STATUTARISCHES FORUM

Monitoring der Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Portugal

Empfehlung 445(2020) [1]

1. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates bezieht sich auf:

a. Artikel 2, Absatz 1.b der der statutarischen Entschließung CM/Res(2020)1 beigefügten Charta des Kongresses der Gemeinden und Regionen, nach dem eines der Ziele des Kongresses darin besteht, „dem Ministerkomitee Vorschläge zu unterbreiten, um die kommunale und regionale Demokratie zu fördern“;

b. Artikel 1, Absatz 2 der der statutarischen Entschließung CM/Res(2020)1 beigefügten Charta des Kongresses der Gemeinden und Regionen, nach dem „der Kongress regelmäßig – Staat für Staat – Berichte über die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in allen Mitgliedstaaten sowie in den Ländern, die sich um einen Beitritt zum Europarat bemühen verfasst und über die effektive Umsetzung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung wacht“;

c. Kapitel XVII der Vorschriften und Verfahren des Kongresses hinsichtlich der Organisation der Monitoring-Verfahren;

d. die Entwicklungsziele des Programms der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung bis 2030, insbesondere auf die Ziele 11 für nachhaltige Städte und Gemeinschaften und 16 für Frieden, Gerechtigkeit und effiziente Institutionen;

e. die Leitlinien hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe an politischen Entscheidungen, angenommen durch das Ministerkomitee am 27. September 2017;

f. die Empfehlung CM/Rec(2018)4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Teilnahme der Bürger am öffentlichen Leben auf kommunaler Ebene, angenommen am 21. März 2018;

g. die Empfehlung CM/Rec(2019)3 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Kontrolle der Aktivitäten der lokalen Gebietskörperschaften, angenommen am 4. April 2019;

h. die frühere Empfehlung des Kongresses über die Überprüfung der Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Portugal, die Empfehlung 323 (2012) debattiert und beschlossen durch den Kongress am 22. März 2012;

i. den Begründungstext der Überprüfung der Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Portugal.

2. Der Kongress betont, dass:

a. Portugal seit dem 22. September 1976 Mitglied des Europarates ist; das Land am 15. Oktober 1985 die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (STE Nr. 122, im Folgenden „die Charta“ genannt) unterzeichnet und am 18. Dezember 1990 vorbehaltlos ratifiziert hat; die Charta am 1. April 1991 in Portugal

in Kraft getreten ist; Portugal am 26. Mail 2015 das Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über das Recht auf Teilnahme an den Angelegenheiten der kommunalen Gebietskörperschaften (STCE n° 207) unterzeichnet, es aber noch nicht ratifiziert hat;

b. der Ausschuss für die Einhaltung der Engagements und Verpflichtungen, welche die Unterzeichnerstaaten der Europäischen Charta für kommunale Selbstverwaltung eingegangen sind, (im Folgenden „Monitoring-Ausschuss“ genannt) beschlossen hat, die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in Portugal im Lichte der Charta zu prüfen; er Xavier CADORET und David ERAY die Aufgabe übertragen hat, einen Bericht über die kommunale und regionale Demokratie in Portugal zu verfassen und diesen dem Kongress vorzulegen;

c. die Delegation des Kongresses während der beiden am 17. und 18. Juni beziehungsweise am 27. November 2019 stattgefundenen Besuche Vertreter diverser Institutionen auf allen Behördenebenen getroffen hat. Das Besuchsprogramm ist dem Begründungstext beigefügt;

d. die Ko-Berichterstatter sich bei der Ständigen Vertretung Portugals beim Europarat sowie allen Gesprächspartnern, die sie während des Besuchs getroffen haben, bedanken wollen.

3. Der Kongress stellt mit Befriedigung fest, dass:

a. die portugiesische Verfassung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung einen bedeutenden Platz einräumt, und dies von allen Seiten anerkannt wird, auch wenn eine Verbesserung der interinstitutionellen Interaktion zwischen diesen beiden Ebenen und dem Staat erforderlich bleibt (Artikel 2 und 3 der Charta);

b. die seit 2013 in Portugal durchgeführten Reformen im wirtschaftlichen, sozialen, politischen und administrativen Bereich dauerhaft Wirkung auf die kommunalen Gebietskörperschaften und ihre Haushaltslage zeigten, indem sie vor allem zu einer Verringerung der Anzahl der Gemeinden führte (Artikel 4 der Charta);

c. die den Bürgern zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte der territorialen Gebietskörperschaften funktionieren und dass diese mit relativ effizienten staatlichen Kontrollverfahren einhergehen (Artikel 8 der Charta);

d. die Möglichkeiten der Verknüpfung zwischen kommunalen Gebietskörperschaften und der Entwicklung der interkommunalen Strukturen den territorialen Herausforderungen in Europa zu entsprechen scheinen (Artikel 10 der Charta).

4. Der Kongress äußert dennoch seine Besorgnis hinsichtlich der folgenden Punkte:

a. die kommunalen Gebietskörperschaften und ihre Verbände werden nicht systematisch nach einem klaren, effizienten und verbindlichen Verfahren konsultiert (Artikel 4.6 und 9.6 der Charta);

b. die Verbände, welche die Interessen der lokalen Gebietskörperschaften vertreten, sowie die Gebietskörperschaften selbst verfügen über keine direkten Rechtsmittel gegenüber dem Verfassungsgericht, um gegen eine ihre Rechte betreffende Entscheidung oder Bestimmung vorzugehen; mit Ausnahme der autonomen Regionen (Artikel 11 der Charta);

c. die portugiesischen Gemeinden sind nicht in gleicher Weise vom Kompetenztransfer betroffen und profitieren nicht alle von einer ausreichenden finanziellen Unterstützung seitens des Staates, um ihre Aufgaben ordnungsgemäß ausüben zu können (Artikel 9.2 der Charta);

d. die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften verfügen über keine ausreichende Autonomie in Steuerangelegenheiten, insbesondere bezüglich des kommunalen und regionalen Steuererhebungssystems (Artikel 9.3 der Charta);

e. die Zusammenarbeit zwischen der staatlichen Verwaltung auf kommunaler und regionaler Ebene und den Instanzen der territorialen Selbstverwaltung erfolgt nicht auf einer klaren und kohärenten Grundlage (Artikel 4.6 der Charta);

f. die rechtliche Lage der Verbände der Gebietskörperschaften innerhalb der autonomen Regionen scheint unklar zu sein (Artikel 10 der Charta);

g. die Nicht-Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über das Recht auf Teilnahme an den Angelegenheiten der kommunalen Gebietskörperschaften (STCE Nr. 207) sowie des Zusatzprotokolls zur Europäischen Rahmenkonvention über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der territorialen Gebietskörperschaften oder Behörden (STE Nr. 159) durch Portugal.

5. In Anbetracht der oben genannten Punkte fordert der Kongress das Ministerkomitee auf, die portugiesischen Behörden dazu zu veranlassen:

a. ein systematisches und vor jeder Entscheidung, Bestimmung oder Gesetzgebung hinzuzuziehendes Verfahren zu schaffen, in dem die Verbände der kommunalen und regionalen Instanzen hinsichtlich aller Angelegenheiten, die sie direkt betreffen, befragt werden;

b. den Verbänden, welche die Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften vertreten, wenn nicht sogar den Gebietskörperschaften selbst, nach dem Modell der autonomen Regionen, ein direktes Klagerecht beim Verfassungsgericht einzuräumen;

c. die Einrichtung von Hilfsprogrammen oder spezifischen, temporären und flexiblen Verfahren zu erwägen, um den Gemeinden mit finanziellen Schwierigkeiten zu ermöglichen, unter Aufsicht des Rechnungshofes ihren Haushalt nachhaltig auszugleichen;

d. den kommunalen Gebietskörperschaften eine größere Unabhängigkeit bezüglich der lokalen Steuern einzuräumen, insbesondere hinsichtlich ihres Steuererhebungssystem;

e. die Einrichtung eines nationalen Stabilitätsausschusses zu erwägen, welcher aus kommunalen und regionalen Abgeordneten bestünde, um Haushaltsziele und –verfahren in Einklang zu bringen und sowohl die Einhaltung der nationalen, europäischen und internationalen Verpflichtungen als auch eine harmonischere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Behördenebenen zu garantieren;

f. durch die Verabschiedung eines neues Gesetzes die rechtliche Lage der Verbände der Gebietskörperschaften in den autonomen Regionen zu klären, um eine Stabilisierung und Aufwertung ihrer Aktivitäten und ihrer Beziehungen mit der regionalen und staatlichen Ebene zu ermöglichen;

g.  eine baldige Ratifizierung des am 26. Mai 2015 unterzeichneten Zusatzprotokolls zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über das Recht auf Teilnahme an den Angelegenheiten der kommunalen Gebietskörperschaften (STCE Nr. 207) sowie des am 9. Mai 1997 unterzeichneten Zusatzprotokolls zur Europäischen Rahmenkonvention über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der territorialen Gebietskörperschaften oder Behörden (STE Nr. 159) zu erwägen.

6. Der Kongress bittet das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Rahmen ihrer Aktivitäten im Bezug auf dieses Mitgliedsland die vorliegende Empfehlung über die Demokratie auf kommunaler und regionaler Ebene in Portugal sowie ihre Begründung zu berücksichtigen.



[1] Diskussion und Annahme durch das Statutarische Forum am 28. September 2020 (siehe Dokument CG-FORUM(2020)01-02, Begründungstext), Berichterstatter: Xavier CADORET, Frankreich (L, SOC/G/PD) und David ERAY, Schweiz (R, ILDG).