19..TAGUNG

Straßburg, 26. – 28. Oktober 2010

Nachhaltige Entwicklung von Gebirgsregionen und die Erfahrung in den Karpaten

Entschliessung 315 (2010)[1]

1. Die verschiedenen Gebirgsregionen Europas bieten viele Vorteile zum Nutzen des ganzen Kontinents. Sie sehen sich jedoch besonderen Herausforderungen gegenüber, die eine geeignete Politik erfordern, die in Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip und mit Hilfe effektiver kommunaler Selbstverwaltung verwirklicht werden muss, um die Bedürfnisse ihrer Bürger zu befriedigen.

2. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats ist nach wie vor der Ansicht,[2] dass europäische Politik die typischen Struktur- und Wirtschaftsprobleme der Gebirgsregionen berücksichtigen muss. Angesichts dessen unterstützt der Kongress die Aufforderung des Ausschusses der Regionen[3], eine wirklich integrierte europäische Politik für sämtliche Gebirgsmassive unter Achtung ihrer Verschiedenheit zu verfolgen. Eine solche Politik sollte den unterschiedlichen Beitrag und die entscheidende Rolle der kommunalen und regionalen Stellen auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung von Gebirgsgegenden anerkennen.

3. Die meisten Gebirgsregionen Europas sind in der Tag Randgebiete mit schwierigen natürlichen Bedingungen, die besondere, integrierte und ganzheitliche Entwicklungspolitik erfordern, um das Recht der Gebirgsbevölkerung, in den Bergen zu leben und zu arbeiten, zu sichern und ihre Lebenswelt unter Lebensbedingungen zu erhalten, die den günstigeren Bedingungen in ländlichen oder städtischen Gegenden vergleichbar sind.


4. Eine derartige Politik muss den sozialen Zusammenhalt zu ihrem Hauptanliegen machen, um den Herausforderungen gerecht zu werden, die sich aus dem Erhalt von Beschäftigungsmöglichkeiten und dem Zugang zu wichtigen Dienstleistungen sowie dem demografischen Wandel ergeben. Hinzukommt, dass die europäischen Gebirge ein außerordentliches kulturelles und sprachliches Gut darstellen, weshalb es wichtig ist, dass die Politik seine Entwicklung verteidigt und fördert, indem sie sicherstellt, dass soziale und kulturelle Identitäten und Traditionen geachtet und erhalten werden.

5. Da ferner die meisten Gebirgsketten in Grenzgebieten liegen, ist der Kongress der Meinung, dass diesbezügliche Politik sich auf das gesamte Gebirgsmassiv beziehen muss, um erfolgreich und kohärent zu sein. Jedes Gebirgsmassiv sollte in der Tat als Makroregion betrachtet werden. Die das Gebirge betreffende Politik sollte beiderseits der Grenze in zusammenhängender Weise verwirklicht werden. Sie erfordert verstärkte grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit auf der Grundlage der im Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (ETS Nr. 106) und vor allem im neuen Zusatzprotokoll Nr. 3 betreffend die Zusammenarbeit in Euroregionen (ETS Nr. 206) genannten Prinzipien.

6. Der Kongress ist der Ansicht, dass jegliche Gebirgspolitik sich in erster Linie auf die dem Gebiet am nächsten liegenden Dienststellen, die Bürger und die für Bergregionen typischen Probleme stützen sollte, und zwar unter voller Beachtung des in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (ETS Nr. 122) und im Referenzrahmen für regionale Demokratie verankerten Subsidiaritätsprinzips. Es empfiehlt sich, die Zusammenarbeit zwischen diesen Verwaltungen zu fördern und ihre etwaigen Initiativen zu unterstützen.

7. Gute Regionalverwaltung kann in der Praxis erfolgreiche Lösungen für die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbedingten Probleme in Bergregionen bieten. Sie sollte sich für größere Transparenz und Rechenschaftspflicht einsetzen und die Mitsprache der Bürger bei Entscheidungsprozessen und ihrer politischen Umsetzung fördern, soweit dies ihr Leben berührt. Ganz allgemein sollten regionale Stellen das Vertrauen zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürgern stärken.

8. Der Kongress betont die entscheidende Rolle der Gemeinden und Regionen bei der Ausarbeitung spezifischer nachhaltiger Entwicklungspolitik für Bergregionen und der Erstellung von Konzepten für die Raum- und Landschaftsplanung, um die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität dieser Regionen zu stärken.

9. Die Karpaten-Kette erstreckt sich über sieben Länder[4] und stellt ein gutes Beispiel für die Probleme der Gebirgsregionen dar. Dort leben rund 17 Millionen Menschen, und man findet außergewöhnliche Naturschönheiten und kulturellen Reichtum. Diese Region hat mit großen Umwelt-, Gesellschafts- und Wirtschaftsproblemen zu kämpfen (Entvölkerung, Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Überschwemmungen und Erdrutsche), die angegangen werden müssen.

10. Der Kongress nimmt die Abschlusserklärung der am 18.-19. September in Uschgorod in der Ukraine abgehaltenen internationalen Konferenz ‘Nachhaltige Entwicklung in den Karpaten und anderen europäischen Gebirgsregionen’ zur Kenntnis.

11. Er ist ferner der Meinung, dass das Rahmenübereinkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung der Karpaten (Karpaten-Konvention) eine wichtige Grundlage für die Zukunft der Region bildet. Bei der praktischen Umsetzung sollte den Gemeinden und Regionen eine Schlüsselrolle zukommen. Sie sollten die Zusammenarbeit ausbauen und sich gegenseitig auf Beispiele guter Praxis hinweisen.


12. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats fordert die Gemeinden und Regionen, vor allem die in den Karpaten, auf :

a. in gemeinsamer Zukunftsvision für gute regionale Verwaltung des Gebirges, das ja Staats- und Verwaltungsgrenzen überschreitet, zu sorgen, wobei das Subsidiaritätsprinzip zu beachten ist;

b. die Teilnahme der örtlichen Bevölkerung an Entscheidungsprozessen zu fördern, vor allem in Fragen der Raum- und Landschaftsplanung, des Schutzes und der Nutzung natürlicher Ressourcen der Berge;

c. anzuerkennen, dass ökologische Stabilität und nachhaltige Entwicklung von Gebirgsregionen nicht allein, sondern nur in verstärkter und enger, formeller und informeller, grenzüberschreitender und interregionaler Zusammenarbeit erreicht werden kann.[5] Die Regionen sollten der grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Synergie den Vorzug geben, um von der Erfahrung und guten Beispielen in diesem Bereich zu profitieren ;

d. in ihrer Politik ganz besonders soziale Ausgrenzung in diesen dünn besiedelten Gebieten zu bekämpfen und dem Problem der  Abwanderung, vor allem der jungen Leute, sowie der Aufrechterhaltung wesentlicher Dienstleistungen Aufmerksamkeit zu widmen ;

e. die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt wieder zu beleben und zwar durch Förderung von und Investitionen in Tätigkeiten, welche die nachhaltige Nutzung der in den Bergen vorhandenen natürlichen Ressourcen sowie nachhaltiger Fremdenverkehr und erneuerbare Energiequellen zum Ziel haben ;

f. die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien voll zu nutzen, um leicht erreichbare Dienste wie Verwaltungsstellen, Schulen, Gesundheits- und Sozialfürsorge am Ort zu halten.

13. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats fordert die Gemeinden und Regionen in den Karpaten auf :

a. die grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit durch die Schaffung von informellen und formellen Netzwerken der kommunalen Selbstverwaltungsbehörden der Karpaten-Region  zu verstärken und aktiv an der ‚Euroregion Karpaten’ mitzuarbeiten’;

b. die Ausarbeitung einer Politik für die Karpaten-Region im Rahmen der Karpaten-Konvention zu unterstützen und aktiv bei der Umsetzung der Konventionsbestimmungen und der entsprechenden Projekte mitzuwirken.

14. Abschließend fordert der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union auf, sich auch weiterhin um eine europäische Gebirgspolitik unter besonderem Augenmerk auf die Karpaten zu bemühen und die Zusammenarbeit zwischen den Regionen im Bereich der EU und den angrenzenden Regionen zu fördern.



[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 26. Oktober 2010 und Annahme durch den Kongress am 28. Oktober 2010, 3. Sitzung (siehe Dokument CPR(19)2, Begründungstext, Berichterstatter: M. Kichkovskyy, Ukraine (R, EVP/CD)

[2] Empfehlung 130 (2003) zu einer Europäischen Gebirgscharta.

[3] Für ein Grünbuch – hin zu einer EU-Politik für Bergregionen : eine europäische Vision für Bergregionen  (CoR 23/2008).

[4]  Polen, Rumänien, Serbien, die Slowakei, die Tschechische Republik, die Ukraine und Ungarn.

[5] Empfehlung 270 (2009) und Entschließung 286 (2009) zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa