17. PLENARTAGUNG
Straßburg, 13. – 15. Oktober 2009

Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen: Hin zu einem Mehrebenen-Regierungssystem

Empfehlung 278 (2009)[1]

1. Der Europarat legt großen Wert auf die Stärkung der lokalen und regionalen Demokratie, da es sich um die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und der Umsetzung von Bürgernähe handelt. Die Anwendung dieser Prinzipien steht dafür, dass Demokratie bürgernah umgesetzt wird. Regionale Demokratie ist ein wichtiges Element des konstitutionellen Systems der "checks and balances", vor allem in Bundesstaaten, und eine Garantie für ein effektives und demokratisches Mehrebenen-Regierungssystem. Die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich besonders stark mit ihrer Region auf Grund von kulturellen und sprachlichen Banden, aber auch aus historischen, geographischen und gesellschaftlichen Gründen.

2. Der Kongress ist überzeugt, dass gute regionale Regierungsführung einen Mehrwert darstellt. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass Regionalisierungen in den vergangenen Jahren in vielen Mitgliedstaaten stattgefunden haben. Neue regionale Institutionen wurden geschaffen oder bestehende mit zusätzlicher Verantwortung ausgestattet. Dies führte zu einer reichen Vielfalt von Regionen, die sich an unterschiedlichen Modellen orientieren.

3. Aufbauend auf seiner Empfehlung 240(2008) über den Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Demokratie und im Hinblick auf das Zögern des Ministerkomitees, die Arbeiten für ein rechtlich verbindliches Instrument über die regionale Demokratie fortzusetzen, arbeitet der Kongress in der Überzeugung um die Verdienste einer guten regionalen Regierungsführung mit dem Europäischen Ausschuss für lokale und regionale Demokratie (CDLR) an der Erarbeitung eines Referenzrahmens für regionale Demokratie. Dieser Rahmen wird die regionalen Reformen der Mitgliedstaaten beflügeln und die wesentlichen Grundsätze der regionalen Demokratie enthalten, auf deren Einhaltung der Kongress besteht. Diese Grundsätze sind: ein demokratisches Funktionieren und eine Zusammensetzung auf der Grundlage der Bürgerbeteiligung; Achtung der Autonomie der Regionen in der Verfassung oder in Gesetzen; das Prinzip der Subsidiarität; die Verantwortlichkeiten von Integrität und Souveränität der Regionen im Hinblick auf die Staaten und das Prinzip der Loyalität und des gegenseitigen Respekts zwischen den verschiedenen Regierungsebenen (Staat, Regionen, lokale Gebietskörperschaften).

4. Multi-level Governance muss von gegenseitiger Zusammenarbeit und Interaktion zwischen europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Behörden geleitet sein und die jeweiligen Rollen, Funktionen, Zuständigkeiten und Aktivitäten jeder Ebene berücksichtigen. Frühere Ansätze werden zugunsten eines lösungsorientierten Ansatzes der Kooperation abgelöst. Eine klare Kompetenzabgrenzung ist aus Fragen der Unterordnung eine Voraussetzung für eine funktionierende und erfolgreiche Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Kongress das Weißbuch des Ausschusses der Regionen über das Mehrebenen-Regierungssystem, das am 17. Juni 2009 angenommen wurde (Dokument CDR 89/2009 fin).

5. Regionalisierung ist ein Mittel um den Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen „ownership“ und anderen Regionen ein Mitspracherecht bei der Gestaltung von Politiken und der politischen Entscheidungsfindung zu geben. Allerdings müssen sich in einer immer stärker werdenden wechselseitigen Welt und in einem System des Mehrebenen-Regierungssystems auch die innerstaatlichen Verantwortlichkeiten der Regionen besser auf internationaler Ebene widerspiegeln. Denn sie müssen schließlich durch ihre Position und Maßnahmen die verbindlichen Abkommen des Europarates und die wichtigsten Politikziele umsetzen. Dies gilt auch für die EU-Rechtssetzung. Innerstaatliche Konsultations- und Koordinationsverfahren können die Einbeziehung der Regionen als Teil der kohärenten Maßnahmen der Mitgliedstaaten gewährleisten. Es ist daher selbstverständlich, dass die Regionen an der Gestaltung und Vorbereitung dieser Ziele, Vereinbarungen und der Rechtsakte teilnehmen können – in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und anderen Gremien des Europarates und der Europäischen Union – um die spezifischen regionalen Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Ein Erfahrungsaustausch zwischen dem Kongress und dem CDLR könnte gute Erfahrungen auf diesem Gebiet identifizieren und die Modalitäten dieser Kooperation und Konsultation definieren.

6. Den Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen obliegt die Durchführung von vielfältigen und weitreichenden Politikvorgaben, die sowohl rechtliche als auch fachliche Angelegenheiten umfassen und die Organisation legislativer und politischer Konsultations- und Koordinationsverfahren. Dementsprechend müssen auch die nötigen personellen und finanziellen Ressourcen und Verwaltungsstrukturen zur Verfügung stehen. Dies geschieht etwa durch die Anwendung der Prinzipien des Finanzausgleiches bei der Teilung der Steuereinnahmen zwischen dem Föderalstaat und den regionalen Ebenen.

7. Vor diesem Hintergrund fordert der Kongress das Ministerkomitee des Europarates auf:

a. zu empfehlen, dass die für die Gemeinde- und Regionalangelegenheiten zuständigen Minister, die am 16. und 17. November 2009 zu einer Konferenz in Utrecht (Niederlande) zusammentreffen, die wichtige Rolle der Regionen und speziell der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen bestätigen; dass sie als einen Politischen Leitfaden den Referenzrahmen über regionale Demokratie annehmen, der vom Europäischen Ausschuss für lokale und regionale Demokratie (CDLR) in Zusammenarbeit mit dem Kongress ausgearbeitet wurde; und dass sie bei der Fortsetzung des Regionalisierungsprozesses in Europa helfend mitwirken;

b. den Europäischen Ausschuss für lokale und regionale Demokratie (CDLR) mit einem Erfahrungsaustausch über die Beteiligung der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen bei der Gestaltung der Positionen der Mitgliedstaaten im Europarat und in anderen internationalen Foren zu beauftragen, etwa durch die Einbeziehung regionaler Vertreter - und damit deren Expertise – in die Delegationen von Mitgliedstaaten in Ausschüsse, Arbeitsgruppen und andere Gremien des Europarates vergleichbar mit der Praxis der Komitologie der EU. Dieser Erfahrungsaustausch könnte durch ad hoc Workshops auf der Grundlage freiwilliger Teilnahme erfolgen;

c. den Europäischen Ausschuss für lokale und regionale Demokratie (CDLR) einzuladen, zu untersuchen, wie die Teilnahme von Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen in den Delegationen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Europarates verstärkt werden könnte;


8. Der Kongress fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf,

a. die regionale Ebene der Regierungsführung zu stärkern, wo sie bereits existiert. Wo es keine innerstaatliche Ebene zwischen den lokalen und nationalen Behörden gibt, sollten sie über die Nützlichkeit der Einrichtung einer solchen Ebene nachdenken, vor allem im Hinblick auf die Verbesserung der demokratischen Regierungsführung, des sozialen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Entwicklung;

b. die Mitgliedstaaten zu ermutigen, in jenen Ländern, wo es in Frage kommt, die Beziehungen zwischen dem Zentralstaat und den regionalen Behörden so zu definieren, dass regionale Vertreter in die Delegationen für Ausschüsse und Arbeitsgruppen des Europarates einbezogen werden;

c. in den Staaten mit föderalen Systemen die Grundsätze des Finanzausgleiches bei der Aufteilung von Steuereinnahmen zwischen dem Föderalstaat und den regionalen Ebenen anzuwenden.

9. Der Kongress begrüßt die fortwährende Unterstützung der Parlamentarischen Versammlung für die regionalen gesetzgebenden Parlamente, welche durch die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Konferenz Europäischer Gesetzgebender Regionalparlamente (CALRE) Form angenommen hat.



[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 14. Oktober 2009 und Annahme durch den Kongress am 15. Oktober 2009, 3. Sitzung (siehe Dokument CPR(17)2, Begründungstext, Berichterstatter : B. Petrisch, Österreich (R,EVP/CD)).