40. TAGUNG

Zweiter Teil

Monitoring der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Bulgarien

Empfehlung 460(2021)[1]

1. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats verweist auf:

a.   Artikel 2, Absatz 1.b der Charta des Kongresses der Gemeinden und Regionen, die der Statutarischen Entschließung CM/Res(2020)1 in Bezug auf den Kongress angehängt ist und die besagt, es sei eines der Ziele des Kongresses, „dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie vorzulegen”;

b.   Artikel 1, Absatz 2, der Charta des Kongresses der Gemeinden und Regionen, die der Statutarischen Entschließung CM/Res(2020)1 über den Kongress angehängt ist, und die besagt, dass: „Der Kongress verfasst regelmäßig länderspezifische Berichte zur Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in allen Mitgliedstaaten und in Staaten, die den Beitritt zum Europarat beantragt haben, und er stellt die effektive Umsetzung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung sicher”;

c.   Kapitel XVIII der Geschäftsordnung des Kongresses über die Organisation von Monitoring-Verfahren;

d.   die Prioritäten des Kongresses für 2021-2022, insbesondere Priorität 6b, die die Qualität der repräsentativen Demokratie und Bürgerbeteiligung betrifft;

e.   die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Agenda für nachhaltige Entwicklung 2030 der Vereinten Nationen, insbesondere Ziel 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ und Ziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“;

f.    die Richtlinien für die Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen, die am 27. September 2017 vom Ministerkomitee angenommen wurde;

g.   Empfehlung CM/Rec(2018)4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Beteiligung von Bürgern am Leben der Gemeinde, angenommen am 21. März 2018;

h.   Empfehlung CM/Rec(2019)3 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Aufsicht über die Aktivitäten der kommunalen Gebietskörperschaften, angenommen am 4. April 2019;

i.    die vorausgegangene Empfehlung des Kongresses zum Monitoring der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Bulgarien 310/2011[2];

j.    den Begründungstext zum Monitoring der Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Bulgarien.

2. Der Kongress weist darauf hin, dass:

a.   Bulgarien am 7. Mai 1992 dem Europarat beitrat; es die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (SEV Nr. 122, im Weiteren „die Charta") am 3. Oktober 1994 unterzeichnet und am 10. Mai 1995 ratifiziert und erklärt hat, sich an alle Bestimmungen der Charta, außer Artikel 7, Absatz 2, gebunden zu fühlen. Die Charta trat am 1. September 1955 in Bulgarien in Kraft. Nach der Verabschiedung eines Gesetzes durch die Nationalversammlung der Republik Bulgarien am 11. Juli 2012 hat die Republik Bulgarien ihre Erklärung in Bezug auf Artikel 7, Absatz 2, zurückgezogen und ist damit jetzt an alle Absätze von Teil I der Charta gebunde;

b.   der Ausschuss für die Einhaltung der Verpflichtungen und Zusagen durch die Mitgliedstaaten zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Weiteren „Monitoring-Ausschuss“) beschlossen hat, die Situation der kommunalen Demokratie in Bulgarien im Lichte der Charta zu untersuchen. Er beauftragte Frau Bryony RUDKIN, Vereinigtes Königreich (L, SOC/G/PD), und Frau Randi MONDORF, Dänemark (R, ILDG), mit der Aufgabe, einen Bericht über die Umsetzung der Charta in Bulgarien zu erstellen und dem Kongress vorzulegen;

c.   das Monitoring virtuell am 14. und 15. Dezember 2020 stattfand. Die Kongressdelegation traf sich mit Vertretern verschiedener Institutionen aller Regierungsebenen. Das detaillierte Programm des virtuellen Besuchs ist dem Begründungstext angehängt.

d.   Die Ko-Berichterstatterin danken dem Ständigen Vertreter Bulgariens beim Kongress des Europarates und allen, mit denen sie sich getroffen haben.

3. Der Kongress nimmt mit Zufriedenheit zur Kenntnis:

a.   Im Rahmen der Umsetzung einer Dezentralisierungsstrategie, der Verteilung von Befugnissen und der Übertragung von Zuständigkeiten auf die kommunale Ebene wurden erhebliche Fortschritte in Bulgarien gemacht, insbesondere in den Bereichen Bildung, öffentliches Gesundheitswesen und Sozialdienste;

b.   Die Ratifizierung von Artikel 7.2 der Charta, was bedeutet, dass Bulgarien nun an alle Artikel der Charta gebunden ist;

c.   Die Institutionalisierung mehrerer Konsultationsverfahren zu Angelegenheiten, die die kommunalen Gebietskörperschaften betreffen, und die aktive Mitwirkung der Nationalverbände der Gemeinden der Republik Bulgarien an den Konsultationen;

d.   Die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über das Recht zur Beteiligung an den Angelegenheiten der kommunalen Verwaltung;

e.   Die Gründung der regionalen Entwicklungsräte, in denen kommunale Vertreter an Entscheidungsprozessen zur regionalen Entwicklungspolitik mitwirken.

4. Der Kongress zeigt sich besorgt in Bezug auf die folgenden Themen:

a.   die Überschneidung von Zuständigkeiten und die Fragmentierung von Zuständigkeiten, die die Entscheidungsbefugnisse der kommunalen Stellen bei der Erbringung öffentlicher Dienste, die in ihre Zuständigkeit fallen, reduziert (Artikel 4.4);

b.   der fehlende Ermessensspielraum der kommunalen Stellen im Hinblick auf die Anpassung der delegierten Befugnisse an kommunale Gegebenheiten (Artikel 4.5);

c.   das geringe Maß an kommunaler finanzieller Autonomie in Folge einer erheblichen Abhängigkeit der bulgarischen Gemeinden von finanziellen Zuweisungen aus dem Staatshaushalt und den fehlenden Ermessensspielraum der Gemeinden beim Festlegen der Verwendungsprioritäten, wenn die relevanten Aktivitäten über staatliche Zuweisungen finanziert werden (Artikel 9.1, 9.7);

d.   das Fehlen entsprechender Finanzmittel, die den Gemeinden für die Ausübung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen, während in der Praxis die Gemeinden einen Großteil der Aufgaben ohne ausreichende Finanzierung leisten. Das System der kommunalen Finanzen ist nicht dynamisch genug, um sicherzustellen, dass die übertragenen Aufgaben mit entsprechenden Mitteln einhergehen (Artikel 9.2, 9.4);

e.   den geringen Anteil an Eigenmitteln der Gemeinde, die aus Kommunalsteuern und -gebühren bezogen werden (Artikel 9.3);

f.    die strengen Vorschriften, denen die kommunale Haushaltsführung unterliegt und die die Haushaltsautonomie der kommunalen Selbstverwaltung beschränken (Artikel 9.1);

g.   das Fehlen qualifizierter Fachkräfte, insbesondere in kleineren Gemeinden (Artikel 6.2).

5. In Anbetracht der obigen Ausführungen bittet der Kongress das Ministerkomitee, die Stellen in Bulgarien aufzufordern:

a.   die Verteilung der Kompetenzen auf die verschiedenen Regierungsebenen klar zu definieren, um Überschneidungen von Zuständigkeiten zu verhindern;

b.   den Ermessensspielraum der kommunalen Stellen zu erhöhen, um die Ausübung der delegierten Befugnisse an kommunale Gegebenheiten anzupassen;

c.   die Abhängigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften von Finanzzuweisungen aus dem Staatshaushalt zu reduzieren, indem der Anteil an kommunalen Steuern (oder der kommunale Anteil an Steuern) und Gebühren aus kommunalen Einkünften erhöht wird;

d.   ein objektives, adaptives, verlässliches und genaues System für die Berechnung geeigneter Mittel einzuführen, die die Kosten für die Ausübung der kommunalen Aufgaben decken sollten;

e.   die Gesetzgebung zu überarbeiten, um die Finanzautonomie der kommunalen Verwaltung durch Ausweitung der Steuererhebungsbefugnis zu erhöhen;

f.    die Vorschriften für das kommunale Haushaltswesen zu vereinfachen, um die Haushaltsaufsicht zu erleichtern und auf diesem Wege eine größere Haushaltsautonomie zu erzielen;

g.   ein effizientes und zugängliches System für die Ausbildung kommunaler Bediensteter anzubieten, um die Verwaltungskapazität der Gemeinden zu stärken;

h.   das Recht auf direkten Zugang zum Verfassungsgericht für kommunale Gebietskörperschaften einzuführen, damit diese sich an das Verfassungsgericht wenden können, wann immer ein Gesetz gegen ihren Verfassungsstatus, die Charta oder beides verstößt.

6. Der Kongress ruft das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung des Europarates auf, diese Empfehlung zum Monitoring der Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Bulgarien und den begleitenden Begründungstext bei ihrer Tätigkeit in Bezug auf diesen Mitgliedstaat zu berücksichtigen.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 17. Juni 2021, 3. Sitzung (siehe Dokument CG(2021)40-20, Begründungstext), Berichterstatterinnen: Bryony RUDKIN, Vereinigtes Königsreich (L, SOC/G/PD) und Randi MONDORF, Dänemark (R, ILDG).