Empfehlung 116 (2002)1 betreffend die Regionaldemokratie in Ungarn

Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Regionen,

1. Ruft in Erinnerung:

a. Artikel 2, Abschnitt 3, der Statutarischen Entschliessung (2000)1 des Ministerkomitees, die den Kongress beauftragt, in regelmässigen Abständen, Land für Land, Berichte über die Lage der Gemeinde- und Regionaldemokratie in den Mitgliedstaaten und in den sich um einen Beitritt zum Europarat bewerbenden Staaten auszuarbeiten;

b. seine Entschliessungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000), worin die Grundsätze für die Ausarbeitung der oben erwähnten Berichte festgelegt sind;

2. Erinnert an das am 8. und 9. Mai 2001 in Budapest in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium der Republik Ungarn durchgeführte Kolloquium über die Regionalisierung in Ungarn;

3. Nach Kenntnisnahme des Berichts über die Lage der Regionaldemokratie in Ungarn, den der Berichterstatter, Herr Jan Olbrycht (Polen, R), Vorsitzender des Institutionellen Ausschusses der Kammer der Regionen, nach zwei offiziellen Besuchen in Ungarn (Mai 2001 und März 2002) unter stützt durch Prof. Massimo Balducci, Florenz, und Prof. Hans Otto Jorgensen, Kopenhagen, sowie durch das Sekretariat ausgearbeitet hat;

4. Dankt den ungarischen Behörden und insbesondere dem Innenministerium der Republik Ungarn für ihre Unterstützung bei der Organisation der Besuche der KGRE-Delegation in Ungarn;

5. Begrüsst die Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung durch Ungarn (21. März 1994) und insbesondere die am 8. März 2002 erfolgte Rücknahme der anlässlich dieser Ratifikation durch Ungarn abgegebenen Erklärung zu Artikel 13 der Charta;

6. Begrüsst die Ratifikation des Europäischen Rahmenübereinkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften (21. März 1994), der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (26. April 1995) und des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten (25. September 1995) durch Ungarn;

7. Begrüsst im weiteren die erheblichen Fortschritte der kommunalen Demokratie in Ungarn;

8. Ist überzeugt, dass die Schaffung einer zwischen den zentralstaatlichen Behörden und den Gemeinden gelegenen regionalen Verwaltungsebene mit demokratisch gewählten Abgeordneten eine bessere Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und eine wirksamere Verwaltung der Bürgerinteressen ermöglicht;

9. Hat zur Kenntnis genommen, dass die Regionalisierung des Landes in die Regierungsprogramme aufgenommen worden ist;

10. Bedauert, dass das in Ungarn gegenwärtig praktizierte, sehr komplexe System der öffentlichen Verwaltung und der Gebietskörperschaften hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips, das als eines der grundlegenden Prinzipien eingehalten werden sollte, den Erfordernissen einer regionalen Demokratie nicht entspricht;

11. Hat auch Kenntnis genommen von der Schwierigkeit, in den politischen Kreisen Ungarns zu einem Konsens über die Modalitäten der konkreten Umsetzung der Regionalreform zu gelangen;

12. Richtet folgende Empfehlungen an das Parlament und die Regierung Ungarns:

13. Angesichts der strukturellen Komplexität der gegenwärtigen Gebietsverwaltung und in Anbetracht der neuen Erfordernisse, vor allem die Regionalentwicklung betreffend, die sich aus der zukünftigen Mitgliedschaft bei der Europäischen Union ergeben, ist eine umfassende und tiefgreifende Reform der ungarischen Gebietsverwaltung notwendig;

14. Diese Reform sollte im weitestmöglichen politischen Kontext und unter Einbeziehung aller administrativen und politischen Strukturebenen - der Gemeinden, der Städte mit Sonderstatut, der Komitate und der Entwicklungsgebiete - ausgearbeitet werden;

15. Die Verwaltungsreform sollte auf breitestmöglichem politischem Konsens beruhen angesichts der Tatsache, dass gewisse, für eine wirksame und funktionstüchtige Reform unerlässliche Beschlüsse die Änderung einiger geltender Gesetze erfordert, für welche in manchen Fällen eine Zweidrittelsmehrheit im nationalen Parlament erforderlich ist;

16. Eine Revision der gegenwärtigen Strukturen macht eine Klärung der Aufgabenverteilung zwischen Staat, regionalen Strukturen, Städten und Gemeinden sowie eine Feststellung der Ursprünge der auf die regionale Ebene übertragenen Kompetenzen unerläßlich;

17. Sich klar für die Schaffung einer einzigen regionalen Ebene zu entscheiden, im Hinblick hierauf den Erfordernissen der demokratischen Gesellschaft und der wirtschaftlichen Entwicklung genügende Regionen zu schaffen und diese entsprechend den in dem Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung skizzierten Kriterien mit eigenen Befugnissen, autonomen gewählten Organen sowie eigenen, hinreichenden Haushaltsmitteln zu versehen ;

18. Bei der Schaffung der Regionen den Wünschen der Bevölkerung nach einer direkt gewählten Vertretung, einer regionalen Identität, einer effizienten Verwaltung, einer klaren, transparenten und demokratischen Struktur ihrer Institutionen mit echter Entscheidungsbefugnis und einer insbesondere auch der Verwaltung der regionalen Entwicklung angemessenen Finanzierung Rechnung zu tragen;

19. In Anlehnung an die Europäische Charta der komunalen Selbstverwaltung und den Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbszverwaltung eine klare Festlegung der Verteilung der behördlichen Kompetenzen zwischen der kommunalen Ebene, den Städten mit Sonderstatut, der regionalen Ebene und dem Zentralstaat vorzunehmen;

20. Die Zahl der zu schaffenden Regionen nach Massgabe der den regionalen Behörden übertragenen Kompetenzen festzulegen und dabei den Grundsätzen der Leistungsfähigkeit und Rationalität der Verwaltung, den Erfordernissen der regionalen sozio-ökonomischen Entwicklung, den Traditionen sowie den Entwicklungen hinsichtlich der regionalen Identitäten Rechnung zu tragen, nötigenfalls mittels territorialer Umgruppierungen;

21. Für die Schaffung von demokratisch funktionierenden regionalen Strukturen eine der bestehenden Ebenen der öffentlichen Verwaltung zu wählen, das würde heissen, die Ebene der Komitate oder diejenige der Entwicklungsgebiete:

a. im ersten Fall, der Ebene der Komitate, wäre es notwendig:

i. die vorhandenen Strukturen mit echter Selbstverwaltungskompetenz und angemessenen finanziellen Mitteln auszustatten;

ii. ihre Anzahl zu überprüfen und ihre Strukturen zu rationalisieren durch Zusammenlegung und Fusion einiger von ihnen;

iii. die Beziehungen zwischen Zentralstaat, Regionen, Städten und Gemeinden sowie die Kontrollstrukturen klar festzulegen und dabei die Grundsätze der Selbstverwaltung, der Subsidiarität, der Transparenz, der Komplementarität und der Solidarität zu berücksichtigen;

iv. eine Politik der breiten Kompetenzenübertragung vom Staat auf diese neuen Komitate, vor allem auch im Bereich der regionalen Entwicklung, einzuleiten;

v. die dezentralisierten Strukturen der staatlichen Ministerien und Agenturen zu revidieren und zu reduzieren und ihre Aufgaben den regionalen Selbstverwaltungen zu übertragen;

vi. die Städte mit Sonderstatut in die Komitate zu reintegrieren und einige von ihnen zu Sitzen der regionalen Institutionen zu machen;

b. im zweiten Fall, der Ebene der Entwicklungsgebiete, wäre es notwendig:

i. die Entwicklungsgebiete mit Beratungs- und Exekutivstrukturen zu versehen, die durch die Bevölkerung direkt gewählt und daher mit demokratischer Legitimität ausgestattet sind, sie finanziell und administrativ autonom zu gestalten und jene Befugnisse öffentlicher Verwaltung, die gegenwärtig durch den Zentralstaat oder dessen Gebietsvertretungen wahrgenommen werden, auf die Ebene der Entwicklungsgebiete zu übertragen;

ii. die Stellung und Rolle der Komitate zu überprüfen;

iii. die Beziehungen zwischen den Regionen und der kommunalen Ebene zu regeln;

iv. die Zahl und die Rechtsstellung der Städte mit dem Status von Komitaten im Hinblick auf deren Verminderung und Integration in die Regionen zu überprüfen, desgleichen die Funktionen der Mikro-Regionen als Rahmen für interkommunale Zusammenarbeit und ihre Aufgabe als administrative und statistische Hilfseinheiten zu revidieren;

v. dieser Ebene ihre eigenen Haushaltsmittel anzuvertrauen, um ihr Funktionieren und ihre demokratische und autonome Verwaltung sicherzustellen;

vi. ein System des nationalen Ausgleichs der Haushaltsmittel vorzusehen, um die regionalen, auf geographische, demographische, wirtschaftliche, geschichtliche oder politische Nachteile zurückzuführenden Unterschiede auszugleichen;

22. Die für die Stärkung der regionalen Demokratie Ungarns unerlässlichen Reformen rasch vorzunehmen, die kommunale Selbstverwaltung den neuen, sich aus der Rationalisierung der Gebietsverwaltung ergebenden Erfordernissen anzupassen und Ungarn so mit einer starken, leistungsfähigen, auf die Grundsätze der Selbstverwaltung und der demokratischen Legitimität gegründeten Regionalebene zu versehen.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 4. Juni 2002 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 6. Juni 2002 (siehe Dok. CPR (9) 2, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch Herrn J. Olbrycht, Berichterstatter)