Entschließung 171 (2004)1 zur kommunalen und regionalen Demokratie in der Russischen Föderation

Der Kongress,

1. Bezieht sich in der vorliegenden Entschließung auf:

a. Artikel 2, Abs.1.b der satzungsgemäßen Entschließung (2000) 1, der besagt, dass es zu den Aufgaben des Kongresses gehört, „dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie zu unterbreiten“;

b. Artikel 2, Abs.3 der satzungsgemäßen Entschließung (2000) 1, der bestimmt, dass „der Kongress regelmäßig der Reihe nach Länderberichte über die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedsstaaten des Europarats sowie den Staaten, die Beitragskandidaten sind, erstellt und vor allem über die praktische Verwirklichung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung wacht;

c. seine Entschließungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000), die Richtlinien für die Erstellung der erwähnten Länderberichte festlegen;

d. seine Empfehlung 30 (1997) zum Stand der kommunalen Demokratie und des Föderalismus in Russland;

2. Berücksichtigt dabei den erläuternden Bericht CG (11) 5 sowie die Empfehlung CG (11) 5 zur kommunalen und regionalen Demokratie in Russland;

3. Dankt der russischen Kongress-Delegation, dem Kongress der Gemeinden Russland sowie der Region Nischni Nowgorod für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung des Berichts und der Organisation der Besuche vor Ort;

4. Möchte die Teilgebiete der Russischen Föderation und die russischen Gemeinden auf die unten aufgeführten allgemeinen Bemerkungen und Empfehlungen aufmerksam machen;

5. Begrüßt den Abschluss der ersten Stufe der Reform der kommunalen Selbstverwaltung und des Föderalismus, gekennzeichnet durch die 2003 erfolgte Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesgesetzes über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der Gesetzgebungs- (Vertretungs-) und Vollzugsorgane der Staatsgewalt in den Teilgebieten der Russischen Föderation und des Bundesgesetzes über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation (im Folgenden: die Rahmengesetze);

6. Äußert seine Anerkennung dafür, dass die mit dieser Reform der russischen Gebietsverwaltung beauftragte Kommission unter dem Vorsitz von Dmitri Kosak durch ihre Arbeit einen konstruktiven Prozess in mehreren aufeinander folgenden Stufen in Gang gesetzt und den Grundstein für eine ausgewogenere Zuständigkeitsverteilung zwischen den drei Ebenen der öffentlichen Gewalt in Russland (Föderation, Teilgebiete der Föderation und Gemeinden) gemäß dem Grundsatz der Subsidiarität (Artikel 4, Abs.3 der Charta) gelegt hat;

7. Ist der Ansicht, dass die Kommission unter dem Vorsitz von Dmitri Kosak sowie der russische Gesetzgeber Beträchtliches zur Klärung und Erläuterung der Verfassungsbestimmungen über die Beziehungen zwischen der Föderation und ihren Teilgebieten geleistet haben, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung bei Gemeinschaftsaufgaben;

I. REFORM DES FÖDERALISMUS

8. Stellt fest, dass die auf den Verfassungsgrundsätzen beruhende Reform bezüglich der Teilgebiete der Föderation ihren Niederschlag im Bundesgesetz vom 4. Juli 2003 (im Folgenden: Bundesgesetz Nr. 95) gefunden hat. Dieses Gesetz bezweckte :

a. in einem allgemeinen Gesetz die in den Artikeln 71 – 73 der Verfassung niedergelegten Grundsätze näher zu umschreiben, und zwar nicht nur Fragen der Organisation der öffentlichen Gewalt in den Teilgebieten der Föderation zu klären, sondern auch den Rahmen der Wahrnehmung der Zuständigkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben festzulegen, was bisher oft zu Spannungen zwischen den Föderation und den Teilgebieten geführt hatte;

b. den grundsätzlichen Vorrang von Bundesrecht zu bekräftigen;

c. Zuständigkeiten und Finanzausstattung in Einklang zu bringen;

d. die Bundesaufsicht besser zu organisieren;

9. Hält das neue Gesetz für flexibel genug, um mit besonderen Situationen und Krisen (vor allem mit Hilfe vertraglicher Vereinbarungen) in Übereinstimmung mit der Bundesverfassung fertig zu werden;

10. Findet dieses Bemühen um Klarheit und Präzision lobenswert; damit werden künftig Situationen verhindert, in denen Regionalgesetze in eindeutigem Widerspruch zu Bundesrecht stehen;

11. Begrüßt in diesem Zusammenhang die 2000 – 2003 unternommenen Bemühungen, die Regionalgesetzgebung in Einklang mit der Bundesgesetzgebung zu bringen;

12. Ruft die Teilgebiete der Föderation insbesondere dazu auf :

a. sich an das Urteil der Verfassungsgerichts vom 7. Juni 2000 zu halten, in dem festgestellt wurde, dass die Souveränität ausschließlich bei der Russischen Föderation liegt;

b. im Geiste der Zusammenarbeit zur Verwirklichung der Reform des Föderalismus beizutragen;

c. allenthalben auf regionaler Ebene das Amt des Ombudsman gemäß Empfehlung 61 (1999) des Kongresses einzuführen;

II. REFORM DER KOMMUNALEN SELBSTVERWALTUNG

13. Stellt fest, dass die Einführung und die Arbeit der kommunalen Selbstverwaltung in der Vergangenheit in manchen Teilgebieten der Föderation auf ernste Schwierigkeiten gestoßen sind;

14. Begrüßt die Tatsache, dass das neue Bundesrahmengesetz über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation (im Folgenden das [neue] Rahmengesetz oder Bundesgesetz Nr. 131) die Einrichtung und Wahrnehmung der kommunalen Selbstverwaltung auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet;

15. Stellt mit Befriedigung fest, dass das neue Rahmengesetz die Gemeinden als selbständige, außerhalb der Staatsgewalt tätige Organe, zugleich aber neben den Bundesbehörden und den Behörden der Teilgebiete der Föderation als Teil der öffentlichen Gewalt anerkennt;

16. Ist der Ansicht, dass den Teilgebieten der Föderation eine entscheidende Rolle bei der Durchführung dieses Rahmengesetzes zukommt;

17. Nimmt zur Kenntnis, dass alle Teilgebiete der Föderation gehalten sind, den allgemeinen Bestimmungen des neuen Rahmengesetzes Folge zu leisten und zu diesem Zweck ihre Verfassungen (Satzungen), Gesetze und sonstige Vorschriften bis 1. Juni 2006 entsprechend anzupassen;

18. In dieser Hinsicht ruft die Teilgebiete der Föderation auf, im Rahmen der gesetzten Frist zur Regelung folgender Bereiche entsprechende Gesetze zu erlassen oder vorhandene entsprechend zu ändern:

a. die öffentlichen Dienste auf kommunaler Ebene;

b. die Übertragung staatlicher Aufgaben auf gewählte kommunale Gremien;

c. die Verwaltungsaufgaben und evtl. Absetzung gewählter kommunaler Organe;

d. die Festlegung von Normen und Regeln zur Klassifizierung gemeindlichen Vermögens;

19. Ruft insbesondere die Teilgebiete der Föderation auf, bei der Durchführung der Gemeindereform vor allem auf folgende Probleme zu achten:

A. Bildung neuer Gemeinden und evtl. Änderung des Status und der Grenzen bestehender Gemeinden (Artikel 5 der Charta)

20. Nach dem neuen Rahmengesetz müssen die Teilgebiete bis zum 1. Januar 2005 die Grenzen der Gemeinden festlegen und ihren Status als Stadt- oder Landgemeinde, Stadtkreis (gorodskoj okrug) oder Gemeindebezirk bestimmen;

21. Das bedeutet, dass die Teilgebiete bis zu diesem Zeitpunkt die Frage der Gemeindegrenzen und evtl. Grenzänderungen sowie die Bildung, Umwandlung oder Auflösung von Gemeinden gemäß den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft gesetzlich regeln oder vorhandene Gesetze entsprechend anpassen müssen;

22. In diesem Zusammenhang ist die Frage der Umwandlung bestehender Stadtgemeinden in Stadtkreise (gorodskije okrugi) für die Stadtentwicklung in Russland und mithin für die Entwicklung des gesamtes Landes von großer Bedeutung;

23. Obwohl nach dem neuen Gesetz allein der regionale Gesetzgeber endgültig zu entscheiden hat, ob diese oder jene Stadt den Status eines Stadtkreises erhält, sollte eine solche Statusänderung oder ihre Ablehnung durch Volksabstimmung gebilligt werden;

24. Es empfiehlt sich folglich, Stadtgemeinden, die über eine gesunde wirtschaftliche und soziale Grundlage verfügen und mit denen sich die Bevölkerung identifiziert, beizubehalten;

B. Zuständigkeiten der Gemeinden (Artikel 4 der Charta)

25. Die Teilgebiete der Föderation sollten auch besonders darauf achten, welche Zuständigkeiten sich auf die Organe der kommunalen Selbstverwaltung übertragen lassen. Dabei ist die bisherige Praxis in der Region zu berücksichtigen;

C. Rechtsaufsicht (Artikel 8 der Charta)

26. Ziel der Rechtsaufsicht ist es, die Rechtmäßigkeit gemeindlichen Handelns zu überwachen. Die Rechtsaufsicht obliegt dem Staatsanwalt oder den Gerichten. Für die Gemeinden stellt dies einen großen Fortschritt dar ;

27. Das Aufsichtsverfahren über gemeindliches Handeln sowie Schritte und etwaige Sanktionen der Aufsichtsbehörden gegen gewählte Gemeindeorgane [Gemeinde- oder Stadtrat, Oberhaupt der Gemeinde und oberster Verwaltungsbeamter] sind im neuen Gesetz festgelegt. Die Gemeinden verfügen über hinreichende Garantien, um notfalls gerichtlich gegen sie betreffende Entscheidungen vorzugehen. In diesem Verfahren kommt mithin den Gerichten eine wichtige Rolle zu;

28. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen dürfen nur in Ausnahmefällen Verfahren gegen gewählte Gemeindeorgane eingeleitet werden;

D. Gründung von Räten der Gemeinden (Artikel 10 der Charta)

29. Das neue Gesetz verlangt, dass die Teilgebiete der Föderation bis zum 1. Juni 2006 Versammlungen von Gemeindevertretern einberufen müssen, um für ihr Gebiet einen Rat der Gemeinden zu gründen. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Grundlagen für die Gründung solcher Räte der Gemeinden bis dahin ausgearbeitet sein müssen;

30. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass solche Vereinigungen von Gemeinden wirklich repräsentativ und unabhängig sind und die Gemeindeinteressen auf regionaler Ebene vertreten können, damit der Kongress der Gemeinden Russlands auf Bundesebene ihre Anliegen besser berücksichtigen und ihre Interessen verteidigen kann;

31. Der Kongress fordert die Gemeinden auf, in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz:

a. ihre Satzungen dem neuen Recht anzupassen oder bei Statusänderungen neue Satzungen auszuarbeiten;

b. insbesondere gemeindliche Vorschriften zu folgenden Fragen zu erlassen oder anzupassen:

i. zur Bildung repräsentativer Stadtbezirksorgane;

ii. zum Versammlungsrecht der Bürger;

iii. zur Abhaltung und zum Ablauf öffentlicher Anhörungen;

iv. zur Abhaltung und Durchführung von Bürgerversammlungen;

v. zur Abhaltung und zum Ablauf von Bürgerkonferenzen (Sitzungen von Bürgervertretern);

vi. zu Bürgerinitiativen;

vii. zur Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge;

32. Fordert den Kongress der Gemeinden Russlands auf:

a. sich weiterhin in Zusammenarbeit mit dem Europarat um die Aus- und Fortbildung der gewählten Kommunalpolitiker und der Gemeindebediensteten zu bemühen;

b. die Europäischen Verhaltensregeln (European Code of Conduct) für gewählte Kommunal- und Regionalvertreter allen Gemeinden bekannt zu machen.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 26. Mai 2004, 2. Sitzung (siehe Dok. CG (11) 5, Entschliessungsentwurf vorgelegt durch G. Rhodio (Italien, L, EVP/CD) und H. U. Stöckling (Switzerland, R, ULDG), Berichterstatter).