einer Dezentralisierung und Zuständigkeitsverteilung liegen.

m. Wenn die Zusammenlegung kleiner kommunaler oder regionaler Gebietskörperschaften angebracht erscheint, sollte man unter Berücksichtigung der Geschichte und Tradition Möglichkeiten prüfen, die Einteilung der neuen Institutionen so vorzunehmen, dass die Bevölkerung sich nach Möglichkeit auch weiterhin mit den bisher vorhandenen Einheiten identifizieren kann.

7. In der Vorbereitungsphase dürfen auch Fragen des Eigentums an öffentlichen Mitteln, der Übertragung von Personal und Institutionen sowie der Verteilung der Schuldenlast und einer etwaigen Änderung der steuerlichen Belastung nicht außer Acht bleiben.

8. Die neuen Technologien sollten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung und zur Stärkung der kommunalen und regionalen Demokratie eingesetzt werden.

9. Die Erfahrungen anderer, nicht nur im eigenen Land, sondern in ganz Europa, sollten herangezogen werden. Vor allem sollten die Informationen auf der Website der kommunalen Demokratie und der LOREG – Datenbank genutzt werden.

Allerdings ist es nur selten möglich, anderswo gefundene Lösungen ohne Anpassung zu übertragen. Es empfiehlt sich daher, den Vergleich darauf abzustellen, welche Art von (vielfältigen) Zielsetzungen bei anderweitigen Reformen angepeilt wurden, wie vorgegangen wurde und welche Fragen bei der Durchführung dieser Reformen geprüft wurden.

10. Die Entscheidung, eine vorgeschlagene Gebiets- und/oder Verwaltungsreform in Angriff zu nehmen, sollte erst nach eingehender Voruntersuchung, deren Ergebnisse sich voll und ganz berücksichtigen lassen, getroffen werden.

b. Mitsprache

11. Vollständige Reformen des Systems gründen weitgehend auf der Fähigkeit, Konsens zu erzielen, was vielleicht weniger schwer fällt, wenn es sich um Reformen geringeren Ausmaßes handelt.

12. Die Betroffenen einer Reform und sonstigen in Frage kommenden Personen sollten sich mindestens bezüglich einer eindeutigen Definition der Reformziele einig sein.

13, Die allgemeinen Voruntersuchungen unter Beteiligung der Betroffenen und der sonstigen in Frage kommenden Personen stellen ein gutes Mittel zur Erzielung von Konsens dar.

14. Eine Reform, die auf der freiwilligen Mitarbeit der von der Reform betroffenen Gebietsverwaltungsebene beruht, ist besser als ein autoritäres, allein auf die rechtliche Befugnis der vorgesetzten Behörde gestütztes Vorgehen gegen den Willen der betroffenen Ebene. Eine Reforminitiative „von unten“7 bedarf zu ihrem Erfolg einer Entscheidung der vorgesetzten Ebene, notfalls auch gegen den Willen von einigen der betroffenen Körperschaften. Ein „von oben“8 kommender Reformvorschlag muss, um erfolgreich zu sein, die freiwillige Mitwirkung der zu reformierenden Verwaltungsebene anstreben.

15. Die Betroffenen und sonst in Frage kommenden Personen müssen bereits in der Anfangsphase beteiligt werden.

16. Zusammenlegungen und sonstige Gebietsreformen dürfen nur in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (wie z.B. der Konsultation der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften, evtl. durch Volksbefragung) erfolgen. Das schließt nicht aus, dass die Zentralbehörden positive Anreize schaffen, um die kommunalen oder regionalen Gebietskörperschaften zur Zusammenarbeit, zur Zusammenlegung, zu Dezentralisierungsmaßnahmen und zur Umverteilung von Zuständigkeiten zu bewegen.

17. Jede Reform sollte bei der Vorbereitung, der Beschlussfassung, ihrer Durchführung sowie ihrer Evaluierung auf einem Dialog der betroffenen Institutionen beruhen, wobei auf Effektivität, Transparenz, Verantwortlichkeit, Repräsentativität und Effizienz zu achten ist.

18. Ein wirksamer Dialog auf institutioneller Ebene setzt voraus, dass

- er rechtzeitig erfolgt;
- er nach klaren Verfahrensregeln abläuft;
- die Beteiligten über alle relevanten Informationen verfügen, vor allem relevante Termine, Tagesordnungen und geplante Veranstaltungen rechtzeitig mitgeteilt werden;
- das Ergebnis, falls es nicht auf der Hand liegt, bei der endgültigen Entscheidung gebührend gewürdigt wird;
- der Dialog von konkretem Interesse ist und nicht durch parallel laufende Verfahren unterlaufen wird;
- die Grundlage, auf der die Öffentlichkeit über das Verfahren informiert wird, von allen Beteiligten gebilligt wird, damit das notwendige Vertrauen zwischen den Beteiligten gewährleistet wird.

19. Damit der Dialog zwischen den beteiligten Institutionen transparent bleibt, sind die Regeln über den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen zu beachten. Die Ergebnisse des Dialogs sind sobald als möglich zu veröffentlichen.

20. Es ist darauf zu achten, dass die Beteiligten des institutionellen Dialogs gehalten sind, gegenüber den demokratisch gewählten Gremien (Versammlungen) Rechenschaft abzulegen.

21. Um sicherzustellen, dass der institutionelle Dialog wirklich repräsentativ ist, muss darauf geachtet werden, dass alle Gebietskörperschaften (und alle Ebenen) , die ein berechtigtes Interesse an den aufgeworfenen Fragen haben, zur Mitwirkung aufgefordert werden, und zwar ohne Rücksicht auf die politische Zusammensetzung der Körperschaften. Grundsätzlich darf die Teilnahme am Dialog nicht ausschließlich auf die Mitglieder der herrschenden politischen Parteien beschränkt werden. Soweit Teilnehmer Gebietskörperschaften vertreten, müssen sie für diese repräsentativ sein.

22. Um die Effizienz des institutionellen Dialogs sicherzustellen, ist es erforderlich:

- das Beste aus den vorhandenen Hilfsmitteln und Verfahrensweisen zu machen;
- Doppelarbeit tunlichst zu vermeiden;
- für gute Koordinierung der Gesprächsrunden (Staat-Region, Staat-Gemeinden, Region-Gemeinden) zu sorgen.

c. Konzeption

23. Der Zeitplan zur Durchführung einer Reform bedarf sorgfältiger Prüfung. Einerseits muss genügend Zeit für die Beratungen und notwendigen praktischen Schritte auf zentraler und örtlicher Ebene gelassen werden, andererseits könnte ein zu langfristig angelegtes Verfahren die Sache verschleppen.

Es ist davon auszugehen, dass jede vorgeschlagene Reform mehrere Jahre braucht.

24. Jedes Reformvorhaben muss in eindeutig festgelegten unterschiedlichen Phasen konzipiert werden.

25. Jede Reform verlangt eindeutige Zuständigkeitsverteilung, wobei klar sein muss, wer die Federführung hat, damit Stetigkeit und Zusammenhang gewahrt bleiben. Besonders wichtig ist die Prüfung der Möglichkeit, ein bestimmtes Organ mit der Federführung für die Reform zu betrauen oder ein Verwaltungsabkommen zwischen den betroffenen Institutionen zu erreichen.

26. Wichtig ist auch die Auswertung bisher gemachter in- und ausländischer Erfahrungen. Allerdings lassen sich anderswo gefundene Lösungen nur selten ohne vorherige Anpassung übertragen. Vergleiche lohnen sich deshalb besonders dann, wenn sie darauf aus sind festzustellen, welche Art von (vielfältigen) Zielsetzungen bei anderen Reformen im Vordergrund stand, welche Verfahren gewählt wurden und welche Fragen bei der Durchführung der Reformen geprüft wurden.

27. Man sollte bei der Reformpolitik auch Anpassungen ermöglichen, um die im Verlauf der Reform auftauchenden spezifischen Probleme bestimmter Gebietskörperschaften lösen zu können. Die nötige Übereinstimmung über die Ziele der Reform muss gewährleisten, dass derartige Anpassungen nicht dem Versuch dienen, die politischen Ziele der Reform zu verwässern.

28. Wenn die Bevölkerung sich nicht gleichmäßig über das Gebiet verteilt und die wirtschaftliche Bedingungen sehr verschieden sind, sollte man die Möglichkeit unterschiedlicher Lösungen folgender Art in Betracht ziehen:

- Es muss nicht überall im Staat die gleichen Ebenen der Gebietsverwaltung geben.
- Die Zuständigkeiten der Gebietskörperschaften gleicher Ebene können verschieden sein.
- Auch die institutionellen Beziehungen der Gebietskörperschaften gleicher Ebene können verschieden sein.

29. Die Einleitung einer Reform aufgrund einer versuchsweisen Initiative der unteren Ebene kann zu Ergebnissen führen, die sowohl für die genauere Ausprägung der Reformziele und des Verfahrens als auch für die Schaffung eines der Reform günstigen Klimas nützlich sein können.

B. BESCHLUSSFASSUNG

1. Die Entscheidung, eine vorgeschlagene Reform in Angriff zu nehmen, sollte nach Konsultation der betroffenen Institutionen (vgl. die Empfehlungen zum institutionellen Dialog) auf der höchsten institutionellen Ebene getroffen werden. Dabei kann das Ergebnis einer Volksbefragung eine Rolle spielen oder es kann, falls das Gesetz es gestattet, eine Volksbefragung angeordnet werden.

2. Das Reformvorhaben und seine Durchführung müssen nach Konsultation der betroffenen Institutionen (vgl. die Empfehlungen zum institutionellen Dialog) auf der höchsten institutionellen Ebene entschieden werden.

3. Die Unterstützung der Reformen lässt sich durch Konsultationen mit den betroffenen Personen sowie durch eine Verstärkung der Entscheidungsbefugnisse der Gebietskörperschaften in einem gesamtstaatlich festgelegten Rahmen erzielen.

C. DURCHFÜHRUNG

1. Für den Erfolg einer Reform ist es auch – wie oben erwähnt9 – entscheidend, wer die Federführung hat.

2. In dem Maße, in dem während der Durchführungsphase das Schwergewicht nicht mehr bei der Zentralinstanz, sondern bei den nachgeordneten Behörden liegt, kommt es entscheidend darauf an, klar zu bestimmen, wer in dieser Phase auf der nachgeordneten Ebene federführend ist.

3. Das politische Engagement der Zentralinstanz10 gegenüber den Reformen bleibt entscheidend für die Lösung schwieriger, während der Durchführungsphase auftauchender Probleme.

4. Für die Durchführungsphase bedarf es eines gemeinsamen Bezugsrahmens, um z.B. Planungsverfahren zur Beteiligung aller Betroffenen vorzusehen.

5. Auch während der Durchführungsphase kann eine versuchsweise von der unteren Ebene angestoßene Reform zu sinnvollen Ergebnissen (sowohl für die genauere Ausprägung der Reformziele und Verfahren als auch für die Schaffung eines der Reform günstigen Klimas) führen.

6. Die Zentralverwaltung sollte grundsätzlich für Unterstützungsprogramme sorgen und dabei Informationstechnologien und sonstige benötigte Infrastrukturen bereitstellen. Solche Programme können im Rahmen des oben erwähnten Planungsprozesses konzipiert werden.

7. In der Übergangsphase bedarf es eines festen Rahmens, um die nötige Haushaltsdisziplin zu bewahren, bestehende Vorteile zu erhalten und eine wirksame Überleitung des Personals der von der Reform betroffenen Gebietskörperschaften zu gewährleisten.

8. Die Überwachung der Durchführung der Reformen ist wesentlich, um rechtzeitig Hindernisse festzustellen und die Erfahrungen der verschiedenen betroffenen Gebietskörperschaften vergleichen zu können.

9. Diese Überwachung muss auf allen an der Reform beteiligten Ebenen der öffentlichen Verwaltung erfolgen, und zwar nicht nur durch die betroffenen Personen, sondern auch durch unabhängige Beobachter. Die Überwachung muss breit angelegt sein und darf sich nicht auf die Reform der Verwaltungsstrukturen als solche beschränken.

D. EVALUIERUNG

1. Nach Abschluss der Reform müssen unabhängige Untersuchungen stattfinden um auszuwerten, ob und inwieweit die Ziele der Reform erreicht wurden.

2. Die Evaluierung ist aber auch Sache der unmittelbar von der Reform betroffenen Personen.

3. Die Evaluierungsergebnisse sollten veröffentlicht werden.

4. Maßnahmen müssen getroffen werden, um die Reformen anpassen oder womöglich rückgängig machen zu können, falls sie ihre Ziele in wesentlichen Punkten verfehlt haben.
Sofern dies noch nicht der Fall ist, müssen derartige Maßnahmen die Schaffung eines rechtlichen Rahmens zur Regelung der Rechte und Pflichten vorsehen, die von einer Anpassung oder Annullierung der Reform berührt werden könnten.

5. Durch geeignete Maßnahmen ist dafür Sorge zu tragen, dass die Evaluierungsergebnisse bei der Ausarbeitung der allgemeinen Reformpolitik und bei späteren Reformprozessen berücksichtigt werden.

6. Die Veröffentlichung der Evaluierungsergebnisse muss auch gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten des Europarats erfolgen.

1 Diskussion und Verabschiedung durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 24. März 2004 (siehe Dokument CG (10) 29, Entwurf einer Stellungnahme, vorgelegt vom Berichterstatter Carlo Andreotti)

2 Siehe Anhang

3 Die Größe wird in der Regel durch die Einwohnerzahl, die Bevölkerungsdichte, die Fläche und die verfügbare Finanzausstattung bestimmt.

4 Die Funktionsweise hängt von der Art der Zuständigkeit der fraglichen Behörde ab: ob sie lediglich darüber zu wachen hat, dass bestimmte Dienstleistungen erbracht werden, oder ob sie diese selbst zu erbringen hat.

5 Oder gegebenenfalls innerhalb einer mit der Reform befassten Gebietseinheit unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene.

6 Die Größe wird in der Regel durch die Einwohnerzahl, die Bevölkerungsdichte, die geografische Lage und die Finanzausstattung bestimmt.

7 Bei Reformvorschlägen „von unten“ handelt es sich darum, dass die vorgesetzte Gebietsverwaltungsebene aufgrund einer Initiative der zu reformierenden Ebene tätig wird.

8 Bei Reformvorschlägen „von oben“ geht die Initiative von der vorgesetzten Ebene aus.

9 Vgl. A 25.

10 Oder gegebenenfalls eine für die Reform verantwortliche Einheit unter der gesamtstaatlichen Ebene.