Entschliessung 98 (2000)1 betreffend historische Städte in Europa
Der Kongress,
mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,
1. Bekräftigt, dass ein Großteil des bedeutendsten Weltkulturerbes in den historischen Städten Europas zu besichtigen ist. Diese Städte legen Zeugnis ab von der sozialen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklung Europas und beherbergen einige der schönsten architektonischen Beispiele der Jahrhunderte;
2. Ist der Auffassung, dass historische Städte immer der Kern des Kulturlebens ihrer Region sind, Millionen von Besuchern anziehen und so einen bedeutenden Beitrag zur nationalen und europäischen Wirtschaft leisten;
3. Stellt fest, dass historische Städte, obwohl sie zu Beginn des dritten Jahrtausends vor nie da gewesenen Herausforderungen stehen, die einzigartige Fähigkeit besitzen, sich an die Veränderungen anzupassen und ein Vorbild für alle Städte sind, die eine nachhaltige Zukunft anstreben;
4. Fügt hinzu, dass es zwar den meisten Städten in Europa gelungen ist, ihren historischen Kern zu erhalten, viele Gemeinden jedoch nicht über die ausreichenden Mittel oder Kenntnisse verfügen, ihr Erbe zu bewahren;
5. Ist der Auffassung, dass eine der größten Herausforderungen solcher Gemeinschaften darin besteht, ein Gleichgewicht zwischen dem Denkmalschutz und der Wirtschaftsentwicklung zu finden;
6. Ist jedoch der Überzeugung, dass der Schutz des Vermächtnisses der Vergangenheit eine Investition in die Zukunft ist. Die Denkmalschutzpolitik kann dazu beitragen, das Wirtschaftswachstum zu fördern, die Arbeitslosigkeit zu senken und den sozialen Zusammenhalt zu verbessern indem sie den Bürgerstolz und die Kontinuität stärkt;
7. Stellt fest, dass die Gemeinden von den erhöhten Ressourcen, die der Fremdenverkehr mit sich bringt, finanziell profitieren müssen;
8. Verweist auf eine Reihe europäischer Symposien der früheren Ständigen Konferenz, bei denen damals insbesondere der Umgang der Gemeinden in Europa mit ihrem historischen Erbe angesprochen wurde (siehe Anhang 1);
9. Ist der Auffassung, dass es angesichts der geographischen Ausweitung des Europarates an der Zeit ist, diese Symposien wieder zu beleben und dass die neuen Mitgliedstaaten von solchen Symposien profitieren würden;
10. Begrüßt die derzeitige Kampagne des Europarates „Europa, ein gemeinsames Erbe“, bei der die Gemeinden sowohl als Mitglieder der nationalen Ausschüsse, die die Kampagne organisieren als auch als treibende Kraft einiger Pilotprojekte, die die Themen der Kampagne behandeln, eine wichtige Rolle spielen;
11. Begrüßt in diesem Zusammenhang die Gründung eines Europäischen Verbandes historischer Städte und Regionen durch den KGRE, sowohl als Beitrag zu der Kampagne als auch als geeignetes Instrument zur Unterstützung der historischen Städte in Europa;
12. Wünscht in diesem Zusammenhang auf den Zweck, die Ziele und Grundsätze des Verbandes zu verweisen, die in Anhang 2 dieser Entschließung aufgeführt sind;
13. ERSUCHT DIE GEMEINDEN IN EUROPA EINE NACHHALTIGE STRATEGIE FÜR DIE ZUKUNFT DER HISTORISCHEN STÄDTE ZU ENTWICKELN, INSBESONDERE FÜR:
UMWELT UND STADTPLANUNG
14. Den Denkmalschutz in alle anderen politischen Bereiche des städtischen Umfeldes zu integrieren, z.B. Infrastruktur, Verkehrswesen, Umweltschutz, da eine Denkmalschutzpolitik nur dann effizient sein kann, wenn sie Teil einer umfassenden Stadtpflege ist;
15. Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung ihres historischen Erbes und der Archäologie anzuerkennen und ausreichende Finanzmittel für ihren Schutz und ihre Verbesserung zur Verfügung zu stellen;
16. Sicherzustellen, dass die Gesetzgebung über den Schutz von Denkmälern und Stätten ohne Ausnahme für alle staatlichen Institutionen und großen Wirtschafts- und Handelsunternehmen und Interessen gilt;
17. Einen integrierten Ansatz für die Grundstücksnutzung und die Verkehrsplanung zu finden, die die wichtige Rolle eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Verkehrssystems berücksichtigt, das eine sonst glanzlose und monotone Umgebung aufwertet und leichter zugänglich macht;
18. Anzuerkennen, dass das Überleben des historischen Erbes davon abhängt, ob es einen zeitgenössischen Verwendungszweck erhält z.B. Einzelhandel, damit die Gebäude restauriert und instand gehalten werden und das historische Zentrum zu neuem Leben erwacht;
19. Die bestehenden Gebäude wieder zu verwenden und die sog. „braunen Felder“ und bestehenden Grundstücke zu sanieren, statt neue Wohnsiedlungen insbesondere am Stadtrand zu bauen sowie eine attraktive städtische Umgebung zu schaffen, ohne die Landbevölkerung zu stören;
20. Städtedesign und eine qualitativ hochwertige moderne Architektur zu unterstützen, die den Beitrag des 21. Jahrhunderts zur Qualität der historischen Städte widerspiegeln;
WIRTSCHAFT
21. Eine Mischung verschiedener Funktionen in den historischen Gemeinden zu schaffen insbesondere Einzelhandel, Wohnungsbau, Kleinunternehmen und Straßenaktivitäten, Veranstaltungen und Festivals, damit die Vitalität und Lebensfähigkeit der historischen Zentren sichergestellt und beibehalten werden;
22. Komplementäre Wirtschaftsstrategien zu entwickeln, die die Bedeutung des Kulturerbes als positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Lebensqualität widerspiegeln;
23. Den Fremdenverkehr, der eine wichtige Wirtschaftsaktivität ist, zu fördern, denn er kann die notwendigen Investitionen mitsichbringen, muss aber auch gepflegt werden, damit der wirtschaftliche Nutzen nicht auf Kosten der Umweltzerstörung geht;
24. Die entstehende „Wirtschaft des Wissens“ zu untersuchen, die eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit in Gegenden mit einer hohen Lebensqualität, wie den historischen Städten, anbieten kann.
SOZIAL
25. Die Wirtschaftsentwicklung und -politik zum Schutz des historischen Erbes mit ergänzenden Sozialmaßnahmen zu verbinden, z.B. Planung für lebende Gemeinschaften, einschließlich sozialer Wohnungsbau und Ausarbeitung einer Politik für die Sicherheit in den Stadtzentren;
26. Sicherzustellen, dass die Bevölkerung an allen Entscheidungen, die große Auswirkungen auf das kulturelle und historische Erbe haben, beteiligt wird in Anerkennung der Tatsache, dass die Beteiligung der Gemeinschaft an den demokratischen Entscheidungen, die die historischen Städte betreffen, ein wichtiger Faktor zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit und der sozialen Einbeziehung ist;
27. Die lokale Identität, die ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts und des Bürgerstolzes ist, zu erhalten und zu fördern;
FINANZEN, RESSOURCEN UND PARTNERSCHAFT
28. Im Finanzbereich anzuerkennen, dass Finanzressourcen nicht nur für die Sanierung des Erbes, sondern auch für die Instandhaltung und die Pflege des Erbes nötig sind. Außerdem sind Finanzmittel für die Verschönerung der Umgebung der Gebäude und nicht nur für die Gebäude selbst erforderlich;
29. Eine weitsichtige, klare und feste Stadtplanung und -pflege zu entwickeln, um ein günstiges Umfeld für die Denkmalpflege zu schaffen, die bestehenden Finanzressourcen so gut wie möglich zu nutzen und zusätzliche Ressourcen aus dem privaten Sektor zu gewinnen;
30. Folgende Steuer- und Finanzmechanismen zu nutzen:
- Besteuerung von Besitzern, die vorsätzlich ihren historischen Besitz verfallen lassen;
- Architekturbüros, die die Gemeinden den Besitzern und Geschäftsleuten zur Verfügung stellen, die ihren Besitz instand setzen wollen;
- Umlauffonds, zinsgünstige Darlehen, Steuranreize für Besitzer und Pächter für die Sanierung des Besitzes sowie Partnerschaften zwischen National- und Gemeindebehörden und Anwohnern;
- Möglichkeit des Ankaufs historischer Gebäude zu niedrigen Preisen unter der Voraussetzung, dass sie saniert werden;
- Niedrige Mehrwertsteuersätze und günstige Steuerbedingungen bei der Erbfolge;
31. Die Zusammenarbeit zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor durch Diskussionen über die Entwicklung anzuregen sowie Gemeinschaftsunternehmen zu entwickeln, um Finanzmittel aus dem Privatsektor zu gewinnen;
32. Sich an Partnerschaftsprojekten mit anderen historischen Städten zu beteiligen, um so die Finanzierung sicherzustellen und den Austausch von Erfahrungen und guten Praktiken zu erleichtern.
WERBUNG UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
33. Die Information, Werbung und Politik im Bereich Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern, da diese bei einem erfolgreichen Sanierungsplan eine wesentliche Rolle spielen müssen;
34. Zu akzeptieren, dass Informationen und Werbung von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Programme zur Denkmalpflege und Stadtsanierung sein sollten mit eigenen Finanzmitteln und Mitarbeitern, die für die Informationen über solche Programme von und an die Bewohner, Bauunternehmer, Investoren usw. verantwortlich sind;
35. Gleichermaßen zu akzeptieren, dass das Marketing und die Werbung für beispielhafte Projekte, die Verbesserung des Images einer Region oder Stadt als Investitionsanreiz und der Glaube an die architektonische Erhaltung als Verkaufsargument ein wesentlicher Bestandteil aller großen Aufwertungsprogramme sein sollten;
36. Anzuerkennen, dass Ausstellungen, audiovisuelles Material und das Internet sowie kleine Workshops mit den Anwohnern, hochrangige Medienveranstaltungen, qualitativ hochwertige Veröffentlichungen, Embleme, Logos und insbesondere die Beteiligung der Kinder an werbewirksamen Sanierungsprogrammen zur Verbesserung des Informationsflusses erforderlich sind;
37. Die Gründung nationaler Verbände historischer Städte in den Ländern anzuregen, in denen sie noch nicht existieren;
38. Die Mitgliedschaft der nationalen Verbände historischer Städte, wo diese bestehen, im Europäischen Verband der historischen Städte und Regionen anzuregen;
39. Die Gemeinden aufzufordern, eine wichtige Rolle bei der laufenden Kampagne des Europarates „Europa, ein gemeinsames Erbe“ und den Folgearbeiten zu spielen;
40. ERSUCHT DEN KGRE:
41. Die Arbeit und Ziele des Europäischen Verbandes historischer Städte zu unterstützen und fordert hierzu den zuständigen Fachausschuss auf, die beste Art und Weise hierfür zu finden;
42. Die Organisation eines künftigen Symposiums über historische Städte zu einem Thema, Zeitpunkt und Ort zu erwägen, den der zuständige Ausschuss des KGRE in Konsultation mit dem Büro des Verbandes historischer Städte und Regionen vorschlagen wird;
43. Eine wichtige Rolle bei den Folgearbeiten der laufenden Kampagne des Europarates „Europa, ein gemeinsames Erbe“ zu spielen;
44. Die Stärkung der bestehenden Partnerschaften zwischen historischen Städten sowie die Einrichtung neuer Partnerschaften anzuregen;
45. Den Informationsaustausch zwischen historischen Städten über entsprechende Internetseiten anzuregen.
Anhang 1
Reihe der Europäischen Symposien historischer Städte
1971 – 1992
Europäisches Symposium über die Interessen historischer Städte, Split (Jugoslawien), 20. - 23. Oktober 1971
Zweites Europäisches Symposium historischer Städte, Straßburg (Frankreich), 30. September - 2. Oktober 1976
Drittes Europäisches Symposium historischer Städte, München/Landshut, Bayern (Deutschland), 29. November – 1. Dezember 1976
Viertes Europäisches Symposium historischer Städte, Fribourg (Schweiz), 14. - 16. Oktober 1981
Fünftes Europäisches Symposium historischer Städte, Sevilla (Spanien), 8. – 10. Mai 1985
Sechstes Europäisches Symposium historischer Städte, Cambridge (Vereinigtes Königreich), 20.- 22. September 1989
Siebtes Europäisches Symposium historischer Städte, Istanbul (Türkei), 16. - 18. September 1992
Anhang 2
Ziel, Zweck und Grundsätze des Europäischen Verbandes
historischer Städte und Regionen
ZWECK
Förderung der Interessen der europäischen historischen Städte und Regionen.
GRUNDSÄTZE
Der Verband ist bestrebt, die Schlüsselprinzipien der demokratischen Verantwortung und Solidarität der Mitglieder bei der Verfolgung seiner Ziele und Durchführung seiner Aktivitäten hochzuhalten.
ZIELE
Internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Denkmalpflege und Kulturerbe durch:
- Schaffung und Entwicklung eines europäischen Netzes von Verbänden historischer Städte;
- Unterstützung bei der Einrichtung nationaler Verbände historischer Städte in Ländern, in denen diese noch nicht existieren,
- Zusammenarbeit mit anderen europäischen Institutionen und Organisationen zur Sicherstellung einer effektiven Koordination und Beteiligung;
- regionale Zusammenarbeit zwischen historischen Städten.
Beteiligung an Kampagnen für das europäische Kulturerbe wie die des Europarates und der Europäischen Union.
Austausch von Erfahrungen und guten Praktiken in allen Aspekten der Denkmalpflege und Verwaltung des europäischen Kulturerbes.
Einsatz für die Vitalität, Existenzfähigkeit und Nachhaltigkeit historischer Städte in der Überzeugung, dass die Erhaltung des Kulturerbes die wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördert.
Sicherstellung, dass die europäischen politischen Entscheidungsorgane die besonderen Bedürfnisse und Interessen historischer Städte und ihrer Bewohner anerkennen und berücksichtigen.
Eine angemessene nationale Gesetzgebung zum Schutz und zur Pflege des historischen Erbes historischer Städte Europas.
Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedeutung und den Wert des europäischen Kulturerbes.
Unterstützung der europäischen Partnerschaften zwischen historischen Städten einschließlich der Unterstützung bei der Bewerbung um Finanzierung und Projekte.
Förderung und Verbesserung der Bildung und Ausbildung in den Bereichen Denkmalpflege und Kulturerbe.
1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 24. Mai 2000 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss am 25. Mai 2000 (siehe Dok. CPL (7) 5, Entschliessungsentwurf, vorgelegt durch Herrn C. Chirita, Berichterstatter).