Stellungnahme 17 (2002)1 betreffend den zweiten Entwurf einer Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung

Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Berücksichtigt:

a. die Stellungnahme 12 (1999) des KGRE betreffend den ersten Entwurf der Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung (nachstehend: Weltcharta);

b. die Empfehlung 98 (2001) des KGRE betreffend den Entwurf einer Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung - Stand der Diskussion;

c. den Bericht des Vorbereitenden Ausschusses vom 20. April 2000 über die Fortschritte bei der Vorbereitung des Entwurfs der Weltcharta für die ausserordentliche Session der Generalversammlung der Vereinten Nationen (nachstehend: UNO oder Vereinte Nationen), die der umfassenden Prüfung und Evaluierung der Anwendung des Programmes Habitat gilt;

d. den zweiten Entwurf einer Weltcharta, wie er aus den unter der Schirmherrschaft der UNO durchgeführten regionalen Anhörungen hervorgegangen ist (Anhang II);

e. den Beschluss der 18. Sitzung der UNO-Kommission für menschliche Siedlungen vom 16. Februar 2001 und insbesondere den darin vorgeschlagenen internationalen Rahmen für die Dezentralisierung und für die Stärkung der Gemeinden und ihrer Netze zum Zwecke der Umsetzung des Programms Habitat (einschliesslich der Idee und der Notwendigkeit einer Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung sowie anderer Konzepte);

f. die Erklärung betreffend Städte und andere Siedlungen im neuen Jahrtausend, die angenommen wurde von der UNO-Vollversammlung vom 6.-8. Juni 2001 in New York, welche der umfassenden Prüfung und Evaluierung der Umsetzung des Programms Habitat II galt;

g. den Beschluss der UNO-Vollversammlung betreffend die Umwandlung der Kommission für menschliche Siedlungen und ihres Sekretariats im Zentrum der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (Habitat II) sowie deren Stiftung in das UNO-Programm für menschliche Siedlungen, mit Geltung ab 1. Januar 2002;

2. Begrüsst die Rolle der internationalen Gemeindeverbände bei der Förderung des Entwurfs einer Weltcharta;

3. Erachtet die anlässlich der zweiten Expertenkonferenz vom 13.-14. April 2000 iin Nairobi an dem ersten Entwurf einer Weltcharta angebrachten Veränderungen und Ergänzungen als insgesamt positiv;

4. Begrüsst die Anstrengungen der Autoren des zweiten Entwurfs der Weltcharta, dem Text jene politische Dimension zu verleihen, deren Verstärkung der Kongress anlässlich der Annahme seiner Stellungnahme 12 (1999) wünschte;

5. Stellt fest, dass die Neufassung von der Bemühung um Klärung geprägt ist, die insgesamt zu einer besseren Berücksichtigung der Gemeindeinteressen und zur Förderung der Dezentralisierung beiträgt;
6. Begrüsst ganz besonders die Tatsache, dass die Autoren des zweiten Entwurfs die in seiner Stellungnahme 12 (1999) enthaltenen Bemerkungen betreffend die Stärkung der politischen Dimension, die Bezugnahme auf die verschiedenen Ebenen der Selbstverwaltung, die Klärung der Bestimmungen betreffend die Kontrolle sowie die Erläuterung der Bestimmungen betreffend das Finanzwesen berücksichtigt haben;

7. Bekundet sein Einverständnis mit den Autoren des zweiten Entwurfs der Weltcharta, die sich in der Präambel auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung beziehen und damit anerkennen, dass Gemeindedemokratie ein Grundrecht ist;

8. Unterstützt die in der Präambel reflektierte Idee, wonach die Notwendigkeit einer Stärkung der Gemeinden einem Bedürfnis nach Freiheit, Würde und nachhaltiger Entwicklung entspricht;

9. Begrüsst das Vorhandensein von Bestimmungen in der Präambel zu der Neufassung der Weltcharta, die das Subsidiaritätsprinzip erklären und die Förderung der Dezentralisierung "vermittels der demokratischen Gemeinden" und nicht mehr nur "vermittels der Gemeinden" ins Auge fassen;

10. Begrüsst es, dass unterschieden wird zwischen der Kontrolle der eigenen Zuständigkeiten, welche nur die Sicherstellung der Legalität beinhaltet, und der Kontrolle delegierter Zuständigkeiten;

11. Stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Terminus "übertragen" ("transferred"), den die Autoren auf die gemeindeeigenen Aufgaben und Verantwortungen anwenden, nicht ganz richtig ist und zu Diskussionen führen sowie überdies mit dem Konzept der Übertragung von Finanzmitteln verwechselt werden könnte;

12. Begrüsst den Nachdruck, mit dem der Text hervorhebt, dass das Ausmass der Kontrolle den dabei zu schützenden Interessen immer angemessen sein müsse;

13. Begrüsst im neuen Artikel 9 das Konzept der Diversifizierung der Ressourcen sowie dasjenige der Angemessenheit sowohl der eigenen wie der übertragenen Ressourcen;

14. Begrüsst ebenso das Konzept der Stabilität der Ressourcen und die im Text erfolgte Betonung, dass die Ressourcen auf die finanzielle Autonomie hin ausgerichtet sein sollen;

15. Bekräftigt seine Unterstützung der Vorbereitung des Entwurfs der Weltcharta;

16. Gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Dialog über den Entwurf der Weltcharta in dem ihm gemässen Rahmen der Vereinten Nationen weiterverfolgt wird und die internationalen Gemeindeverbände eng dazu beigezogen werden;

17. Bekräftigt seine Bereitschaft zu einem - 2001 im Rahmen seiner Kammer der Gemeinden bereits begonnenen - konstruktiven Dialog mit den Gemeindeverbänden jener Staaten, die sich dem Projekt einer Weltcharta gegenüber ablehnend gezeigt haben;

18. Erachtet es als vielleicht ratsamer, die Beitrittsbedingungen zu der Weltcharta, wie sie der zweite Entwurf vorsieht, weniger streng zu gestalten und schlägt vor, unterschiedliche Grade und Ebenen der Mitgliedschaft anzusteuern;

19. Schlägt im Hinblick auf eine mögliche Überwindung der Opposition gewisser Staaten gegenüber der Weltcharta vor, die Möglichkeit eines kurzen, präzisen, dabei aber flexiblen Textes zu prüfen, der sich unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen anpassen liesse;

20. Würde es in diesem Zusammenhang für klug halten, einen solchen Text auf die verfassungsrechtliche, politische und administrative Dimension zu beschränken;

21. Hält es für ratsam, zusätzlich zu den institutionellen Aspekten, welche die Tragweite der im Entwurf der Weltcharta enthaltenen politischen Grundsätze bestimmen, auch auf die Grundsätze der good governance zu verweisen, für welche die Europäische Städtecharta eine wertvolle Inspirationsquelle darstellen würde;]

22. Fordert die Mitgliedstaaten des Europarats dringend auf, ihr möglichstes zu tun, um sicherzustellen, dass der laufende Redaktionsvorgang auf der angemessenen UNO-Ebene zur direkten Diskussion gelangt;

23. Verweist hinsichtlich Verbesserungsvorschlägen am Text sowie neuer Ideen und deren Implikationen auf die eingehenderen Anmerkungen, welche die Berichterstatter, unterstützt durch die Gruppe unabhängiger Experten für die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, vorlegen (s. Anhang I).

EINLEITENDE BEMERKUNGEN

Die Kammer der Gemeinden hat beschlossen, den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas zum dritten Mal über die Weltcharta für kommunale Selbstverwaltung zu informieren.

Der Kongress befasste sich zum erstenmal damit, als er von der genannten Kammer um eine Stellungnahme zu der ersten Version gebeten wurde, welche vorab auf Anregung des Internationalen Gemeindeverbandes (IULA) als Teil der Arbeit der Kommission der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UNCHS Habitat) ausgearbeitet wurde. Gestützt auf den Bericht von Frau Gaye Doganoglu, nahm der Kongress am 17. Juni 1999 die Stellungnahme 12 "betreffend den ersten Entwurf einer Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung" an.

Dieses Dokument rief die Entstehungsgeschichte dieser wichtigen Initiative in Erinnerung und enthielt in seinem Anhang sämtliche Unterlagen, die zu einer Einschätzung ihrer Bedeutung nötig sind. Der Kongress erklärte sich "grundsätzlich einverstanden" mit dem bisherigen Vorgehen und bekundete seine Bereitschaft ("Verfügbarkeit"), sich an der weiteren Ausarbeitung zu beteiligen. Zu diesem Zweck beauftragte er zwei seiner Mitglieder, die vertiefenden Arbeiten weiterzuverfolgen: Herrn Gerhard Engel als Mitglied des Institutionellen Ausschusses der Kammer der Gemeinden und Herrn Alan Lloyd für das Präsidium der Kammer.

Die Herren Engel und Lloyd legten daraufhin der Kammer der Gemeinden am 30. Mai 2001 einen Bericht (CPL(8)5, Teil II) vor, der den Diskussionsstand belegte. Darin wurde berichtet von der breiten Konzertation, die, vor allem aufgrund von acht regionalen Zusammmenkünften, entstanden war sowie von den in ihrer Folge an dem Textentwurf angebrachten Änderungen, die diesen zu einer "2. Fassung" werden liessen.

Die Berichterstatter berichteten allerdings auch von diplomatischen Schwierigkeiten gerade zu dem Zeitpunkt, da vernunftgemäss die erhoffte Traktandierung auf der Tagesordnung UNO-Vollversammlung von September 2001 erwartet werden konnte, was einen ersten wichtigen Markstein in dem Projekt bedeutet hätte.

Der genannte Bericht führte zu der Empfehlung 98 (2001) und der Entschliessung 118 (2001) "betreffend den Entwurf einer Weltcharta der lokalen Selbstverwaltung - Stand der Diskussion", worin die Fortschritte im Grundsätzlichen2 begrüsst, zugleich aber bedauert wurde, dass es an der letzten Sitzung der Kommission für menschliche Siedlungen "nicht gelungen ist, die bis dahin informelle Diskussion in einen förmlichen zwischenstaatlichen Dialog mit Beteiligung der Verbände überzuleiten".

Abschliessend begrüsste der Kongress den Beitrag, den die internationalen Gemeindeverbände bis dahin zur Förderung des Entwurfs der Weltcharta geleistet hatten, bekräftigte seine Unterstützung des Prozesses und beauftragte den Institutionellen Ausschuss seiner Kammer der Gemeinden, den Entwurf einer Stellungnahme zu dem zweiten Entwurf einer Weltcharta im Hinblick auf deren Übermittlung an die Vereinten Nationen auszuarbeiten.

Zweck des vorliegenden Papiers ist es somit, zur Erfüllung dieser Aufgabe beizutragen.

Die Stellungnahme Nr. 12 hatte die wichtigsten Anmerkungen des Kongresses zu dem ursprünglichen Entwurf unter fünf Hauptthemen gegliedert, von denen jedes einer Gruppe von Bestimmungen in dem Entwurf entsprach. Diese Anmerkungen gingen selbstverständlich von der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung aus, auf welche sich auch die Autoren des Entwurfs der Weltcharta anerkanntermassen stützen. Die fünf Hauptthemen lauteten: Notwendig gewordene Veränderungen durch den Weltkontext, in den die künftige Charta sich einfügt; Veränderungen aufgrund der Aktivitäten der UNCHS; Veränderungen und Zusätze aufgrund der Beobachtungen der Umsetzung der Charta in der Praxis; Redaktionelle Änderungen; Artikel, die unmittelbar aus der Charta übernommen wurden und aufgrund der Ergebnisse des Monitoring geändert werden könnten.

Der zweite Text, der beim zweiten Treffen der unabhängigen Experten (Nairobi, 13.-14. April 2000) entstand, behält die dreiteilige Struktur sowie die 23 Artikel des ersten Entwurfs bei, bringt jedoch am Text eine Reihe von Änderungen und Zusätzen an, die insgesamt positiv zu beurteilen sind. Diese Änderungen beinhalten vor allem auch deutliche Schritte, um dem Text jene "politische" Dimension zu verleihen, deren Verstärkung der Kongress gewünscht hatte.

1. Die Berücksichtigung der Bemerkungen des Kongresses

Diese ist besonders in 4 wesentlichen Punkten deutlich: Verstärkung der politischen Dimension; Verweis auf unterschiedliche Ebenen der Selbstverwaltung; Präzisierung der Bestimmungen betreffend die Kontrolle; Erläuterung der Bestimmungen betreffend das Finanzwesen.

1.1 Die Berücksichtigung der politischen Dimension der kommunalen Selbstverwaltung

Diese wird besonders deutlich in der Präambel, von welcher die Stellungnahme Nr. 12 bedauerte, dass sie eigentlich nur einen einzigen Absatz - den die Zuständigkeiten betreffenden - aus der Präambel zu der Europäischen Charta übernimmt (letzter Absatz der Präambel des Entwurfs): "Es wäre sinnvoll, die Präambel zu erweitern und die Notwendigkeit und die Bedeutung einer Verstärkung der Werte, die mit der kommunalen Selbstverwaltung weltweit in Verbindung stehen, zum Ausdruck zu bringen. Diese Werte sind allgemeiner Natur, da sie in der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte verkörpert sind".

Die Präambel wurde in der Tat völlig neu verfasst. Sie wird mit einer Bezugnahme auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung eingeleitet, und es wurde ein neues und wesentliches Prinzip eingeführt, wonach die Unterzeichnerstaaten "anerkennen, dass Gemeindedemokratie ein Grundrecht ist". Sie erklären sich "überzeugt von der Notwendigkeit, die Gemeinden zu stärken, um die allgemein anerkannten Ziele Freiheit, Würde und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen" und verknüpfen so die kommunale Selbstverwaltung mit sehr umfassenden Zielen, die ihrerseits mit den natürlichen Entwicklungsbestrebungen der UNO im Einklang stehen. Diese Verknüpfung bekräftigt die universelle Tragweite der Selbstverwaltung; sie taucht an mehreren Textstellen in Andeutungen wieder auf, vor allem in zwei anderen Absätzen der Präambel. Der erste stellt eine Verbindung her zwischen der Entwicklung der Partizipation auf Gemeindeebene und den "Interessen der Armen in den Städten, der Behinderten und der Ureinwohner, ihrer sozialen Integration und der Gleichberechtigung der Rassen". Der andere stellt die Bedeutung von "starken Gemeinden" und der Förderung der "wirtschaftlichen Entwicklung" fest.

Der im ursprünglichen Entwurf enthaltene Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip findet sich nun in Begriffen erklärt, welche die neue Präambel in die Nähe derjenigen zur Europäischen Charta rücken - " die öffentlichen Aufgaben und Verantwortungen werden durch jene Behörden ausgeübt, welche dem Bürger am nächsten sind", während die Förderung der Dezentralisierung nun ganz klar als "durch demokratische Gemeinden" und nicht mehr nur "durch Gemeinden" geschehend erachtet wird.

1.2 Bezugnahme auf die "regionale Ebene"

Wenn die Präambel auf Zusammenarbeit zu sprechen kommt, dann sagt sie nun, dass diese natürlich die Gemeinden und nicht nur die nationalen Regierungen betreffen kann. Es kann sich auch um Regierungen auf einer Zwischenebene handeln, die hier "Provinzebene" genannt wird. Diese auf einer anderen als der kommunalen oder gesamtstaatlichen Ebene liegende Stufe wird in Artikel 4 über die Reichweite der kommunalen Selbstverwaltung, insbesondere die Kompetenzenverteilung, behandelt (Absatz 4). Von ihr ist natürlich implizit auch die Rede im Zusammenhang mit der Delegation von Zuständigkeiten (Art. 8.3) oder in Artikel 11.2 über die notwendige Konsultation der Gemeinden im Vorfeld von Entscheidungen.

1.3 Die Bestimmungen betreffend die Kontrolle

In seiner früheren Stellungnahme hatte der Kongress festgestellt: "Aus Gründen der praktischen Anwendung einer Politik der "menschlichen Siedlungen" sahen sich die Autoren veranlasst, sich vom ursprünglichen Geist der Charta zu entfernen." Diese Bemerkung ist offensichtlich besonders in Artikel 8 berücksichtigt worden, der, wie in der europäischen Charta, der Kontrolle gewidmet ist.

In seiner neuen Formulierung wird nun deutlich unterschieden zwischen der Kontrolle über die eigenen Zuständigkeiten (die als "übertragene"3 bezeichnet werden), bei der es nur um die Legalität geht, und derjenigen über die "delegierten" Zuständigkeiten.

Es wird deutlich gemacht, dass das Ausmass der Kontrolle immer in einem richtigen Verhältnis stehen muss "zu den Interessen, die dadurch geschützt werden sollen" (Art.8.4).

Dagegen ist der Vorschlag, dass Art. 8.5, worin es um die Suspendierung und die Auflösung von Abgeordnetenversammlungen und die Entlassung gewählter Abgeordneter geht, auch ein adversiales Verfahren eingühren sollte, nicht aufgegriffen worden. Es wird jedoch daran erinnert, dass die Anfügung eines entsprechenden Absatzes an sich bereits einen - begrüssenswerten - Fortschritt gegenüber der Europäischen Charta bedeutete.

1.4 Die Bestimmungen betreffend die Finanzierung

Der neue Artikel 9 führt den Begriff der Diversifizierung der Ressourcen sowie denjenigen der Angemessenheit der eigenen wie der übertragenen Mittel ein. Es wird deutlich festgestellt, dass die Gemeinden in der Lage sein müssen, frei über ihre Mittel - seien es eigene Aufkommen oder übertragene Mittel - zu verfügen.

Artikel 9.2 führt das Konzept der Stabilität der Mittel ein und sagt, dass die Mittel die Sicherstellung der "Selbstverwaltung in Finanzbelangen" anzielen sollen.

2. Zusätze und Änderungen im Text

Der neue Text zeugt vom Streben nach Klarheit, das in manchen Fällen zur Einfügung neuer Absätze (Artikel 8.1), oder häufiger von Nebensätzen führt, die im allgemeinen zu einer besseren Wahrnehmung der kommunalen Interessen und zur Förderung der Dezentralisierung beitragen.

2.1 Redaktionelle Zusätze und deren Kommentierung

Wie alle Änderungen, so können natürlich auch die Zusätze durch Ergänzungen noch verdeutlicht werden.

So kommt zum Beispiel bedauerlicherweise in der Definition der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 3.1 (französische Version des Textes) zwar das Recht zu verwalten, zu planen und zu kontrollieren, nicht aber mehr das Recht zu regulieren vor. Dieses ist jedoch ebenfalls wesentlich, denn es bedeutet, dass den Gemeinden das Recht zusteht, die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Angelegenheiten selbst zu regeln. Andererseits hat hier der Wunsch nach Stärkung der kommunalen Zuständigkeiten zu einer zweifelsohne zu weitgehenden Formulierung geführt, erstreckt sich doch nun das Recht zu lenken auf "alle öffentlichen Angelegenheiten".

Der Wunsch nach Klarheit führt zuweilen zu unnötigen Wiederholungen. Artikel 4.2.beispielsweise, dessen - berechtigte -Einfügung der deutlicheren Unterscheidung zwischen den durch Verfassung und Gesetz vorgeschriebenen allgemeinen Zuständigkeiten und den delegierten Zuständigkeiten dient, ersetzt "grundlegende Zuständigkeiten" (das Konzept der Europäischen Charta) durch "grundlegende Befugnisse, Pflichten und Verantwortungen", was einige Verwirrung stiftet und den Eindruck vermittelt, dass es für irgendein spezifisches Gebiet zusätzliche Zuständigkeiten und Verantwortungen geben könnte, die nicht durch das Gesetz abgedeckt sind. Es handelt sich hier um eine sehr wichtige prinzipielle Frage; sie wird im vierten Monitoringbericht (über die Zuständigkeiten) behandelt, der zur Klärung von Art. 4.2 der europäischen Charta führte, indem er daran erinnerte, dass es keine a priori-Zuständigkeiten der Gemeinden (die ja keine föderierten Einheiten sind) gibt. Sämtliche kommunalen Zuständigkeiten existieren nur aufgrund einer entsprechenden Zuerkennung durch die Verfassung oder das Gesetz. Freilich können letztere einen allgemeinen Zuständigkeitsbereich festlegen, der den Gemeinden die Freiheit lässt, "ihre Initiative auszuüben in allen Angelegenheiten, die nicht von Gesetzes wegen von ihrer Zuständigkeit ausgeschlossen oder irgendeiner anderen Behörde zugewiesen sind" (Artikel 4.1 der Weltcharta).

Andererseits ist die Entscheidung darüber, wie die Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen öffentlichen Behörden aufzuteilen sind, allein Sache des Gesetzgebers oder der Verfassung. Wenn er einer bestimmten Körperschaft eine bestimmte Aufgabe zuweist, muss der Gesetzgeber zugleich sagen, ob es sich dabei um eine "eigene", also nur der Legalitätskontrolle unterstehende, oder um eine delegierte Aufgabe handelt. Das ist ein gängiges Problem in Bundesstaaten, ist aber in den letzten Jahren zu einer Quelle der Verwirrung in den neuen Mitgliedstaaten des Europarats geworden, weshalb es jeweils aufmerksamer Prüfung bedarf.

Desgleichen sind zwar die in Artikel 4.4 hinzugefügten Worte durch das Hereinbringen des Konzepts der "vollen und ausschliesslichen Zuständigkeit" ("Vermeiden des Teilens von Zuständigkeiten mit anderen Regierungsebenen") zu begrüssen, andererseits widerspricht aber der Gedanke, dass diese Zuständigkeiten nur durch Reglementierung (ein in der europäischen Charta nicht existierender, neu hereingebrachter Begriff) begrenzt sein könnten, dem Prinzip der Selbstverwaltung vollständig. Zuständigkeiten können nur durch das Gesetz begrenzt werden.

Die übrigen Zusätze tragen neue Ideen hinein, von denen man sich allerdings fragen kann, ob sie im aktuellen Stadium tatsächlich notwendig sind und nicht vielmehr das Ziel einer Förderung der Dezentralisierung gefährden könnten.

2.2 Die neuen Ideen und ihre Implikationen

Dies gilt vorab für "good local governance" (in etwa: "gute Gemeindeleitung") - ein sehr neues und modisches Konzept. Es hat sogar schon einen Kongressbericht darüber gegeben, und es wäre ratsam, zukünftige Äusserungen des Kongresses darüber im Sinne einer Bereicherung der vorliegenden Stellungnahme zur Kenntnis zu nehmen. "Governance" schliesst den Gedanken der Wirksamkeit ein, aber auch, und vor allem, denjenigen des Handelns im Einklang mit den Behörden, - bei denen es sich ja nicht in jedem Fall um gewählte Behörden handelt. Dies warf schon Probleme auf bei der Analyse des Berichts der EU-Kommission über "Governance". Es wäre nicht günstig, wenn ein neu zu verteidigender Text wegen eines verschwommenen Begriffes eine gewisse Unschärfe aufwiese.

Das selbe gilt für Artikel 7.1, worin gesagt wird, dass dem Gemeindepersonal und den gewählten Gemeindeabgeordneten Sicherheit sowie "gute Governance" (?) bei der freien Ausübung ihrer Funktionen statutartisch gewährleistet sein müssen.

Anders steht es um den neu zu Artikel 8 hinzugefügten Abschnitt, der besagt, dass "die Gemeinden berechtigt und in der Lage sein müssen, ihre eigene Leistung sowie die "Governance" der durch die Bevölkerung gewählten Abgeordneten zu überwachen und zu kontrollieren". Hier fügt das Wort "Governance" nichts hinzu; stattdessen könnte "Management" gesagt werden. Indes ist der durch diesen Abschnitt eingeführte Hauptgedanke interessant, denn er bringt das Konzept des "internen Monitoring" herein. Hierüber steht leider nichts in der Europäischen Charta. Alleiniges Monitoring von aussen führt zur Aufrechterhaltung eines Systems, worin die Gemeinden als unter der Aufsicht anderer Behörden stehend erscheinen. Viele Länder, darunter Deutschland und das Vereinigte Königreich, kennen ein doppeltes - internes und externes - Kontrollsystem; die Gemeindeabgeordneten werden dazu angeregt, Verfahren für die Selbstkontrolle einzurichten. Diese Systeme haben den doppelten Vorteil, die "Manager" dazu zu zwingen, die Qualität ihrer eigenen Leistung im Auge zu behalten, was wiederum ihre Dialogfähigkeit mit einer externen Kontrollbehörde verbessert. Dieser Zusatz enthält somit einen wirklich nützlichen Gedanken und ist daher, mit kleinen redaktionellen Verbesserungen, geeignet, unterstützt und erläutert zu werden.

Die letzten grundlegenden, durch den Kontext der Ausarbeitung der Weltcharta angeregten Änderungen enthalten eine ganze Reihe von Bezugnahmen auf soziale Gruppen unterschiedlicher Bezeichnung: Minderheiten, ethnische Gruppen, die Armen, sogar Rassen und Ureinwohner - Begriffe, deren Vorkommen in einem internationalen Text dieses Zuschnitts erstaunen mag. Es ist zwar leicht, nachzuvollziehen, weshalb diese Begriffe eingeführt worden sind, doch dürfen sie, wie der Kongress bereits festgestellt hat, nicht in Widerstreit geraten mit dem Grundprinzip der Demokratie, das aufruht auf der individuellen Verantwortung. Das Konzept "Gemeinschaft" lässt sich im Zusammenhang mit sogenannten Politiken der "positiven Diskriminierung" akzeptieren, aber das darf nicht zu Lasten der Freiheit des individuellen Bürgers gehen. - Es darf allerdings angenommen werden, dass die Aufnahme der fraglichen Begriffe in den Entwurf auf den Kontext zurückzuführen ist, in dem er entstand.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Um die Charta wieder auf ihr Hauptziel auszurichten, das darin besteht, zu informieren sowie die kommunale und regionale Selbstverwaltung innerhalb der Staaten zu stärken, könnte es notwendig sein, sie einen eigenständigen Aufschwung nehmen und ihre eigene Stosskraft entfalten zu lassen.

Es wäre günstig, einen gewissen Pragmatismus walten zu lassen, um die Widerstände auch der stark zögernden Staaten zu entkräften. Statt dessen sind beispielsweise die Beitrittsbedingungen in der neuen Version strenger geworden als in der vorangegangenen: so soll sich jeder Vertragsnehmer nun als durch mindestens 30 - vorher 20 - Paragraphen gebunden erachten, wovon 124 - vorher 10 - zwingend.

Es wäre sicherlich besser, zu einer anderen Einstellung zu finden, die etwa darin bestehen könnte, den Grundgedanken, die kommunale Selbstverwaltung, der neuartig und nicht in allen Staaten und politischen Systemen leicht nachvollziehbar ist, zu betonen und seine Komponenten so klar wie möglich zu definieren. Zu diesem Zweck sollte der Text kurz, genau und dennoch flexibel sein, er sollte sich unterschiedlichen institutionellen Kontexten anzupassen können, und seine Reichweite sollte auf die verfassungsrechtliche, politische und administrative Dimension begrenzt sein.

Dagegen sollten die Modalitäten der Annahme und Ratifikation Gegenstand von Verhandlungen bleiben, wobei eine einfache Erklärung oder verschiedene Annahmestufen als erster (oder auch letzter) Schritt genügen - ist doch Universalität in diesem Fall wichtiger als Intensität (im mehr oder weniger ausgeprägten Gegensatz zu den in Europa gegebenen Erfordernissen).

Appendix 2

 
PREPARATORY COMMITTEE FOR THE SPECIAL SESSION OF
THE GENERAL ASSEMBLY FOR AN OVERALL REVIEW AND
APPRAISAL OF THE IMPLEMENTATION OF THE
HABITAT AGENDA
First session
Nairobi, 8-12 May 2000
Item 5 of the provisional agenda*
 

ROLE OF LOCAL AUTHORITIES, OTHER PARTNERS AND RELEVANT UNITED NATIONS
ORGANIZATIONS AND AGENCIES IN THE REVIEW AND
APPRAISAL PROCESS
Progress report on the preparations of the proposed world charter of local self-government
Report of the Executive Director
I. ORIGIN AND MANDATE

WORLD CHARTER OF LOCAL SELF-GOVERNMENT

The Parties to the present Charter:
Recalling the principle, confirmed in the Universal Declaration of Human Rights, specifically Article 21 thereof, that the will of the people is the basis of the authority of governments at all levels, and recognizing that local democracy is a fundamental right;
Recognizing that many global problems and sustainable development, as evidenced in Agenda 21 and the Habitat Agenda, must be dealt with at the local level and cannot be successfully resolved without intensified dialogue and cooperation between national and state/provincial levels of government and local authorities;
Recognizing local authorities as the closest partners of Governments and as essential in the implementation of Agenda 21 and the Habitat Agenda;
Based hereon the Parties to the present Charter:
Convinced of the need to strengthen local authorities for the realization of the universally recognized objectives of freedom, human dignity and sustainable development;
Convinced that public tasks and responsibilities shall be exercised by those authorities which are closest to the citizens and that this principle of subsidiarity is the basis for democratic and participatory development and that the allocation of tasks and responsibilities should abide by this principle;
Committed to promoting decentralization through democratic local authorities and to strengthening their financial and institutional capacities, ensuring financial sustainability and self-reliance of local authorities;
Convinced that the equality of opportunities for women and men and gender equity must go hand in hand with a stronger role of women in local democracy and local governance and that these goals are mutually reinforcing;
Convinced that interests of the urban poor, of disabled citizens and of the indigenous population, their social inclusion, racial equality and democratic integration need strong structures of participation at local level;
Further committed to facilitating and enabling the broad-based participation and ownership by the people and their community organizations in decision-making and in the implementation and monitoring of human settlements strategies, policies and programmes;
Convinced that strong local democracy through freely elected local authorities, together with professional standards and good local governance, offer the means of fostering public accountability and transparency and of strengthening our societies against corruption;
Convinced that the existence of strong local authorities with clear roles and responsibilities and adequate resources, accompanied by transparent and participatory processes, ensure services which are both effective and close to the citizens and thus promote their social and economic development.

Have agreed as follows:

Article 1

The Parties to the present Charter undertake to consider themselves bound by the following articles in the manner and to the extent prescribed in Article 14 of the Charter.

PART ONE
Article 2. Constitutional and legal foundation for local self-government

The principle of local self-government shall be recognized in national, national and state/provincial legislation, and where practicable guaranteed in the constitution(s).

Article 3. Concept of local self-government

Article 4. Scope of local self-government

Article 5. Protection of local authority territorial boundaries

Changes in local authority territorial boundaries shall only be made with prior consultation of the local communities concerned.

Article 6. Appropriate administrative structures and resources for local authorities

Article 7. Conditions under which responsibilities at local level are exercised

Article 8. Supervision of local authorities' activities

Article 9. Financial resources of local authorities

Article 10. Participation of citizens and partnership

Article 11. Associations of local authorities

 

Article 12. International cooperation

Article 13. Legal protection of local self-government

Local authorities shall have the right of recourse to judicial remedy in order to safeguard their financial and administrative autonomy and to ensure compliance with the laws which determine their functions and protect their interests.

PART TWO: MISCELLANEOUS PROVISIONS
Article 14. Undertakings

Article 15. Authorities to which the Charter applies

The principles of local self-government contained in the present Charter apply to all the categories of local authorities existing within the territory of the Party. However, each Party may, when depositing its instrument of ratification or accession, specify the categories of local or regional authorities to which it intends to confine the scope of the Charter or which it intends to exclude from its scope. Any special reasons justifying the exclusion of some type of local authorities should be indicated to the Secretary-General of the United Nations. The Party may also include further categories of local or regional authorities within the scope of the Charter by subsequent notification to the Secretary-General of the United Nations.

Article 16. Provision of information

Each Party shall forward periodically to the Secretary-General of the United Nations all relevant information concerning legislative provisions and other measures taken by it for the purposes of complying with the terms of this Charter.

Article 17. Monitoring

For the purpose of assessing progress in the implementation of the present Charter, an international monitoring committee shall be established by States Parties. This committee shall include representatives of local authorities. Its secretariat shall be provided by the United Nations.

PART THREE
Article 18. Signature and ratification

Article 19. Entry into force

Article 20. Territorial clause

Article 21. Denunciation

A Party may denounce the present Charter by written notification to the Secretary-General of the United Nations. Denunciation becomes effective one year after the date of receipt of the notification by the Secretary-General.

Article 22. Notifications

The Secretary-General of the United Nations is designated as the depositary of the present Charter.
The Secretary-General shall notify the member States of the United Nations of:

Article 23. Authenticity of text

The original of the present Charter of which the Arabic, Chinese, English, French, Russian and Spanish texts are equally authentic, shall be deposited with the Secretary-General of the United Nations.
 
In witness thereof the undersigned plenipotentiaries, being duly authorized thereto by their respective Governments, have signed the present Charter.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 4. Juni 2002 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 6. Juni 2002 (siehe Dok. CPL (9) 3, Entwurf einer Stellungnahme, vorgelegt durch die Herren G. Engel und A. Lloyd, Berichterstatter)

2 Abschnitt 16 des Berichts wiederholt in extenso Artikel 12 der 1996 an der Konferenz Habitat II angenommenen Erklärung von Istanbul, welche den Vorteil hatte, die Bedeutung einer Förderung der Dezentralisierung zugunsten demokratischer Gemeinden in ein förmliches UNO-Unterfangen einzubringen.

3 Diese Formulierung kann zu Diskussionen Anlass geben und läuft Gefahr, zu Verwechslungen mit dem Begriff der "Übertragungen" von Finanzmitteln zu führen.

4 Die Änderung von § 8 über die Kontrolle ist verwirrend. Zuvor musste nur die Legalitätskontrolle (8.2) akzeptiert werden; nun muss nur die Kontrolle der delegierten Zuständigkeiten akzeptiert werden, was den Staaten mehr zugute kommt als den Gemeinden. Da dies sicher nicht den Intentionen der Verfasser entspricht, sollte der Wortlaut von §8.3 wahrscheinlich angepasst werden.