Kammer der Gemeinden

18. SITZUNG

CPL(18)2
23. Februar 2010

Kommunalwahlen in Aserbaidschan (23. Dezember 2009)

Berichterstatter: Francis LEC, Frankreich (L, SOZ)[1]

A. Entschliessungsentwurf 2

B. Empfehlungsentwurf 3

Zusammenfassung

Nach der offiziellen Einladung der aserbaidschanischen Behörden, die Kommunalwahlen am Mittwoch, den 23. Dezember 2009 zu beobachten, ernannte der Kongress eine Beobachterdelegation unter Leitung von Gaye Doganoglu, Mitglied des Gemeinderats von Muratpasa/Antalya, Türkei. Francis Lec, Vizepräsident des Generalrats von La Somme, Frankreich, wurde zum Kongressberichterstatter dieser Beobachtungsmission ernannt. Die Delegation bestand aus elf Mitgliedern des Kongresses und wurde vom Kongresssekretariat unterstützt.

Die Delegation kam zu dem Schluss, dass die Wahlen allgemein technisch gut vorbereitet waren und in einer ruhigen Atmosphäre stattfanden. Allerdings wies die Delegation auf drei wichtige Problembereiche hin:

- Das Fehlen einer wahrhaft pluralistischen Parteienlandschaft, die Seltenheit echter Oppositionskandidaten und in Folge das Fehlen eines von Konkurrenz geprägten Wahlkampfes (in den Straßen und im Fernsehen);

- Die zweifelhafte Art und Weise des Registrierungsprozesses und der Stimmauszählung aufgrund von Zwischenfällen in einigen Wahllokalen;

- Die unterentwickelte territoriale Demokratie in Aserbaidschan.


A. Entschliessungsentwurf[2]

1. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas nimmt den vorläufigen Empfehlungsentwurf über die am 23. Dezember 2009 beobachteten Kommunalwahlen in Aserbaidschan zur Kenntnis und drückt seine Sorge hinsichtlich der Situation der territorialen Demokratie und der Selbstverwaltung in diesem Lande aus. Der Kongress

a. bekräftigt seine Bereitschaft, Aserbaidschan bei der Ausarbeitung und der Umsetzung der notwendigen Reformen für eine greifbare Verbesserung der lokalen und regionalen Demokratie in Aserbaidschan zu unterstützen, z. B. durch die Entwicklung konkreter Ausbildungsprogramme für gewählte Vertreter auf lokaler und regionaler Ebene;

b. beauftragt den Ausschuss für institutionelle Fragen damit, so rasch wie möglich, spätestens in zwei Jahren, die Fortschritte zu untersuchen, die das Land im Hinblick auf seine Verpflichtung auf die Charta der lokalen Selbstverwaltung gemacht hat, insbesondere im Hinblick auf die Übertragung von Befugnissen von lokalen Exekutivbehörden auf die gewählten Stadträte, auf die Stärkung ihrer finanziellen Autonomie und im Hinblick auf die Wahl des Bürgermeisters von Baku;

c. bittet das Ministerkomitee die vorliegende Empfehlung und den Begründungstext zu berücksichtigten und diese an die zuständigen Organe des zwischenstaatlichen Bereichs des Europarats, an die Venedig-Kommission, die Generaldirektion für Demokratie und politische Angelegenheiten, CPT, GRECO und den Kommissar für Menschenrechte weiterzuleiten.

d. bittet die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die nachfolgende Empfehlung bei der Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen Aserbaidschans zu berücksichtigen.


B. Empfehlungsentwurf [3]

1. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas verweist auf:

a. die Statutarische Entschließung (2000)1 des Ministerkomitees betreffend den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas;

b. die in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung geäußerten Prinzipien, die von Aserbaidschan am 15. April 2002 ratifiziert wurde und in diesem Land am 1. August 2002 in Kraft trat;

c. Entschließung 151(2003) über die lokale und regionale Demokratie in Aserbaidschan;

d. vorausgegangene Berichte über beobachtete Wahlen in Aserbaidschan, vor allem den Bericht über die Kommunalwahlen vom 17. Dezember 2004, und die Empfehlung 206(2006) über die teilweise Wiederholung der Kommunalwahlen in Aserbaidschan (beobachtet am 6. Oktober 2006).

2. Der Kongress unterstreicht seine spezifische Rolle bei der Beobachtung von Kommunal- und Regionalwahlen in den Mitgliedstaaten des Europarats.

3. Der Kongress ist sich der positiven Entwicklungen im Hinblick auf die technische Organisation der Wahlen am 23. Dezember 2009 bewusst und hat einen wesentlichen Fortschritt festgestellt, insbesondere im Vergleich zu den vorausgegangenen Kommunalwahlen im Oktober 2006. Der Kongress berücksichtigt des Weiteren, dass die Wahlen in einer ruhigen Atmosphäre stattfanden und dass die grundlegenden Gegebenheiten gut vorbereitet wurden.

4. Der Kongress begrüßt die sichtbaren Verbesserungen der letzten Jahre bezüglich der wirtschaftlichen Stabilität des Landes.

5. Allerdings stellt der Kongress mit Bedauern fest, dass:

a. trotz mehrfacher Aufforderung, einen Stadtrat einzurichten und einen Bürgermeister von Baku zu wählen, Aserbaidschan die Empfehlung des Kongresses (wie in Artikel 3 der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung festgelegt) nicht befolgt hat;

b. die allgemeine politische Situation in Aserbaidschan, die durch ein Fehlen einer wahrhaft pluralistischen Parteienlandschaft und von der Tendenz geprägt ist, sich zu einem autokratischen System zu entwickeln, wenig Raum für die Opposition lässt, was sich am Wahltag zeigte, an dem es kaum echte Oppositionskandidaten gab;

c. es nur wenige Anzeichen für eine lebhafte Wahlkampagne gab und die Medien, insbesondere das Fernsehen, hauptsächlich das Bild eines Einparteiensystems in Aserbaidschan vermittelte, in dem Wahlen keine große Rolle spielten;

d. der kaum vorhandene Wahlkampf, in den Straßen und im Fernsehen, das Fehlen einer wahrhaft pluralistischen Parteienlandschaft und das Fehlen eines echten Systems der lokalen Selbstverwaltung zu einer geringen Wahlbeteiligung führten; der Kongress hält diese geringe Wahlbeteiligung für ein Alarmzeichen;

e. eine Reihe von Wahllokalen schwer zugänglich für Personen mit Behinderungen und ältere Menschen waren.


6. Außerdem ist der Kongress besorgt im Hinblick auf die Lesbarkeit der Wahlzettel, das Zählungssystem für Wahlberechtigte, die Rolle und den Ursprung der inländischen Wahlbeobachter und insbesondere im Hinblick auf Zwischenfälle, die sich in einigen Wahllokalen während der Stimmauszählung ereigneten und die Anlass geben, den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen vom 23. Dezember 2009 ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

7. Der Kongress ist im Hinblick auf die politischen Machtverhältnisse, Zuständigkeiten und finanziellen Mittel der Gemeinden nach wie vor über den Zustand der territorialen Demokratie in Aserbaidschan besorgt. Das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in die Gemeinden ist eine Folge dieser unbefriedigenden Situation und lässt den Behörden Raum für Verbesserungen.

8. In Berücksichtigung der vorstehenden Anmerkungen fordert der Kongress die aserbaidschanischen Behörden auf, alle notwendigen Schritte zu unternehmen:

a. um Instrumente einzuführen, welche die Transparenz hinsichtlich der Wahlbeteiligung und Stimmauszählung stärken,[4] und um das System für die Überwachung der Stimmabgabe zu überarbeiten;

b. um durch das Einführen von Maßnahmen die Rolle der inländischen Beobachter klar zu definieren und konkret die Personen zu benennen, die während der Stimmabgabe und der Auszählung anwesend sein dürfen;

c. um den Pluralismus in den Medien zu verbessern, insbesondere im Hinblick auf Fernsehen und Radio, und rechtliche Bedingungen zu schaffen, in denen unabhängige Journalisten und freie Medien ohne Einschüchterung oder Bedrohung arbeiten können;

d. um die Verbote von Radiosendern aufzuheben und verhaftete Journalisten freizulassen;

e. um die Regelungen für die Zuweisung freier Sendezeit im Fernsehen und im Radio für Wahlwerbung zu ändern (wie im Wahlgesetz von Aserbaidschan vorgesehen), um so Wahldebatten unter Teilnahme von Oppositionsvertretern zu ermöglichen;

f. um die Regelung abzuschaffen, die besagt, dass die Kandidaten in mehr als der Hälfte aller Gemeinden registriert sein müssen, um kostenlose Sendezeit zu erhalten;

g. um, allgemeiner gesprochen, die Situation hinsichtlich der Verpflichtungen zu prüfen, die im Hinblick auf die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung eingegangen wurden, insbesondere im Hinblick auf die Änderung der Gesetzgebung, um die Wahl des Bürgermeisters von Baku zu ermöglichen und die finanzielle Autonomie der Gemeinden in Aserbaidschan zu stärken.



[1] L: Kammer der Gemeinden / R: Kammer der Regionen

UILDG : Unabhängige und Liberaldemokratische Gruppe des Kongresses  

EVP/CD : Gruppe der Europäischen Volkspartei – Christdemokraten des Kongresses

SOZ : Sozialistische Gruppe des Kongresses

NG : Mitglied, das keiner politischen Gruppe des Kongresses angehört

[2] Vorentwurf der Empfehlung vom Präsidium des Kongresses am 5. Februar 2010 angenommen.

Mitglieder des Präsidiums:

Y. Mildon, Präsident des Kongresses, I. Micallef (Präsident ad interim des Kongresses und Präsident der Kammer der Gemeinden), L. Sfirloaga (Präsident der Kammer der Regionen), D. Suica, G. Krug, A. Knape,  S. Rihtniemi, H. Zach, I. Borbely, J.-C. Frécon, S. Orlova, F. Pellegrini, K. Andersen, E. Yeritsyan, I. Michas, O. Van Veldhuizen, N. Romanova.

N.B.: Die Namen der Mitglieder, die an der Abstimmung teilnahmen, sind kursiv gedruckt.

Sekretariat des Präsidiums: D. Rios, L. Taesch

[3] siehe Fussnote auf Seite 2

[4] (z. B. die Lesbarkeit der Stimmzettel durch das Bereitstellen separater Stimmzettel für Kandidaten unterschiedlicher Parteien zu verbessern)