Entschliessung 99 (2000)1 betreffend Kriminalität und Unsicherheit in den Städten Europas: die Rolle der Gemeinden

Der Kongress,

mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Erkennt an, dass die Verbrechensbekämpfung und Schaffung sicherer Lebensbedingungen in den Städten Europas Priorität für die europäischen Gemeinden hat;

2. Erinnert daher an seine eigene Arbeit in der Arbeitsgruppe „Kriminalität und Unsicherheit in den Städten“ (Vorsitzender Jan Mans ( NL)) zu diesem Thema in den letzten Jahren, die Berichte für die Plenartagung der Kammer der Gemeinden 1996 (Herr Ries) und 1997 (Herr Mans) ausarbeitete, bei der den nationalen und kommunalen Behörden Europas zahlreiche Vorschläge vorgelegt wurden;

3. Stellt fest, dass viele solcher Vorschläge in einigen Mitgliedstaaten nun gängige Praxis bei der kommunalen und nationalen Politik zur Verbrechensbekämpfung geworden sind;

4. Verweist auf eine Reihe von Konferenzen zu diesem Thema in

5. Macht aufmerksam auf die nächsten beiden Konferenzen in dieser Reihe, die am 20. Oktober 2000 in Szczecin (Polen) über „Den Einfluss des städtischen Umfeldes auf die Kriminalität“ und im September 2001 in Enschede (Niederlande) über „Gemeinden und grenzüberschreitende Kriminalität“ abgehalten werden;

6. Verweist weiterhin auf die Arbeitsgruppe, die derzeit einen europäischen Leitfaden für Gemeindebehörden mit Empfehlungen zur Bekämpfung von Straftaten ausarbeitet, der bei der Weltkonferenz über Sicherheit und Demokratie im Dezember 2000 in Neapel und bei der Plenartagung der Kammer 2001 vorgestellt wird;

7. Begrüßt die Tatsache, dass der Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus bei der Schlusserklärung des 2. Gipfeltreffens der Staatschefs des Europarates vorrangig behandelt wurde;

8. Erinnert daran, dass die Europäische Städtecharta den europäischen Bürgern das Grundrecht auf „eine sichere und gefahrlose Stadt, so weit wie möglich frei von Verbrechen, Straftaten und Aggression“ zusichert sowie auf Artikel 29 des Amsterdamer Vertrages, in dem festgelegt wird, dass die Europäische Union in den Mitgliedstaaten gemeinschaftliche Aktionen zur Kooperation von Polizei und Gericht bei Strafsachen durchführen sollte, um ihren Bürgern die größtmögliche Sicherheit in einer Atmosphäre der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit zu bieten;

9. Verweist auf die Stärkung internationaler Organe wie Europol und das erfolgreich arbeitende Netz des Europäischen Forums für Sicherheit in den Städten sowie das Europäische Zentrum für Verbrechensverhütung und das Internationale Zentrum für Verbrechensverhütung;

10. Begrüßt den jüngsten CEMR-Bericht über die Mobilität und Unsicherheit in den Städten, in dem untersucht wird in wie weit öffentliche und private Verkehrsmittel zur Verbrechensbekämpfung beitragen können;

11. Begrüßt auch die jüngste Stellungnahme des Ausschusses der Regionen über Kriminalität und Sicherheit in den Städten, in der Aktionsprogramme der Europäischen Union zu diesem Thema gefordert werden;

12. Wünscht, die Ergebnisse seiner Arbeiten in einigen Beobachtungen über Kriminalität und Unsicherheit in den Städten Europas wie folgt zusammenzufassen:

Allgemeine Situation

13. Kriminalität, ob es sich nun um organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, Jugendkriminalität, Vandalismus, Diebstahl, asoziales Verhalten oder Aufruhr handelt, ist ein Hauptanliegen der staatlichen Behörden und der Öffentlichkeit in Europa;

14. Zu dieser echten Besorgnis kommt die begründete oder eingebildete Furcht vor Verbrechen, eine Furcht, die oft von den Medien noch verstärkt wird;

15. Die Kriminalität betrifft einen großen Teil der Bevölkerung. Sie verursacht hohe soziale und wirtschaftliche Kosten und großes menschliches Leid. Sie hindert die Bürger daran, frei die Vorteile des materiellen Wohlstands zu genießen;

16. Besondere Anliegen sind der Anstieg des organisierten Verbrechens, die Jugendkriminalität, das sinkende Alter der jugendlichen Straftäter, Jugendliche, die kriminellen Rollenmodellen nacheifern, der Anstieg von Bagatelldelikten und asozialem Verhalten sowie die Gewalt in der Familie und gegen Frauen;

17. Das Gerichtswesen ist nicht immer ausreichend auf den Schutz des Bürgers ausgerichtet und die Strafrechtspflege ist nicht abschreckend genug;

18. Kriminelle Aktivitäten können insbesondere mit Hilfe der modernen Technologie leicht die Grenzen überschreiten, wohingegen diese Grenzen immer noch ein Hindernis für die Arbeit der Polizei und die Verbrechensverhütung und –unterdrückung sind;

Ursache und Wirkung

19. Der wirtschaftliche Wandel und/oder der Abstieg zählen zu den Hauptgründen für die Kriminalität: Schwierigkeiten, rechtmäßig ein ausreichendes Einkommen oder die Lebensbedingungen zu sichern; zunehmende Gelegenheiten und abnehmende soziale Kontrolle; Verlust sozialer Bindungen und Ausgrenzung; eine armselige oder monotone Umgebung; mangelnde Wohnqualität; familiäre Probleme; schädliche Auswirkung von Gewalt im Fernsehen und im weiteren Sinne die Auswirkungen der ethnischen Konflikte in Europa;

20. Politische und soziale Veränderungen in Europa, die mit einer größeren Bewegungsfreiheit einhergingen, haben zu einer Veränderung der Art des Verbrechens geführt wie der starke Anstieg von Drogenmissbrauch und Drogenkriminalität, rassistische Übergriffen, eine spektakuläre Ausweitung und Spezialisierung des internationalen organisierten Verbrechens, Schlepperbanden und illegale Einwanderung, Wirtschaftsverbrechen, Diebstahl von Rohstoffen, verdeckter Waffenhandel und eine Konzentration krimineller Aktivitäten entlang der neuen Grenzen;

21. Solche Entwicklungen untergraben das Vertrauen der Öffentlichkeit in den demokratischen Prozess, leisten extremistischen Bewegungen Vorschub, können ein antieuropäisches Gefühl provozieren und bedrohen die Menschenrechte und demokratischen Institutionen;

22. Der Missbrauch einer öffentlichen Stellung zu privaten Zwecken hat ebenfalls das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des politischen Systems, sich zufriedenstellend mit diesem großen Problem auseinander setzen zu können, beträchtlich verringert;

Partnerschaftliche Lösung

23. Angesichts der Tatsache, dass Verbrechensverringerung billiger ist als Unterdrückung, sind eine nationale und lokale politische Leitung und das Engagement der Polizei sowie eine strukturierte Partnerschaft erforderlich statt eines Alleinganges. Wichtig ist das Verständnis, dass eine sichere Gemeinschaft zum örtlichen Aufschwung beiträgt, die Überzeugung, dass weitere Partner, insbesondere die Gemeinden, erforderlich sind und vor allem der Glaube, dass kommunale Probleme kommunaler Lösungen bedürfen;

24. Besonders zu begrüßen sind eine neue Gesetzgebung wie z. B. im Vereinigten Königreich, wo das „Gesetz über Straftaten und Ruhestörung“ (Crime and Disorder Bill) eine Partnerschaft zwischen den Gemeinden und der Polizei bindend vorsieht sowie eine Gesetzgebung, die die Strukturen und das System zum Schutz junger Menschen revidiert;

25. ERSUCHT DIE GEMEINDEN:

Allgemeine Strategie

26. Die Verbrechensbekämpfung und –verhütung als wichtigen politischen Bereich anzuerkennen und die notwendigen Mittel zuzuweisen;

27. Die Prävention als gemeinsame Verantwortung verschiedener Teile der Gesellschaft zu betrachten und deshalb die Entwicklung multisektorieller Gremien zur Verbrechensbekämpfung auf Gemeindeebene und ein breit abgestütztes ausgewogenes pluri-institutionelles Vorgehen bzw. eine Koordination von staatlichen Behörden, Politikern, privatem und gemeinnützigem Sektor, Medien, Universitäten, Polizei, Anwohnern und der Öffentlichkeit als Ganzes zu betreiben;

28. Zu diesem Zweck örtliche Partnerschaftsgruppen oder Ausschüsse einzusetzen, die mit den notwendigen operationalen und finanziellen Ressourcen ausgestattet sind, damit sie effektiv arbeiten können:

29. Einen Plan auszuarbeiten, der die Natur und die Art des Verbrechens definiert sowie die Zielvorstellungen, den Zeitrahmen und die Vorschläge für aktives Handeln festlegt und auf einer weitreichenden und aktuellen Erhebung von Verbrechensstatistiken und –diagnosen beruht;

30. Einen aktiveren Ansatz zu entwickeln, der dazu beiträgt, Probleme zu antizipieren und zu verhüten statt sie später zu bekämpfen und einen langfristigen Ansatz statt eines kurzfristigen Ansatzes begünstigt;

31. Die Öffentlichkeit zu ermutigen, sich an der Verbrechensverhütung zu beteiligen und zwar durch Nachbarschafts-Wachpläne und andere Initiativen, die die Bürger anspornen, für ihre Überzeugung einzustehen, ihre eigene Sicherheit und ihr Wohlbefinden zu schützen, ihrer Bürgerpflicht bei der Bekämpfung von Diskriminierung nachzukommen und sich nachdrücklich gegen das Verbrechen zu stellen;

32. Die örtliche Fertigungs- und Handelsindustrie anzuregen, Prävention zu betreiben z.B. Maßnahmen zur Verminderung der Gelegenheit zu einer Straftat und zur Erhöhung der Aufklärungsquote;

33. Eng mit den zuständigen Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten und ihre wertvolle praktische Erfahrung, Information und ihre Arbeit im Netz anzuerkennen;

Stadtplanung

34. Die Sicherheit der Gemeinschaft in der Stadtplanungspolitik zu berücksichtigen, z. B. Vermischung von Wohnhäusern und Geschäften, Einkaufsmöglichkeiten in Wohngebieten, Verbesserung der städtischen Umgebung, Freiräume, Nähe der Schulen zu den Wohngebieten;

35. Tatkräftige Initiativen zu entwickeln, um bekannte kriminelle Aktivitäten in bestimmten Gemeindegebieten einzudämmen und eine Anhäufung von benachteiligten und ärmlichen Gesellschaftsgruppen zu verhindern, besonders solchen, die das Gefühl haben, nichts mehr zu verlieren zu haben;

36. Besondere Schritte zur Verbesserung der städtischen Umwelt zu unternehmen (Beleuchtung, Freiräume, weniger Graffiti und Abfall) in der Überzeugung, dass eine unbefriedigende Umgebung eine der Ursachen für Kriminalität ist sowie Broschüren zu erstellen und an die Öffentlichkeit zu verteilen, die diese Zusammenhänge erklären;

37. Strategien durchzuführen, die die Angst der Öffentlichkeit vor Kriminalität und Verbrechen bei der Benutzung von Bussen, Taxis, U-Bahnen und Zügen oder beim Spazieren gehen, Rad fahren oder Auto fahren verringern sollen;

Sozial- und Bildungswesen

38. Eine zielgerichtete Politik gegen Gewalt in der Familie, gegen die Kultur der Gewalt, gegen die Ungleichheit aufgrund von Rasse, Religion, sozialer Herkunft und Geschlecht zu betreiben und den Begriff der Staatsbürgerschaft zu fördern;

39. Ein wirtschaftliches und soziales Umfeld zu schaffen, das Verbrechen erschwert z. B. Kontrolle und Überwachung von Eigentum; Sicherstellung, dass die sozialen Dienstleistungen demokratisch und verantwortungsbewußt sind; Förderung von Beschäftigung und legalen Geschäftsinitiativen und Verbesserung der sozialen Bedingungen;

40. Programme für Drogen- und Alkoholmissbrauch zusammen mit den Gesundheits- und Sozialdiensten sowie Informationsprogramme insbesondere für Jugendliche innerhalb und außerhalb der Schulen einzurichten, das Bewusstsein für die Verbrechensverhütung in den Bildungs- und Jugendprogrammen und Sport- und Freizeitaktivitäten insbesondere in benachteiligten Stadtvierteln zu fördern;

41. Die informellen sozialen Kontrollen durch entsprechende politische Maßnahmen zu stärken, damit eine Mischung aus Anwohnern und Geschäftsleuten, angemessene Einkaufsmöglichkeiten in den Wohngebieten und die Nähe der Schulen zu den Wohngebieten usw. entstehen;

42. Die Zivilcourage z. B. durch den garantierten Schutz von Zeugen zu ermutigen und zu belohnen;

43. Programme zur Hilfe und Unterstützung der Opfer einzurichten;

Polizei, Sicherheitskräfte und Gerichtsbehörden

44. Mit den zuständigen Regierungs- und Polizeibehörden jene Abkommen zu schliessen, die notwendig sind, um - ausgehend von der Annahme, dass kommunale Polizisten die Situation am Ort gut kennen und sich für den Aufbau einer Vertrauensbeziehung zur Ortsbevölkerung am besten eignen - die Möglichkeit der Schaffung kommunaler Polizeikräfte zu prüfen;;

45. Sicherzustellen, dass eine solche Gemeindepolizei, die nach einer klaren Gesetzgebung eingesetzt wurde, der Kontrolle der Gemeinden unterliegt, einen klar definierten Verantwortungsbereich übernimmt und über ausreichende Finanzmittel sowie die technische Ausrüstung und qualifiziertes Personal verfügt, damit sie in der Lage ist, praktisch und effizient zu arbeiten;

46. Ein System zur Zusammenarbeit zwischen der Staats- und Gemeindepolizei auszuarbeiten, in dem ihre unterschiedlichen aber komplementären Rollen klar definiert sind;

47. Eine engere Zusammenarbeit und die Beratung sowohl untereinander als auch mit Polizei und Öffentlichkeit in besonderen Bereichen, d.h. Mitwirkung bei Entscheidungen über die Einteilung von Kontaktbereichen, Festsetzung der Zeiten für Streifengänge und motorisierte Patrouillen anzustreben sowie eine Beratung der Bürger, die dazu dient, Dieben und anderen Straftätern weniger Gelegenheiten zu bieten;

48. Die Polizeikräfte zu ermutigen, über die vielfältige Bevölkerungsstruktur nachzudenken;

49. Die Ausbreitung unabhängiger Sicherheitskräfte, die oft außerhalb der demokratischen Kontrolle operieren, zu verhindern;

50. Mit den zuständigen Gerichtsbehörden bei der Klärung und Stärkung ihrer komplementären Rolle bei der Verbrechensverhütung und -kontrolle zusammenzuarbeiten;

51. ERSUCHT DEN KGRE:

52. Sicherzustellen, dass die Verbrechensbekämpfung und die Unsicherheit in den Städten weiterhin Priorität bei der Arbeit des künftigen Fachausschusses des KGRE und des KGRE als Ganzes haben wird;

53. Den Leitfaden über die Politik der Gemeinden zur Verbrechensbekämpfung bei der Konferenz über Sicherheit und Demokratie vom 7. – 9. Dezember 2000 in Neapel und dann bei der Tagung des KGRE 2001 vorzulegen;

54. Partnerschaften zur Verbrechensverhütung zwischen den Städten zu stärken, insbesondere wenn sie erfolgreiche innovative Strategien verfolgen;

55. Die Organisation von Sitzungen der Bürgermeister/ihrer Vertreter und/oder Polizeichefs zu erwägen, damit sie informell über gemeinsame Strategien zur Verbrechensbekämpfung diskutieren können;

56. Weiterhin mit den zuständigen NROs wie z. B. dem Europäischen Forum für Sicherheit in den Städten, dem Internationalen Zentrum für Verbrechensverhütung und dem Europäischen Zentrum für Verbrechensverhütung zusammenzuarbeiten;

57. Zusammen mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Europäische Informationsstelle zur Verbrechensverhütung einzurichten, die bei der Konferenz des KGRE in Petrosawodsk vorgeschlagen wurde (siehe oben Ziffer 4).

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 24. Mai 2000 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss am 25. Mai 2000 (siehe Dok. CPL (7) 6, Entschliessungsentwurf, vorgelegt durch Herrn K. Whitmore in Vertretung des Berichterstatters, Herrn J. Mans).