17. PLENARTAGUNG
Straßburg, 13. – 15. Oktober 2009

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa

Entschliessung 286 (2009)[1]

1. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Regionen ist ein wichtiger Teil der Arbeit des Europarats zur Förderung demokratischer Stabilität und guter Nachbarschaft zwischen den Staaten und Regionen und damit der Werte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte der Organisation, zu denen die Rechte von Minderheiten und die Sicherung der kulturellen Vielfalt zählen. Es ist eine politische Schlüsselaufgabe des Europarats, die in Partnerschaft mit den staatlichen Organen in jedem Bereich auf regionaler/lokaler Ebene umgesetzt werden muss.

2 Seit dem letzten Bericht des Kongresses zu diesem Thema[2] hat sich die Situation der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa entscheidend verändert. Die Bemühungen für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit wurden erheblich ausgeweitet; das Ministerkomitee hat die Empfehlung (2005)2 über gute Praktiken für die und Abbau von Hürden bei der grenzüberschreitenden und internationalen Zusammenarbeit zwischen territorialen Gemeinschaften oder Behörden verabschiedet; das Projekt „Matching Opportunities for Regions in Europe – MORE” wurde eingerichtet, um lokale und regionale Stellen bei ihrer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu unterstützen; die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat die Empfehlung 1829(2008) über grenzüberschreitende Zusammenarbeit verabschiedet; der Kongress hat zwei Euroregionen gestartet.

3 Die von lokalen und regionalen Stellen organisierte und umgesetzte grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird von jenen Behörden ausgeübt, die den Bürgern im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Partnerschaft am nächsten sind. Dank dieser Nähe konzentriert sich die Zusammenarbeit auf die Hauptanliegen der Behörden, Bürger und Strukturen in diesen Bereichen und kann sich mit den konkreten Fragen beschäftigen, mit denen die Grenzregionen konfrontiert sind.


4. Das konkrete Wissen und die Kompetenzen anderer lokaler Akteure, wie z. B. NRO, lokale Unternehmen, Gewerkschaften und andere Strukturen, sind die Grundlage der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Sie tragen zur sozioökonomischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Grenzregionen bei, z. B. indem sie die Sprache des Nachbarn erlernen, Kooperationen zwischen Schulen und Jugendorganisationen einrichten, Verbünde bilden, innovative Ideen austauschen, gemeinsam finanzierte Forschung betreiben, etc.

5. Grenzen können Gebiete mit einer gemeinsamen Kultur trennen, so wie sie auch Gebiete mit unterschiedlichen Kulturen trennen können. Wo die Kulturen sich unterscheiden, kann die grenzüberschreitende Zusammenarbeit diese innerhalb der Grenzregionen zusammenbringen, um den Austausch zwischen Gruppen mit unterschiedlichem ethischen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Hintergrund zu fördern und um auf diesem Wege zur sozialen und kulturellen Integration, zum gegenseitigen Vertrauen und einer Kultur der Toleranz beizutragen, was im Hinblick auf die Vermeidung von Konflikten nur von Vorteil sein kann.

6. Die Vielfalt Europas, die sich in seinem sozialen und kulturellen Leben und in seinen Verwaltungs- und politischen Strukturen widerspiegelt, trifft im grenzüberschreitenden Austausch aufeinander. Diese Unterschiede, die nicht durch die Harmonisierung nationaler Gesetze überwunden werden können, können dank der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf lokaler und regionaler Ebene miteinander versöhnt werden, und sie trägt dazu bei, grenzüberschreitende Konflikte zu verhindern und psychologische Hürden zu überwinden.

7. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit trägt auf diesem Wege zu einem größeren sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt in Europa bei.

8. Verschiedene Finanzierungshilfen der Europäischen Union (EU), wie z. B. das Interreg-Programm, das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) und das Instrument für Heranführungshilfe (IPA), sind wichtige Hilfen bei der erfolgreichen Umsetzung der grenzüberschreitenden Programme für Zusammenarbeit.

9. Was den Kongress betrifft, so ist sich dieser bewusst, dass diese Formen der Zusammenarbeit aufgrund der Nähe der lokalen und regionalen Stellen zu den Bürgern verstärkt Möglichkeiten für die Mitwirkung der Bürger bieten.

10. Der Kongress unterstreicht die Tatsache, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht die Gründung von Verwaltungsebenen erfordert, sondern entweder sofort oder langfristig organisiert werden kann, auf der Basis einer offiziellen oder inoffiziellen Vereinbarung mit oder ohne konkretem rechtlichen Status.

11. Außerdem ist der Kongress der Überzeugung, dass grenzüberschreitende PPP (public-private partnerships) zur wirtschaftlichen Entwicklung der Grenzregionen beitragen können. Darüber hinaus kann die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur europäischen Integration, zur wirtschaftlichen Entwicklung der europäischen Regionen, zur Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts, zur Förderung der aktiven Mitwirkung aller Bürger und zum interkulturellen Dialog beitragen.

12. Der Kongress verweist auf die erfolgreichen Ergebnisse der Programme und Projekte für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die sich mit konkreten Problemen der Grenzregionen befassen, und der lange bestehenden Zusammenarbeit zwischen den grenzüberschreitenden Strukturen, wie z. B. dem Gebiet am Oberrhein. Dieses Gebiet hat seine eigene Euroregion-Initiative gestartet, namentlich die Adria-Euroregion und die Schwarzmeer-Euroregion.

13. Angesichts dieser Tatsachen ist der Kongress der Meinung, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine der Prioritäten in den kommenden zehn Jahren sein muss.


14. Aus diesem Grund weist er seine Arbeitsgruppe für interregionale Zusammenarbeit an, die Entwicklung der interterritorialen, i.e. grenzüberschreitenden und interregionalen Zusammenarbeit in ihren verschiedenen Formen zu überwachen. Die Arbeitsgruppe könnte insbesondere den Betrieb und die Entwicklung verschiedener bestehender Strukturen für die Zusammenarbeit, z. B. der Euroregionen, sowie studienspezifische Themen analysieren, wie z. B. Minderheiten in Grenzgebieten, und ihre Ergebnisse an die entsprechenden Organe des Kongresses und/oder des Europarats weiterleiten.

15. Darüber hinaus fordert der Kongress die Gemeinden und Regionen der Mitgliedstaaten des Europarats auf:

a. auf historischen und kulturellen Verbindungen aufzubauen, indem sie sich an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beteiligen, um Brücken und Vertrauen zwischen allen Bürgern aufzubauen und den interkulturellen Dialog und die gute Nachbarschaft zwischen den Regionen und Staaten zu fördern;

b. Strukturen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einzurichten, wo erforderlich, oder bestehende zu nutzen, z. B. Euroregionen oder ähnliche Vereinbarungen, um grenzspezifische Themen zu behandeln oder die Kräfte zu vereinen, um von dem Fachwissen und den besten Praktiken von beiden Seiten der Grenze zu profitieren, z. B. bei der Bereitstellung von medizinischer Versorgung, Notfallplänen, Umweltschutz, etc.

c. Ungleichheiten zwischen den Regionen abzubauen, indem sie das regionale Wirtschaftswachstum durch die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, Handelskammern, Universitäten und Forschungsinstituten fördern, um Infrastruktur, Transport, Tourismus, Bildung, Forschung, Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern, den Arbeitsmarkt zu öffnen und durch grenzüberschreitende Kooperationsabkommen zusätzliche Arbeitsplätze in den Grenzregionen zu schaffen.

d. die Mobilität der europäischen Bürger zu verbessern, indem sie mit den nationalen Regierungen daran arbeiten, Lösungen für die Hürden zu finden, die durch die Grenzen bestehen, wie z. B. aktuelle Visumsregelungen, Zollabfertigungsbestimmungen, Engpässe an den Grenzübergängen, etc.;

e. den Austausch von Experten zu fördern, insbesondere mit osteuropäischen Staaten, um technische und verwaltungstechnische Unterstützung anzubieten und den Austausch bester Praktiken zu fördern, indem sie die Verfügbarkeit angemessener nationaler und europäischer Mittel für die Entwicklung eines solchen Austauschs sicherstellen.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 13. Oktober 2009, 1. Sitzung (siehe Dokument CG(17)5, Begründungstext, Berichterstatter : K.H. Lambertz, Belgium (R, SOZ)).

[2] Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Ein wichtiger Faktor der demokratischen Stabilität in Europa, Hans‑Martin TSCHUDI, 2002.