DREIZEHNTE TAGUNG
(Herbsttagung, Moskau, 14. – 15. November 2006)
Empfehlung 202 (2006) 1
über
Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien und Herzegowina
1 Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 14. November 2006 (siehe Dokument CG(13)30, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch C. Newbury (Vereinigtes Königreich, L, EVP/CD) und K. Behr (Deutschland, R, EVP/CD), Berichterstatter).
Der Kongress,
1. Unter Verweis auf:
a. die Statutarische Entschließung (2000) 1 des Ministerkomitees, die festlegt, dass „der Kongress regelmäßig – Land für Land - Berichte über die Situation der Gemeinde- und Regionaldemokratie in sämtlichen Mitgliedstaaten sowie in den sich um einen Beitritt zum Europarat bewerbenden Staaten ausarbeitet und sich insbesondere um die tatsächliche Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung kümmert;
b. den Zwischenbericht über die Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien und Herzegowina, der von Haegi und Martini ausgearbeitet und am 2. März 2000 vom Ständigen Ausschuss verabschiedet wurde;
c. die Empfehlung 103 (2001) des Kongresses über die Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien und Herzegowina und den Begründungstext CG (8) 23, Teil II, vorgelegt von Newbury und Kittelmann, Berichterstatter, den der Ständige Ausschuss am 9. November 2001 verabschiedete;
d. das Orientierungsdokument der Gruppe der Berichterstatter über die Demokratie des Ministerkomitees betreffend „die Kooperation des Europarates mit Bosnien und Herzegowina (GR‑DEM(2006)4, 20. Dezember 2005);
e. die Entscheidung des Institutionellen Ausschusses des Kongresses vom 15. April 2005, einen weiteren Bericht über Bosnien und Herzegowina zu erstellen, um den Stand der Gemeinde- und Regionaldemokratie in diesem Land nach den ersten Jahren der Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung zu prüfen (in Kraft seit dem 1. November 2002);
f. die jüngsten Besuche der Berichterstatter Newbury (Vereinigtes Königreich) und Behr (Deutschland) in Bosnien und Herzegowina sowie ihre Begegnungen mit Vertretern des Staates, der Entitäten, der Kantone, der Gebietskörperschaften und der Gemeindeverbände;
g. die Entschließung 1513 (2006) über die Reform der Verfassung in Bosnien und Herzegowina, die die Parlamentarische Versammlung am 29. Juni 2006 (21. Tagung) verabschiedete;
2. In der Erwägung, dass:
a. die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung von Bosnien und Herzegowina unterzeichnet und ratifiziert wurde und am 1. November 2002 in Kraft trat;
b. die institutionelle Struktur von Bosnien und Herzegowina und seiner Entitäten – der Föderation von Bosnien und Herzegowina und die Republika Srpska – sehr komplex ist und aufgrund der Multiethnizität Besonderheiten aufweist;
c. die Gesetzgebung über die kommunale Selbstverwaltung in der Republika Srpska und der Föderation grundsätzlich mit den Prinzipien der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar ist, jedoch weiterhin einige Probleme bestehen;
3. Verweist auf größere Probleme bei der Funktionsweise der Gemeinde- und Regionaldemokratie in Bosnien und Herzegowina:
a. auf staatlicher Ebene gibt es immer noch keine Garantie in der Verfassung, die klar die Beziehung zwischen den verschiedenen Ebenen der kommunalen Selbstverwaltung regelt;
b. es obliegt nicht ausdrücklich dem Zentralstaat in Bosnien und Herzegowina, den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zu regeln und daher seinen Pflichten nach der Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung nachzukommen;
c. der Föderation fehlt immer noch eine klare Verfassungsgrundlage, die es ihr erlaubt, Gesetze im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zu erlassen;
d. die Gesetzgebung der Entitäten im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung ist allgemein mit den Prinzipien der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar, aber zahlreiche Bestimmungen sind noch sehr vage und sollten konkret in den Durchführungsvorschriften zur Umsetzung festgelegt werden. Die bereits existierenden stehen nicht immer im Einklang mit den Gesetzen für die kommunale Selbstverwaltung der Entitäten;
e. die Gemeinden weiterhin sind sehr stark abhängig von den Finanzmitteln, die von den übergeordneten Behörden übertragen wurden. Bisher wurde keine juristisch bindende Lösung zur Umverteilung der vor kurzem eingeführten Mehrwertsteuer verabschiedet. Die tatsächlichen kommunalen Steuereinnahmen sind in beiden Entitäten sehr gering, insbesondere seit vor kurzem die kommunale Verkaufssteuer abgeschafft wurde;
f. aufgrund der geringen Größe einiger Gemeinden, die oft aus ihrer Teilung nach dem ethnischen Konflikt entstand, kann die Gemeindeverwaltung nicht richtig gewährleistet werden;
g. die große Komplexität der Verwaltungsstrukturen behindert die Gemeindeverwaltung. Insbesondere in der Föderation erfordern die Befugnisse der Kantone im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, die eine zusätzliche Verwaltungsebene darstellen sowie die Verteilung der Finanzmittel große Finanz- und Verwaltungsmittel und gefährden oft die Effizienz und die Neutralität der Verwaltungsentscheidungen;
h. die transversale Kommunikation zwischen den verschiedenen Behörden der beiden Entitäten ist sehr gering und die Kooperation zwischen den Gemeinden, die sich nicht aus den gleichen Volksgruppen zusammensetzen, schreitet nur langsam voran. Die Kommunikationsprobleme zwischen den Kantonen der Föderation mit unterschiedlichen ethnischen Mehrheiten bestehen weiterhin. Die Gemeindeverbände beginnen zusammenzuarbeiten, sind aber noch weit entfernt von einer engen Kooperation oder einer Union;
i. keine der Entitäten hat bisher konkrete Rechtsvorschriften für das Gemeindeeigentum erlassen;
j. die ethnischen Kriterien bestimmen weiterhin oft die Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten;
k. die folgenden Konventionen des Europarates wurden von Bosnien und Herzegowina unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert :
i. die Europäische Rahmenkonvention über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften,
ii. die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen;
4. Empfiehlt :
allen Behörden :
a. mit Hilfe der Verfassungs-, Legislativ- und Verwaltungspolitik auf allen Ebenen die staatliche Verwaltungsstruktur zu vereinfachen;
b. mit Hilfe der Verfassungs- und Legislativpolitik auf allen Ebenen die ethnischen Kriterien bei der Ausübung der politischen Rechte zu verringern und schließlich abzuschaffen und die notwendigen Übergangsvorschriften zum Schutz der Minderheiten zu berücksichtigen;
dem Staat Bosnien und Herzegowina:
c. angesichts der internationalen Verantwortung von Bosnien und Herzegowina für die Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung eine Garantie in die Verfassung einzufügen, die klar die Beziehung zwischen den verschiedenen Ebenen der kommunalen Selbstverwaltung regelt;
d. gemäß seinen internen Verfahren die folgenden Konventionen des Europarates zu ratifizieren und darauf zu achten, dass sie für alle staatlichen Ebenen bindend sind:
i. die Europäische Rahmenkonvention über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften,
ii. die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen;
den Entitäten:
e. dass die Föderation von Bosnien und Herzegowina seine Verfassung abändert, um die Befugnis, Gesetze für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zu erlassen, zu klären;
f. dass die beiden Entitäten alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Umsetzung ihrer Gesetzgebung im Bereich der Gemeinde- und Regionaldemokratie zu gewährleisten und hierzu entsprechende vereinfachte Rechts- und Verwaltungsverfahren einrichten. Die notwendigen Durchführungsvorschriften sollten rechtzeitig verabschiedet werden;
g. dass die beiden Entitäten entsprechende Gesetze über die Umverteilung der Einnahmen aus der neuen Mehrwertsteuer (MwSt) verabschieden und den Gemeinden angemessene Eigenmittel zuweisen, ohne jedoch hierdurch Kontrolle auszuüben. Es wäre gut, klare Kriterien (Zuweisungsschlüssel für einen Teil der Steuereinnahmen an die Gemeinden) für die Umverteilung der MwSt zu definieren und die weniger wohlhabenden Gemeinden zu stützen. Die Gemeinden sind bei diesem Verfahren zu konsultieren;
h. angesichts der jüngsten Abschaffung der kommunalen Verkaufssteuer darauf zu achten, dass die Gemeinden zumindest einen Teil ihrer Finanzmittel aus Gebühren und Gemeindesteuern erhalten, gemäß Artikel 9.3 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung;
i. sich zu bemühen, eine Reform ihrer territorialen Strukturen durchzuführen und sich insbesondere auf die Einrichtung von Gemeinden zu konzentrieren, die groß genug sind, damit die kommunale Verantwortung angemessen ausgeübt werden kann;
j. angesichts der recht strengen rechtlichen Beschränkung der Verwaltungskontrolle der Gemeinden, ständig die Ausübung dieser Kontrolle zu beobachten, damit mögliche illegale Praktiken erfasst und abgestellt werden;
k. dass die Föderation von Bosnien und Herzegowina die Möglichkeit vorsieht, die Befugnisse der Kantone bei der kommunalen Selbstverwaltung und insbesondere die Kontroll- und Finanzbefugnisse auf die Entitäten zu übertragen. Dies würde eine Konzentration und eine unparteiische Ausübung der Befugnisse auf Ebene der Entitäten erlauben, möglicherweise im Rahmen eines Bundesministeriums der kommunalen Selbstverwaltung. Falls Kantone als notwendig erachtet werden, sollten sie eine zweite Gemeindeebene bilden;
l. dass angesichts der fehlenden Befugnisse des Staates Bosnien und Herzegowina im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung derzeit und angesichts seiner Unfähigkeit, seine Verpflichtungen nach der Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung voll und ganz zu erfüllen, die beiden Entitäten gemäß ihren internen Verfahren die Europäische Charta der kommunale Selbstverwaltung in ihre jeweiligen Gesetzen aufnehmen und Mechanismen beschließen, um ihre Verantwortung gegenüber dem Staat zu definieren;
m. dass die beiden Entitäten Programme einrichten, um die Annäherung und die Kooperation zwischen beiden Gemeinden zu fördern, insbesondere zwischen den Gemeinden, die sich nicht aus den gleichen ethnischen Volksgruppen zusammensetzen und den Dialog zwischen ihren Gemeindeverbänden im Hinblick auf eine mögliche Union verstärken;
n. das Gesetz über Gemeindeeigentum an die Realität anzupassen;
den Gemeinden:
o. dass die Gemeinden der beiden Entitäten insbesondere die, die keine unterschiedlichen ethnischen Mehrheitsbevölkerungen haben, eine enge individuelle Kooperation einführen und beibehalten, aber auch zwischen bestehenden Gemeindeverbänden in beiden Entitäten, im Hinblick auf eine mögliche Union;
dem Ministerkomitee:
p. die vorliegende Empfehlung und ihren Begründungstext an die Behörden von Bosnien und Herzegowina weiterzuleiten;
der Parlamentarischen Versammlung:
q. die vorangegangenen Bemerkungen und Empfehlungen bei der Überwachung der Einhaltung der von Bosnien und Herzegowina eingegangenen Verpflichtungen zu berücksichtigen.
den Behörden von Bosnien und Herzegowina, die für die kommunale und regionale Selbstverwaltung zuständig sind:
r. dem Präsidenten des Kongresses vor dem 1. Dezember 2008 einen schriftlichen Bericht vorzulegen, in dem detailliert die zur Umsetzung der Empfehlung ergriffenen Maßnahmen dargelegt werden;
s. einen hohen Regierungsvertreter vor Ablauf dieser Frist zu benennen, der bei einer der Tagungen des Kongresses über die ergriffenen und/oder beabsichtigten Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlung Bericht erstatten kann;