15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29
. Mai 2008

Kinder in der Stadt

Entschließung 258 (2008)[1]

1. Die Städte und Großstädte Europas bieten nicht die sozialen und strukturellen Bedingungen, die für das Wohlergehen und die Entwicklung von Kindern erforderlich sind. Das übermäßige Vorhandensein von Fahrzeugen und der begrenzte Zugang zu öffentlichen Flächen für Kinder verhindern, dass sie die notwendige Autonomie und das notwendige Selbstvertrauen entwickeln, um aufzublühen und in die Gesellschaft integriert zu werden;

2. Die städtische Umwelt stellt keine geeignete Umgebung für Familien und das Heranziehen von Kindern dar, und jene, die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen, verlassen die Innenstädte auf der Suche nach einer besseren Umgebung. Dieser Trend, der noch durch eine demografische Veralterung und geringe Geburtsraten verstärkt wird, schwächt die wirtschaftliche und soziale Vitalität von Städten und Großstädten;

3. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats ist der Überzeugung, dass die Gemeinden auf diese Herausforderungen reagieren und Städte und Großstädte schaffen müssen, die Menschen eine attraktive Umgebung bieten, in der sie leben, arbeiten und eine Familie gründen wollen. Städte und Großstädte müssen Lebensbereiche werden, in denen Kindern eine zentrale Rolle zufällt und die an deren Bedürfnisse angepasst sind und ihre größere Schutzbedürftigkeit berücksichtigen. Dieser inklusive Ansatz würde die Lebensqualität aller Einwohner verbessern und verschiedene Generationen, soziale und kulturelle Gruppen ermutigen, zu interagieren und denselben Raum und dieselben Anlagen zu nutzen;

4. Nachhaltige Städte sind auch kinderfreundliche Städte. Es sind Städte und Großstädte, in denen Mobilitätsvorgaben die eigenständige Benutzung öffentlicher Transportmittel, das Radfahren und zu Fuß gehen fördern und einen exzessiven Einsatz von Autos einschränken. Es sind Orte, an denen Wohnungen, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Parks, Unternehmen und Geschäfte eng beieinander liegen, was der Mobilität förderlich ist;

5. Kindern muss es möglich sein, ihre Umgebung in Besitz zu nehmen und sie zu erkunden, zu verstehen und zu verändern. Sie sollten in der Lage sein, ihren Wohnort, sowohl drinnen als auch draußen, als einen durch sie zu nutzenden Raum zu begreifen. Eine solche Inbesitznahme weckt die Initiative, die Sinne, die Fantasie, die Kreativität und die Autonomie von Kindern. Durch das Erleben öffentlicher Räume nehmen Kinder am Leben der Gemeinde, deren Austausch, Begegnungen und Verantwortungen teil;

6. Das Zuhause bildet das Herzstück der Kinderwelt und daher sollte die Bereitstellung attraktiver und bezahlbarer Wohnungen für Familien in städtischen Gebieten eine Priorität für die Gebietskörperschaften sein. Das Angebot an Wohnungen/Häusern sollte mit den Veränderungen in Lebensstil und Familienstruktur korrespondieren, die in ganz Europa festzustellen sind;


7. Der Kongress ist der Meinung, dass Kinder als vollwertige Bürger anzusehen sind, die der Stadtplanung eine frische Perspektive bieten. Die Gemeinden sollten Kinder in ihre Raumplanung und in die Konsultationsprozesse sowohl bei Projekten, die für ihre Nutzung bestimmt sind, als auch bei anderen an ihrem Ort geplanten Projekten einbeziehen;

8. Die Gebietskörperschaften nehmen eine wichtige Funktion wahr, indem sie eine Politik fördern, die Möglichkeiten offeriert, Arbeits- und Familienleben zugunsten aller Gesellschaftsschichten miteinander zu vereinbaren. Es besteht ein Bedarf an einem Paradigmenwechsel bei den Beteiligten, dem zufolge vorausgesetzt wird, dass alle Arbeiter Familien und Fürsorgepflichten haben – sei es für Kinder, Eltern oder andere Personen – und die Arbeitswelt sollte so flexibel organisiert werden, dass die persönlichen und beruflichen Verantwortungen kombiniert werden können;

9. Der Kongress begrüßt das Programm „Aufbau eines Europas für und mit Kindern“ des Europarats, das die Kinderrechte fördert, ihren Schutz vor Gewalt sicherstellt und ihnen dabei hilft, ihren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft zu finden. Er ist erfreut, in Form von innovativen Praxisbeispielen, die auf kommunaler und regionaler Ebene durchgeführt werden, seinen Beitrag zu leisten;

10. Angesichts des Vorstehenden ruft der Kongress die Gemeinden und Regionen in den Mitgliedstaaten des Europarats auf:

a. kompakte Städte zu entwickeln, in denen Wohnungen, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Geschäfte und Unternehmen nahe beieinander liegen und auf diesem Wege die Belastung der Transportinfrastrukturen mildern und Kinder in die Lage versetzen, leichter von einem Ort zum nächsten zu gelangen;

b. eine Wohnungspolitik auszuarbeiten, welche die Qualität und die Quantität des verfügbaren Wohnraums verbessert, und jungen Familien und schutzbedürftigen Personengruppen bezahlbare Unterkünfte anzubieten, die den Anforderungen heutiger Familienstrukturen Rechnung tragen. Wohneigentum junger Familien sollte gefördert werden, insbesondere durch Partnerschaften zwischen der öffentlichen Hand und dem Privatsektor;

c. die bebaute Umwelt aus der Perspektive von Kindern zu entwerfen, indem sie öffentliche und private Räume für sie einladender und weniger gefährlich gestalten und ihre geringere Körpergröße und größere Schutzbedürftigkeit berücksichtigen, und:

i.          eine integrierte Mobilitätspolitik umsetzen, die bezahlbare, flächendeckende öffentliche Verkehrsnetzwerke und verbesserte Geh- und Radwege bereitstellen, und damit die Straßen sicherer machen und die Nutzung weniger aggressiver Mobilitätsarten fördern;

ii.          Maßnahmen zu ergreifen, um die Straßen für Kinder und Erwachsene durch die Einführung von Fußgängerzonen, 30er-Zonen in Wohngebieten und vor Schulen und „sichere Wege“ zu Schulen und Spielplätzen und Naherholungsgebieten zurückzuerobern;

iii.         das Spielen und die spielerische Mobilität von Kindern zu ermutigen, indem sie die Ausstattung von Straßen und anderen Anlagen, sowohl drinnen als auch draußen, in ausgewiesenen Spielzonen, Grünflächen und im allgemeinem öffentlichen Raum anpassen;

iv.         sicherzustellen, dass Spielflächen gut in die Städte und Großstädte integriert sind und dass die verschiedenen Anlagen interaktiv sind;

v.         naturbelassene Räume in den Städten und Großstädten zu fördern, damit Kinder die Natur erleben können und sie so ihr Bewusstsein einer geografischen Zugehörigkeit und einer soziokulturellen Identität entwickeln können;

d. innovative Strukturen zu entwickeln, z. B. generationsübergreifende öffentliche und private Räume, in denen Jung und Alt sich die Anlagen teilen, und auf diesem Wege den Austausch zu erleichtern, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der spezifischen Erfahrungen und Bedürfnisse jeder Generation. In dieser Hinsicht könnten Schulgebäude außerhalb der Unterrichtszeiten als Gemeinderäume für eine multifunktionale und generationsübergreifende Nutzung betrachtet werden;


e. die Mitwirkung von Kindern an Entscheidungsprozessen im Hinblick auf „ihre“ Räume und darüber hinaus bei allen Aspekten der Raumplanung zu fördern. Der Ansatz könnte Spaß bringen und spielerisch sein und er sollte die Vertrautheit der Kinder mit elektronischen Kommunikationsmitteln nutzen;

f. die Straßensicherheit und die politische Bildung zu verstärken, das Bewusstsein der Kinder über die Notwendigkeit des Umweltschutzes zu vertiefen und sie aufzufordern, ihr Wissen mit den Erwachsenen zu teilen, die vielleicht weniger aufmerksam sind;

g. sich an den europäischen Netzwerken der Gemeinden und Regionen zu beteiligen, insbesondere an den europäischen Netzwerken „Kinderfreundliche Städte“ und „Städte für Kinder“, die sich für den Erfahrungsaustausch und die Förderung innovativer Initiativen für kinderfreundliche Städte und Großstädte einsetzen.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CG(15)9RES, Entschließungsentwurf vorgelegt durch S. Kalev (Estonien, L, NR), Berichterstatter).