19. SITZUNG

26.-28. Oktober 2010

Kulturelle Integration von muslimischen Frauen in europäischen Städten

Entschließung 318 (2010)[1]

1. Im heutigen Europa, insbesondere in jenen Staaten, in denen Muslime eine Minderheit sind, können eingewanderte muslimische Frauen vielfachen Herausforderungen ausgesetzt sein. Viele von diesen Faktoren sind kulturbedingt, sie hängen mit der dominierenden Kultur des Ursprungslandes und der dominierenden Kultur des Gastlandes sowie den unterschiedlichen kulturellen Befindlichkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen in jeder Gesellschaft zusammen. Muslimische Frauen leiden häufig unter einer doppelten kulturellen Entfremdung, da sie von der Kultur ihres Ursprungslandes abgeschnitten und nicht in der Lage sind, sich mit der dominierenden Kultur des Gastlandes zu identifizieren. Ihre mangelnde Integration ist ein Bereich, in dem die Gemeinden einen erheblichen Unterschied machen können.

2. Muslimische Frauen sind keine homogene Gruppe: Ihr sozialer, Bildungs- und kultureller Hintergrund, die Familien- und berufliche Situation unterscheiden sich erheblich und bestimmen in großem Maße ihre Integration und Beziehung zur Gastgemeinschaft. Das Etikett „Muslime", das hier zur Kategorisierung einer Migrantengruppe benutzt wird, muss untersucht werden. In der Praxis handelt es sich bei diesen Frauen um individuelle Personen mit individuellen Bedürfnissen und Umständen, und sie müssen als solche behandelt werden. In vielen Fällen ziehen sie es vor, sich in Beziehung zur Familie, zum Ursprungsland oder zur Beschäftigung zu identifizieren, und nicht über ihre religiöse Zugehörigkeit.

3. Die kulturellen Schwierigkeiten, mit denen sich viele muslimische Frauen konfrontiert sehen, die vor Kurzem nach Europa immigriert sind, sind vielschichtig: Sie müssen die Beschränkungen ihres eigenen traditionellen kulturellen Hintergrunds überdenken und müssen sich mit den immer stärker werdenden Divergenzen im Hinblick auf die Aussichten auseinandersetzen, die ihre Kinder durch die Ausbildung im Gastland erhalten. Viele von ihnen stammen aus Ländern, Regionen oder Gemeinschaften, die nicht dieselben Traditionen im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter haben wie ihre Gaststaaten und Gastgemeinschaften. Dies kann zu einem relativ hohen Grad an Vereinsamung, emotionaler Unsicherheit und sozialer Ausgrenzung führen. Muslimische Frauen weisen auch ein höheres Risiko für Arbeitslosigkeit und häusliche Gewalt auf.

4. Sprache und Bildung sind die Schlüsselelemente für den Integrationsprozess. Vorurteile und Misstrauen gedeihen durch Ignoranz. Frauen sind durch ihre mangelnden Kenntnisse der Sprache des Gastlandes häufig isoliert. Gleichzeitig sind sie die wichtigsten Personen für die Weitergabe ihrer Muttersprache an ihre Kinder.


5. Die geringe Teilnahme muslimischer Schülerinnen an vielen Sportarten beraubt sie der Aktivitäten, die wichtige Chancen für die Integration bieten.

6. Diese Hürden bei der Integration werden durch das neuste Anwachsen der Islamphobie, Fremdenfeindlichkeit, des politischen Extremismus und der Stereotypen in den Medien, zusammen mit restriktiven und diskriminierenden Visaregelungen und Sprachauflagen, noch verstärkt, was zu einem Gefühl führt, im Gastland nicht erwünscht und zu Hause zu sein.

7. Das Scheitern der europäischen Gesellschaften, die Komplexität der Umstände dieser wichtigen und schutzbedürftigen Gruppe in ihrer Mitte zu verstehen, ist ein Verlust für diese Gesellschaften als Ganzes. Sie versäumen es nicht nur, von der Erfahrung, den Fähigkeiten und dem kreativen Potenzial der Betroffenen zu profitieren, sondern die Tatsache, die Präsenz einer großen Gruppe in gewisser Weise als außerhalb der Gastkultur stehend wahrzunehmen, kann schwere Auswirkungen auf die Gastgemeinschaften haben, die Gefahr laufen, sich in eine Festungsmentalität zurückzuziehen.

8. Diese Situation ist nicht unvermeidbar; man kann ihr entgegenwirken. Intelligente Maßnahmen und politische Maßnahmen können erheblich dazu beitragen, neuen Migranten bei der Anpassung zu helfen, damit sie in den Gastgesellschaften ihren Platz finden, so wie andere Migranten vor ihnen.

9. Es muss der Dialog, und nicht so sehr die Assimilation betont werden. Die Gastgemeinschaften müssen viel über das Erbe und die Vielfalt der islamischen Welt lernen, die häufig durch die Rhetorik der Islamisierung und Islamphobie verdeckt wird.

10. Des Weiteren sollte die Ermächtigung und Befähigung, und nicht das Vorschreiben betont werden. Wenn sie die richtigen Gelegenheiten erhalten, werden eingewanderte muslimische Frauen ihre eigene Entwicklung sicherstellen und ihren eigenen Platz in den Gastgemeinschaften finden.

11. Der Islam bietet einen enormen Reichtum an kultureller Vielfalt und eines kulturellen Erbes, die/das Grundlage für viele gemeinsame kulturelle Aktivitäten in den Gastgemeinschaften sein kann.

12. Da es vor allem die kommunale Ebene ist, auf der die meisten Aktivitäten, die die Integration fördern, organisiert werden, befinden sich die Gemeinden bei der Unterstützung strategisch an vorderster Front.

13. Der Kongress fordert daher die Gemeinden und Regionen auf, konkrete Maßnahmen zur Integrationsförderung von eingewanderten muslimischen Frauen in ihre Gemeinschaften zu unterstützen, zu initiieren und zu fördern, vor allem durch:

a. das Bereitstellen von Gelegenheiten für muslimische Migrantinnen, Vertreter der kommunalen und regionalen Stellen zu treffen, um  Informationen zu sammeln und ihre Bedürfnisse und Wünsche zu äußern;

b. das Angebot geeigneter Sprachkurse in der Sprache des Gastlandes, vorzugsweise im Gastland;

c. das Angebot gezielter Kinderbetreuungsdienste und die muttersprachliche Förderung kleiner Kinder;

d. Aufklärung der städtischen Mitarbeiter über Integrationsfragen, die speziell muslimische Frauen betreffen;

e. Aufklärung der Mitarbeiter staatlicher Dienste und der Mehrheitsbevölkerung, um ungesetzliche, diskriminierende Auflagen zu verhindern, die von muslimischen Frauen fordern, entweder das Kopftuch abzulegen oder mit Kopftuch keine öffentlichen Plätze aufzusuchen;

f. das Angebot spezieller Empfangsdienste für neu eingewanderte Menschen, die Informationen über kulturelle Unterschiede und Ratschläge und Informationen über staatliche Angebote bereitstellen;

g. das Schaffen von Gelegenheiten, Frauen aus dem Gastland zu treffen und mit diesen zu verkehren;


h. das Schaffen von Räumen, um sich mit anderen Frauen zu treffen und zu kommunizieren und um gemeinsame Probleme zu diskutieren, wie z. B. kulturelle Unterschiede, Kindererziehung, Ehetraditionen und häusliche Gewalt;

i. das Bereitstellen von Gelegenheiten, sich mit muslimischen Frauen zu treffen, die Vorbildfunktion haben, da sie erfolgreich ihren Beruf und ihre Karriere verfolgt haben;

j. Hilfsmaßnahmen bei der Einrichtung und dem Betreiben von Vereinigungen;

k. Ergreifen von Maßnahmen, die die volle Partizipation muslimischer Frauen im Sport fördern, wie z. B. Bildungskampagnen, und Anbieten von mehr Aktivitäten nur für Frauen;

l. Bereitstellen von Gelegenheiten, ihre kulturelle Identität zu bestätigen und zu ergründen; durch Kultur- und Bildungsaktivitäten und Vereinigungen; durch Hervorheben und Feiern der zahlreichen kulturellen Agenden der Ursprungsländer, Bestätigung des kulturellen Erbes dieser ethnischen Gruppen; durch darstellende Künste, die Untersuchung des kulturellen Erbes und durch Populärkultur und Kunst;

m. Bereitstellen spezieller Dienste für ältere Migranten, wie z. B. Kontaktstellen und besondere kulturelle Aktivitäten.

14. Der Kongress bittet die Gemeinden und Regionen, Maßnahmen zur Bekämpfung der stereotypen Darstellung von muslimischen Frauen in den Medien zu ergreifen; z. B. durch:

a. eigene Medien und Gespräche mit anderen lokalen Medien, realistische und umfassende Berichte über lokale Gruppen und Populationen zu liefern, um so das Vertrauen und die Kontakte innerhalb der betreffenden Gemeinschaften zu entwickeln;

b. die Förderung des Bewusstseins der Vielfalt und Unterschiede der Herkunft und den Aussichten der Migrantengemeinden;

c. Einleitung einer Debatte über kulturelle Unterschiede und unterschiedliche Werte, über Divergenzen zwischen traditionellen Kulturen und den Werten liberaler Demokratien; Diskussion über Pluralismus und Toleranz in Bezug auf Religion, Politik und persönliche Werte.

15. Unter Berücksichtigung, dass einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration eine einträgliche Beschäftigung ist, sind die Gemeinden aufgefordert, Bildungsdienste und lokale Veranstaltungen einzusetzen, um das Bewusstsein über Beschäftigungsangebote und staatliche Arbeitsvermittlungsstellen zu fördern.



[1] Am 28. Oktober 2010 vom Kongress auf seiner 3. Sitzung diskutiert und verabschiedet (siehe Dokument CG(19)12, Erläuterndes Memorandum) Berichterstatter: A. Koopmanschap, Niederlande (L, SOZ)