Empfehlung 103 (2001)1 betreffend die Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien-Herzegowina

Der Kongress

1. Erinnert:

a. an die Statutarische Entschliessung (2000) 1 des Ministerkomitees, welche fordert, dass der Kongress in regelmässigen Abständen - Land für Land - Berichte über die Lage der Gemeinde- und Regionaldemokratie in sämtlichen Mitgliedstaaten sowie in den sich um einen Beitritt zum Europarat bewerbenden Staaten ausarbeitet und insbesondere für die Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung sorgt;

b. an den von den Herren Haegi und Martini erstellten und vom Ständigen Ausschuss am 2. März 2000 angenommenen Zwischenbericht über die Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien-Herzegowina;

c. an den Beschluss des Präsidiums, diesen Bericht im Hinblick auf den kurz bevorstehenden Beitritt von Bosnien-Herzegowina zum Europarat auf den neuesten Stand zu bringen, um Kriterien zu gewinnen, die nach dem Beitritt dem Monitoring der Gemeinde- und Regionaldemokratie als Grundlage dienen können;

d. an die vor kurzem durch die Herren Newbury (Vereinigtes Königreich) und Kittelmann (Deutschland), Berichterstatter, unternommene Reise nach Bosnien-Herzegowina und ihre Begegnungen mit Vertretern des Staats, der Einheiten, der Kantone und der Gemeinden;

2. Erwägend,

a. dass die institutionelle Struktur von Bosnien-Herzegowina (BiH) und seinen Gebietseinheiten - der Bosniakisch-Kroatischen Föderation (BKF) und der Republika Srpska (RS) - extrem komplex, da durch die besonderen Erfordernisse der Multi-Ethnizität geprägt ist;

b. dass die Amtsgewalt hinsichtlich der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung bei den Gebietsinheiten liegt, sodass diese mithilfe ihrer Verfassungen und einschlägigen Gesetzgebungen diesbezüglich für die Einhaltung der europäischen Prinzipien und Normen sorgen müssen;

c. dass in einer der Gebietseinheiten - der Föderation - diese Amtsgewalt auch an die Kantone verteilt ist, welche aufgrund der kantonalen Gesetzgebung betreffend die Gemeindeverwaltung ihrerseits den Gemeinden Rechte und Zuständigkeiten verschiedenen Grades zuweisen können;

d. dass die öffentliche Gewalt in den Kantonen nach parlamentarischen Grundsätzen ausgeübt wird, sodass die Kantone als konstituierende Elemente einer regionalen Demokratie entsprechend dem Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung gelten können;

e. dass in der anderen Gebietseinheit, der Serbischen Republik, deren öffentliche Verwaltung keine Zwischenstufe aufweist, die Ebene der Gebietseinheit jene Aufgaben durchführt, die in der Föderation den Kantonen zufallen;

f. dass die Gesetzgebung betreffend die kommunale Selbstverwaltung in der Serbischen Republik und in den Kantonen der Föderation im ganzen kompatibel ist mit den Grundsätzen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, dass jedoch noch eine Reihe von Problemen vorliegen hinsichtlich:

3. Stellt folgende Hauptschwierigkeiten im Funktionieren der Gemeinde- und Regionaldemokratie fest:

a. beschlüsse in öffentlichen Angelegenheiten sind häufig noch immer abhängig von ethnischen Kriterien. Dies gilt auch für die öffentlichen Verwaltungen, deren Beschlüsse aufgrund ethnischer Erwägungen oft parteiisch sind - etwa dann, wenn Verwaltungspersonal nach Massgabe der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei oder Ethnie eingestellt wird oder wenn Beamte Hindernisse errichten, um die Rückkehr von Flüchtlingen hinauszuzögern;

b. die horizontalen Verbindungen zwischen den einander entsprechenden Verwaltungsstufen der beiden Egiebtseinheiten sind schwach, die Zusammenarbeit zwischen Gemeinschaften unterschiedlicher ethnischer Zusammensetzung macht nur langsame Fortschritte, und es sind sogar Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Föderation zwischen Kantonen mit ethnisch unterschiedlich zusammengesetzten Bevölkerungen feststellbar;

c. die Beziehungen zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen innerhalb der beiden Gebietseinheiten sind problematisch: Das Recht der Kantone sowie der Gebietseinheit "Serbische Republik", kommunale Beschlüsse zu revidieren und umzustossen, kann zu einer politischen Manipulation vonseiten der höheren Verwaltungsebene, etwa aufgrund von Prioritäten in Haushaltsfragen, führen. Die faktische rechtliche Aufsicht, Kontrolle und Rechnungsprüfung über die Gemeinden ist nicht einheitlich geregelt, sondern unterscheidet sich von Kanton zu Kanton wie auch zwischen den Gebietseinheiten;

d. die Stellungen und Zuständigkeiten der Städte und Hauptstädte sind nicht hinreichend geregelt, und ihre Beziehungen zu übergeordneten Behörden wie auch zu den sie konstituierenden Gemeinden sind unklar;

e. die Aufgaben und Zuständigkeiten der Gemeinden sind nicht einheitlich und eindeutig geregelt: in den verschiedenen Gesetzen sind ihre Bezeichnungen und die zu ihrer Definition verwendeten Begriffe ungenau und lassen Raum für erhebliche Interpretationsunterschiede. Die Leistungsstandards für die obligatorischen Aufgaben sind nicht klar. Überdies leiden mehrere kommunale Gebietskörperschaften, vor allem in der Serbischen Republik, aufgrund ihrer geringen Grösse an mangelnden Möglichkeiten der Kostenersparnis, sodass manche Gemeinden Mühe haben, die als obligatorisch aufgelisteten Dienste zu erbringen;

f. die Gemeinden hängen weitgehend von den durch die Behörden auf der höchsten Ebene beschlossenen Transferzahlungen ab. In der Föderation hat jeder Kanton seinen eigenen Verteilungsschlüssel für die Einnahmen; er kann diesen alljährlich ändern. Entsprechendes gilt für die Serbische Republik, wo die gebietseinheitliche Regierung gewisse Steuereinnahmen direkt mit den Gemeinden teilt. Die echten kommunalen Aufkommen aus eigenen Steuern sind in beiden Gebietseinheiten äusserst gering;

g. sehr häufig liegt ein erhebliches Ungleichgewicht vor zwischen den Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Frage ihres sich aus ehemaligem Staatsvermögen, Gemeindevermögen, Unternehmen der öffentlichen Versorgung und anderen Formen öffentlichen Besitzes zusammensetzenden Vermögensbestandes ist nicht geklärt. Der Zeichnung echter kommunaler Anleihen zum Zwecke der Kapitalbildung stellen sich zahlreiche Hindernisse entgegen. Mechanismen für einen Finanzausgleich gibt es nicht.

4. Empfiehlt, dass das Ministerkomitee auf dem Gebiet der Gemeinde- und Regionaldemokratie für Bosnien-Herzegowina die nachfolgenden Verpflichtungen festlegt und beauftragt den KGRE, deren Erfüllung nach dem Beitritt des Landes zum Europarat zu überwachen:

a. in Anbetracht der Tatsache, dass der Staat Bosnien-Herzegowina praktisch keine Kompetenz für das Funktionieren der regionalen und kommunalen Verwaltung hat, sollten die beiden ihn bildenden Gebietseinheiten vorab die feste politische Verpflichtung eingehen, eine echte Dezentralisierung zu praktizieren;

b. die beiden Gebietseinheiten müssten sich dazu verpflichten, die grundlegenden Bedingungen für die kommunale Selbstverwaltung in ihren je eigenen Territorien mit den in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung niedergelegten Prinzipien, nötigenfalls durch eine entsprechende Verfassungsänderung, in Einklang zu bringen;

c. die Serbische Republik müsste ihr im November 1999 angenommenes Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung unter Berücksichtigung der Kommentare des KGRE überarbeiten;

d. die Föderation, die gegenwärtig auf die Gesetzgebung betreffend die Gemeindeverwaltung in ihren Kantonen nur wenig Einfluss nehmen kann, müsste - nötigenfalls durch eine entsprechende Änderung ihres Grundgesetzes - die notwendigen Massnahmen ergreifen, um die Gesetzgebung in ihren zehn Kantonen nach den Vorschlägen des KGRE auszurichten;

e. die Gesetze müssten einerseits Art und Umfang der Aufsicht der höheren Verwaltungsebenen über die kommunalen Gebietskörperschaften und andererseits die Beziehungen zwischen den verschiedenen Regierungsebenen regeln, und sie müssten mit Rechtsstrukturen für die Regelung aller zwischen diesen Ebenen auftretenden Konflikte einhergehen;

f. die beiden Gebietseinheiten müssten ein die verschiedenen Regierungsebenen berücksichtigendes Steuersystem ausarbeiten, das nicht der Kontrolle der kommunalen Gebietskörperschaften dient, diesen dagegen eigene Finanzmittel verschafft;

g. die Gesetzgebung müsste die Aufgaben und Leistungsstandards auf allen Verwaltungsebenen klären und harmonisieren, langfristige Vereinbarungen hinsichtlich gewisser Schlüssel für die Einkommensverteilung gewährleisten, die Verpflichtung zur Verbesserung der Kapitalgrundlage verdeutlichen, Transparenz in die durch übergeordnete Behörden praktizierten Subventionierungssysteme bringen und Kriterien aufstellen für die Schaffung eines professionellen, unparteiischen Beamtentums;

h. beide Gebietseinheiten wie auch die Kantone der Föderation sollten sich dazu verpflichten, hinsichtlich der wichtigeren unter den anstehenden Legislativreformen im Bereich der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung den Europarat zu konsultieren;

i. beide Gebietseinheiten sollten alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Umsetzung der Gesetze mit Bezug auf die Gemeinde- und Regionaldemokratie zu gewährleisten und entsprechende Rechts- und Verwaltungsstrukturen aufbauen;

j. beide Gebietseinheiten sollten Programme mit dem Ziel einleiten, die Verbindungen und die Zusammenarbeit zwischen ihren Gemeinden, auch wenn sich diese ethnisch unterscheiden, enger zu gestalten, den Dialog zwischen den beiderseitigen Kommunalverbänden neu zu beleben und die Rückkehr der Zwangsumsiedler zu erleichtern;

k. soweit sie dies noch nicht getan haben, sollten beide Gebietseinheiten individuell, im Rahmen ihrer eigenen internen Verfahren, die folgenden Übereinkommen des Europarats annehmen:

l. nach dem Beitritt zum Europarat sollten beide Gebietseinheiten gemeinsam die Regierung von Bosnien-Herzegowina beauftragen, die Ratifikationsurkunden beim Generalsekretär des Europarats zu hinterlegen.

1 Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 9. November 2001 (s. Doc CG(8)23, durch die Herren C. Newbury und P. Kittelmann, Berichterstatter, vorgelegter Empfehlungsentwurf).