Empfehlung 163 (2005)1 über die Gemeinde- und Regionaldemokratie in Schweden

Der Kongress,

1. Mit Bezug auf:

a. Artikel 2.3 der statutarischen Entschließung des Kongresses;

b. den Begründungstext CG (12) 7 Teil II, vorgelegt von Ian Micallef (EVP/CD, Malta, L) und Karsten Behr (EVP/CD, Deutschland, R);

2. Dankt der schwedischen Regierung und der schwedischen Delegation im Kongress für ihre wertvolle Hilfe und Unterstützung bei der Ausarbeitung des oben erwähnten Berichts;

A. BEZÜGLICH DER GEMEINDEDEMOKRATIE:

3. Stellt fest, dass Schweden ein Einheitsstaat ist, der eine lange Tradition der starken Beteiligung der Gemeinden an den öffentlichen Angelegenheiten hat. In diesem Land spielen die Gemeinden eine wichtige Rolle im Wohlfahrtsstaat und sie tragen die Verantwortung für das Erbringen einiger öffentlichen Dienste für die Bürger;

4. Stellt mit Befriedigung fest, dass die positive Einstellung zur Gemeinderegierung in Schweden auch von der Zentralregierung und dem Parlament geteilt wird;

5. Begrüßt die Tatsache, dass Schweden die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Folgenden „die Charta” genannt) bereits 1989 unterzeichnet und ratifiziert hat, nur vier Jahre nach ihrer Verkündung, und dass das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung in Schweden in der Verfassung und im Gesetz verankert ist;

6. Verweist darauf, dass die Bestimmungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung auf die schwedischen Gemeinden (kommuner) und die schwedischen Bezirke (landsting) Anwendung finden;

7. Bestätigt, dass die Gemeinden in Schweden eine sehr wichtige Rolle im Steuersystem spielen, da die wichtigste Direktsteuer, die die meisten Schweden entrichten, die örtliche Einkommenssteuer ist;

8. Verweist darauf, dass die schwedische Gesetzgebung, Tradition und Praxis der Gemeinderegierung im Einklang mit dem Geist und den Bestimmungen der Charta stehen;

9. Begrüßt die Bemühungen der schwedischen nationalen und kommunalen Behörden, die Prinzipien der Charta anzuwenden und bestätigt insbesondere, dass mehrere Schlüsselartikel der Charta der schwedischen Gesetzgebung entsprechen (Artikel 2, 3, 4.6 und 6);

10. Stellt fest, dass im Bereich der Finanzressourcen die Bestimmung der schwedischen Verfassung, nach der die Gemeinden das Recht haben, Steuern zu erheben, in gewissem Maße Artikel 9 der Charta entspricht;

11. Begrüßt die Tatsache, dass diese Bestimmung 1993 noch verstärkt wurde, als das schwedische Parlament bei der Einführung der allgemeinen Regierungsmittel das Finanzierungsprinzip verabschiedete, nach dem die Regierung erklären muss, wie eine Reform finanziert wird, wenn darin neue Aufgaben für die Gemeinden vorgesehen sind (wenn die Gemeinden keine Alternative haben als die Reform durch höhere Steuern zu finanzieren, muss der Staat ihnen einen Finanzausgleich zubilligen);

12. Begrüßt ebenfalls die Tatsache, dass der schwedische Gemeindeverband und die schwedische Föderation der Bezirksräte immer eine aktive Rolle bei der Förderung der Gemeindedemokratie und beim Schutz der Interessen der Gemeinden gespielt haben;

13. Macht gleichzeitig auf eine Reihe von Bereichen aufmerksam, in denen die Umsetzung einiger Bestimmungen der Charta Anlass zur Sorge gibt und möchte hierzu einige Empfehlungen abgeben:

a. Bestimmungen der Zentralregierung für Gemeinden (Artikel 4 der Charta):

i. bestätigt, dass das Gemeindegesetz (1991) den Gemeinden allgemeine Kompetenzen verleiht, während Sondergesetze den Gemeinden und/oder Bezirksräten besondere Kompetenzen verleihen;

ii. bedauert jedoch, dass die Tendenz besteht, eine recht detaillierte spezifische zentrale Regelung für Gemeindefragen zu erlassen, was als Einmischung der Zentralregierung in die kommunalen Angelegenheiten betrachtet wird und Reaktionen von Seiten der Gemeinden hervorrufen könnte;

iii. empfiehlt der Zentralregierung, den Gemeinden mehr Spielraum bei der Erfüllung ihrer Pflichten zum Wohle der örtlichen Bevölkerung zu lassen.

b. Auswirkung der Gesetzgebung der „Rechte” (Artikel 4 der Charta):

i. bestätigt, dass kaum jemand den Sinn und Zweck der Gesetzgebung der „Rechte” in Frage stellen würde, die den Bürgern besondere soziale und wirtschaftliche Rechte verleiht;

ii. ist jedoch der Auffassung, dass die Gesetzgebung, so wie sie ausgefertigt wurde, kein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Rechten der Bürger und der Pflicht der Gemeinden schafft, Dienste gemäß den prioritären Interessen der Gemeinschaft als Ganzes anzubieten;

iii. stellt fest, dass die Gesetzgebung an sich recht ungenau ist und den Gemeinden, die für die Umsetzung der Bürgerrechte zuständig sind, finanzielle Beschränkungen auferlegt hat;

iv. wirft die Frage auf, ob diese Maßnahmen, die vom nationalen Parlament beschlossen wurden, aber von den Gemeinden ausgeführt werden, im Einklang mit Artikel 9 der Charta stehen als Finanzierungsprinzip, das besagt, dass die Gemeinden über ausreichende Finanzmittel verfügen sollten, um ihre Aufgaben wahrzunehmen, die ihnen die Zentralbehörden auferlegt haben;

v. empfiehlt der schwedischen Regierung, in Konsultation mit dem Gemeindeverband dringend diese Frage zu prüfen, um eine Möglichkeit zu finden, vielleicht mit Hilfe einer Prüfungskommission, die sowohl von der Regierung als auch von den Gemeinden unabhängig ist, die tatsächlichen Kosten für das Erbringen dieser Dienste einzuschätzen, damit die Gemeinden gegenüber den Verwaltungsgerichten die Kontrolle über ihre Politik behalten.

c. Festlegung der Steuergrenzen (Artikel 9.4 der Charta):

i. stellt fest, dass obwohl die Verfassung und das Gemeindegesetz den Gemeinden Steuerhoheit zugestehen, diese begrenzt ist;

ii. stellt insbesondere fest, dass obwohl die Beschränkungen der Steuerhoheit der Gemeinden derzeit nicht wirksam sind, sie doch jederzeit wiederauferlegt werden können;

iii. empfiehlt, alle Unklarheiten zu beseitigen, die kommunale Steuerhoheit der Gemeinden zu stärken und ihnen die notwendigen Steuermittel zur Verfügung zu stellen.

d. Finanzausgleichsverfahren (Artikel 9.5 der Charta):

i. stellt fest, dass obwohl der Finanzausgleich im Einklang mit der Charta steht, es Konflikte bei der Umsetzung geben kann;

ii. ist der Auffassung, dass die Finanzverfahren zur Berichtigung der Auswirkungen der Einkommens- und Ausgabendifferenzen zwischen den Gemeinden nicht das Ermessen der Gemeinden in ihren eigenen Kompetenzbereichen einschränken sollten und daher die Finanzierung von der Zentralregierung kommen sollte;

iii. empfiehlt, das Finanzausgleichsverfahren zu prüfen, um die Verletzung des Ermessensspielraumes der Gemeinden bei ihren Eigenressourcen zu schmälern und das Finanzausgleichsverfahren beizubehalten.

e. Verlagerung von allgemeinen Mitteln hin zu zweckgebundenen Mitteln (Artikel 9.7 der Charta):

i. bedauert, dass die schwedische Regierung in den letzten Jahren die Summe für zweckgebundene Mittel gegenüber den allgemeinen Mitteln aufgestockt hat und stellt gleichzeitig fest, dass wenn die angekündigten Vorschläge der Regierung gebilligt werden, es in den nächsten Jahren einen Rückgang der anteiligen Mittel der Zentralregierung für spezifische Zwecke geben wird;

ii. verweist darauf, dass aus Sicht der Charta die Verringerung der allgemeinen Mittel durch die Regierung im Widerspruch sowohl zur Bestimmung steht, dass Regierungsmittel allgemeiner Art und nicht zweckgebunden sein sollten als auch, dass die Zentralregierung sich nicht in eine Aufgabe einmischen sollte, die den Gemeinden übertragen wurde;

iii. empfiehlt, dass die den Gemeinden zugewiesenen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben hauptsächlich allgemeiner Art sein sollten;

f. Rechtsschutz und Konsultation der Gemeinden (Artikel 10 und 11 der Charta):

i. ist der Auffassung, dass obwohl das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung in der Verfassung und in der Gesetzgebung in Schweden anerkannt ist, seine Position gegenüber der Verfassung gestärkt werden könnte, wenn die schwedischen Gesetzgeber gezwungen werden, sich bei der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes auf die Charta zu beziehen;

ii. stellt fest, dass die schwedischen Gesetzgeber heute einfach davon ausgehen, dass da das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung in der Verfassung und im Gemeindegesetz erwähnt ist, es dann auch berücksichtigt wird;

iii. glaubt, dass diese Fragen, die wesentlich für die kommunale Selbstverwaltung sind, in der Arbeit der Verfassungskommission angesprochen werden sollten und ist der Auffassung, dass um der Klarheit willen die Kommission zusätzlich beauftragt werden sollte, Vorschläge zur Verbesserung der Position der kommunalen Selbstverwaltung in der schwedischen Verfassung gemäß diesen Schlussfolgerungen vorzulegen;

iv. empfiehlt daher, ein Rechtsbehelfsverfahren einzusetzen, auf das in der Verfassung verwiesen wird, das die Gemeinden bei Verletzungen des Prinzips nutzen können. Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung könnte als Referenz dienen, nach der solche Verletzungen beurteilt werden. Dies würde die Einrichtung eines Verfassungsgerichtes bedeuten, obwohl diese Option offenbar nicht so großen Anklang in Schweden findet, auch nicht bei den Gemeinden selbst. Eine andere Möglichkeit wäre die Stärkung der Position der Gemeinden gegenüber dem Parlament, das derzeit die letzte Instanz bei der Auslegung des Geltungsbereichs der kommunalen Selbstverwaltung ist, insbesondere bei der Finanzierung. Dies würde bedeuten, dass ein parlamentarischer Ausschuss für kommunale Selbstverwaltung eingerichtet wird, dem beide Parteien –Regierung und Gemeinden - angehören könnten.

B. BEZÜGLICH DER REGIONALDEMOKRATIE:

14. Unterstützt und beglückwünscht die schwedischen Behörden zu ihrer Politik, zwei Pilotregionen Västra Götland und Skåne einzurichten und die experimentelle Phase auszudehnen, obwohl die schwedische Verfassung keine andere Form der subnationalen Regierung als Gemeinden und Bezirke anerkennt;

15. Hebt hervor, dass diese Regionen als echte Regionen mit gewählten Regionalregierungen und mehr Verantwortlichkeiten als die traditionellen Bezirksräte gesehen werden sollten;

16. Ist der Auffassung, dass die beiden Pilotregionen funktionell und politisch eher den Regionen in anderen Ländern ähneln und sie außerdem eine demokratische Legitimität durch ihre gewählten Räte besitzen;

17. Ist der Ansicht, dass die Erfahrung der Pilotregionen zum Wirtschaftswachstum führte und eine Reihe von Entwicklungsprogrammen, vom Verkehrswesen bis hin zur Gesundheitsversorgung zugunsten der örtlichen Bevölkerung eingerichtet werden konnten, was nicht geschehen wäre, wenn es den Versuch nicht gegeben hätte;

18. Stellt die Frage, ob ein asymmetrischer Ansatz möglich wäre, bei dem einige Regionen den Ansatz der Pilotregionen verfolgen und andere den Ansatz des regionalen Kooperationsrates;

19. Fordert die schwedischen Behörden auf, das Experiment der Regionalregierung fortzusetzen, die beiden Pilotregionen beizubehalten und das Experiment auf andere Teile Schwedens auszudehnen, wenn die Regionen bereit sind, es anzunehmen .

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 1. Juni 2005, 2. Sitzung (siehe Dok. CG (12) 7, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch Dr. I. Micallef (Malta, L, EVP/CD) und K. Behr (Deutschland, R, EVP/CD), Berichterstatter).