Der Kongress,
1. Erinnernd
a. an den Artikel 2.3 der Statutarischen Entschliessung (2000) 1 des Ministerkomitees, worin der KGRE beauftragt wird, Land für Land Berichte über die Gemeinde- und Regionaldemokratie in den Mitgliedstaaten sowie in den Anwärterstaaten auszuarbeiten;
b. an die Entschliessungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000) des KGRE, worin die Leitprinzipien für die Ausarbeitung der erwähnten Berichte festgelegt sind;
2. In Anbetracht des seinem institutionellen Ausschuss erteilten Mandats zur Erstellung dieser Berichte und gemäss einer mit dem Ausschuss der Regionen getroffenen Vereinbarung betreffend die Ausarbeitung von Berichten über die EU-Anwärterstaaten;
3. Nach Prüfung des von Herrn Louis Roppe (Belgien, Kammer der Gemeinden) und Herrn Owen Masters (Vereinigtes Königreich, Kammer der Regionen) erstellten Berichts des institutionellen Ausschusses über die Situation der Gemeinde- und Regionaldemokratie in Litauen;
4. Mit Dank an die Vertreter der litauischen Regierung (Kabinett des Premierministers, Innenministerium, Finanzministerium, Justizministerium, Ministerium für Umwelt und Raumordnung), des Parlaments (Ausschuss für Verwaltung und kommunale Selbstverwaltung), des Präsidenten (Amt des Beraters für Gemeindeangelegenheiten), an die Vertreter des litauischen Gemeindeverbandes, die Bürgermeister, Gemeinderäte und den Leiter der Delegation der Europäischen Union in Litauen, welche die Berichterstatter des KGRE bei ihren beiden offiziellen Besuchen in dem Lande getroffen haben, sowie für die offenen und konstruktiven Gespräche und für die zuhanden des Berichts erhaltenen Informationen;
5. Insbesondere auch der Abteilung für öffentliche Verwaltung im Innenministerium dankend für die perfekte Organisation der erwähnten Besuche;
6. Die ohne alle Vorbehalte erfolgte Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (25. Mai 1999) und des Rahmenübereinkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften (13. Juni 1997) begrüssend und hoffend, dass auch die beiden Zusatzprotokolle zu dem Rahmenübereinkommen bald von den litauischen Behörden ratifiziert werden;
7. Bedauernd, dass Litauen die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen wie auch das Europäische Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben noch nicht unterzeichnet und ratifiziert hat;
8. Nimmt den geänderten Gesetzesrahmen betreffend die kommunale Selbstverwaltung und die regionale Entwicklung zur Kenntnis. Dieser bietet der Entwicklung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in dem Lande entsprechend den Bestimmungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und den im Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung enthaltenen Prinzipien eine gute Grundlage;
9. Verfolgt mit grossem Interesse das durch die Regierung ausgearbeitete und durch das Parlament im Jahr 2000 angenommene neue Programm für die Verwaltungsreform, das unter anderem die Schaffung erweiterter, auf ein echtes System direkter Selbstverwaltung gegründeter Regionen und die Übertragung umfangreicher Kompetenzen an die Stadtgemeinden betrifft;
10. Hielte es, um die erwähnte Reform zu gutem Ende zu führen und die Anwendung des oben erwähnten rechtlichen Rahmens zu erleichtern, für richtig, wenn in der Gesetzgebung betreffend die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Verwaltungsebenen explizit auf das in Artikel 4, Abschnitt 3, der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung definierte Prinzip der Subsidiarität verwiesen würde;
11. Ist diesbezüglich der Ansicht, dass nach der durch die Ratifizierung der Charta bedingten Übernahme des erwähnten Artikels in die Gesetzgebung eine solche explizite Erwähnung des Subsidiaritätsprinzip in einem Rechtstext - parallel zum Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung (das in Artikel 3, Abschnitt 1, der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung definiert und in der Verfassung sowie der einschlägigen Gesetzgebung bereits anerkannt ist) - den rechtlichen Rahmen der Republik Litauen im Bereich der öffentlichen Verwaltung ergänzen würde, was zugleich eine Innovation bedeuten und diesem Rahmen Modellcharakter geben würde;
12. Ist hinsichtlich der Gemeindedemokratie der Ansicht, dass der rechtliche Rahmen für die kommunale Selbstverwaltung in gewissen Fällen unvollständig bzw. widersprüchlich ausgefallen ist und dass die zuständigen litauischen Behörden ihn daraufhin revidieren oder durch einzelne Gesetze und Durchführungsbestimmungen ergänzen sollten;
13. Fordert die zuständigen litauischen Organe, gestützt auf diese Feststellungen, auf, die nachfolgenden Überlegungen und Empfehlungen zu berücksichtigen:
A. Hinsichtlich der Kompetenzen der kommunalen Gebietskörperschaften (unterliegend den Artikeln 3.1 und 4 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung):
a. hebt hervor, dass die die einschlägige Gesetzgebung Litauens ausmachende genaue Beschreibung der Funktionen, neben dem Grundsatz der generellen Kompetenz, eine sehr positive Grundlage für das Funktionieren der kommunalen Gebietskörperschaften Litauens abgibt;
b. empfiehlt den litauischen Behörden jedoch:
i. die Gesetzgebung betreffend die kommunale Selbstverwaltung noch dadurch zu verbessern, dass darin festgehalten wird, dass die (durch gesetzgebenden Akt) an die kommunalen Gebietskörperschaften übertragenen Kompetenzen dies in vollumfänglicher und ausschliesslicher Weise sind und dass sie nicht durch ein anderes zentralstaatliches oder regionales Organ untergraben oder eingeschränkt werden dürfen, ausser in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen;
ii. in der die kommunale Selbstverwaltung betreffenden Gesetzgebung zu erwähnen, dass den kommunalen Gebietskörperschaften die Möglichkeit offensteht, die Ausübung der ihnen übertragenen Kompetenzen an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen;
B. Hinsichtlich der Finanzmittel der kommunalen Gebietskörperschaften (behandelt in Artikel 9 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung):
a. ist darüber informiert worden, dass zwischen einigen Gemeinden und der Zentralregierung ein Konflikt ausgebrochen ist betreffend indirekt auf Regierungsentscheide zurückzuführende
zusätzliche, den kommunalen Haushalt belastende Ausgaben, die nicht, wie das Gesetz es vorsieht, durch den Zentralstaat ersetzt worden sind;
b. erfährt diesbezüglich mit Befriedigung, dass auf Initiative der Regierung ein Gesetz zur Anerkennung dieser Schuld entworfen worden ist und dass der litauische Kommunalverband mit der Regierung und dem Parlament im Rahmen des betreffenden Verfahrens zusammenarbeiten wird;
c. erklärt, nach Berücksichtigung des Gesagten, dennoch seine Besorgnis:
i. angesichts der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der in Litauen erhobenen Einnahmen aus einem echten System von Gemeindesteuern stammt, deren Hebesätze die Gemeinden selbst festlegen können, und dass der Hauptteil der Einnahmen im Gegensatz zu eigenen Aufkommen aus Überweisungen und Umverteilungen von Steuern und Abgaben stammt;
ii. angesichts der relativ geringen Rentabilität der Steuern, die die Gemeinden erheben dürfen;
iii. angesichts dessen, dass der Staat den Gemeinden in gewissen Fällen neue Kompetenzen zuweist, ohne ihnen die Mittel zu deren Wahrnehmung zu gewähren;
iv. angesichts der Auswirkungen der nationalen Wirtschaftsprobleme auf die kommunalen Haushalte, sogar in Fällen, da diese Auswirkungen zurückzuführen sind auf die durch andere internationale Organisationen wie die Europäische Union oder den Internationalen Währungsfonds auferlegte Zwänge;
d. empfiehlt in Berücksichtigung des Gesagten:
i. das Steuerwesen, wie bereits durch einzelne Vertreter von Regierung und Parlament angekündigt, dahingehend zu revidieren, dass die Gemeinden nicht nur in der Theorie, sondern auch faktisch die Möglichkeit bekommen, eigene Steuern nach selbst festgelegten Hebesätzen zu erheben;
ii. den betreffenden Grund- und Immobilienbesitz in gesetzeskonformer und das Subsidiaritätsprinzip anwendender Umsetzung der erwähnten Revision auf die Gemeinden zu übertragen;
iii. den Gemeinden die für die Übernahme von neu an sie übertragenen oder an sie delegierten Kompetenzen benötigten Finanzmittel zu überlassen;
iv. in Erfüllung dieses Erfordernisses das in den Empfehlungen 64 (1999) und 79 (2000) des KGRE formulierte Konnexitätsprinzip2 in der nationalen Gesetzgebung Litauens anzuerkennen;
v. alle zwecks Erfüllung der durch internationale Verträge auferlegten Bedingungen getroffenen Beschlüsse, die sich auf das Recht der Gemeinden auf angemessene Finanzmittel auswirken könnten, vorab zusammen mit den Vertretern der Gemeinden zu prüfen;
C. Hinsichtlich des Rechts der Gemeinden und kommunalen Gebietskörperschaften auf Anhörung (behandelt in den Artikeln 4.6, 5 und 9.6 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung):
a. wurde darüber informiert, dass es zu Konflikten über Finanzfragen kam;
b. empfiehlt in Berücksichtigung des Gesagten den litauischen Behörden:
i. wann immer kommunale Interessen oder Kompetenzen im Spiel sind, den oben genannten Verband zu konsultieren;
ii. derartige Verträge in Zukunft sorgfältig zu prüfen;
iii. die betroffenen Gemeinden vor allem auch dann ordnungsgemäss anzuhören, wenn etwas an der Gebietsverwaltung geändert werden soll;
D. Hinsichtlich der Verwaltungsaufsicht über die Tätigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften (behandelt in Artikel 8 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung):
a. ruft in Erinnerung, dass jede Kontrolle einer zentralstaatlichen oder regionalen Behörde unter Wahrung der Verhältnismässigkeit zwischen dem Ausmass der Intervention durch die Kontrollbehörde und der Bedeutung der Interessen zu geschehen hat, die sie dadurch schützen will;
b. empfiehlt den litauischen Behörden diesbezüglich,
i. eine durch Regierungsvertreter mithilfe von Empfehlungen, begründete Aufforderungen oder Anrufung eines Gerichts ausgeübte Aufsicht in jedem Fall einer Aufsicht vorzuziehen, die auf die verordnete Aufhebung kommunaler Entscheidungen hinausläuft;
ii. sich in der Praxis nicht des Aufsichtsbeamten über die Gemeinden zu bedienen, um a priori eine indirekte Finanzkontrolle über die Zweckmässigkeit der durch eine Gemeinde getroffenen Beschlüsse auszuüben;
E. Betreffend das Recht der kommunalen Gebietskörperschaften auf rechtlichen Schutz (behandelt in Artikel 11 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung):
a. ist darüber informiert worden, dass das Gesetz vor kurzem geändert und deshalb anders ausgelegt worden ist;
b. empfiehlt den litauischen Behörden diesbezüglich:
i, in der betreffenden Gesetzgebung das Grundrecht der kommunalen Gebietskörperschaften zu garantieren, Rechtsmittel gegen Beschlüsse und/oder Unterlassungen der zentralstaatlichen Behörden (einschliesslich der Regierung) einzulegen, die ihre Rechte verletzen;
ii. das Grundrecht der Gebietskörperschaften auf rechtlichen Schutz in der Praxis dadurch zu gewährleisten, dass sie die zuständigen Gerichte ermächtigen, in Beantwortung der genannten Berufung die sich ergebenden Urteile zu fällen;
F. Betreffend die politische Frage einer möglichen Direktwahl des Bürgermeisters durch die Bevölkerung:
a. ist der Ansicht, dass diese Frage noch Gegenstand einer vertieften Diskussion durch die kommunalen und die zentralen Behörden sowie die betreffenden politischen Parteien sein sollte;
b. ist überzeugt, dass bei dieser wichtigen Frage alle Vor- und Nachteile einer Direktwahl der Bürgermeister bedacht werden müssen und dass die Komplexität des Verfahrens (es wäre eine Verfassungsänderung nötig) dafür sorgt, dass diese Vor- und Nachteile einer gemeinsamen, genauen und die herrschende soziale, politische und wirtschaftliche Lage des Landes in Rechnung stellenden Prüfung unterzogen werden;
G. Hinsichtlich der Ausbildung der kommunalen Abgeordneten und des Gemeindepersonals ist der Überzeugung, dass eine Weiterentwicklung der entsprechenden Aktivitäten in Litauen notwendig ist und den Gemeinden die für die Organisation und verantwortliche Durchführung der Ausbildung ihres Gemeindepersonals und ihrer Abgeordneten (in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netz von Ausbildungsstellen ENTO) benötigten Mittel gewährt werden;
14. Fordert - gestützt auf die einschlägigen Gesetze und Programme sowie auf die in dem KGRE-Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung niedergelegten Prinzipien - die zuständigen litauischen Stellen auf, folgende Bemerkungen und Empfehlungen zu berücksichtigen:
a. das oberste Ziel der erwähnten Reform, nämlich die Schaffung erweiterter, durch direkt gewählte Regionalräte geleiteter, ein echtes System regionaler Selbstverwaltung aufweisender Regionen, muss weiterverfolgt werden, bis es erreicht ist;
b. allerdings:
i. kann dieses Ziel nicht auf künstliche Weise hergestellt werden, sondern muss in konkreten sozio-ökonomischen und ethnokulturellen Bedürfnissen fundiert sein;
ii. muss dieses Ziel allmählich und unter regelmässiger Konsultation der Bevölkerung verfolgt werden;
c. die gegenwärtige Regionalverwaltung - die einerseits auf Regionalräten beruht, welche sich aus Gemeinderäten, Bürgermeistern und durch den Zentralstaat ernannten Grafschaftsgouverneuren zusammemsetzen, und andererseits auf den den Zentralstaat auf regionaler Ebene vertretenden Bezirken beruht - ist als ein erster Schritt anzusehen, der es den litauischen Organen nun erlaubt, die erwähnte Gebietsreform zur Schaffung eines Systems der regionalen Selbstverwaltung ins Werk zu setzen;
d. Diesbezüglich:
i. muss das Funktionieren dieses provisorischen Systems daraufhin beobachtet werden, ob die Bezirke nach erfolgter Reform noch beibehalten werden sollen;
ii. muss geprüft werden, ob es sich empfiehlt, den die neue Selbstverwaltungsebene repräsentierenden Regionen spezifische Exekutivorgane und spezifische Verwaltungsstrukturen zu verleihen;
e. die Aufgabenverteilung zwischen den Gemeinden, den Regionen (den bereits vorhandenen wie den nach abgeschlossener Reform eventuell vorhandenen) und den Bezirken sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen, wonach, wie bereits dargelegt, die Kompetenzen bevorzugt auf der jeweils bürgernächsten Ebene angesiedelt sind.
1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 30. Mai 2001, 2. Sitzung (siehe Dok. CG (8) 4, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch die Herren L. Roppe und O. Masters, Berichterstatter)
2 Dieses Prinzip besagt, dass zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den Kompetenzen und den zu ihrer Wahrnehmung nötigen Mitteln jede ins Auge gefasste Übertragung neuer Kompetenzen von einem klaren Finanzierungsmodus - sei dies eine neue Steuerressource, eine neue Subvention, die Zuweisung von neuem Personal oder die Abtretung materieller Strukturen - begleitet sein muss.