Empfehlung 48 (1998)1 betreffend kommunale und regionale Demokratie in der Ukraine

Der Kongress,

1. Begrüsst den von den Herren Chénard und Bodfish mit Unterstützung eines Beraters erarbeiteten Bericht über kommunale und regionale Demokratie in der Ukraine - das Ergebnis mehrerer Reisen in die Ukraine, worunter auch zu den Gemeinde- und Regionalwahlen am 29. März 1998, und die Frucht von Diskussionen mit Verbänden, Institutionen und Persönlichkeiten in dem Lande;

2. Ruft in Erinnerung, dass die kommunale Selbstverwaltung in der ukrainischen Verfassung definiert und geschützt wird; dass die Ukraine die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung unterzeichnet und ratifiziert hat; und dass sie 1997 ein allgemeines Kommunalgesetz für das Land verabschiedet hat;

3. Erinnert im weiteren daran, dass die Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung bedeutet, dass deren Grundsätze auf die Tätigkeit sämtlicher Organe der kommunalen Selbstverwaltung in der Ukraine Anwendung finden müssen;

4. Erinnert allerdings daran, dass das KGRE-Präsidium seit der letzten KGRE-Plenartagung die Frage der demokratischen Kommunal- und Regionalreform in der Ukraine mehrmals überprüft hat, sodass bereits mehrere Empfehlungen an die ukrainischen Regierungsbehörden und an die Mitglieder des ukrainischen Parlaments gerichtete worden sind;

5. Erinnert daran, dass diese Empfehlungen vor allem betreffen:

a. das Erfordernis eines besseren Gleichgewichts zwischen Zentralstaat und Kommune in der Verwaltung von Kiew und Sebastopol insbesondere allem das Erfordernis, den gewählten Führungspersönlichkeiten und Ratsversammlungen dieser Städte in Übereinstimmung mit Artikel 3 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung ihre eigene, ihnen unterstellte und ihnen gegenüber verantwortliche Verwaltung zu geben;

b. die ebenso wichtige demokratische Reform, durch welche sichergestellt wird, dass die gewählten Regional-, Kreis- und Kommunalräte im ganzen Lande ihre je eigene, ihnen gegenüber verantwortliche und Rechenschaft schuldige Verwaltung haben, und dass das parlamentarische Gesetz über Gebietsverwaltung, das zur Zeit dem Veto vonseiten des Präsidenten unterworfen ist, in Kraft tritt;

c. die Wichtigkeit, das Gesetz betreffend den Status gewählter Ratsmitglieder einzuhalten und zu verstärken, wonach es Gemeinde- und Regionalräten ausdrücklich verboten ist, verantwortungsvolle Posten innerhalb ihrer eigenen Exekutivverwaltungen innezuhaben;

6. Nimmt somit ein legislatives Defizit bezüglich der kommunalen Selbstverwaltung zur Kenntnis, bleibt doch die Gesetzgebung weit hinter der dem KGRE im September 1997 überreichten Liste versprochener Gesetzgebungen zurück, nimmt dazu eine gängige Praxis zur Kenntnis, die nicht immer der Charta entspricht;

7. Beklagt, dass das politische Klima in der Ukraine in letzter Zeit verdorben ist durch einer Konfrontation - unter anderem über Fragen der kommunalen und regionalen Demokratie - zwischen Parlament und Präsident, wobei beide Seiten ängstlich auf ihre Vorrechte und Überlegenheit pochen und die Verfassung jene Klarheit vermissen lässt, die einen Ausweg aus der Sackgasse aufzeigen könnte;

8. Vermerkt, dass diese Konfrontation zu einer Anzahl unwillkommener und Schaden anrichtender Zwischenfälle und Ereignisse geführt hat, worunter:

a. die 1997 erfolgte Absetzung des gewählten Leiters des Stadtrats von Kiew, der - trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofs im Januar 1998 - seine Funktionen nicht wieder aufnehmen konnte und immer noch keinen Zugang hatte zu seinen versiegelten und polizeilich ständig bewachten Büros;

b. die Ersetzung vonseiten der zentralstaatlichen Regierung eines gewählten Bürgermeisters in Jalta durch einen nichtgewählten Beamten in den Wochen vor den Wahlen vom 29. März;

c. eine Reihe beunruhigender, auf einen Konflikt zwischen Gemeinden und Regionen zurückzuführender Vorfälle in Odessa, vor allem während der vor kurzem durchgeführten Wahlkampagne, die ein Wahlklima der Verunsicherung und der Einschüchterung schufen;

9. Erfreut über die hohe Wahlbeteiligung an den Gemeinde- und Regionalwahlen vom 29. März, die beobachtet wurden durch KGRE-Beobachter sowie durch einheimische Beobachter aus den politischen Parteien, die - ausser einer ständigen Einmischung in die Kandidatenlisten von Odessa - am Wahltag selbst keine Unregelmässigkeiten bemerkten;

10. Bedauert jedoch, dass diese Wahlen durch eine Wahlkampagne verunstaltet waren, die sich manchenorts durch Pressezensur und Abschliessen von Debatten; durch ungleichen Zugang zu den Medien je nach Kandidat; Abänderung der Wahlkreise in letzter Minute; Unsicherheit hinsichtlich der direkten Wahl von Leitern für die Ratsversammlungen von Kiew und Sebastopol auszeichneten;

11. Bedauert sehr, dass nach wochenlanger Unsicherheit hinsichtlich der direkten Wahlen der Ratsleiter von Kiew und Sebastopol diese schliesslich am Vorabend der Wahl durch einen Entscheid des Verfassungsgerichtshofs abgesagt und die Einwohner dieser beiden Städte somit der tatsächlichen Ausübung ihrer demokratischen Rechte und Pflichten beraubt wurden;

12. Denkt dennoch, dass die Wahlen in der Ukraine für die kommunale und regionale Demokratie eventuell Fortschritte bringt.

EMPFIEHLT DEN UKRAINISCHEN BEHÖRDEN:

13. dass das neu gewählte Parlament als einigermassen dringliches Geschäft eine mit den Grundsätzen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und der ukrainischen Verfassung - beide garantieren den Gemeinden, Kreisen und Regionen die Selbstverwaltung - übereinstimmende Gesetzgebung entwirft und annimmt;

14. dass das neue Parlament hierbei zwischen der Rolle und dem Verantwortungsbereich der verschiedenen Verwaltungsstufen klar zu unterscheiden weiss.

15. Eine solche Gesetzgebung sollte miteinschliessen:

a. ein neues Statut für Kiew und Sebastopol, das die Rollen der staatlichen und kommunalen Verwaltung klärt und insbesondere dafür sorgt, dass die gewählten Leiter und Ratsversammlungen entsprechend Artikel 3, Abschnitt 2 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über eine je eigene, ihnen unterstellte und ihnen gegenüber verantwortliche Verwaltung verfügen;

b. Vorkehrungen, damit die gewählten Regional-, Kreis- und Gemeindeversammlungen überall in diesem grösseren und ansehnlichen Land in Übereinstimmung mit Artikel 3, Abschnitt 2 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über eine je eigene, ihnen gegenüber verantwortliche Verwaltung verfügen;

c. Vorkehrungen, damit die Regionen, Kreise und Gemeinden über einen ihren Aufgaben angemessenen Haushalt verfügen und die Möglichkeit haben, Steuern am Ort zu erheben;

d. die Klärung der Frage der Privatisierung und des Eigentums von kommunalem Land und Besitz;

e. eine Stärkung und strenge Anwendung des Gesetzes über den Status gewählter Ratsmitglieder, um sicherzustellen, dass diese nicht ein Amt in ihrer eigenen Verwaltung innehaben;

16. Dass der Europarat um Hilfe bei der Ausarbeitung der oben genannten Gesetzgebung gebeten wird;

17. Dass Präsident und Parlament versuchen, zufriedenstellender als bisher zusammenzuarbeiten, um zu gewährleisten, dass die obengenannte Gesetzgebung in kürzestmöglicher Frist angenommen und die gesetzgeberische Lücke dadurch geschlossen wird, und dass sie den Grundsätzen der durch die Ukraine unterzeichneten und ratifizierten Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in besserer Weise entspricht;

18. Dass in Kiew und Sebastopol so bald wie möglich einwandfreie, angemessen überwachte und der geltenden Gesetzgebung entsprechende Wahlen für das Amt des Leiters des Stadtrats durchgeführt werden;

19. Dass die gewählten und die gerichtlichen Organe die Untersuchung der behaupteten Unregelmässigkeiten während der Wahlkampagne (Einschüchterung von Kandidaten, Entführung, Ermordnung eines Wahlbeamten, unzeitige Inhaftierung eines Kandidaten und diverse Gewaltakte) und bei einigen der Gemeinde- und Regionalwahlen am Tag des 29. März zügig durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen;

20. Dass das Entstehen, die Entwicklung und Pflege politisch unabhängiger Gemeindeverbände in der Ukraine ermutigt wird;

21. Dass Entscheide des Obersten Gerichtshofs betreffend kommunale oder regionale Selbstverwaltung respektiert und umgesetzt werden;

Empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarats:

22. In sein Seminar- und Hilfsprogramm für die Ukraine 1998 und 1999 - als Teil des Gemeinsamen Programms mit der Europäischen Union - folgende Themen aufzunehmen:

a. Rolle, Status und Aufgaben von Hauptstädten und grösseren Städten;
b. die Rolle des KGRE bei der Stärkung der Gemeinde- und Regionaldemokratie;
c. Selbstverwaltungsmuster in Europa;
d. Gemeindefinanzen.

23. Die Erfahrungen und das Fachwissen des KGRE in der Komponente "kommunale und regionale Demokratie" seines Monitoring-Verfahrens bei neuen und bei sich um die Mitgliedschaft bewerbenden Staaten in Anspruch zu nehmen.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 27. Mai 1998 und Annahme durch den Kongress am 28. Mai 1998, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (5) 6, Empfehlungsentwurf vorgelegt von Herren A. CHENARD und K. BODFISH, Berichterstatter)