15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29
. Mai 2008

Entwurf einer Europäischen Charta der Regionalen Demokratie

Empfehlung 240 (2008)[1]


1. Die Stärkung der kommunalen und regionalen Demokratie ist eines der Ziele des Europarats und insbesondere seines Kongresses, dessen Arbeiten besonders auf die Förderung der Entfaltung kommunaler und regionaler Gremien in den Mitgliedsländern gerichtet sind.

2. Der Kongress betont erneut das Interesse, das die für kommunale und regionale Verwaltung zuständigen Minister auf ihren letzten drei Konferenzen, in Helsinki am 27. und 28. Juni 2002, in Budapest am 24. und 25. Februar 2005 und in Valencia am 15. und 16. Oktober 2007, den Grundsätzen der regionalen Demokratie gegenüber gezeigt haben.

3. Trotz unterschiedlicher Auffassungen über die nötige Reichweite regionaler Selbstverwaltung scheinen sich die Mitgliedsstaaten doch darin einig zu sein, dass gute Regionalverwaltung einen Mehrwert erbringen kann.

4. Was die kommunale Demokratie anbelangt, weist der Kongress darauf hin, dass die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (Nr. 122 der Europäischen Vertragsreihe), die am 15. Oktober 1985 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, der maßgebende juristische Bezugstext auf diesem Gebiet ist. Nach ihrer Ratifizierung durch fast alle Mitgliedsstaaten des Europarats spielt die Charta eine Schlüsselrolle als einer der Hauptpfeiler beim Aufbau eines auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegründeten Europas.

5. Gleichwohl ist die Ausgestaltung der regionalen Verwaltungsebene noch immer umstritten und Gegenstand vielfältiger Überlegungen und institutioneller Reformen in den meisten Mitgliedsstaaten des Europarats, was in dem Bericht des Kongresses über „Der gegenwärtige Zustand der Regionalisierung und die Aussichten für die Entwicklung regionaler Selbstverwaltung in den Mitgliedsstaaten des Europarats“ [CPR(14)6] untersucht wurde. Der Bericht wurde auf der Plenarsitzung des Kongresses im Mai 2007von Jean-Claude Van Cauwenberghe (Belgien, R, SOZ) vorgestellt and besprochen.

6. Derzeit gibt es in Europa keinen juristischen Text mit dem Ziel, Richtlinien zur Stärkung der regionalen Demokratie im Rahmen der institutionellen Reform der regionaler Ebene zu geben.

7. Der Kongress weist auf seine Entschließung 244 (2007) über “Grundsätze der regionalen Demokratie: Vorschläge und Strategie” sowie zum Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Demokratie im Anhang der Erläuterungen (Drucksache CPR(14)6REP) hin. Diese Entschließung bildete die Grundlage einer neuerlichen Diskussion im Lauf des Jahres 2007 und Anfang 2008  mit verschiedenen Interessenten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene zur Frage eines juristischen Textes über regionale Demokratie.

8. Im Verlauf dieser Beratungen wurden die Initiative des Kongresses zur Erstellung eines juristischen Textes über regionale Demokratie und sein 2007 erarbeiteter Entwurf überwiegend positiv aufgenommen und namentlich von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, dem Ausschuss der Regionen der Europäischen Union sowie den wichtigsten interregionalen Organisationen auf europäischer und internationaler Ebene wärmstens unterstützt.  

9. Der vorliegende Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Demokratie beruht mithin weitgehend auf den Bestimmungen und dem Geist des 2007 erstellten Entwurfs, berücksichtigt aber auch im Beratungsverfahren von den verschiedenen Interessenten gemachte Vorschläge.

10. Der Kongress ist nach wie vor der festen Überzeugung, dass es trotz wesentlicher rechtlicher und institutioneller Unterschiede auf diesem Gebiet  weiterhin wünschenswert und möglich ist, einen gemeinsamen allgemeinen Rahmen für regionale Demokratie vorzugeben und diesbezüglich laufende oder künftige Prozesse entsprechend zu koordinieren.


11. In diesem Sinne hat der Kongress die dieser Empfehlung angefügte Europäische Charta der regionalen Demokratie entworfen.

12. In Anbetracht dieser Ausführungen empfiehlt der Kongress dem Ministerkomitee:

a. den angefügten Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Demokratie zu prüfen ;

b. die erforderlichen Maßnahmen zur Verabschiedung des Entwurfs der Europäischen Charta der regionalen Demokratie  in Form eines neuen Übereinkommens des Europarats zu ergreifen ;

c. den Text sodann zur Unterzeichnung durch die Mitgliedsstaaten des Europarats aufzulegen ;

d. die Mitgliedsstaaten des Europarats aufzufordern, die Charta so bald wie möglich zu unterzeichnen und zu ratifizieren.


Anhang: Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Demokratie

Präambel

Die Mitgliedsstaaten des Europarats, Unterzeichner der vorliegenden Charta,

Demokratische Entwicklung in Europa

1. Überzeugt, dass die Stärkung der kommunalen und regionalen Demokratie eines der Hauptanliegen des Europarats ist und dass alle Mitgliedsstaaten ständigem Druck ausgesetzt sind, ihre Gebietsverwaltung neuen Gegebenheiten anzupassen; 

2. Der Ansicht, dass das Recht der Bürger, auf allen Ebenen der Verwaltung an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten beteiligt zu werden, einer der von allen Mitgliedsstaaten anerkannten demokratischen Grundsätze ist und dass die Wahrnehmung dieses Rechts auf regionaler Ebene zur Verankerung demokratischer Werte und der Rechtsstaatlichkeit beiträgt;

3. Unter erneutem Hinweis auf die Ergebnisse der Konferenzen der für kommunale und regionale Verwaltung zuständigen Minister in Helsinki im Juni 2002, in Budapest im Februar 2005 and in Valencia im Oktober 2007;

Identität und regionale Kultur

4. Überzeugt, dass regionale Demokratie dazu beiträgt, die Auswirkungen der Globalisierung in den Mitgliedsstaaten auszugleichen, insbesondere durch eine regionale Politik wirtschaftlicher Anreize, sozialer Solidarität, kulturelle Entwicklung und der Pflege der regionalen Identität;

5. Im Bewusstsein der Vorteile regionaler Maßnahmen im Bereich der Integration von Minderheiten sowie der grenzüberschreitenden und interregionalen Zusammenarbeit;

6. In Anbetracht dessen, dass regionale Einheiten gerade durch ihre Identität Zeugnis von Europas Vielfalt ablegen und unter Achtung nationaler und regionaler Traditionen zur Bereicherung der europäischen Kulturlandschaft beitragen;

7. Im Hinblick auf die von der Europäischen Charta der Regional- oder MInderheitensprachen vom 5. November 1992 angestrebte Förderung der überkommenen Regionalsprachen;

8. Unter Betonung der Tatsache, dass regionale Demokratie das Vorhandensein einer regionalen Verwaltungsebene voraussetzt, die über demokratisch gewählte und frei organisierte Organe verfügt, die ihrerseits mit weitgehender Autonomie hinsichtlich der Art und Weise der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und hinreichenden Haushaltsmitteln dafür ausgestattet sind;

Regionale Demokratie und Staatsregierung

9. Unter Beachtung der verschiedenen Organisationsformen europäischer Regionen und des Rechts eines jeden Staates, das Ausmaß regionaler Demokratie und die Bedingungen ihrer Ausübung festzulegen;

10. Unter Würdigung des Interesses von Staaten, die dabei sind, in einem Regionalisierungsprozess die regionale Demokratie zu entwickeln;

11. Im Bewusstsein der Pflicht regionaler Einheiten, in allem Handeln die Grundsätze der Souveränität, der staatlichen Einheit und der Wahrung der grundlegenden Interessen des Landes beim europäischen Einigungsprozess zu achten;


12. In der Erwägung, dass regionale Einheiten durch ihr Handeln zur Sicherheit und zum Frieden zwischen den Ländern und Völkern Europas beitragen müssen;

Regionale Demokratie und Gemeinden

13. Unter Hinweis auf den Umstand, dass die vorliegende Charta und die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung vom 15. Oktober 1985 einander ergänzen;

14. Unter Betonung dessen, dass regionale Demokratie nicht auf Kosten der kommunalen Selbstverwaltung angestrebt werden darf;

Regionale Demokratie und Menschenrechte

15. Im Bewusstsein dessen, dass es wichtig ist, dass die in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Grundrechte auch von den regionalen Einheiten geachtet werden;

Sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1:

Jede Vertragspartei verpflichtet sich:

- sich an die Grundsätze und Regeln in Abschnitt I der Charta gebunden zu fühlen;

- sich jeweils an einen der unter den Artikeln 23 bis einschließlich 28 im Abschnitt II aufgeführten Absätze  a, b  oder c gebunden zu fühlen;

- sich an mindestens 27 der im Abschnitt III aufgeführten Absätze gebunden zu fühlen. Artikel, die nur aus einem Absatz bestehen, zählen dabei als ein Absatz.

Artikel 2:

Jeder Vertragsstaat bezeichnet in seiner Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunde diejenigen Gebietskörperschaften oder Behörden auf seinem Gebiet, die als regionale Gebietskörperschaften im Sinne der vorliegenden Charta gelten.

Abschnitt I: Wesentliche Elemente regionaler Demokratie

Artikel 3: Grundsatz demokratischen Regierens

Akzeptanz und Ausübung regionaler Selbstverwaltung gehören zu den Elementen demokratischen Regierens. Das bedeutet, dass regionale Instanzen sich auf demokratische Grundsätze und Achtung der Menschenrechte gründen und sich um Frieden, Stabilität, Wohlstand und auf Solidarität beruhende dauerhafte Entwicklung bemühen müssen.

Artikel 4: Bürgerbeteiligung

Regionale Gebietskörperschaften sollten die Ausübung der Bürgerrechte auf Beteiligung an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten fördern und möglichst bürgernahe Verwaltung anstreben.

Artikel 5: Subsidiaritätsgrundsatz

Die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf regionale Gebietskörperschaften muss dem Grundsatz der Subsidiarität folgen, der für die Zuständigkeitsverteilung zwischen allen Ebenen der Verwaltung gilt, Das bedeutet, dass die regionalen Instanzen jene Aufgaben übernehmen sollten,  die wegen ihres Umfangs, ihrer Natur und den Erfordernissen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit am besten auf regionaler Ebene wahrgenommen werden.

Artikel 6: Grundsatz guten Regierens und guter Verwaltung

6.1 In Ausübung der regionalen Selbstverwaltung sind die Grundsätze der auf sachlicher Information beruhenden Entscheidungsfindung und der Evaluierung der getroffenen Entscheidungen zu beachten, ferner ist auf Flexibilität, Offenheit, Transparenz, Mitsprache und Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit zu achten.

6.2  Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auf regionaler Ebene muss den Grundsätzen guter Verwaltung und der Qualität öffentlicher Dienstleistungen entsprechen.

Artikel 7: Begriff und Definition einer regionalen Gebietskörperschaft

7.1 Regionale Gebietskörperschaften im Sinne dieser Charta sind Einheiten zwischen der Staatsregierung einerseits und den Gemeinden andererseits.

7.2  Die vorliegende Charta schließt nicht aus, dass regionale Gebietskörperschaften in der Rechtsordnung des Landes als eine Art örtlicher Körperschaft angesehen werden oder dass eine einzige Instanz die zusammengefassten Zuständigkeiten der Gemeinde- wie der Regionalebene wahrnimmt.

Artikel 8: Verhältnis zu den Gemeinden

8.1 Das Verhältnis zwischen den regionalen Gebietskörperschaften und den Gemeinden richtet sich nach den in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung niedergelegten Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung. 

8.2 Es besteht kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen regionalen Gebietskörperschaften und Gemeinden, es sei denn, dies sei in der Verfassung oder Rechtsordnung des Landes ausdrücklich vorgesehen.  

8.3 Die regionalen Gebietskörperschaften arbeiten bei der Verfolgung von Zielen allgemeinen Interesses und bei der  Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung mit den Gemeinden zusammen.

Artikel 9: Grundsatz der Loyalität und Achtung der staatlichen Einheit

9.1 Das Verhältnis zwischen den regionalen Gebietskörperschaften und der Staatsregierung richtet sich nach dem Grundsatz gegenseitiger Loyalität und gleicher Würde und bedingt die Achtung der Einheit, Souveränität und territorialen Unversehrtheit des Staates.

9.2 Regionale Selbstverwaltung erfordert notwendigerweise rechtsstaatliches Handeln und Achtung der gebietsmäßigen Einteilung eines jeden Staates, sei es im Verhältnis zwischen Staatsregierung und  regionalen Gebietskörperschaften, im Verhältnis zwischen den regionalen Gebietskörperschaften und den anderen Gebietskörperschaften oder im Verhältnis der regionalen Gebietskörperschaften zur Bevölkerung. 

9.3 Regionale Gebietskörperschaften sind gehalten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren verfassungs- oder gesetzmäßigen Pflichten nachzukommen. 

Artikel 10: Grundsatz des Zusammenhalts

Die Wahrnehmung regionaler Selbstverwaltung hat im Geiste der Solidarität unter den regionalen Gebietskörperschaften zu den gesamtstaatlichen Zielen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts sowie den Bemühungen der Staatsregierung um vergleichbare Lebensbedingungen und ausgewogene Entwicklung auf dem gesamten Staatsgebiet beizutragen.


Artikel 11: Verfassungsmäßige oder rechtliche Grundlagen der regionalen Selbstverwaltung

11.1 Die Grundsätze der regionalen Selbstverwaltung und das Bestehen regionaler Gebietskörperschaften werden durch die Verfassung, durch Gesetz oder durch internationalen Vertrag festgelegt.

11.2 Die Voraussetzungen für die Bildung, Abänderung oder  Abschaffung von regionalen Gebietskörperschaften werden durch die Verfassung oder durch Gesetz geregelt. Die regionalen Gebietskörperschaften sind vor ihre Existenz oder  ihre Grenzen betreffenden Maßnahmen anzuhören.  

11.3 Die regionalen Zuständigkeiten werden durch die Verfassung, durch Gesetz sowie durch regionale Satzungen festgelegt. 

Artikel 12: Umfang der regionalen Selbstverwaltung

12.1 Die regionalen Gebietskörperschaften müssen im Rahmen der Verfassung oder des Gesetzes die rechtliche Zuständigkeit und tatsächliche Möglichkeit besitzen, in Eigenverantwortung und im Interesse der Bevölkerung  alle Angelegenheiten von regionaler Bedeutung zu regeln und in die Hand zu nehmen, sofern diese nicht durch Verfassung oder Gesetz ihrer Zuständigkeit entzogen und einer anderen Behörde zugewiesen sind.   

12.2 Die eigenen Zuständigkeiten regionaler Gebietskörperschaften müssen vollständig und ausschließlich sein. Im Rahmen dieser ihrer Zuständigkeiten sind die regionalen Gebietskörperschaften zur Verwaltung und Entscheidung befugt.

12.3 Innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen können den regionalen Gebietskörperschaften durch die Staatsregierung, durch Gemeinden oder durch sonstige öffentliche Behörden Zuständigkeiten übertragen werden. 

Artikel 13: Initiativrecht

Die regionalen Gebietskörperschaften können nach eigenem Ermessen in einem Zuständigkeitsbereich, der nicht durch Verfassung oder Gesetz einer anderen Behörde zugewiesen ist, Initiativen ergreifen.

Artikel 14: Gewählte Gremien auf regionaler Ebene

14.1 Das Recht regionaler Selbstverwaltung wird von Versammlungen ausgeübt, deren Mitglieder in direkten, freien und geheimen Wahlen gewählt werden. Diese Bestimmung hindert nicht den Rückgriff auf Bürgerversammlungen, Volksabstimmungen oder sonstige Formen direkter Bürgerbeteiligung, falls dies gesetzlich vorgesehen ist.

14.2 In zeitlich befristeten Ausnahmefällen und höchstens bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Ratifizierung der vorliegenden Charta können Versammlungen zugelassen werden, deren Mitglieder von den in der Region vertretenen Gemeinden demokratisch gewählt wurden.

Artikel 15: Stellung der gewählten Vertreter in den regionalen Organen

15.1 Die Stellung der gewählten Regionalvertreter muss ihnen die freie Ausübung ihres Mandats gestatten, ohne an Aufträge der Körperschaften, die sie vertreten, gebunden zu sein. Mitglieder des Rates oder der Versammlung genießen das Recht freier Meinungsäußerung.

15.2 Gesetzlich ist festzulegen, welche Funktionen oder Tätigkeiten mit der Stellung eines gewählten Regionalvertreters nicht vereinbar sind.


15.3 Nur gesetzlich vorgesehene Sanktionen dürfen gegen gewählte Mitglieder regionaler Gremien verhängt werden. Sie müssen im rechten Verhältnis zu den Interessen, die es zu schützen gilt, stehen und gerichtlicher Nachprüfung unterliegen. Suspendierung und Entlassung dürfen lediglich in Fällen vorgesehen werden, in denen das betreffende Gremium handlungsunfähig ist oder in Fällen, in denen durch ein Gericht oder eine dafür zuständige, von dem Gremium, dem der gewählte Vertreter angehört, unabhängige Verwaltungsinstanz  ernsthafte und wiederholte Verfassungs- oder Gesetzesverletzungen festgestellt wurden.

Artikel 16: Finanzquellen der regionalen Gebietskörperschaften

16.1 Regionale Gebietskörperschaften müssen mit Recht auf Eigentum ausgestattet sein.

16.2 Regionale Gebietskörperschaften haben Anspruch auf gesetzlich vorgesehene, berechenbare und zur Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten und Aufgaben ausreichende Haushaltsmittel.

16.3 Die Haushaltsmittel der regionalen Gebietskörperschaften müssen hinreichend aufgefächert sein; sie müssen ihnen einerseits vernünftige Sicherheit gewähren und es ihnen andererseits ermöglichen, mit der tatsächlichen Entwicklung der für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben Schritt zu halten.

16.4 Mittelzuweisungen an regionale Gebietskörperschaften müssen gesetzlich festgelegten Regeln und objektiven, zuständigkeitsbezogenen Kriterien folgen. 

16.5 Jede Übertragung von Zuständigkeiten an die regionalen Gebietskörperschaften muss mit den Zuweisung entsprechender Haushaltsmittel verbunden sein.

16.6 Staatliche Mittelzuweisungen an regionale Gebietskörperschaften sollten grundsätzlich nicht zweckgebunden sein.

Artikel 17: Selbstbestimmung der regionalen Gebietskörperschaften in Organisationsfragen

Die regionalen Gebietskörperschaften haben das Recht, ihre interne Gliederung, ihr Verwaltungssystem und ihre Organisation im allgemeinen Rahmen der Verfassung, des Gesetzes oder regionaler Vorschriften selbst zu bestimmen.

Artikel 18: Recht aus Zusammenschlüssen, interregionale Zusammenarbeit und Außenbeziehungen

18.1 Regionale und sonstige Gebietskörperschaften haben das Recht, ihre gegenseitigen Beziehungen im Rahmen der Gesetze und in Bezug auf Gegenstände ihrer Zuständigkeit selbst zu regeln und untereinander zusammenzuarbeiten. Sie sind berechtigt, Zusammenschlüsse zu bilden und zwar auch mit Gebietskörperschaften anderer Art.

18.2 Regionale Gebietskörperschaften sind ferner berechtigt, Mitglied internationaler Organisationen von Regionen und/oder Gemeinden zu werden. Regionale Gebietskörperschaften dürfen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, der Gesetze sowie der internationalen Verpflichtungen und Außenpolitik ihres Staates  interregional und grenzüberschreitend mit Gebietskörperschaften anderer Länder zusammenarbeiten.

18.3 Wenn nötig werden die regionalen Gebietskörperschaften an den Arbeiten europäischer und internationaler Institutionen beteiligt oder werden dort durch eigens dafür geschaffene Gremien vertreten.

Artikel 19: Anhörungsrecht

Die regionalen Gebietskörperschaften sind an allen Entscheidungen, die ihre Zuständigkeiten und wesentlichen Interessen berühren, zu beteiligen.  


Artikel 20: Aufsicht über die Tätigkeit regionaler Gebietskörperschaften

20.1 Die Überwachung der Tätigkeit regionaler Gebietskörperschaften im Bereich ihrer eigenen Zuständigkeiten ist nur gemäß den in der Verfassung, im Gesetz oder in Verordnungen vorgesehenem Verfahren und den darin genannten Fällen zulässig. Aufsicht dieser Art ist in einer Weise auszuüben, die gewährleistet, dass Eingriffe der Aufsichtsbehörde im rechten Verhältnis zu den Interessen, die es zu schützen gilt, stehen. Die Überprüfung darf nur nachträglich erfolgen.

20.2 Jegliche Überwachung der Tätigkeit regionaler Gebietskörperschaften im eigenen Wirkungskreis dient lediglich dem Zweck sicherzustellen, dass ihr Handeln dem Gesetz und den Grundsätzen der Verfassung entspricht (Rechtsaufsicht). Die Aufsicht über die Erledigung übertragener Zuständigkeiten oder Vollzugsaufgaben kann demgegenüber eine Bewertung der Zweckdienlichkeit und Effizienz einschließen (Fachaufsicht). 

Artikel 21: Schutz der regionalen Selbstverwaltung

Die regionalen Gebietskörperschaften haben das Recht, eine Gerichtsbehörde anzurufen, um die Achtung der freien Ausübung ihrer Befugnisse und der in der Verfassung oder im Gesetz festgelegten Grundsätze regionaler Selbstverwaltung sicherstellen zu lassen.

Abschnitt II

Artikel 22: Verschiedene Organisationsformen regionaler Gebietskörperschaften

22.1 Die mit der vorliegende Charta angestrebte regionale Demokratie kann ihren Ausdruck in unterschiedlichen Organisationsformen finden: eine bundesstaatliche Ordnung, ein System dezentralisierter regionaler Gebietskörperschaften oder eine auf Zusammenarbeit kommunaler Gebietskörperschaften beruhende Struktur. Um den in Abschnitt I niedergelegten Grundsätzen zu entsprechen, verpflichtet sich jede Vertragspartei, sich an jeweils einen der Absätze  a), b) oder c) der sechs nachfolgenden Artikel gebunden zu fühlen.

22.2 Jeder Vertragsstaat bezeichnet anlässlich der Hinterlegung ihrer Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunde dem Generalsekretär des Europarats die nach den Bestimmungen von Artikel 1 der vorliegenden Charta ausgewählten Absätze.

22.3 Vorbehalte hinsichtlich der Artikel in Abschnitt I sind nicht zulässig..

22.4  Jede Vertragspartei kann zu einem späteren Zeitpunkt  dem Generalsekretär mitteilen, dass sie sich an weitere Absätze dieser Charta gebunden fühlt, die sie bisher noch nicht gemäß Artikel 1 der vorliegenden Charta akzeptiert hatte.  Eine Vertragspartei, die erklärt, sich an einen der Absätze  a), b) oder c) in Abschnitt II der vorliegenden Charta gebunden zu fühlen, ist nicht länger an den in einer früheren Erklärung als bindend ausgewählten Absatz desselben Artikels gebunden. Spätere Verpflichtungen dieser Art gelten als integraler Bestandteil des Ratifizierungs-, Beitritts- oder Zustimmungsakts der später erklärenden Vertragspartei und entfalten dieselbe Wirkung ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem Tag des Eingangs der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

Artikel 23: Bestandsgarantie

a. Der Bestand regionaler Gebietskörperschaften ist von der Verfassung garantiert.

Eingriffe in den Bestand oder die Grenzen regionaler Gebietskörperschaften sind nur im Rahmen der in der Verfassung hierfür vorgesehenen Regeln und Verfahren zulässig;

b. Die Existenz regionaler Gebietskörperschaften ist in der Verfassung oder im Gesetz niedergelegt..

Eingriffe in den Bestand oder die Grenzen regionaler Gebietskörperschaften sind nur im Rahmen der in der Verfassung oder im Gesetz hierfür vorgesehenen Regeln und Verfahren zulässig;

c. Regionale Gebietskörperschaften können unter den gesetzlich festgelegten Voraussetzungen durch den Zusammenschluss kommunaler Gebietskörperschaften gebildet werden.

Artikel 24: Zuständigkeiten

a. Die Zuständigkeiten regionaler Gebietskörperschaften sind in der Verfassung niedergelegt.

Im eigenen Wirkungskreis sind die regionalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang ermächtigt, Rechtssetzungsakte (Gesetze und Verordnungen) zu erlassen, Entscheidungen zu treffen und Verwaltungshandlungen vorzunehmen.

Im Falle übertragener Aufgaben durch andere öffentliche Behörden müssen die regionalen Gebietskörperschaften in die Lage versetzt werden, ihre Wahrnehmung den besonderen Bedingungen der Region anzupassen;

b. Die Zuständigkeiten regionaler Gebietskörperschaften sind in der Verfassung oder im Gesetz niedergelegt.

Die regionalen Gebietskörperschaften haben eigene Entscheidungs- und Verwaltungsbefugnisse. Diese Befugnisse müssen es ihnen ermöglichen, eigene politische Akzente zu setzen oder ihre Politik an die Gegebenheiten anzupassen;

c. Die Zuständigkeiten der regionalen Gebietskörperschaften sind gesetzlich oder in ihren Satzungen niedergelegt.

Staatliche oder sonstige öffentliche Behörden können ihnen Zuständigkeiten zuweisen oder Vollzugsaufgaben übertragen.

Artikel 25: Haushaltsmittel

a. Die Haushaltsmittel der regionalen Gebietskörperschaften und ihre Verwendung sind in der Verfassung niedergelegt.

b. Regionalen Gebietskörperschaften bedürfen eigener Mittel, über die sie frei verfügen können.

Ein wesentlicher Teil dieser Mittel muss sich aus Steuern, Abgaben oder Gebühren ergeben, deren Höhe sie im gesetzlich vorgesehenen Rahmen selbst festsetzen können.

c. Die Haushaltsmittel der regionalen Gebietskörperschaften und die Bedingungen ihrer Verwendung werden durch Gesetz oder durch regionale Satzungen festgelegt.

Diese Mittel können auch aus den Beiträgen von Mitgliedskörperschaften bestehen.

Artikel 26: Die wesentlichen Gremien und Organe

a. Regionale Gebietskörperschaften verfügen über eine Versammlung, deren Mitglieder in allgemeinen, direkten, freien und geheimen Wahlen gewählt werden.

Die mit Vollzugsaufgaben betrauten Organe sind dieser Versammlung gegenüber rechenschaftspflichtig.

b. Regionale Gebietskörperschaften verfügen über eine Versammlung, deren Mitglieder in allgemeinen und direkten Wahlen gewählt werden.  

Die mit Vollzugsaufgaben betrauten Organe werden von der Versammlung ernannt oder von dieser oder direkt von der Bevölkerung gewählt. Sie sind der Versammlung gegenüber über ihre Arbeit rechenschaftspflichtig.

c. Bis eine Reform die Direktwahl der Mitglieder der Regionalversammlung eingeführt hat, setzt diese sich vorübergehend aus gewählten Vertretern aller kommunalen Gebietskörperschaften der Region zusammen. Eine Ausnahmesituation dieser Art darf nicht länger als zehn Jahre nach Ratifizierung der vorliegenden Charta dauern.


Artikel 27: Aufsicht

a. Die Aufsicht der Staatsregierung über die regionalen Gebietskörperschaften ist in der Verfassung zu regeln und zielt lediglich darauf ab sicherzustellen, dass ihre Handlungsweise den Bestimmungen entspricht (Rechtsaufsicht).

Bei Streitigkeiten zwischen der Staatsregierung und den regionalen Gebietskörperschaften muss der Rechtsweg zu einem Verfassungsgericht gegeben sein.

b. Die Aufsicht über die regionalen Gebietskörperschaften ist in der Verfassung oder im Gesetz zu regeln.

c. Die Aufsicht über die regionalen Gebietskörperschaften wird durch Gesetz oder Verordnung geregelt.

Artikel 28: Zusammenarbeit mit öffentlichen Körperschaften anderer Ebene

a. Die regionalen Gebietskörperschaften können ermächtigt werden, unter Beachtung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung Gemeinden zu organisieren, ihnen Zuständigkeiten zuzuweisen und Aufsicht über sie auszuüben. 

b. Die Gemeindeaufsicht ist nicht Sache der regionalen Gebietskörperschaften.

c. Die Beziehungen zwischen den regionalen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Körperschaften  werden im Gesetz oder in ihren Satzungen geregelt.

Abschnitt III – Formen regionaler Organisation

Artikel 29: Zuständigkeitsbereich regionaler Gebietskörperschaften

29.1 Die regionalen Gebietskörperschaften sind zuständig zur Förderung der regionalen Kultur sowie der Bewahrung und Pflege des kulturellen Erbes der Region einschließlich der Regionalsprachen.

29.2 Die wirtschaftliche Entwicklung der Region stellt einen wesentlichen Aspekt regionaler Aufgaben dar, deren Wahrnehmung in Partnerschaft mit allen Wirtschaftskräften der Region zu erfolgen hat.

29.3 Die regionalen Gebietskörperschaften tragen dazu bei, die Bildungs- und Ausbildungsangebote den Anforderungen der Entwicklung des Arbeitsmarkts in der Region anzupassen.

29.4 Die Sozialwohlfahrt und das öffentliche Gesundheitswesen zählen ebenfalls zu den Arbeitsbereichen der regionalen Gebietskörperschaften, die sich auch um sozialen Zusammenhalt in der Region bemühen sollen.

29.5 Eine ausgewogene Entwicklung im ganzen Gebiet muss zu den wichtigsten Zielen aller Maßnahmen regionaler Gebietskörperschaften zählen, die Auswirkungen auf die gebietsmäßige Organisation der Region haben.

29.6 Die regionalen Gebietskörperschaften sind für den Schutz und die Pflege der Naturschätze und der biologischen Vielfalt verantwortlich; sie sichern unter Beachtung der diesbezüglichen örtlichen, nationalen, europäischen und internationalen Politik die nachhaltige Entwicklung der Region.


Artikel 30: Gemeinschaftsaufgaben

Im Bereich von Gemeinschaftsaufgaben sind Verfahren zum Dialog, zur Schlichtung und zur Zusammenarbeit vorzusehen, um eine zusammenhängende öffentliche Politik sowie die Achtung der regionalen Zuständigkeiten zu gewährleisten.  

Artikel 31: Übertragene Aufgaben

31.1 Der Beschluss, mit dem Aufgaben an regionale Gebietskörperschaften übertragen werden, muss, soweit vertretbar, die zur wirksamen Erledigung derselben erforderlichen Mittel, vor allem materieller und finanzieller Art, benennen. 

31.2 Soweit möglich und gesetzlich zulässig  sind die regionalen Gebietskörperschaften berechtigt, die Art der  Erledigung übertragener Aufgaben den besonderen Bedingungen der Region anzupassen.  

31.3 Im Rahmen der durch Verfassung oder Gesetz vorgegebenen Grenzen können die regionalen Gebietskörperschaften zur Wahrnehmung von anderen Gebietskörperschaften übertragenen Zuständigkeiten beitragen.

Artikel 32: Übertragung von Vollzugsaufgaben

Im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes sowie im Rahmen des Gesetzes können die regionalen Gebietskörperschaften mit dem regionalen Vollzug von Aufgaben, die in die Zuständigkeit der Staatsbehörden fallen, betraut werden.  

Artikel 33: Ausübung von Eigentumsrechten

33.1 Die regionalen Gebietskörperschaften haben das Recht, Eigentum zu besitzen und zu nutzen sowie dieses Eigentum oder seine Verwaltung in Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten und Aufgaben, sofern dies im öffentlichen Interesse liegt und gesetzlich zulässig ist, Instanzen interregionaler Zusammenarbeit, öffentlichen Dienststellen oder sonstigen Gremien zu übertragen.

33.2 Sofern eine Enteignung von Vermögenswerten der regionalen Gebietskörperschaften gesetzlich zulässig ist, darf diese nur zum Nutzen der öffentlichen Hand im Rahmen eines rechtlichen Verfahrens  und gegen angemessene Entschädigung erfolgen.

Artikel 34: Anwendung des Grundsatzes “Keine Aufgabe ohne entsprechende Mittel”

34.1 Der Grundsatz, dass die Haushaltsmittel der regionalen Gebietskörperschaften im rechten Verhältnis zu ihren Zuständigkeiten und Aufgaben stehen und die wirksame Wahrnehmung derselben ermöglichen müssen, ist in der Verfassung oder im Gesetz zu verankern.

34.2 Sofern Entscheidungen übergeordneter Behörden, regionale Steuern abzuschaffen, zu senken oder ihre Bemessungsgrundlagen nachteilig zu verändern, eine Verringerung der Einnahmen regionaler Gebietskörperschaften zur Folge haben,  sind diese durch dauerhafte, angemessene und gleichwertige Einkünfte auszugleichen.

34.3 Bei Übertragung neuer Aufgaben müssen die dafür zugewiesenen Mittel mindestens denen entsprechen, die der bisher damit betrauten Behörde zu ihrer Wahrnehmung zur Verfügung standen; dabei kann es sich um Haushaltsmittel, Vermögenswerte und/oder Personal handeln.

34.4 Die Pflicht, angemessene Mittel zuzuweisen oder die Erschließung neuer Einnahmequellen zu gestatten, gilt auch für den Fall, dass bestimmte Entscheidungen zu einer allgemeinen Kostenerhöhung führen, z.B. höhere Gehälter und Löhne, gestiegene Sozialausgaben oder strengere Umweltschutznormen.


Artikel 35: Eigene Haushaltsmittel

35.1 Ein wesentlicher Teil der Haushaltsmittel der regionalen Gebietskörperschaften muss aus frei festsetzbaren Gebühren sowie aus (ausschließlichem oder anteiligem) regionalem Steueraufkommen, dessen Höhe sie – gegebenenfalls in einem vorher festgesetzten gesetzlichen Rahmen -  selbst bestimmen können, stammen.

35.2 Der Anteil an eigenen Haushaltsmitteln der regionalen Gebietskörperschaften muss groß genug sein, um ihnen echten Spielraum bei der Wahrnehmung der Aufgaben ihres eigenen Wirkungskreises zu lassen.

Artikel 36: Pauschale und zweckgebundene Zuschüsse

36.1 Das System pauschaler und zweckgebundener Zuschüsse muss den regionalen Gebietskörperschaften wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit bieten und Faktoren wie Wirtschaftswachstum, Kostensteigerungen, höhere Löhne und Gehälter sowie höhere Mindestausgaben im Sozial- wie im Umweltschutzbereich berücksichtigen.

36.2 Zuschüsse an regionale Gebietskörperschaften zur Finanzierung bestimmter Projekte müssen zahlenmäßig beschränkt bleiben und sich vor allem auf Fälle beziehen. in denen es um Investitionen und die Wahrnehmung übertragener Aufgaben geht.

36.3 Falls Zuschüsse an eine Eigenbeteiligung der regionalen Gebietskörperschaften gebunden sind, hat sich die Höhe der Eigenbeteiligung nach den finanziellen Möglichkeiten der betreffenden Gebietskörperschaften zu richten.

Artikel 37: Finanzausgleich

37.1 Beim Finanzausgleich geht es darum, einerseits strukturbedingte Ungleichheiten unter den regionalen Gebietskörperschaften und andererseits  Unterschiede ihres finanziellen Leistungsvermögens auszugleichen.

37.2. Die Kriterien und Verfahren des Finanzausgleichs sind gesetzlich festzulegen; sie müssen objektiv, klar, transparent, vorhersehbar, nachprüfbar und nicht diskriminierend sein.  

37.3 Die Finanzausgleichsverfahren müssen auf ein gerechtes Finanzausstattungsniveau gerichtet sein und dürfen weder die Ausübung der regionalen Selbstverwaltung beeinträchtigen noch die freie Verwaltung der regionalen Gebietskörperschaften behindern.

Artikel 38: Besoldung und Sozialversicherung der gewählten Regionalvertreter

38.1 Der Status gewählter Regionalvertreter muss mit einer Vergütung und/oder Aufwandsentschädigung für amtsbedingte Unkosten sowie gegebenenfalls vollem oder teilweisem Ausgleich für Verdienstausfall oder einer Bezahlung für geleistete Arbeit und entsprechender Sozialversicherung verbunden sein.

38.2 Regionaler Gremien und gewählte Regionalvertreter sind berechtigt, Entscheidungen über die Auflösung des Gremiums, ihre Suspendierung oder Entlassung vor einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsinstanz anzufechten. Ihre Beschwerde hat aufschiebende Wirkung; nur in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen dürfen Sanktionen schon vorher wirksam werden.   

Artikel 39: Dienstrecht des Personals

39.1 Das für die Bediensteten der regionalen Gebietskörperschaften geltende Dienstrecht muss bei der Einstellung auf Qualität achten; die Einstellung muss ohne jegliche Diskriminierung  nach Verdienst und Kompetenz erfolgen. Zu diesem Zweck müssen die regionalen Gebietskörperschaften angemessene Fortbildungsmöglichkeiten, Besoldung und Beförderungsaussichten bieten.

39.2 Vorbehaltlich allgemeiner gesetzlicher Regelungen sind die regionalen Gebietskörperschaften berechtigt, den Aufbau der Verwaltung, welche die ihnen obliegenden Dienstleistungen zu erbringen hat, selbst zu bestimmen.

Artikel 40: Information und Anhörung der Bevölkerung

40.1 Die regionalen Gebietskörperschaften sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit informiert wird und Zugang zu Unterlagen über die Politik und Entscheidungen, die sie zu verantworten haben, bekommt.

40.2 Im Rahmen der Gesetze bedienen die regionalen Gebietskörperschaften sich aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um die Beteiligung und/oder Anhörung der Bürger und ihrer Vereinigungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen zu fördern  

Artikel 41: Vereinbarungen und Gremien grenzüberschreitender und interregionaler Zusammenarbeit

41.1 Im Rahmen der Gesetze und ihrer Zuständigkeiten sowie unter Achtung staatlicher Verpflichtungen können die regionalen Gebietskörperschaften mit öffentlichen Körperschaften anderer Staaten Vereinbarungen zur grenzüberschreitenden und/oder interregionalen Zusammenarbeit schließen.

41.2 Die regionalen Gebietskörperschaften können in Übereinstimmung mit den Gesetzen gemeinsame Gremien mit Rechtspersönlichkeit zur grenzüberschreitenden und/oder interregionalen Zusammenarbeit einsetzen und gegebenenfalls bilaterale, multilaterale oder internationale Verträge über die Schaffung derartiger Gremien und ihrer Arbeit abschließen.

41.3 Die regionalen Gebietskörperschaften sind befugt, zur Finanzierung von Vorhaben grenzüberschreitender und /oder interregionaler Zusammenarbeit Zuschüsse des Staates oder von europäischen oder internationalen Institutionen oder anderen öffentlichen Instanzen anzunehmen.

Artikel 42: Beteiligung der regionalen Gebietskörperschaften an sie betreffenden Entscheidungen

42.1 Jede regionale Gebietskörperschaften betreffende Entscheidung einer gesamtstaatlichen oder föderalen Regierung, die beträchtliche Auswirkungen auf die regionalen Gebietskörperschaften hat oder haben könnte, hat in einem Verfahren zu erfolgen, das mindestens Folgendes vorschreibt: vorherige Information der von der Entscheidung betroffenen regionalen Gebietskörperschaften, das Recht derselben auf Akteneinsicht,  ihr Recht, binnen angemessener Frist ihre Sicht der Dinge darzulegen, sowie die Pflicht der Behörde, ihre Entscheidung unter Berücksichtigung der vorgebrachten Gegenargumente zu begründen. 

42.2 Jeder Entscheidung einer gesamtstaatlichen oder föderalen Regierung über das Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben regionaler Gebietskörperschaften sowie die Voraussetzungen und Kriterien eines Finanzausgleichs und pauschaler oder zweckgebundener Zuschüsse müssen entsprechende Verhandlungen zwischen der gesamtstaatlichen oder föderalen Regierung und den regionalen Gebietskörperschaften vorausgehen. Verhandlungen dieser Art haben auch dann stattzufinden, wenn eine übergeordnete Behörde vorhat, regionale Gebietskörperschaften zur Umsetzung politischer Maßnahmen heranzuziehen, die im gemeinsamen Interesse verschiedener Verwaltungsebenen liegen.  

42.3 Das Recht regionaler Gebietskörperschaften, sich im Anhörungsverfahren, bei Verhandlungen und bei der Zusammenarbeit mit der gesamtstaatlichen oder föderalen Regierung durch Dachverbände oder sonstige Gremien vertreten zu lassen, ist gesetzlich zu verankern.

Artikel 43: Mitsprache in europäischen und internationalen Angelegenheiten

43.1 Sofern die Verfassung und/oder die Gesetze es gestatten, sind die regionalen Gebietskörperschaften in geeigneten Verfahren oder durch entsprechende Gremien vor internationaler Verhandlungen des Staates und der Umsetzung internationaler Verträge anzuhören, falls es bei diesen um ihre Zuständigkeiten, ihre wesentlichen Interessen oder das Ausmaß regionaler Selbstverwaltung geht. Das Gleiche gilt, wenn die regionalen Gebietskörperschaften Bestimmungen zu beachten haben, die auf europäischer Ebene festgelegt wurden.

43.2 Um ihre Interessen zu fördern oder zu verfechten, haben die Regionen das Recht, einzeln oder gemeinschaftlich mit anderen regionalen oder kommunalen Gebietskörperschaften Vertretungen im Ausland zu eröffnen, um mit europäischen Organisationen im Bereich ihrer Zuständigkeiten Verbindung zu halten.

Artikel 44: Ersatzvornahme

44.1 Die Befugnis der gesamtstaatlichen oder föderalen Regierung zur einstweiligen Ersatzvornahme, d.h. zu vorübergehendem Handeln an Stelle von Organen regionaler Gebietskörperschaften. ist nur in Ausnahmefällen und im Rahmen der dafür von der Verfassung oder vom Gesetz vorgesehenen Verfahren zulässig. Eine derartige Befugnis muss sich auf besondere Fälle beschränken, in denen regionale Gebietskörperschaften sich ernsthaft als unfähig erwiesen haben, ihre Zuständigkeiten wahrzunehmen. Die Ersatzvornahme hat dabei unter Berücksichtigung der von ihr zu schützenden Interessen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.  

44.2 Im Fall der Ersatzvornahme ist die Entscheidungsbefugnis Personen anzuvertrauen, die ausschließlich im Interesse der betroffenen regionalen Gebietskörperschaft handeln, es sei denn, es handle sich um Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises. 

Abschnitt IV: Schlussbestimmungen

45. Jeder Vertragspartei steht es frei, ihr System regionaler Selbstverwaltung in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Regeln der vorliegenden Charta, die für alle Parteien gelten, sowie denjenigen, welche die Partei als für sich bindend erklärt hat, abzuändern.

46.1 Jede Vertragspartei kann im Zeitpunkt der Unterzeichnung oder bei Hinterlegung der Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunde das Gebiet oder die Gebiete benennen, für welche die Charta Gültigkeit haben soll.

46.2 Jeder Staat kann zu einem späteren Zeitpunkt durch Erklärung gegenüber dem Generalsekretär des Europarats den Anwendungsbereich der vorliegenden Charta auf weitere in der Erklärung benannte Gebiete ausdehnen. In Bezug auf solche Gebiete tritt die Charta am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf  eine Frist von drei Monaten nach dem Tag des Eingangs der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

46.3 Jede Erklärung der in den beiden vorangehenden Absätzen genannten Art  kann bezüglich eines darin genannten Gebietes durch Mitteilung an den Generalsekretär zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf eine Frist von drei Monaten nach dem Tag der Eingang der Mitteilung beim Generalsekretär folgt. 

47. Keine der Bestimmungen der vorliegenden Charta kann als Einschränkung der den regionalen Gebietskörperschaften im nationalen Recht eines Vertragsstaates oder in bilateralen oder multilateralen internationalen Vereinbarungen, an denen der betreffende Staat beteiligt ist, garantierten Rechte  ausgelegt werden.

48. Die vorliegende Charta wird zur Unterzeichnung durch die Mitgliedsstaaten des Europarats aufgelegt. Sie wird wirksam durch Ratifizierung, Beitritt oder Zustimmung. Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunden  sind beim Generalsekretär des Europarats zu hinterlegen.

49.1 Die vorliegende Charta tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf eine Frist von drei Monaten nach dem Tag, an dem fünf Mitgliedsstaaten des Europarats zugestimmt haben, sich durch die Charta gebunden zu fühlen, folgt.

49.2 Hinsichtlich eines jeden anderen Mitgliedsstaates, der zu einem späteren Zeitpunkt zustimmt, sich durch die Charta gebundne zu fühlen, tritt die Charta am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf eine Frist von drei Monaten nach dem Tag der Hinterlegung der Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunde folgt.

50.1 Nach Inkrafttreten der vorliegenden Charta kann das Ministerkomitee des Europarats jeden Staat, der nicht Mitglied des Europarats ist, einladen, der Charta beizutreten.

50.2 Hinsichtlich eines auf diese Weise beitretenden Staates tritt die Charta am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf eine Frist von drei Monaten nach dem Tag der Hinterlegung der Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats folgt.

51.1 Jede Vertragspartei  kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt ihre Kündigung der vorliegenden Charta durch Mitteilung an den Generalsekretär des Europarats erklären.

51.2 Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf eine Frist von sechs Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

52. Der Generalsekretär des Europarats gibt allen Mitgliedsstaaten des Europarats sowie jeder Vertragspartei der vorliegenden Charta Kenntnis von:

a. jeder Unterzeichnung;

b. jeder Hinterlegung einer Ratifikations-, Beitritts- oder Zustimmungsurkunde;

c. jedem Tag des Inkrafttretens der vorliegenden Charta;

d. jeder sonstigen Handlung, Erklärung oder Mitteilung bezüglich der vorliegenden Charta;

Zu Urkunde dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten diese Charta unterschrieben.

Geschehen zu Straßburg am..., in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedsstaaten des Europarats und jedem zum Beitritt zur Charta eingeladenen Staat eine beglaubigte Abschrift.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 28. Mai 2008, 2. Sitzung (siehe Dokument CG(15)6REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch J.-C. Van Cauwenberghe (Belgien, R, SOC), Berichterstatter).