27. TAGUNG
Straßburg, 14.-16. Oktober 2014
Förderung der Vielfalt durch interkulturelle Erziehung und Kommunikationsstrategien
Empfehlung 365 (2014) [1]
1. Die Bevölkerung in Europa wird in einem rasanten Tempo immer vielfältiger und es ist heute der Fall, dass nicht nur in den Großstädten, sondern auch in kleinen Kommunen und Gemeinden immer häufiger lokale Bevölkerungen mit vielfältiger ethnischer, kultureller und religiöser Herkunft leben. Ethnische Minderheiten, ausländische Bewohner, Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge und Bewohner mit Migrationshintergrund bilden eine europäische Bevölkerung, die nicht nur stärker wächst als in den vorausgegangenen Jahrzehnten, sondern auch integraler Bestandteil des Sozialgewebes unserer Gesellschaften ist. Heute stellen diese Menschen aufgrund ihres wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beitrags eine große Macht dar.
2. Die Vielfalt der Bevölkerung ist eine breit gefächerte Quelle für Innovation, Wachstum und die kommunale wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung, die eine Öffnung gegenüber anderen Kulturen und das Einfließen neuer Kenntnisse, Methodologien, Fähigkeiten und Ideen ermöglicht, die die Kreativität einer Gesellschaft erhöht und sie besser auf neue Situationen, Krisen und Herausforderungen vorbereitet. Im kulturellen Bereich ist Vielfalt eine Quelle der Bereicherung, die sich in Literatur, Film, Kunst, Sport, in der Küche und in der Mode und in vielen weiteren Ausdrucksformen und Arten von Aktivitäten niederschlägt. Diese Kreativität ist auch eine Quelle für die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Standortattraktivität für Industrien und Firmen, die auf der Suche nach innovativen Ideen sind.
3. Aus diesem Grund hat sich das Paradigma für den Aufbau der Gesellschaft in Europa verändert. Während wir in der Vergangenheit bestrebt waren, eine soziale Kohäsion auf der Basis von Homogenität zu erzielen, finden wir uns heute in einer interkulturellen Gesellschaft wieder. Der Bericht der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten des Europarats mit dem Titel „Zusammenleben. Die Verbindung von Vielfalt und Freiheit im Europa des 21. Jahrhunderts"[2] nennt die europäische Vielfalt die größte Herausforderung für die moderne Demokratie. Dieser Bericht unterstreicht die wichtige Rolle der kommunalen und regionalen Stellen bei der effektiven Reaktion auf diese Situation sowie ihre Rolle beim Aufbau harmonischer interkultureller Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
4. Es gibt aber immer noch viel zu häufig einen gewissen Widerstand und Widerwillen unter der lokalen Bevölkerung, wenn es um die Frage geht, die kulturelle Vielfalt als bereichernden Faktor anzuerkennen, und diese werden durch Vorurteile und falsche Einstellungen, die auf Gerüchten, Stereotypen und Fehlinformationen basieren, angestachelt. Diese Vorurteile, die häufig auf Unkenntnis über andere Kulturen zurückzuführen sind, beeinflussen weiterhin die Art und Weise, wie Menschen sich gegenseitig sehen. Dieser Widerstand basiert auch auf subjektiveren und unbewussten Vorstellungen, die das Konzept der kulturellen Vielfalt mit dem Konzept der „ausländischen", „Migranten-" oder „Minderheiten"-Kultur verknüpfen, die eine Bedrohung der Mehrheitskultur darstellt. Die Unkenntnis über die Vorteile von Vielfalt ist damit eine große Hürde der interkulturellen Aktion.
5. Der Kongress ist sich sicher, dass Vielfalt und das kulturelle Erbe der Bevölkerungsgruppen ein großer Reichtum für europäische Gesellschaften darstellen und ein besseres Verständnis für die Vorteile der Vielfalt eine Voraussetzung für eine veränderte Haltung der Bevölkerung und der Behörden ist, was die Ausarbeitung einer Politik erfordert, die alle sozialen, ethnischen und kulturellen Gruppen und einen Bildungsansatz einschließen muss, der auf interkultureller Kommunikation und einem interkulturellen Unterricht basiert.
6. In dieser Hinsicht bestätigt der Kongress erneut die Relevanz seiner Empfehlungen 261 (2009) über „Interkulturelle Städte”, 304 (2011) über den „Umgang mit der Herausforderung von interkonfessionellen und interkulturellen Spannungen auf kommunaler Ebene”, 347 (2013) über den „Zugang von Migranten zu regionalen Arbeitsmärkten” und 343 (2013) über „Integration durch Selbständigkeit: Förderung des Unternehmertums von Migranten in europäischen Gemeinden” sowie der Empfehlung CM/Rec(2010)7 über die Charta des Europarats politische Bildung und Menschenrechtsbildung[3] und der Empfehlung 2005 (2014) der Parlamentarischen Versammlung über „Identitäten und Vielfalt in interkulturellen Gesellschaften”.
7. Der Kongress nimmt die Arbeit des Europarats zum Erstellen eines Empfehlungsentwurfes für die Mitgliedstaaten über interkulturelle Integration zur Kenntnis und wartet mit Interesse auf dessen Annahme durch das Ministerkomitee, in der festen Überzeugung, dass die Umsetzung dieser Empfehlung auch zur Arbeit auf kommunaler und regionaler Ebene in diesem Bereich beitragen wird.
8. In diesem Kontext lenkt der Kongress die Aufmerksamkeit des Ministerkomitees auf die Initiativen, die bereits auf kommunaler und regionaler Ebene gestartet wurden, u.a. seine eigene Europäische Woche der lokalen Demokratie (EWLD) und das Programm des Europarats über „Interkulturelle Städte”, das Praxishandbuch für die Anwendung des Urbanen Modells der interkulturellen Integration, das im Rahmen dieses Programmes entwickelt wurde, sowie die damit verbundenen Projekte, u.a.: Shaping Perceptions and Attitudes to Realise Diversity Advantage (SPARDA; Wahrnehmungen und Standpunkte zur Nutzung der Vorteile kultureller Vielfalt), Communication for Integration (C4I; Kommunikation für Integration) und Diversity in the Economy and Local Integration (DELI; Vielfalt in der Wirtschaft und lokale Integration).[4]
9. Der Kongress verweist auch auf das AMICALL-Projekt (Attitudes to Migrants, Communication and Local Leadership; Einstellungen zu Migranten, Kommunikation und lokaler Führung) und auf den Aktionsplan, der von der European Coalition of Cities against Racism (ECCAR; Städtekoalition gegen Rassismus) erstellt wurde, sowie auf zahlreiche weitere Kampagnen und Initiativen der Behörden, u.a. Cosmopolitan Strasbourg in Frankreich, die „Anti-Gerüchte”-Kampagne in Barcelona und in anderen spanischen Städten sowie andere „Entmystifizierungskampagnen”, Radio Diversity-Projekte usw.
10. In Anbetracht des Vorstehenden bittet der Kongress das Ministerkomitee, so rasch wie möglich die Empfehlung an die Mitgliedstaaten über die interkulturelle Integration anzunehmen und die Mitgliedstaaten des Europarats aufzufordern:
a. eine allgemeine interkulturelle Vision auf der Grundlage der Erfahrungen und unter Mitwirkung der Behörden auszuarbeiten;
b. interkulturelle Kommunikations- und Bildungsstrategien allgemeiner Art mit dem Ziel zu formulieren, eine einheitliche Herangehensweise an Vielfalt in den unterschiedlichen Regierungsstrukturen und -ebenen zu fördern und das öffentliche Bewusstsein für die Vorteile von Vielfalt zu erhöhen, um diese maximal zu nutzen;
c. Lehrpläne, Lehrbücher und Ausbildungskurse für Lehrkräfte für Schulen, Universitäten und Journalismusschulen zu entwickeln, um die interkulturellen Kompetenzen und das Verständnis für Vielfalt zu verbessern;
d.ein System der interkulturellen Mediation auf allen Verwaltungsebenen einzurichten, unter Zuweisung nachhaltiger finanzieller Mittel;
e. auf das Thema Immigration im politischen Diskurs zu verzichten und stattdessen in der Politik und bei Diskussionen über Migration die Prozesse der gegenseitigen Anpassung und der Integration von Migranten zu betonen;
f. Kultur- und Kunststätten zu ermutigen, sich für die Förderung von Vielfalt einzusetzen und kulturelle Projekte, die Vielfalt zum Thema haben, zu unterstützen;
g. Partnerschaften für das Einführen von Programmen zum Thema Vielfalt zu etablieren, u.a. mit Behörden, Akteuren der Zivilgesellschaft, den nationalen Medien und Unternehmen;
h. lokale und regionale Maßnahmen in diesem Bereich zu unterstützen und Zuschüsse für die Einführung relevanter Programme an der Basis langfristig sicherzustellen;
i. allgemein gegen negative Stigmata anzukämpfen; unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Dimensionen, die die soziale Realität beeinflussen, sowohl objektiv (Arbeit, Wohnen, Zugang zu öffentlichen Diensten) als auch subjektiv (Zugehörigkeitsgefühl).
[1]. Diskussion und Annahme durch den Kongress am 15. Oktober 2014, 2.Sitzung (Siehe Dokument CG(27)6FINAL, Begründungstext), Berichterstatterin: Nawel RAFIK-ELMRINI, Frankreich (L, SOC).
[2]. „Zusammenleben: Die Verbindung von Vielfalt und Freiheit im Europa des 21. Jahrhunderts”, Bericht der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten des Europarats, © Europarat, Mai 2011.
[3]. Empfehlung CM/Rec(2010)7 über die Charta des Europarats über politische Bildung und Menschenrechtsbildung;
[4]. The intercultural city step by step - Practical guide for applying the urban model of intercultural integration, © Europarat, März 2013, ISBN 978-92-871-7818-3.