14. TAGUNG
HERBSTSITZUNG
(Straßburg, 20. – 21. November 2007)
Entwurf Zusatzprotokoll
zur Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung
Empfehlung 228 (2007)[1]
Der Kongress, nach Vorschlag seiner Kammer der Gemeinden;
1. In bezug auf:
a. die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung (ETS Nr. 122);
b. den Entwurf des Zusatzprotokolls zur Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung (im Weiteren „die Charta“) mit ihrem Erläuterungsbericht (Anhang I und Anhang II) und dem Begründungstext (CPL(14)8REP), der von Christopher Newbury (Großbritannien, EPP/CD) vorgelegt und in Zusammenarbeit mit der Gruppe unabhängiger Sachverständiger der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung vorbereitet wurde;
c. die Verfahren der Internationalen Konferenz vom 8. Juli 2005 in Lissabon anlässlich des 20. Jahrestags der Auflegung der Charta zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten des Europarats und insbesondere der Entschließung 195 (2005) über den „20. Jahrestag der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung“ und des entsprechenden Begründungstextes CG(12)6 Teil II;
d. die Standards, Regeln und Auslegungen der Charta, wie vom Ministerkomitee und dem Kongress der Regionen und Gemeinden Europas verabschiedet, insbesondere die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats (1998) 12 über die Überwachung und (2000) 14 und (2005) 1 über finanzielle Mittel, und die Empfehlungen des Kongresses der Regionen und Gemeinden Europas Nr. 2 (1994) und 20 (1996) über die Überwachung der Umsetzung der Charta, 39 (1998) über die Integration der Charta in die Rechtssysteme der ratifizierenden Staaten und über den rechtlichen Schutz der lokalen Selbstverwaltung, 64 (1999) und 79 (2000) über Finanzen, 113 (2002) über die Beziehungen zwischen der Öffentlichkeit, den lokalen Gebietskörperschaften und der Exekutive, 132 (2003) über kommunales Eigentum, 151 (2004) über direkt gewählte lokale Vertreter und 171 (2005) über Konsultation;
2. Unter Betonung der Bedeutung der Rolle der lokalen Behörden als eine der Grundpfeiler der Demokratie;
3. In der Überzeugung, dass die Existenz lokaler Behörden mit tatsächlicher Verantwortung und Unabhängigkeit die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten effektiver macht und sie näher an die Bürger bringt, unter Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität;
4. In Erinnerung, dass die Charta der einzige rechtlich verbindliche Vertrag ist, der die wesentlichen Merkmale der lokalen Selbstverwaltung festlegt und den lokalen Behörden Garantien für die Ausübung ihrer Rechte und Zuständigkeiten in einem Staat gewährt, in dem die Macht zwischen verschiedenen Regierungsbereichen aufgeteilt ist;
5. Unter Anmerkung in diesem Kontext, dass die Charta von nahezu allen Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnet und ratifiziert wurde;
6. Unter Berücksichtigung, dass die aus der Überwachung der Umsetzung der Charta und den Herausforderungen der Staaten und lokalen Behörden gezogenen Erfahrungen die Notwendigkeit belegen, den internationalen Schutz der lokalen Selbstverwaltung weiterhin zu verstärken, insbesondere angesichts der standardweisenden Leistungen und interpretierenden Erfahrungen des Ministerkomitees und des Kongresses der Regionen und Gemeinden des Europarats;
7. Wissend, dass es aus diesem Grund erforderlich ist, die Charta im Rahmen ihrer Auslegung zu entwickeln und zu ergänzen, entweder durch Aufnahme neuer Bestimmungen oder durch Klärung bereits enthaltener bestimmter Regeln und Grundsätze als implizite Standards;
8. In Zufriedenheit, dass die Gruppe der unabhängigen Sachverständigen der Charta in der Lage war, eine wichtige Rolle beim Überwachungsprozess in Bezug auf die lokale Demokratie einzunehmen und die gewählten Vertreter des Kongresses bei der Auslegung der Charta zu unterstützen;
9. Unter Anerkennung der Bemühungen des Europäischen Ausschusses für lokale und regionale Demokratie (CDLR), die Partizipation der Bürger am öffentlichen Leben auf lokaler Ebene durch die Entwicklung konventionsgestützter Standards in diesem Bereich zu stärken, sehr wahrscheinlich durch ein Zusatzprotokoll zur Charta, und erklärend, dass er keinen Widerspruch in diesen Bemühungen zum bestehenden Zusatzprotokoll oder einer möglichen zukünftigen Zusammenlegung beider Entwürfe erkennt;
10. Auch in Erwägung, dass ein Entwurf eines Zusatzprotokolls zur Charta, um in Kraft treten zu können, durch das Ministerkomitee verabschiedet und von mindestens 4 Staaten zur Charta unterzeichnet und ratifiziert werden muss;
11. Angesichts des Vorstehenden empfiehlt der Kongress:
a. dem Ministerkomitee:
i. den angehängten Entwurf des Zusatzprotokolls zur Charta zu prüfen;
ii. den Entwurf des Zusatzprotokolls zur Charta zu verabschieden und den Entwurf des Erläuternden Berichts anzusehen;
iii. das Zusatzprotokoll zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten des Europarats aufzulegen;
iv. die Mitgliedstaaten des Europarats aufzurufen, das Zusatzprotokoll baldmöglichst zu unterzeichnen und zu ratifizieren;
b. und bittet die Parlamentarische Versammlung des Europarats, Kenntnis von diesem Text zu nehmen.
ANHANG I
Entwurf Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung
Die Mitgliedstaaten des Europarats, Unterzeichner des vorliegenden Protokolls zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, am 15. Oktober 1985 zur Unterzeichnung aufgelegt (im Weiteren „Charta“)
unter Betonung der Bedeutung der Rolle der kommunalen Gebietskörperschaften als eine der Grundpfeiler der Demokratie;
dementsprechend ihre Gebundenheit an die Standards und Grundsätze der in der Charta festgelegten kommunalen Selbstverwaltung bekräftigend;
jedoch unter Berücksichtigung, dass die aus der Überwachung der Umsetzung der Charta und den Herausforderungen der Staaten und kommunalen Gebietskörperschaften gezogenen Erfahrungen die Notwendigkeit belegen, den internationalen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung weiterhin zu verstärken, insbesondere angesichts der standardweisenden Leistungen und interpretierenden Erfahrungen des Ministerkomitees und des Kongresses der Regionen und Gemeinden des Europarats;
unter Berücksichtigung, dass es aus diesem Grund erforderlich ist, die Charta im Rahmen ihrer Auslegung der impliziten Standards weiterzuentwickeln und zu ergänzen, entweder durch Aufnahme neuer Bestimmungen oder durch Klärung bereits berücksichtigter Regeln und Grundsätze;
sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1
Jeder Staat geht die Verpflichtung ein, sich durch mindestens vierundzwanzig der in Teil I dieses Protokolls aufgeführten Absätze als gebunden zu betrachten.
TEIL I
Artikel 2
Beziehungen zu Regionen oder föderierten Staaten
Der durch diese Charta und dieses Zusatzprotokoll zur kommunalen Selbstverwaltung gewährte Schutz findet im Hinblick auf die staatlichen Behörden gleichermaßen Anwendung auf die Behörden der Regionen und föderierten Staaten.
Artikel 3
Verantwortung des Exekutivorgans gegenüber dem Stadtrat oder der Ratsversammlung, welche/r die kommunale Gebietskörperschaft repräsentiert
Insofern die in Artikel 3, Absatz 2 der Charta erwähnten Exekutivorgane durch eine direkte allgemeine Wahl gewählt oder durch eine kommunale Gebietskörperschaft ernannt werden, die in dieser Weise gewählt wurde, müssen die Mittel zur Geltendmachung ihrer Pflichten gegenüber dem Stadtrat oder der Ratsversammlung, welche/r die kommunale Gebietskörperschaft repräsentiert, gesetzlich gesichert sein. Diese Gewährleistungen sollen insbesondere sicherstellen, dass der Rat oder die Versammlung bei Angelegenheiten von primärer Bedeutung für die fragliche kommunale Gebietskörperschaft das Recht der endgültigen Entscheidung inne hält.
Artikel 4
Organisation der durch die kommunale Gebietskörperschaft erbrachten Dienste
Die kommunalen Gebietskörperschaften müssen, nach Maßgabe weiterer allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen, berechtigt sein, die institutionellen Strukturen zu bestimmen, über welche die von ihnen angebotenen Dienstleistungen erbracht werden.
Artikel 5
Grundsatz der begleitenden Finanzierung
1. Der Grundsatz, das kommunale Gebietskörperschaften im Rahmen der nationalen Wirtschaftspolitik Anspruch haben auf vorhersehbare finanzielle Mittel, die ihren Kompetenzen und Zuständigkeiten angemessen und für eine wirksame Erbringung ihrer Kompetenzen und Zuständigkeiten ausreichend sind, muss in der Verfassung oder in der Gesetzgebung festgelegt sein.
2. Einnahmeausfälle, die den kommunalen Gebietskörperschaften in Folge von Entscheidungen übergeordneter Behörden entstehen, kommunale Steuern zu senken oder abzuschaffen oder die Steuerbemessungsgrundlage zu mindern, sind durch ausreichende Ersatzleistungen auszugleichen.
3. Wenn übergeordnete Behörden entscheiden, den kommunalen Gebietskörperschaften zusätzliche Verantwortungen zu übertragen, müssen Letztgenannte ausreichende Mittel oder die Genehmigung zur Erhebung neuer Mittel erhalten. Im Fall einer Übertragung von Zuständigkeiten müssen die Mittel mindestens jenen entsprechen, welche die übergeordnete Behörde bereits zuvor für die Erbringung dieser Zuständigkeiten zugewiesen hat. Die Verpflichtung, angemessene Mittel zuzuweisen oder die Erhebung neuer Mittel zu autorisieren, muss auch bei Entscheidungen, höhere Mindestanforderungen für die Erbringung der obligatorischen Aufgaben umzusetzen, bei Entscheidungen zur Übertragung von Zuständigkeiten oder bei Entscheidungen, die zu veränderten allgemeinen Kosten führen, wie z. B. Löhne und Gehälter, Sozialversicherungskosten oder Umweltschutzbestimmungen, Anwendung finden.
Artikel 6
Eigentum der kommunalen Gebietskörperschaften
1. Die kommunalen Gebietskörperschaften haben das Recht, in Ausübung ihrer Zuständigkeiten im öffentlichen Interesse und innerhalb der gesetzlichen Grenzen Eigentum zu erwerben und zu nutzen, einschließlich das Recht, den Eigentumsanspruch oder die Verwaltung des Eigentums auf interkommunale Strukturen der Zusammenarbeit, öffentliche Dienste oder andere Organe zu übertragen.
2. Soweit dies gesetzlich zulässig ist, dürfen Enteignungen kommunaler Vermögenswerte nur zum Wohle der Allgemeinheit und im Austausch einer fairen Entschädigung durchgeführt werden.
Artikel 7
Finanzielle Eigenmittel kommunaler Gebietskörperschaften
1. Ein wesentlicher Teil der finanziellen Mittel der kommunalen Gebietskörperschaften muss aus Gebühren bezogen werden, deren Höhe sie frei festlegen können, und aus der kommunalen Besteuerung stammen (sei es exklusiv oder geteilt), über deren Höhe, sofern anwendbar, sie im gesetzlich zulässigen Rahmen selbst entscheiden können. Dieser Anteil muss ausreichend groß sein, um den kommunalen Gebietskörperschaften einen effektiven Handlungsspielraum bei der Erbringung ihrer eigenen Zuständigkeiten zu geben.
2. Das kommunale Besteuerungssystem muss eine angemessene Stabilität und Kontinuität der öffentlichen Dienste gewährleisten und gleichzeitig eine gewisse Flexibilität sicherstellen, so z. B. dass die Steuereinkünfte veränderten Kosten angepasst werden können.
Artikel 8
Finanzausgleich
1. Maßnahmen, die auf den Ausgleich einer ungleichen Verteilung der potenziellen Finanzquellen der kommunalen Gebietskörperschaften und der auf sie entfallenden Zuständigkeiten abzielen, sollten dergestalt sein, dass sie die kommunalen Gebietskörperschaften in die Lage versetzen, für ähnliche Steuerebenen und Gebühren einen vergleichsweise ähnlichen Standard an Dienstleistungen anzubieten. Einerseits zielt der Finanzausgleich auf die Reduzierung von unterschiedlichen Ausgabeanforderungen aufgrund von strukturellen, demografischen, geografischen, sozialen oder wirtschaftlichen Faktoren ab, andererseits aber auch auf die Unterschiede in der allgemeinen Kapitalkraft der kommunalen Gebietskörperschaften.
2. Der Grad des Finanzausgleichs muss angemessen sein, damit er nicht die kommunale Selbständigkeit untergräbt oder die kommunalen Gebietskörperschaften davon abhält, sich für ihre finanziellen Angelegenheiten einzusetzen oder, wo zutreffend, der effektiven Eintreibung von kommunalen Steuern nachzugehen.
3. Die Ausgleichskriterien müssen objektiv, eindeutig, transparent, vorhersehbar und verifizierbar sein. Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise durch ein Gesetz festgelegt sein, das die allgemeinen Grundsätze dieser Kriterien beschreibt.
Artikel 9
Allgemeine und besondere Zuweisungen
1. Die Zuteilung finanzieller Mittel an die kommunalen Gebietskörperschaften durch übergeordnete Behörden sollte in der Regel in Form allgemeiner Zuweisungen geschehen, die nicht zweckgebunden sind.
2. Sonderzuweisungen, die der Finanzierung spezieller Projekten dienen, sollten sich insbesondere auf Investitionen und der Erfüllung übertragener Zuständigkeiten beziehen.
3. Systeme für allgemeine und besondere Zuweisungen sollen den kommunalen Gebietskörperschaften eine wirtschaftliche und finanzielle Stabilität garantieren und Faktoren, wie z. B. Wirtschaftswachstum, Kostensteigerungen, Lohnerhöhungen und veränderten sozialen und umweltpolitischen Standards Rechnung tragen.
4. Die Kriterien für die Verteilung allgemeiner und besonderer Zuweisungen müssen objektiv, eindeutig, transparent, vorhersehbar und verifizierbar sein. Wenn besondere Zuweisungen von finanziellen Beiträgen der kommunalen Gebietskörperschaften abhängen, die diese Zuweisungen erhalten sollen, dann müssen diese Beiträge der Kapitalkraft dieser Gebietskörperschaften Rechnung tragen.
Artikel 10
Finanzielle Restriktionen außergewöhnlicher Natur
1. Die übliche finanzielle Eigenständigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften darf nur aus schwerwiegenden Gründen einer allgemeinen Wirtschaftspolitik beschränkt werden. Jede Einschränkung muss im Hinblick auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig sein und darf keinen strafenden Charakter aufweisen. Auch darf sie nicht den Grundsatz der lokalen Selbstverwaltung gefährden.
2. Außergewöhnliche finanzielle Restriktionen müssen auf objektiven, eindeutigen, transparenten, vorhersehbaren und verifizierbaren Kriterien gründen und müssen in gleicher Weise angewendet werden.
3. Die Wirksamkeit außergewöhnlicher finanzieller Restriktionen und die Notwendigkeit, diese aufrecht zu erhalten, müssen einer regelmäßigen Prüfung unterzogen werden, und die Restriktionen müssen aufgehoben werden, sobald ihr Zweck erreicht wurde.
Artikel 11
Einbeziehen der kommunalen Gebietskörperschaften in sie betreffende Entscheidungen
1. Jede Entscheidung einer übergeordneten Behörde in bezug auf eine oder mehrere kommunale Gebietskörperschaften muss anhand eines Verfahrens getroffen werden, die zumindest eine vorherige Ankündigung der geplanten Entscheidung an die betreffende kommunale Gebietskörperschaft, ihr Recht auf Zugang zu den relevanten Verwaltungsunterlagen, ihr Recht auf Darstellung der eigenen Positionen innerhalb einer angemessenen Frist und die Verpflichtung enthalten muss, eine Begründung für die Entscheidung zu erhalten, unter Berücksichtigung der Positionen, die von den kommunalen Gebietskörperschaften vorgetragen wurden.
2. Jeder Entscheidung seitens einer übergeordneten Behörde in bezug auf die Ausgewogenheit zwischen den Zuständigkeiten der kommunalen Gebietskörperschaften und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und die anwendbaren Bedingungen und Kriterien für einen Finanzausgleich und allgemeine und besondere Zuweisungen müssen Verhandlungen zwischen den übergeordneten Behörden und den kommunalen Gebietskörperschaften vorausgehen. Dieses Verhandlungsverfahren muss vor einer Entscheidung seitens einer übergeordneten Behörde immer eingehalten werden, wobei die kommunalen Gebietskörperschaften dazu beitragen, politische Entscheidungen umzusetzen, die für beide Seiten von Interesse sind.
3. Bevor eine Entscheidung durch eine übergeordnete Behörde bezüglich der Ausgewogenheit zwischen den Ausgaben einer kommunalen Gebietskörperschaft und den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln getroffen wird, müssen deren Mittel und Ausgaben bewertet und die Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Bewertungsgremien, bestehend aus Vertretern der unmittelbar übergeordneten Behörde und der kommunalen Gebietskörperschaft, sollten vorzugsweise für die technische Bewertung verantwortlich sein.
4. Das Recht der kommunalen Gebietskörperschaften, durch repräsentative Verbände an den unterschiedlichen Prozessen, die in den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels beschrieben sind, beteiligt zu werden, muss gesetzlich verankert sein.
Artikel 12
Externe Verwaltungsaufsicht
1. Eine Verwaltungsaufsicht über die zu den Zuständigkeiten der Gebietkörperschaft gehörenden Handlungen der kommunalen Gebietskörperschaft durch eine übergeordnete Behörde, einschließlich haushaltstechnischer Angelegenheiten, dürfen nicht die Befugnis einschließen, die Zweckdienlichkeit dieser Handlungen zu überprüfen, oder eine vorherige Aufsicht vorzunehmen, und auch keine Befugnis, diesen fraglichen Handlungen zuzustimmen, mit der Macht, diese zu ändern.Die Verwaltungsaufsicht beschränkt sich grundsätzlich, außer in Notfällen, auf das Ermitteln möglicher Unrechtmäßigkeiten von Handlungen und unterliegen dem Recht, ein Gericht oder eine andere unabhängige Behörde anzurufen, diese Handlungen aufzuheben. In außergewöhnlichen Fällen können kommunale Gebietskörperschaften, die in Übereinstimmung mit den Gesetzen als in Finanzschwierigkeiten befindlich erklärt wurden, einer vorherigen Aufsicht unterzogen werden.
2. Eine Verwaltungsaufsicht bezüglich der Finanzverwaltung der kommunalen Gebietskörperschaft durch eine übergeordnete Behörde befasst sich normalerweise ausschließlich mit der Umsetzung und dem effektiven Funktionieren interner Kontrollen.Jede Form der externen Verwaltungsaufsicht muss unabhängigen Behörden anvertraut sein.Die Audits zielen darauf ab, die Einhaltung der Gesetze und Vorschriften im Hinblick auf eine ordentliche Finanzverwaltung zu bestätigen, ohne jedoch die gesetzlich verankerte Wahlfreiheit der kommunalen Gebietskörperschaften zu beeinträchtigen.
3. Die Auflösung kommunaler Gebietskörperschaften durch eine übergeordnete Behörde im Hinblick auf vorgezogene Wahlen ist nur dann zulässig, wenn diese Organe nicht in der Lage sind, ordnungsgemäß zu handeln oder wenn ein schwerwiegender oder wiederholter Verstoß gegen die Verfassung oder das Gesetz vorliegt, der von einer gerichtlichen Behörde oder einer unabhängigen Behörde ordnungsgemäß festgestellt wurde.
4. Eine Verwaltungsaufsicht im Hinblick auf das persönliche Verhalten eines gewählten Kommunalvertreters durch eine übergeordnete Behörde darf sich nur auf solche Fälle beziehen, in denen ein Verstoß gegen die Verfassung oder das Gesetz vorliegt und muss unter sorgfältiger Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchgeführt werden.
5. Ein kommunaler Vertreter kann durch eine übergeordnete Behörde suspendiert oder entlassen werden, wenn dem betreffenden Vertreter/der betreffenden Vertreterin im Hinblick auf die Ausübung seiner/ihrer Pflichten ein schwerwiegender oder wiederholter Verstoß gegen die Verfassung oder das Gesetz nachgewiesen werden kann und wenn dieser mit einer Gefängnisstrafe zu ahnden ist, wobei dieser Verstoß ordnungsgemäß durch eine gerichtliche Behörde oder eine unabhängige Behörde festgestellt werden muss.
6. Jede gemäß den Absätzen 3 und 4 dieses Artikels getroffene Entscheidung hinsichtlich einer Auflösung, Suspendierung oder Entlassung muss ein Beschwerderecht vor einem Gericht einschließen. Die Auflösung eines Vertretungsorgans darf nicht zu dessen Rechtsunfähigkeit oder zur Unfähigkeit seiner Mitglieder führen, dieses Recht auch in Anspruch zu nehmen.
Artikel 13
Vertretungsbefugnis
1. Übergeordnete Behörden haben nur in den verfassungsrechtlichen oder gesetzlich zulässigen Fällen und im Rahmen der dort beschriebenen Verfahren die Befugnis, vorübergehend anstelle der kommunalen Gebietskörperschaften zu agieren. Diese Befugnis ist auf bestimmte Fälle beschränkt, in denen die kommunalen Gebietskörperschaften es versäumt haben, ihre Pflichten auszuführen, wobei diese Befugnis in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung und der Bedeutung der Rechte der betroffenen Einwohner und Interessen auszuführen ist. Die Vertretungsbefugnis erlaubt keine Auferlegung zusätzlicher Formen der Kontrolle.
2. Die Entscheidungsbefugnis, die sich aus einer Vertretungsmaßnahme ergibt, wird einem Personal übertragen, das allein im Interesse der betreffenden kommunalen Gebietskörperschaft agiert, außer im Fall der Ausübung übertragener Befugnisse.
Artikel 14
Recht auf wirksame Beschwerde
Die kommunalen Gebietskörperschaften haben das Recht auf gerichtliche Beschwerde, um die Wahrung der Bestimmungen hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung zu sichern, die in der Charta und diesem Zusatzprotokoll enthalten sind.
TEIL II
Artikel 15
Bezug zur Charta
1. Die Staaten verpflichten sich, die Artikel 2 bis 14 dieses Protokolls als Zusatz zur Charta zu behandeln, und alle Bestimmungen der Charta finden dementsprechend Anwendung.
2. Keiner Vertragspartei zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung ist es gestattet, in seinem Dokument der Ratifizierung, Annahme oder Zustimmung des vorliegenden Protokolls irgendwelche Kategorien der kommunalen oder regionalen Gebietskörperschaften auszuschließen, die in diesem Protokoll gemäß Artikel 13 der Charta zur kommunalen Selbstverwaltung festgelegt sind.
Artikel 16
Unterzeichnung, Ratifizierung, Inkrafttreten
1. Dieses Protokoll wird von den Unterzeichnerstaaten der Charta zur Unterzeichnung aufgelegt. Es ist von der Ratifizierung, Annahme oder Zustimmung durch einen Staat abhängig. Ein Staat darf dieses Protokoll erst dann ratifizieren, annehmen oder diesem zustimmen, wenn er zuerst oder gleichzeitig die Charta ratifiziert, annimmt oder dieser zustimmt.Die Dokumente zur Ratifizierung, Annahme oder Zustimmung müssen beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt werden.
2. Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats nach Ablauf einer Zeitspanne von drei Monaten nach dem Tag in Kraft, an dem fünf Staaten ihrer Zustimmung Ausdruck verliehen haben, sich durch das Protokoll in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes gebunden zu fühlen.
3. Im Hinblick auf einen Staat, der erklärt, sich in Folge an dieses Protokoll gebunden zu fühlen, tritt dieses am ersten Tag des Monats nach Ablauf der Zeitspanne von drei Monaten in Kraft, an dem das Dokument der Ratifizierung, Annahme oder Zustimmung hinterlegt wurde.
Artikel 17
Bekanntmachung
Der Generalsekretär des Europarats teilt allen Staaten das Folgende mit:
a. jede Unterzeichnung;
b. die Hinterlegung des Dokuments der Ratifizierung, Annahme oder Zustimmung;
c. jedes Datum des Inkrafttretens dieses Protokolls in Übereinstimmung mit Artikel 17;
d. jede Mitteilung, die in Anwendung der Bestimmungen von Artikel 15 dieses Protokolls und von Artikel 12, Absätze 2 und 3 der Charta eingehen;
e. alle anderen Handlungen, Mitteilungen oder Schriftstücke, die sich auf dieses Protokoll beziehen.
Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.
Geschehen zu .................., am .............................., in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats beglaubigte Abschriften.
…………….
Anhang 2
Entwurf des Erläuternden Berichts
zum Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung
1. Das Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung [im Weiteren „Charta“] wurde innerhalb des Europarats vom Kongress der Gemeinden und Regionen Europas verfasst und anschließend vom Ministerkomitee verabschiedet. Es wurde zur Unterzeichnung durch die Unterzeichnerstaaten der Charta aufgelegt.**
2. Dieser Erläuternde Bericht stellt keine verbindliche Auslegung des Protokolls dar, obwohl es zum Verständnis seiner Bestimmungen beitragen kann.
A. Hintergrund des Protokolls
3. Der Prozess, der zur Verabschiedung dieses Zusatzprotokolls führte, begann in der Zeit vor dem 20. Jahrestag der Auflegung der Charta zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten des Europarats. Siehe insbesondere die Verfahren der Internationalen Konferenz am 8. Juli in Lissabon anlässlich des 20. Jahrestags der Charta, Resolution 195 (2005) zum „20. Jahrestag der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung“ und dessen Erläuterndes Memorandum CG(12)6 Teil 6.
4. Hauptgrundlage für die Entwurfsarbeiten zu diesem Protokoll waren die Standards, Regeln und Auslegungen, die vom Ministerkomitee und dem Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats verabschiedet wurden. Das Protokoll bezieht sich insbesondere auf die folgenden Empfehlungen: i. Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats (1998) 12 über Verwaltungsaufsicht und (2000) 14 und (2005) 1 über finanzielle Mittel; und ii. Empfehlungen des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas Nr. 2 (1994) und 20 (1996) über die Überwachung der Umsetzung der Charta, 39 (1998) über die Integration der Charta in die Rechtssysteme der ratifizierenden Staaten und über den rechtlichen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 64 (1999) und 79 (2000) über Finanzen, 113 (2002) über die Beziehungen zwischen der Öffentlichkeit, den lokalen Gebietskörperschaften und der Exekutive, 132 (2003) über kommunales Eigentum, 151 (2004) über direkt gewählte kommunale Vertreter und 171 (2005) über Anhörung.
B. Allgemeine Anmerkungen
5. Einige Absätze dieses Erläuternden Berichts enthalten ausdrückliche Verweise auf die Charta und das Protokoll. Aber selbst dort, wo es keine solchen Verweise gibt, muss jede Bestimmung dieses Protokolls im Licht des Gesamttextes der Bestimmungen der Charta und des Protokolls ausgelegt werden.Außerdem betont bereits der fünfte Absatz der Präambel, dass die Formalisierung bestimmter Standards und Grundsätze im Zusatzprotokoll nicht notwendigerweise bedeutet, dass ähnliche Standards und Grundsätze nicht aus der Auslegung der Charta selbst stammen können.
C. Kommentar zu den Bestimmungen des Zusatzprotokolls
Präambel
6. Die Präambel zu diesem Zusatzprotokoll bezieht sich hauptsächlich auf die Präambel der Charta und bekräftigt die besondere Wichtigkeit der Eigenständigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften als einer der Grundpfeiler eines jeden demokratischen Staates.
7. Sie bezieht sich auch auf den Prozess, der zur Vorbereitung des Protokolls führte (siehe Absätze 3-4 oben), der sich insbesondere auf die in der Vergangenheit verfassten Standards und die Auslegungsarbeit des Ministerkomitees und des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats konzentriert. Angesichts der durch dieses Protokoll gesetzten Standards, die jenen ähneln, die in den entsprechenden Empfehlungen des Ministerkomitees und des Kongresses enthalten sind, sollten sie im Geiste dieser Empfehlungen ausgelegt werden.
Artikel 1
8. Unter Berücksichtigung der vielfältigen Rechtssysteme und kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten, gestattet diese Bestimmung, welche eine vereinfachte Version des in der Charta verwendeten Modells ist (siehe Artikel 12), die Verabschiedung eines zukunftsorientierten Zusatzprotokolls, wobei es den Staaten ermöglicht wird, sich entweder nicht zu einigen der in Teil I des Zusatzprotokolls enthaltenen Absätze zu verpflichten, oder aber sich in einer differenzierten und progressiven Weise auf sie zu verpflichten.
9. Artikel 12 der Charta war zum Zeitpunkt des Entwurfs ein Originaltext im Vertragsrecht, da er festlegt, dass die Staaten sich mindestens durch zwei Drittel der in Teil I enthaltenen Absätze des Vertrags gebunden fühlen müssen, wohingegen sie ihre Auswahl durch eine Liste an Bestimmungen (verbindliche Kernbestimmungen) einschränkte, die man als am wichtigsten erachtete. Das vorliegende Protokoll sieht vor, dass die Staaten durch mindestens drei Viertel der in Teil I des Protokolls enthaltenen Absätze gebunden sind. Andererseits schränkt es ihre weitere Auswahl nicht durch eine Liste an Kernbestimmungen ein, welche die Staaten nicht ablehnen konnten.
10. Da eine Einhaltung aller Bestimmungen des Protokolls das ultimative Ziel ist, ist es jedoch wichtig zu betonen, dass laut Artikel 12 (3) der Charta jeder Staat zu einem späteren Zeitpunkt den Generalsekretär davon in Kenntnis setzen kann, dass er sich an alle Absätze dieses Protokolls gebunden fühlt, die er nicht bereits gemäß Artikel 1 des Protokolls akzeptiert hat.
Artikel 2
11. Allgemein gesprochen befasst sich die Charta mit dem Schutz der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber den Staaten zu diesem internationalen Vertrag, mit anderen Worten, zum größten Teil gegenüber Staaten. Gleichzeitig ist es häufig der Fall, dass Regionen oder föderierte Staaten in bezug auf die kommunalen Gebietskörperschaften über Entscheidungsbefugnisse verfügen. Daher muss deutlich gemacht werden, dass die durch die Charta und das Protokoll festgelegten Sicherungsmaßnahmen sich auch auf diese beziehen. Mit anderen Worten, die in Artikel 12 der Charta und Artikel 15 des Protokolls enthaltenen Vorschriften finden ungeachtet der verfassungsrechtlichen Gestaltung (zentralisiert, dezentralisiert oder Föderalstaaten) der einzelnen Länder Anwendung.
Artikel 3
12. Artikel 3 (2) der Charta legt den Grundsatz fest, dass die Exekutivorgane der kommunalen Gebietskörperschaften den Stadträten oder Ratsversammlungen gegenüber Rechenschaft schuldig sind, deren Mitglieder in freien, direkten, allgemeinen und geheimen Wahlen durch die Bürger der Kommune gewählt wurden.
13. Allgemein betrachtet wirft die Anwendung dieses Grundsatzes keine Probleme auf, solange die Mitglieder der Exekutive vom betreffenden Stadtrat oder der betreffenden Ratsversammlung gewählt oder ernannt werden. Anders gestaltet sich die Lage jedoch, wenn ein einzelner Exekutivbeamter oder die Mitglieder der Exekutive (Bürgermeister/in, etc.) direkt von den Wählern gewählt wird.Die Anwendung solcher Formen der direkten Bürgerpartizipation wird ausdrücklich durch Artikel 3 (2) der Charta erlaubt. Allerdings kann es manchmal schwierig sein, diese mit dem grundlegenden Prinzip zu vereinbaren, dass die Exekutive dem Stadtrat/der Ratsversammlung verantwortlich sein muss.
14. Artikel 3 des Protokolls legt daher die Mindestanforderung einer „effektiven“ Garantie der Verantwortlichkeit der Exekutivorgane fest, die nicht durch die Ratsversammlung/den Stadtrat ernannt wurden.In diesen Fällen muss das Gesetz vorsehen, dass die Ratsversammlung/der Stadtrat mit einer Mindestanzahl von Kontrollmechanismen ausgestattet ist. Darüber hinaus muss die Ratsversammlung/der Stadtrat die letztendliche Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten haben, die für die Kommune von herausragender Bedeutung sind, u.a. sollte dies den Haushalt einschließen.
15. Wenn man davon ausgeht, dass das System der Zuständigkeitsverteilung wirksam ist, kann man die Definition von „Angelegenheiten herausragender Bedeutung für die Kommune“ und die Wahl der Methoden, um bei strittigen Angelegenheiten die letztendliche Entscheidungsbefugnis der Ratsversammlung/des Stadtrats sicherzustellen, dem gesetzlichen Ermessen überlassen.
Artikel 4
16. Artikel 6 (1) der Charta gewährt den kommunalen Gebietskörperschaften die Befugnis, ihre Verwaltungsstrukturen spezifischen Bedürfnisse anzupassen und sich nach eigenem Ermessen zu organisieren. In Anbetracht der aktuellen Tendenz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, der Wirtschaftsförderung und des Verwaltungsrechts, sich für neue Organisationsformen oder jene aus dem Privatrecht zu entscheiden, um öffentliche Dienste „effizienter“ zu gestalten, betont Artikel 4 des Protokolls das Recht der Kommunen, die Mittel auszuwählen, mit denen öffentliche Dienste für die Bevölkerung erbracht werden. Dieses Recht darf nur durch gesetzliche Bestimmungen allgemeinerer Natur eingeschränkt werden, i.e. die Regelung bestimmter Handlungen, die nicht nur von einer kommunalen Behörde, sondern auch von anderen Wirtschaftsakteuren ausgeführt werden können (Wettbewerbsregeln, Lebensmittelstandards, etc.).
Artikel 5
Absatz 1
17. Laut Artikel 9 (2) der Charta müssen „die Finanzmittel der kommunalen Gebietskörperschaften ... in angemessenem Verhältnis zu ihren durch die Verfassung oder das Gesetz vorgesehenen Zuständigkeiten stehen“. Das Protokoll hält den Grundsatz der begleitenden Finanzierung hoch und verlangt, dass dieser entweder im Gesetz oder der Verfassung festgelegt wird, wobei letzterem der Vorzug zu geben ist. Es legt auch dessen Umfang fest, indem es hinzufügt, dass die Mittel „vorhersehbar“ und für eine „effektive“ Erbringung der eigenen und übertragenen „Verantwortungen“ der kommunalen Gebietskörperschaften ausreichend sein müssen, ohne jedoch die Befugnis der Staaten auszuschließen, die Mittel der kommunalen Gebietskörperschaften in Übereinstimmung mit allgemeinen Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik anzupassen. Die Vorhersehbarkeitsanforderung zielt darauf ab, die kommunalen Gebietskörperschaften in die Lage zu versetzen, über einen bestimmten Zeitraum Änderungen ihres Budgets planen zu können. Ein bestimmter Grad der Vorhersehbarkeit wird vielleicht auch durch die in Artikel 11 des Protokolls aufgeführten Anhörungs- und Bewertungsmethoden erzeugt.
Absatz 2
18. Der Grundsatz der begleitenden Finanzierung bezieht sich auch auf Entscheidungen übergeordneter Behörden im Hinblick auf die Senkung oder Abschaffung kommunaler Steuern oder die Verringerung der kommunalen Steuerbemessungsgrundlage, u.a. in Fällen, in denen dies aus allgemeinen wirtschaftlichen oder wettbewerbsbezogenen Gründen geschieht. Der erforderliche Ausgleich kann durch neue Steuerquellen oder Zuweisungen oder durch die Zuteilung neuer Mitarbeiter oder Ausrüstung erzielt werden. In einigen Fällen kann dies auch in Form einer Eigentumsübertragung geschehen. Auf keinen Fall dürfen sich die Ausgleichsmaßnahmen negativ auf das Recht der kommunalen Gebietskörperschaften auswirken, gemäß Artikel 9 der Charta und Artikel 7 des vorliegenden Protokolls Eigenmittel zu „besitzen“.
Absatz 3
19. Zusätzliche Belastungen der kommunalen Gebietskörperschaften können durch Entscheidungen entstehen, ihnen „eigene“ oder übertragene Befugnisse zuzuweisen, durch das Aufstellen höherer Standards für die Erbringung ihrer obligatorischen Aufgaben (insbesondere im Sozial-, Gesundheits- und Umweltbereich) oder durch die Auswirkungen von Entscheidungen durch die übergeordneten Behörden auf die Finanzen der kommunalen Gebietskörperschaften, die zu grundsätzlich veränderten Kostenfaktoren führen, wie z. B. Löhne, Gehälter und Sozialversicherungskosten.
20. Eine Grundlage für die Bewertung der begleitenden Finanzierung können die Mittel sein, die von der übergeordneten Behörde für die Erbringung übertragener oder dezentralisierter Aufgaben zugewiesen wurden. Es können jedoch, auch wenn der Mindestgrad respektiert wird, zusätzliche Mittel überwiesen werden, wenn die fraglichen Mittel nachgewiesenermaßen für die ordnungsgemäße Ausführung der betreffenden Aufgaben unzureichend sind.
21. Sobald das Gleichgewicht zwischen Zuständigkeiten und zugewiesenen Mitteln erreicht ist, kann die kommunale Gebietskörperschaft auf eigene Mittel zurückgreifen, um einen höheren Standard als das verlangte Mindestmaß zu erbringen.
Artikel 6
Absatz 1
22. Trotz ihrer erheblichen Bedeutung für die kommunale Selbstverwaltung, werden die Eigentumsrechte der kommunalen Gebietskörperschaften nicht ausdrücklich in der Charta behandelt. Absatz 1 verbessert diese Situation.
23. „Eigentum“ wird sehr weit ausgelegt und schließt sowohl materielles Eigentum als auch immaterielles, geistiges und industrielles Eigentum sowie weiteres monetäres und Finanzvermögen ein. Diese Interpretation basiert auf Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie auf dem Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
24. Das Recht auf Eigentum schließt auch die Möglichkeit des Erwerbs und der Weiterentwicklung von Eigentum durch Verfahren ein, die durch die nationale Gesetzgebung festgelegt sind.Das Recht kann durch eine einzelne Stelle ausgeübt oder an interkommunale Organisationen oder an andere Organe des öffentlichen Interesses übertragen werden. In der Regel genießen kommunale Gebietskörperschaften mit Eigentumsrechten die vollständigen Rechte, die das Gesetz auf Eigentümer von Vermögen überträgt. Ausnahmen zu dieser Regel müssen gesetzlich verankert sein, einen legitimen Zweck verfolgen, notwendig und mit den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar sein.
25. Der Artikel legt keine spezielle Form des Eigentums fest (z. B. normales Eigentum, Privateigentum oder öffentliches Eigentum). Die Wahl der anwendbaren Regeln ist der nationalen Gesetzgebung unter Berücksichtigung der Traditionen und Wesensmerkmale jedes Landes überlassen.
26. Das Recht auf Eigentum muss im Geiste anderer Bestimmungen dieses Protokolls ausgelegt werden, so z. B. Artikel 5 über den Grundsatz der begleitenden Finanzierung und Artikel 12 über die Verwaltungsaufsicht.
Absatz 2
27. Selbst wenn die Eigentumsrechte der kommunalen Gebietskörperschaften anerkannt werden, rechtfertigt die Tatsache, dass die kommunalen Gebietskörperschaften Teil des öffentlichen Bereichs sind, die Festlegung des Schutzes, der ihnen im Hinblick auf Enteignungsmaßnahmen zusteht, die gegen sie nur in dem Umfang zulässig sind, der gesetzlich und ausschließlich zum Wohle der Allgemeinheit vorgeschrieben ist. Das allgemein anerkannte Recht auf eine faire Entschädigung findet auch auf kommunale Gebietskörperschaften Anwendung.
28. Das Recht auf eine „faire Entschädigung“ schließt weder einen Rückgriff auf außerordentliche Maßnahmen mit derselben Wirkung auf kommunale Gebietskörperschaften wie auf andere mögliche Adressaten noch die Notwendigkeit aus, die fraglichen Werte zu bewerten, eine Maßnahme, die zu sehr niedrigen oder sogar nicht existenten Bewertungen führen können.
Artikel 7
29. Dieser Artikel ergänzt die Bestimmungen von Artikel 9 (1), (3) und (4) der Charta. Er befasst sich mit den „finanziellen“ Mitteln, einer Kategorie an Mitteln, die nicht klar von jenen zu unterscheiden ist, auf die sich in Artikel 5 zur begleitenden Finanzierung und Artikel 6 zum „Eigentum“ bezogen wird. Auf jeden Fall tragen diese Bestimmungen in ihrer Gesamtheit zur Umsetzung des Grundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung bei und zur Definition der „Eigenmittel“ der kommunalen Gebietskörperschaften und der ihnen zugeteilten Mittel. Außerdem sollte der vorliegende Artikel in Verbindung mit den Artikeln 8 (Ausgleich) und 9 (Verteilung und Fördermittel) des vorliegenden Protokolls ausgelegt werden.
Absatz 1
30. Der Zweck dieses Absatzes ist es, klarer das Konzept der „Eigenmittel“ laut Artikel 9 der Charta zu definieren und den kommunalen Gebietskörperschaften diesbezüglich einen größeren Schutz einzuräumen.
31. Da die Befugnis, die Höhe der kommunalen Besteuerung festzusetzen, ein wichtiges Element der kommunalen Selbstverwaltung und der Verantwortung der gewählten Kommunalvertreter gegenüber ihrer Wählerschaft ist, verdeutlicht dieser Absatz, dass gemeinsame Steuern, wenn sie in Gänze von anderen Behörden erhoben werden und die auch deren Höhe bestimmen, nicht als „Eigenmittel“ der kommunalen Gebietskörperschaften betrachtet werden können.
32. Absatz 1 erkennt das Folgende als der Kategorie der Eigenmittel zugehörig an: Gebühren, die in freiem Ermessen von den kommunalen Gebietskörperschaften festgelegt werden können und kommunale Steuern, über deren Höhe die kommunalen Gebietskörperschaften entscheiden, seien sie ausschließlich kommunale Steuern oder Steuern, die mehreren Ebenen der Regierung gemeinsam sind, bei denen die kommunalen Stellen in der Lage sind, über die auf sie entfallenden Steuern zu entscheiden.
33. Die Forderung, dass ein „wesentlicher“ Teil der finanziellen Mittel aus „eigener Besteuerung“ stammen sollte, soll Artikel 9 (3) der Charta signifikant stärken. Auf jeden Fall sollte dieser Anteil ausreichend groß sein, damit die kommunalen Gebietskörperschaften einen „tatsächlichen Handlungsspielraum“ erhalten, um ihre eigenen Befugnisse ausüben zu können, was ebenfalls zur Stärkung von Artikel 9 (2) der Charta beiträgt (siehe auch Artikel 5 dieses Protokolls).
34. Das Konzept der den kommunalen Gebietskörperschaften obliegenden „Verantwortung“ in bezug auf ihre steuerzahlenden Bürger ist weit gefasster als der bloße Verweis auf „Verantwortlichkeiten“ und stellt eine ergänzende Verpflichtung zur Transparenz und Demokratie dar.
Absatz 2
35. Durch die Ausweitung der Verpflichtung laut Artikel 9 (4) der Charta, Finanzierungssysteme einzurichten, die ausreichend vielfältig und flexibel sind, um die kommunalen Stellen in die Lage zu versetzen, weitestgehend Schritt zu halten mit der tatsächlichen Weiterentwicklung der Kosten für die Ausübung ihrer Aufgaben, führt Absatz 2 eine neue Forderung in bezug auf die Charta ein, namentlich die Stabilität und Kontinuität von „Eigenmitteln“, die durch einen angemessenen Grad an Flexibilität in bezug auf veränderte Haushaltskosten ausgeglichen werden (siehe auch Artikel 5 (1) über die Vorhersehbarkeit von Mitteln).
Artikel 8
36. Wenn in Situationen, in denen aus besonderen Gründen die gewünschten Ergebnisse nicht durch einen vertikalen Finanzausgleich erreicht werden können, horizontale Ausgleichsmaßnahmen eingeführt werden, findet der Artikel auf beide Formen Anwendung.
Absatz 1
37. Artikel 9 (5) der Charta befasst sich mit Finanzausgleichsverfahren oder ähnlichen Maßnahmen, die entwickelt wurden, um Auswirkungen einer ungleichen Verteilung von Mitteln zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften zu korrigieren. Absatz 1 definiert diese Verpflichtung tiefergehend. Er betont die duale Aufgabe des Ausgleichs, der nicht nur die Ungleichheit zwischen der Kapitalkraft der kommunalen Gebietskörperschaften und den finanziellen Anforderungen beseitigen soll, sondern auch sicherstellen muss, dass das verwendete System ebenso die steuerrechtlichen Bemühungen berücksichtigt.
38. Die Ausgleichskriterien müssen weitestgehend demografische, geografische, soziale und wirtschaftliche Faktoren einschließen, die zu Ungleichheiten in den Kosten führen. Darüber hinaus sollten sie auch eine Schätzung aller Einkommensquellen der kommunalen Gebietskörperschaft beinhalten (allgemeine Kapitalkraft).
39. Das Ausgleichsverfahren sollte keine Unterschiede der Verwaltungseffizienz, der aus der Anpassung der Dienste an kommunale Präferenzen entstehenden Kosten oder der tatsächlich veranschlagten Steuersätze ausgleichen. Das Ziel sollte sein, weit gefasste vergleichbare Grade an Diensten für vergleichbare Grade der Besteuerung und der Gebühren zu erreichen.
40. Hinsichtlich der Forderung „zu verhandeln“, bevor man die Kriterien ändert, sollte man auch auf Artikel 11 (2) des Protokolls hinweisen.
Absatz 2
41. Der Grad des Finanzausgleichs sollte kommunale Gebietskörperschaften nicht davon abhalten, steuerrechtliche Maßnahmen zu ergreifen oder eine effiziente Steuereintreibung anzustreben, wenn dies in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Es ist wichtig, dass der Teil der Zuweisungen, die mit dem Ausgleich verbunden ist, nicht so groß ist, dass er reichere kommunale Gebietskörperschaften davon abhält, zusätzliche steuerrechtliche Maßnahmen zu ergreifen oder ärmere kommunale Gebietskörperschaften demotiviert, ihre steuerrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies kann insbesondere dann geschehen, wenn der Ausgleich der Differenzen zwischen den reichsten und den ärmsten kommunalen Gebietskörperschaften zu weit getrieben wird.
Absatz 3
42. Die Verpflichtung, objektive, transparente und verifizierbare Ausgleichskriterien zu etablieren, dient dazu, willkürliche Praktiken, Diskriminierung aufgrund politischer Ausrichtung und andere Benachteiligungen ähnlicher Natur zu verhindern, die nicht auf objektive Kriterien zurückzuführen sind. Wären diese Zielsetzungen gesetzlich festgelegt, würden sie dadurch weiter gestärkt.
Artikel 9
Absatz 1
43. Laut Artikel 9 (7) der Charta sollten den kommunalen Gebietskörperschaften gewährte Zuweisungen grundsätzlich nicht zweckgebunden sein oder den kommunalen Gebietskörperschaften die grundsätzliche Freiheit entziehen, in ihrem Zuständigkeitsbereich nach eigenem Ermessen politische Entscheidungen zu treffen. In dem Maße, in dem „Sondermittel“ lediglich versteckte zweckgebundene Zuweisungen sind, sollten auch sie vermieden werden.
44. Um diesen Grundsatz operabler zu gestalten, muss eine eindeutigere Unterscheidung zwischen „allgemeinen Zuweisungen“ und „Sonderzuweisungen“ gemacht werden. Der Grundsatz wird durch die Forderung gestärkt, dass finanzielle Zuweisungen „grundsätzlich“ in Form von allgemeinen Zuweisungen geschehen sollten, die nicht an bestimmte Vorhaben gebunden sind.
45. Allgemein sollten Sonderzuweisungen sich auf die Mitfinanzierung von Investitionsausgaben beschränken und sicherstellen, dass bestimmte kommunale öffentliche Dienste überall in einem Mindeststandard ausgeführt werden, „Zentralisierungskosten“ ausgeglichen, bestimmte öffentliche Dienste finanziert werden, die kommunale Gebietskörperschaften im Auftrag des Staates ausführen oder wenn übertragene Verantwortungen ausgeführt werden, oder dass Kostenunterschiede gedeckt werden, die durch Entscheidungen auf nationaler Ebene in bezug auf die Qualität der kommunalen Dienste verursacht werden.
Absatz 2
46. Um den Umfang zweckgebundener Zuweisungen präziser zu begrenzen, wird festgelegt, dass die Bindung von Zuweisungen an bestimmte Vorhaben nur dann zulässig ist, wenn dies die finanzielle Selbständigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften nicht exzessiv einschränkt.
Absatz 3
47. Die Forderung nach Stabilität geht Hand in Hand mit der Forderung nach finanziellen Mitteln im Allgemeinen (siehe insbesondere Artikel 5 (1) und Artikel 7 (2) des Protokolls). Sie dient dazu, jede Möglichkeit diskriminierender Praktiken in diesem Bereich auszuschließen. Die Verwendung allgemeiner Kriterien, die sich auf Wirtschaftswachstum, etc. beziehen, haben denselben Effekt.
Absatz 4
48. Der Wunsch, objektive Kriterien für die Berechnung von Zuweisungen zu erstellen, dient dazu, jeder interessierten Partei zu ermöglichen, die Art und Weise ihrer Verwendung zu prüfen. Der letzte Satz fordert, dass bei Zuweisungen, die von finanziellen Beiträgen seitens der kommunalen Gebietskörperschaften abhängen, die angewendeten Kriterien die Finanzkraft dieser kommunalen Gebietskörperschaften berücksichtigen werden müssen, um sicherzustellen, dass diese Art der Zuweisung in der Praxis nicht die wohlhabenderen Gebietskörperschaften bevorzugt und den Graben zwischen ihnen und den finanziell schwächeren Gebietskörperschaften vergrößert. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Bestimmung auch auf Subventionen der Europäischen Union Anwendung findet, wenn Letztere Partei zur Charta oder zum Zusatzprotokoll ist.
Artikel 10
Absatz 1
49. In Ergänzung zum von Artikel 9 der Charta gewährten allgemeinen Schutz, zielt Artikel 10 des Protokolls darauf ab, einen verbesserten Rahmen für allgemeine finanzielle Einschränkungen zu erstellen, die in außergewöhnlichen Umständen den kommunalen Gebietskörperschaften auferlegt werden können.
50. Absatz 1 besagt, dass solche Einschränkungen nur bei „schwerwiegenden Gründen einer allgemeinen Wirtschaftspolitik“ auferlegt werden dürfen. Selbst in Fällen, die in diese Kategorie fallen, müssen die Einschränkungen mit den angestrebten Zielen vereinbar sein und dürfen nicht die Form von Sanktionen oder anderer Strafmaßnahmen annehmen. Weder der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung noch dessen längerfristige Umsetzung dürfen durch diesbezügliche Maßnahmen gefährdet werden. Diese Einschränkungen dürfen in keinem Fall dergestalt sein, dass sie gesetzlich verankerte Rechtsmittel im Hinblick auf einen Gesetzesverstoß, etc. ausschließen.
Absatz 2
51. Die fragliche Maßnahme dürfen nicht allgemeiner oder tatsächlich dauerhafter Natur sein, sondern müssen „Ausnahmen“ darstellen und auf objektiven und verifizierbaren Kriterien gründen. Sie müssen so gerecht wie möglich angewendet werden.
Absatz 3
52. Die temporäre Natur solcher Maßnahmen muss durch regelmäßige Überprüfungen des Bedarfs garantiert werden. Sie sollten sich auf die Zeitspanne beschränken, für die sie tatsächlich erforderlich sind, und so bald wie möglich aufgehoben werden.
Artikel 11
53. Mehrere Bestimmungen der Charta sichern ein Recht auf Mitwirkung der kommunalen Gebietskörperschaften bei Verfahren zu, die zu Entscheidungen führen, die diese ggf. betreffen könnten, so z. B. Artikel 4 (6) über das Recht auf generelle Anhörung, Artikel 5 über Anhörung bei Veränderungen der kommunalen Grenzen und Artikel 9 (6) über Anhörung bei Zuteilung umverteilter Mittel. Darüber hinaus impliziert das in Artikel 10 genannte Vereinigungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaften zweifellos das Recht, bei allen Formen der Mitwirkung durch eine Vereinigung vertreten zu werden.
54. Die Forderung an die übergeordneten Behörden, die kommunalen Gebietskörperschaften enger in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, ermöglicht eine Stärkung ihrer Position, ohne jedoch die wesentliche Entscheidungsbefugnis, die den übergeordneten Stellen vom Gesetz zugewiesen wurde, zu beeinträchtigen. Dies bedeutet, die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Ebenen der Regierung anzuerkennen, die dem Konzept der kommunalen Selbstverwaltung inhärent ist, ohne die einseitige Macht der übergeordneten Stellen laut Verfassung und anderer anwendbarer Gesetze zu leugnen.
55. Artikel 11 stellt die allgemeine Forderung nach einer minimalen Anhörung vor und legt deren Inhalt dar. Er stärkt und erweitert den Umfang bestimmter Konsultationsformen, die bereits in der Charta enthalten sind, und fügt neue hinzu. Die hierarchische Organisation der Absätze ermöglicht den Staaten, diesen in differenzierter und progressiver Weise zuzustimmen (siehe Artikel 15 und 16 des Protokolls).
Absatz 1
56. Dieser Absatz führt die allgemeine Forderung nach Anhörung ein und ergänzt die strikteren Verpflichtungen, die sich aus anderen Bestimmungen ergeben. Er legt auch den Inhalt dieser Verpflichtung in bezug auf die allgemeinen Grundsätze guter Verwaltungsverfahren fest. Generell wird diese Verpflichtung auf einzelne Handlungen sowie auf die Verabschiedung allgemeiner Regeln mit besonderem Interesse für die kommunalen Gebietskörperschaften angewendet. Ziel ist es, einen vernünftigen Mindestumfang an „Verhandlung“ bei einem an und für sich unstrittigen Verwaltungsverfahren sicherzustellen.
57. Seine Anwendung in bezug auf das Verfahren zur Vorbereitung von Entscheidungen, die vom fraglichen Vertretungsverband verabschiedet werden sollen, mit oder ohne Beteiligung der Exekutive, muss mit dem anwendbaren verfassungsrechtlichen Verfahren vereinbar sein. In ähnlicher Weise kann das auf eine Regulierung abzielende Verwaltungsverfahren weniger strikt sein als Verwaltungsverfahren, die sich auf Einzelentscheidungen beziehen. Diese Schwächung der Verfahrensposition der einzelnen Gebietskörperschaften sollte jedoch durch die Mitwirkung der Vereinigung ausgeglichen werden, welche die fraglichen Gebietskörperschaften vertritt (siehe Artikel 10 der Charta und Absatz 4 dieses Artikels).
Absatz 2
58. Die Verpflichtung zur Verhandlung findet vorwiegend auf bestimmte Entscheidungen Anwendung, die sich auf die finanzielle Eigenständigkeit beziehen, allgemein aber auch auf Entscheidungen, die sich mit der Einbeziehung der kommunalen Gebietskörperschaften in Maßnahmen befassen, eine Politik von allgemeinem Interesse umzusetzen.
59. Der Gedanke der „Verhandlung“ umfasst im weitesten Sinne die in Absatz 1 beschriebenen vorangehenden Konsultationsmaßnahmen. Das zusätzliche Element ist eine Verpflichtung der übergeordneten Behörde, eine Einigung mit den betroffenen Stellen über den Inhalt der zu treffenden Entscheidung zu erzielen.
60. Den Parteien steht es frei, die zur Erreichung dieses Ziels anzuwendenden Mittel zu bestimmen. Wird am Ende der Verhandlungen keine Einigung erzielt, greift die übergeordnete Behörde wieder auf die ihr zustehende Befugnis zurück und trifft die notwendigen Entscheidungen allein.
Absatz 3
61. Die wesentliche Funktion des Grundsatzes der begleitenden Finanzierung, wie in Artikel 9 (1) und (2) der Charta beschrieben und in Artikel 5 des Protokolls ausgeführt, verlangt die Etablierung von Verfahren, welche das gegenseitige Verständnis fördern, Konflikte beilegen und eine vollständigere Einhaltung dieses Grundsatzes sicherstellen.
62. Die Hauptmerkmale des Systems sind die technische Bewertung der Mittel und Kosten, die für die Entscheidungen über den Ausgleich der Mittel und Ausgaben relevant sind, und die Verpflichtung, die Ergebnisse öffentlich zu machen.
63. Gemeinsame Ausschüsse, die mit allgemeinen oder Bereichsaufgaben betraut sind, sind vorzugsweise für die technische Bewertung der Mittel und Kosten zuständig, um die Bemühungen um ein gegenseitiges Verständnis zu fördern. Die Forderung nach Veröffentlichung der Meinungen zielt auf denselben Effekt ab, selbst in Fällen, in denen die Meinungen innerhalb des Ausschusses nicht einstimmig sind. Ein Rückgriff auf die Dienste eines gemeinsamen Bewertungsausschusses sollte es insbesondere bei jenen Fällen geben, in denen der Prozess zu großen Veränderungen des bestehenden Systems führen könnte.
Absatz 4
64. Diese Bestimmung fügt das Recht der kommunalen Gebietskörperschaften auf Vereinigung laut Artikel 10 der Charta hinzu, indem sie festlegt, dass das innerstaatliche Recht das Recht der kommunalen Gebietskörperschaft auf Vertretung durch eine Vereinigung bei den verschiedenen Prozessen der Mitwirkung der kommunalen Gebietskörperschaften bei Entscheidungen, die sie betreffen, anerkannt wird. Das Recht sollte zunächst auf Prozesse Anwendung finden, welche die Mitwirkung einer gemeinsam agierenden Gruppe von kommunalen Gebietskörperschaften einschließen.
Artikel 12
65. Zweck der in diesem Artikel enthaltenen Bestimmungen ist, jene aus Artikel 8 der Charta zu stärken und zu erweitern, allerdings unter grundsätzlicher Vermeidung der politischen Subordination der kommunalen Gebietskörperschaften und der gewählten Kommunalvertreter. Das Protokoll behält die Unterscheidung zwischen „eigenen“ und übertragenen Verantwortungen bei. Hier deckt der benutzte Terminus „Handlungen“ auch die der kommunalen Befugnis unterstehenden Haushalte ab.Die Worte „andere unabhängige Stellen“ meinen alle unabhängigen Verwaltungsstellen oder, abhängig von der innerstaatlichen gesetzlichen Rechtsordnung der Parteien, alle anderen gleichwertigen staatlichen Stellen, welche ihre Aufgaben vollkommen unabhängig ausführen und die per Gesetz aufgerufen sind, über eine der in Artikel 12 aufgeworfenen Fragen zu entscheiden.
Absatz 1
66. Das Hauptziel der Verwaltungsaufsicht durch eine übergeordnete Behörde im Bereich der „eigenen Befugnisse“ der kommunalen Gebietskörperschaften ist, die Transparenz der kommunalen Handlungen gegenüber dem Bürger und die Einhaltung der Gesetze zu gewährleisten.
67. Aus diesem Grund ist eine hierarchische Subordination der kommunalen Gebietskörperschaften unter die übergeordneten Behörden nicht akzeptabel. Dementsprechend schließt Absatz 1 jede Verwaltungsaufsicht durch eine übergeordnete Stelle im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit von Entscheidungen aus. Wenn den übergeordneten Stellen eine Genehmigungsbefugnis eingeräumt wird, so schließt diese nicht die Befugnis ein, die fragliche Entscheidung zu ändern.
68. Eine vorherige Verwaltungsaufsicht ist nur dann zulässig, wenn in Übereinstimmung mit dem Gesetz festgestellt wurde, dass sich die kommunalen Gebietskörperschaften in ernsten finanziellen Schwierigkeiten befinden. Andererseits ist die vorherige Verwaltungsaufsicht durch eine unabhängige Stelle (Gericht, Rechnungshof oder andere) nicht ausgeschlossen.
69. Außer in Notfällen muss sich die Verwaltungsaufsicht über die endgültigen Entscheidungen der kommunalen Gebietskörperschaften auf deren Rechtmäßigkeit beschränken. Sie dürfen nur durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde außer Kraft gesetzt werden.
Absatz 2
70. Absatz 2 soll durch die Minimierung der externen Verwaltungsaufsicht die internen Aufsichtsmechanismen der kommunalen Gebietskörperschaften im Bereich Finanzen und Management stärken, indem er die Zweckdienlichkeit der von den gewählten Kommunalvertreter getroffenen Entscheidungen in Frage stellt.
71. Die Verwaltungsaufsicht in diesen Bereichen durch übergeordnete Stellen muss sich daher vorwiegend mit der Wirksamkeit der internen Kontrollen befassen, um die Transparenz der Arbeit der kommunalen Gebietskörperschaften und die politische Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern zu fördern, und um die kommunalen Gebietskörperschaften in die Lage zu versetzen, im Fall von Mängeln im Aufsichtssystem oder einer finanziellen Unausgewogenheit selbst Anpassungen vornehmen zu können.
72. Wenn das Gesetz selbst eine externe Aufsicht der Finanzverwaltung vorsieht, darf diese Aufsicht nur unabhängigen Organen zugewiesen werden (gerichtlichen oder Verwaltungsstellen). Auf jeden Fall darf die Aufsicht nicht die den kommunalen Gebietskörperschaften in Übereinstimmung mit dem Gesetz zustehende Wahlfreiheit beeinträchtigen.
Absatz 3
73. Die Artikel 7 und 8 der Charta befassen sich nicht mit der Verwaltungsaufsicht der kommunalen Gebietskörperschaften oder den gewählten Vertretern. Die Absätze 3 bis 5 ergänzen damit den Schutz, der in diesen zwei Bereichen durch die Charta gewährt wird und die sehr wichtig sind für die Eigenständigkeit der kommunalen Gebietskörperschaft und den Grundsatz der „freien Ausübung“ der Aufgaben der gewählten Vertreter. Sie berücksichtigen, dass die Verwaltungsaufsicht der kommunalen Gebietskörperschaften sich zuallererst auf die Wähler und die kommunalen Ratsversammlungen beschränkt.
74. Ein Organ der kommunalen Gebietskörperschaft kann durch eine übergeordnete Stelle nur in außergewöhnlichen Umständen aufgelöst werden, i.e. wenn diese nicht in der Lage ist, überhaupt zu agieren oder wenn es zu schweren oder wiederholten Verstößen gegen die Verfassung oder das Gesetz gekommen ist. Auf jeden Fall ist es Aufgabe einer gerichtlichen Behörde oder einer unabhängigen Verwaltungsstelle, zunächst festzustellen, ob diese Umstände erfüllt sind.
Absatz 4
75. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der freien Ausübung ihrer Aufgaben gemäß Artikel 7 (1) der Charta schließt dieser Absatz alle Formen der Verwaltungsaufsicht über Einzelhandlungen gewählter Kommunalvertreter aus, wenn diese sich nicht auf einen möglichen Verstoß gegen die Verfassung oder das Gesetz beziehen. Die Verpflichtung, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu respektieren, wird ausdrücklich genannt. Dieser schließt selbstverständlich auch die Sanktionen ein – siehe Absatz 5.
Absatz 5
76. Verwaltungsentscheidungen über die Suspendierung oder Entlassung eines gewählten Kommunalvertreters aufgrund seines oder ihres persönlichen Verhaltens im Rahmen der Ausübung seiner/ihrer Pflichten ist nur dann zulässig, wenn es bei der Ausübung der mit seinem/ihrem Amt verbundenen Pflichten zu einem schwerwiegenden oder wiederholten Verstoß gegen die Verfassung oder das Gesetz gekommen ist, der strafrechtlich mit einer Haftstrafe zu ahnden ist, wobei dies durch ein Gericht oder eine unabhängige Stelle festgestellt werden muss. Wie im Fall einer Auflösung von Organen ist es die Aufgabe gerichtlicher Behörden oder unabhängiger Stellen, zunächst festzustellen, ob diese Sachverhalte vorliegen (siehe Absatz 4).
77. Die Bestimmungen dieses Absatzes halten die Parteien nicht davon ab, ihre Gesetzgebung, wenn zutreffend, über den Verlust von Bürgerrechten als strafrechtliche Sanktion im Fall bestimmter schwerwiegender Formen illegalen Verhaltens beizubehalten.
Absatz 6
78. Absatz 6 gewährt den Organen und den gewählten Vertretern, die von der Entscheidung einer Auflösung, Suspendierung oder Entlassung betroffen sind, das Recht auf Einspruch bei Gericht. Dieses Recht ergänzt das Recht auf Einspruch der kommunalen Gebietskörperschaften laut Artikel 14 des Protokolls. Die Auflösung eines Organs darf offensichtlich nicht den Effekt haben, dem Organ oder (einigen) seiner Mitglieder das Einspruchsrecht zu entziehen.
Artikel 13
79. Die Charta befasst sich nicht mit der „Vertretung“, einer äußerst schwerwiegenden Form der Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung, die Folge einer Verwaltungsaufsicht durch eine übergeordnete Stelle sein kann (siehe Artikel 8 der Charta und Artikel 12 dieses Protokolls). Der Einsatz solcher Machtbefugnisse sollte daher auf Fälle beschränkt werden, bei denen dies unerlässlich ist.
Absatz 1
80. Entscheidungen über eine Vertretung dürfen nur in den Fällen und im von der Verfassung oder den Gesetzen vorgesehenen Rahmen getroffen werden und dürfen nur von befristeter Dauer sein. Die Befugnis auf „Vertretung“ muss auf besondere, vom Gesetz vorgesehene Fälle beschränkt sein, in denen die kommunalen Stellen Fehler bei der Ausübung ihrer Befugnisse begangen haben.
81. Jede Entscheidung, auf diese Machtbefugnis zurückzugreifen, muss nach Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme getroffen werden, insbesondere angesichts der widerstreitenden Interessen, die im Text erwähnt werden. Die Entscheidung, die Vertretungsbefugnis zu aktivieren, unterliegt nach wie vor einer politischen Bewertung der verschiedenen möglichen Lösungen zur Behebung der fehlerhaften Ausübung der fraglichen Pflichten, einschließlich die Möglichkeit einer teilweisen Vertretung.
82. Jede Entscheidung zur Einleitung eines Vertretungsverfahrens muss im Rahmen der verschiedenen in Artikel 11 dieses Protokolls beschriebenen Verfahren geschehen.
83. Unter keinen Umständen erlaubt die Ausübung dieser Vertretungsbefugnis die Einrichtung zusätzlicher Formen externer Kontrollen, die darauf abzielen, Fälle möglicher Fehlhandlungen seitens der kommunalen Gebietskörperschaften aufzudecken. Der Rückgriff auf Vertretungsmaßnahmen muss auf Grundlage der während des allgemeinen Kontrollverfahrens aufgedeckten Umstände entschieden werden.
Absatz 2
84. Um zu verhindern, dass die übergeordneten Stellen die Vertretungsbefugnis benutzen, um sich in die den kommunalen Gebietskörperschaften vorbehaltenen Entscheidungen einzumischen, vertritt das Protokoll den Grundsatz der persönlichen Unvoreingenommenheit des Personals, das die im Rahmen der Vertretungsentscheidung übertragenen Befugnisse ausübt. Eine Ausnahme kann bei übertragenen Befugnissen gemacht werden, angesichts der direkten Verantwortung der übergeordneten Stellen für deren Ausübung.
Artikel 14
85. Es sei denn, etwas anderes wurde festgelegt, ist es Aufgabe der Staaten, die Mittel zu wählen, mit denen die Standards und Grundsätze des öffentlichen internationalen Rechts, an die sie gebunden sind, in das innerstaatliche Rechtssystem integriert werden. Die Erfahrung zeigt, dass sich nicht in allen Rechtssystemen auf die Charta berufen werden kann, was zweifellos den Wirksamkeitsgrad der kommunalen Selbstverwaltung mindert.
86. Artikel 14 des Protokolls führt die Verpflichtung zur Anerkennung des Rechts auf wirksame Rechtsbehelfe gegen vermutete Verstöße der Bestimmungen der Charta und des Protokolls ein. Dazu lässt er sich von Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf wirksame Rechtsbehelfe vor einer nationalen Behörde zusichert, obwohl dieser keine Forderung enthält, die Konvention an sich in das innerstaatliche Recht aufzunehmen, sowie dem Wortlaut von Artikel 11 der Charta inspirieren. Es ist Aufgabe eines zuständigen Gerichts zu entscheiden, in welchem Maße die Bestimmungen, auf die sich berufen wird, einklagbar sind.
Artikel 15
87. Artikel 15 verdeutlicht, dass die Bestimmungen, die im Zusatzprotokoll enthalten sind, zusätzlich zu denen der Charta zu sehen sind.Dementsprechend mindern sie nicht die Gültigkeit der ordnungsgemäßen Auslegung der Bestimmungen der Charta. Siehe auch Absatz 5 der Präambel zu diesem Protokoll.
Artikel 16 und 17
88. Die in Teil II des Zusatzprotokolls enthaltenen Bestimmungen basieren auf den „Model final clauses for conventions and agreements concluded within the Council of Europe“, die im Februar 1980 auf der 315. Sitzung des Ministerkomitees verabschiedet wurden.
[1] Diskussion und Zustimmung durch den Ständigen Ausschuss der Kammer der Gemeinden am 20. November 2007 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 21. November 2007 (siehe Dokument CPL(14)8RECREV, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch C. Newbury (Vereinigtes Königreich, L, EPP/CD), Berichterstatter).