14. TAGUNG

HERBSTSITZUNG
(
Straßburg, 20. – 21. November 2007)

Kommunale und regionale Demokratie in Kroatien

Empfehlung 226 (2007)[1]


Der Kongress,

1. Bezieht sich auf

a. Artikel 2, Absatz 1.b der Satzungsmäßigen Entschließung (2000) 1 über den Kongress, der vorsieht, dass eines der Ziele des Kongresses darin besteht, „dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie zu unterbreiten“;

b. Artikel 2, Absatz 3 der Satzungsgemäßen Entschließung (2000) 1 über den Kongress, der besagt, dass „der Kongress in regelmäßigen Abständen Länderberichte über die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie  in allen Mitgliedsstaaten  sowie in Staaten, welche die Aufnahme in den Europarat beantragt haben, erstellt und insbesondere sicherstellt, dass die Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung eingehalten werden“;

c. seine Entschließungen 31 (1996) und 106 (2000), mit denen Richtlinien für die Abfassung der oben genannten Berichte erlassen wurden;

2. Macht auf seine vom Kongress 1998 verabschiedete Entschließung (67) und Empfehlung (46) zur kommunalen und regionalen Demokratie in Kroatien aufmerksam;

3. Nimmt den von den Berichterstattern Karsten Behr (Deutschland, EPP/CD, R) und Cees Bijl (Niederlande, SOC, L) aufgrund zweier offizieller Besuche in Kroatien  am 18. – 20. April 2007 und am 2. – 4. Juli 2007 erstellten Bericht über kommunale und regionale Demokratie in Kroatien (CG/INST(14)6) zur Kenntnis. Die Berichterstatter wurden bei ihrer Aufgabe von Prof. Chris Himsworth (Vereinigtes Königreich) als Berater unterstützt, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der Gruppe unabhängiger Experten im Rahmen der Charta der kommunalen Selbstverwaltung ist. Der Kongress dankt ihm für seine wertvolle Mitarbeit;

4. Dankt den kroatischen Behörden auf örtlicher, regionaler wie staatlicher Ebene (Regierung und Parlament), dem Verfassungsgerichtshof, den nationalen Verbänden der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung sowie den Experten und Vertretern der  Nichtregierungsorganisationen und der internationalen Gemeinschaft in Kroatien für die während der Sitzungen mit den Berichterstattern erteilten Auskünfte und Erläuterungen;

5. In der Erwägung, dass

a. die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung von Kroatien unterzeichnet und ratifiziert wurde und am 19. September 1997 in Kraft trat;

b. die Kongressempfehlung 46 (1998) zur Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in Kroatien ernsthafte Mängel der dortigen kommunalen und regionalen Demokratie aufzeigte und das Fehlen einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen sowie die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben unzureichende Finanzausstattung der Gemeinden und Regionen bemängelte;

6. Nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass

a. die Gesamtbeurteilung der Umstände der kommunalen und regionalen Demokratie in Kroatien zeigt, dass auf allen Verwaltungsebenen die offensichtliche Bereitschaft besteht, die Grundsätze der Dezentralisierung ernst zu nehmen und echte Handlungsautonomie auf kommunaler und regionaler Ebene herzustellen;

b. die Gesetzesreform von 2001 deutliche Fortschritte auf den Gebiet der kommunalen und regionale Demokratie erbracht hat;

c. Kroatien das Europäische Rahmenübereinkommen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften unterzeichnet und ratifiziert hat und dieses Übereinkommen für Kroatien am 18. Dezember 2003 in Kraft getreten ist;


7. Stellt folgende wesentlichen Probleme beim Funktionieren der kommunalen Demokratie in Kroatien fest:

a. obwohl der Kongress mit der Empfehlung 46 (1998) Kroatien aufgefordert hatte, den Anwendungsbereich der Charta so rasch als möglich auszudehnen, ist dies nicht geschehen;

b. seit 1992 ergriffene Maßnahmen zur gebietsmäßigen Gliederung Kroatiens waren eher zufällig, unsystematisch und das Ergebnis politischen Drucks. Das hat insbesondere zur Schaffung neuer, oft unnützer Kleinstgemeinden geführt, die mit der kommunalen Selbstverwaltung nicht in befriedigender Weise zurechtkamen;

c. Aufgaben wurden ohne hinreichende Rücksicht auf die beträchtlichen Unterschiede in der Größe der jeweiligen Gemeinden zugewiesen, wobei insbesondere nicht bedacht wurde, dass diese Aufgaben sehr kleine Gemeinden überfordern würden;

d. als Stadt mit wachsender Bevölkerung ist Zagreb mit derzeit nur einer einzigen Kommunalverwaltung untervertreten;

e. den Zuständigkeiten der Gemeinden und Regionen mangelt es an den entsprechenden Vollzugsbestimmungen, vor allem in Form von Durchführungsgesetzen und –verordnungen;

f. zugewiesene Aufgaben sind oft ungenau definiert;

g. die Verfassungsmäßigkeit der Übertragung mancher neuer Zuständigkeiten auf die Gemeinden und Regionen erscheint wegen der Art ihrer gesetzlichen Zustandekommens  und zahlreicher Überschneidungen in der Liste der Zuständigkeiten zweifelhaft;

h. die neue Liste von Zuständigkeiten, die das Gesetz über die kommunale und gebietsmäßige (regionale) Selbstverwaltung in der Fassung von 2005 den „großen Städten“ zuzuweisen gedachte, erfordert die Novellierung von an die 35 anderen, für Teilbereiche erlassenen Gesetzen, um die nötige klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zu erreichen. Bisher wurden jedoch nur wenige Schritte in diese Richtung unternommen;

i. die Wahrnehmung verwandter Aufgaben durch den Staat, die Regierungsbezirke und die Gemeinden kann zu einer Situation führen, in welcher der Staat oder die Bezirke den Gemeinden das Ergebnis ihres Handelns vorschreiben können;

j. der Gesamtbetrag der Einkünfte der Gemeinden und Regionen reicht nicht, um ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu befriedigen;

k. der Anteil der Einkünfte, über welche die Gemeinden und Regionen selbst entscheiden können, ist äußerst gering und in einigen Fällen kaum der Rede wert;

l. ein zu hoher Prozentsatz der den Bezirken und „großen Städten“ zugewiesenen Gelder ist bereits zur Gänze für Ausgaben zweckbestimmt, welche die Staatsregierung festgelegt hat;

m. das Gemeindefinanzsystem bietet wenig Möglichkeiten, um die Schwierigkeiten von sehr kleinen Gemeinden zu beheben, die zwar dieselben Zuständigkeiten wie die anderen Gemeinden (ausgenommen die „großen Städte“), aber nur sehr begrenzte Finanzquellen haben;

n. die derzeitige, im Gesetz von 2001 über die kommunale und gebietsmäßige (regionale) Selbstverwaltung enthaltene Bestimmung über die Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften ist zu eng gefasst, was die Bereiche der Zusammenarbeit angeht, und dringt weder auf Zusammenarbeit dort, wo sie nötig wäre, noch sieht sie besondere Verfahren vor, damit die Zusammenarbeit in der Praxis auch tatsächlich erfolgen kann;

o. der kroatischen Gesetzgebung fehlt es an ausreichenden Bestimmungen über die Anhörung der Gemeinden in Fragen, die sie unmittelbar betreffen;

p. nationale Verbände der  kommunalen oder regionalen Selbstverwaltung dürfen nur gegründet werden, wenn über die Hälfte der Gemeinden, Städte oder Bezirke die Gründung eines solchen Verbands beschließt;

q. Kroatien hat bisher die beiden Protokolle zum Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften weder unterzeichnet noch ratifiziert;

8. Empfiehlt den kroatischen Staatsbehörden:

a. auf Initiative des Staatlichen Verwaltungsamtes ein Verfahren einzuleiten, das zur vollen Annahme aller Bestimmungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung führt;

b. die nötigen Schritte zu unternehmen, um die unter dem Dach des Staatlichen Verwaltungsamtes tätige Dezentralisierungskommission als eine dynamische und führende Einrichtung im Dezentralisierungsprozess wiederzubeleben. Ihre Mitgliedschaft, ihr Aufgabenbereich und ihre finanzielle Ausstattung sollten neu geregelt werden;

c. eine allgemeine und systematischere Überprüfung der kommunalen und regionalen Gebietseinteilung als mögliche Lösung des Problems ineffizienter Kleinstgemeinden vorzunehmen;

d. im Falle einer systematischen Überprüfung der Gebietseinteilung besonders die Stellung der Stadt Zagreb zu überdenken;

e. innerhalb der Hauptstadt die Schaffung einer zweiten (niedrigeren) Kommunalverwaltungsebene in Betracht zu ziehen, um auf diese Weise auch für die Hauptstadt unterschiedliche Ebenen örtlicher und regionaler Selbstverwaltung zu gewährleisten;

f. sofortige – entweder gesetzliche oder sonstige - Schritte zur vollständigen Durchführung des Gesetzes über die kommunale und gebietsmäßige (regionale) Selbstverwaltung in der Fassung von 2005 zu ergreifen, um die Zuständigkeiten der Gemeinden und Regionen abzusichern;

g. die Verfassungsmäßigkeit einiger der neu übertragenen Zuständigkeiten und ihr ordnungsgemäßes gesetzliches Zustandekommen zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten;

h. (mittels weiterer Gesetzgebung für Teilbereiche oder auf sonstige Weise) Maßnahmen zu ergreifen, um sich offensichtlich überschneidende oder konkurrierende Zuständigkeiten zwischen Gemeinden und Regionen zu vermeiden und die Zuständigkeiten jeder Verwaltungsebene klar abzugrenzen und dabei sowohl den Gemeinden als auch den Regionen einen „wesentlichen Anteil“ an Befugnissen zu übertragen;

i. sicherzustellen, dass die Klärung der Übertragung von Zuständigkeiten auf die verschiedenen Verwaltungsebenen den Gemeinden genügend Raum für selbstbestimmte Verwaltung im eigenen Wirkungskreis lässt;

j. die Finanzausstattung besonders jener Gemeinden zu verbessern, die wegen ihrer geringen Größe Probleme mit der kommunalen Selbstverwaltung haben;

k. generell den Gemeinden und Regionen mehr Mittel zuzuweisen;

l. die Bereiche, in denen die Gemeinden und Regionen, sich eigene Finanzquellen erschließen und deren Niveau selbst bestimmen können, beträchtlich auszuweiten;

m. die (häufig) vorgegebene Zweckbestimmung von Mitteln zu überprüfen, die den Bezirken und „großen Städten“ für  größere, im Zug der Dezentralisierung übertragene Aufgaben überwiesen wurden;

n. die Gemeinden und Regionen so umfassend wie möglich anzuhören und besonders auf ihre Interessen zu achten, wenn es darum geht, künftig weitere finanzielle Reformen einzuleiten, um die Stabilität und Vorhersehbarkeit der kommunalen und regionalen Finanzausstattung zu gewährleisten;

o. weitere Gesetzesbestimmungen zu erlassen, um die bereits im Gesetz über die kommunale und gebietsmäßige (regionale) Selbstverwaltung (2001) enthaltene Bestimmung über die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden besser zu fassen und dabei Sorge zu tragen, dass insbesondere kleine Gemeinden in die Lage versetzt werden, die gesamte Bandbreite ihrer Aufgaben wahrzunehmen;

p. die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden – im Rahmen ihrer Zuständigkeiten – sowie die Gestaltung des dafür nötigen gesetzlichen Rahmens weiter auszubauen und das Bewusstsein der kommunalen Wahlbeamten für die Bedeutung und die Vorteile der Zusammenarbeit unter Gemeinden zu schärfen;

q. die Anhörung der Gemeinden und Regionen bei der Planung und bei Entscheidungsprozessen in allen sie unmittelbar betreffenden Fragen sowie die Zuweisung der nötigen, umzuverteilenden Mittel gesetzlich zur Pflicht zu machen;

r. angemessene Finanzmittel bereitzustellen, um die Verbände der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in die Lage zu versetzen, ihre verwaltungsmäßigen und professionellen Fähigkeiten auszubauen;

s. mit den Verbänden der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung Verbindung zu halten und sie auf Anhörungsbasis zu beteiligen, wann immer es um Fragen der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung geht;

t. die Abschaffung von Artikel 12 (3) des Gesetzes über die kommunale und gebietsmäßige (regionale) Selbstverwaltung (2001) in Betracht zu ziehen, worin vorgeschrieben wird, dass nationale Gemeinde- oder Regionalverbände nur gegründet werden dürfen, wenn mehr als die Hälfte der Gemeinden, Städte oder Bezirke ihre Gründung beschließt;

u. bereits getroffene Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung von Personal im Dienste der kommunalen oder regionalen Selbstverwaltung wie Hochschullehrgänge und kommunale und regionale Akademien auszuweiten;

v. dem Kongress über vorgesehene Reformen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Durchführung Bericht zu erstatten;

w. die beiden Protokolle zum Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

9. Empfiehlt den kroatischen Gemeinden, ihre gegenseitige Zusammenarbeit so weit wie möglich auszubauen, vor allem hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen;

10. Empfiehlt den Verbänden der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung :

a. sich getrennt oder gemeinsam um die Festigung ihrer repräsentativen Rolle in allen Fragen der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung zu bemühen;

b. ihre verwaltungsmäßige und professionellen Fähigkeiten auszubauen;

11. Empfiehlt dem Ministerkomitee, die vorliegende Empfehlung samt ihren Erläuterungen den Behörden Kroatiens zuzuleiten;

12. Empfiehlt der Parlamentarischen Versammlung, die oben gemachten Anmerkungen und Empfehlungen bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang Kroatien seinen Verpflichtungen nachgekommen ist, zu berücksichtigen;

13. Empfiehlt den für kommunale und regionale Verwaltung zuständigen Behörden Kroatiens :

a. einen hochrangigen Regierungsvertreter für die Teilnahme an einer der Sitzungsperioden des Kongresses zu benennen, um einen vorläufigen Bericht über die eingeleiteten oder geplanten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Empfehlung abzugeben;

b. zur Kenntnis zu nehmen, dass die kroatischen Behörden die Aufforderung erhalten werden, binnen angemessener Frist zu Händen des Präsidenten des Kongresses einen Bericht über die Durchführung der in dieser Empfehlung aufgeführten Maßnahmen vorzulegen.



[1] Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 20. November 2007 (siehe Dokument CG(14)21REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch C. Bijl (Niederlande, L, SOC) und K. Behr (Deutschland, R, EPP/CD), Berichterstatter).