Entschliessung 137 (2002)1 betreffend integrierte Verkehrspolitik

Der Kongress,

1. Im Hinblick auf:

2. den von Herrn Georghe Ciuhandu (Rumänien, G) und Herrn Keith Whitmore (Vereinigtes Königreich, R) im Namen des Ausschusses für nachhaltige Entwicklung vorgelegten Bericht über integrierte Transportpolitik;

3. die bisher durch den KGRE zu Transportfragen angenommene Texte, worunter:

a. die Entschliessung 191 (1988) betreffend das städtische Verkehrswesen in Europa;

b. die Entschliessung 220 (1991) betreffend den regionalen Verkehr;

c. die Entschliessung 122 (1991) betreffend die Verbesserung des Verkehrs und der Lebensqualität in Grossstadtgebieten;

4. Folgendes bedenkend:

a. Die meisten kommunalen, nationalen und europäischen Beschlüsse betreffend den Personen- und Gütertransport werden völlig unkoordiniert gefällt: die diesbezüglichen Politiken berücksichtigen nur kurzfristige Überlegungen und sollen meistens nur die spezifischen Wünsche von Lobbies befriedigen;

b. Die Zuständigkeiten und Verantwortungen für den Transport in Städten und Regionen, einschliesslich dessen Beziehungen zur Stadtplanung, sind immer noch breitgefächert und häufig wirr aufgeteilt auf zahlreiche Dienste und Gremien;

c. Gegenwärtig führen die Bodennutzungs- und Transportpolitiken der meisten europäischen Länder zur übermässigen Nutzung von Privatwagen in den Städten und ihrer unmittelbaren Umgebung. Solche Politiken bewirken somit zunehmende Verstopfung, Luftverschmutzung, Lärm, sauren Regen und das Risiko globaler Erwärmung;

d. Ein nachhaltiges kommunales und regionales Verkehrswesen erscheint als unerlässliche Bedingung für das Erreichen des übergreifenden Ziels: einer nachhaltigen Mobilität in Europa. Es ist unbedingt notwendig, ein neues Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Transportmöglichkeiten herzustellen, damit der Gebrauch des Autos, besonders in der Stadt, sowie der Anteil Warentransporte durch Lastwagen sich verringern;

e. Die Abhängigkeit von der Nutzung des Privatautos in den Städten kann nur durch ein kombiniertes Vorgehen in den Bereichen Bodennutzung und Transportwesen reduziert werden. Es besteht somit ein Bedarf nach einer besseren Integration der Transport-, Umwelt- und Raumordnungspolitiken, was wiederum eine wirksamere Stadtplanung bedeutet;

f. In einer Reihe von Fällen machen die Agglomerationen nicht Halt an den städtischen Verwaltungsgrenzen, sondern breiten sich über mehrere Gemeinden mit häufig einander widersprechenden Interessenlagen aus. Deshalb darf diese notwendige Integration nicht nur horizontal, sondern muss auch vertikal, zwischen den verschiedenen Gebietsabstufungen, erfolgen.

g. Es genügt nicht, Überlegungen über die Probleme einer Stadt anzustellen: gewisse Probleme müssen vielmehr durch die Region auf regionaler Ebene oder aber im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit und Koordination zwischen mehreren kommunalen Gebietskörperschaften angegangen werden;

h. Die zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit des Stadtverkehrs konzipierten Massnahmen sollten nicht als Selbstzweck angesehen werden, sondern als wichtige Elemente einer umfassenderen Vision: als Beitrag zu einer Aktion für den Fortbestand der Städte;

5. Ruft die Gemeinden und Regionen auf,

a. Strategien zur Reduktion von Verkehrsformen zu verwirklichen, die in ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht unangemessen sind;

b. den Gebrauch von Privatautos in Städten einzuschränken unter Belassung der Wahlfreiheit für die Benützer, vorausgesetzt, diese übernehmen die vollen Kosten für die resultierenden Schäden (durch rationelle Preisfestsetzung begrenzte Wahlfreiheit);

c. eine starke Integration des Mobilitätssystems zu fördern mit dem Hauptziel, ein attraktiveres und bequemeres städtisches Transportsystem anzubieten, das die vorhandenen Mittel besser nutzt und folglich auch die Staus vermindert;

d. die Intermodalität (leichten Übergang zwischen den Transportarten) zu fördern und so in jeder Zone die ihr angemessenste Transportform zu entwickeln. Die "Park & Ride"-Systeme sind hierfür ein sehr gutes Beispiel;

e. integrierte Massnahmenpakete zu entwickeln, welche öffentliche Verkehrsmittel, zahlungspflichtiges Parkieren und andere gebührenpflichtige Massnahmen, Bodennutzung und gleiches Raumangebot für Alle auf öffentlichen Strassen miteinbeziehen, und diese Pakete nach Massgabe des politisch Machbaren Schritt für Schritt umzusetzen;

f. für eine Koordination der verschiedenen, das Parkieren, die Fussgängerzonen, die Verkehrsbeschränkungen oder die Erhebung von Verkehrsgebühren in Stadtzentren sowie die Verkehrs- und Raumordnungspolitiken in der gesamten Agglomeration betreffenden Massnahmen zu sorgen, um nachteilige Auswirkungen zu minimieren;

g. bei der Verkehrsplanung die Lage der Verkehrsverursacher und der Verkehrsattraktoren, den Bau, den Betrieb und die Kommerzialisierung der verschiedenen Tansportarten, die Grundstückswidmung, die Investitionspläne und die übrigen, Mobilität erzeugenden Faktoren zu berücksichtigen;

h. vor allem auch durch die Organisation von öffentlichen Debatten über Transportfragen die Konzertation und Information zu verbessern und so in der öffentlichen Meinung eine Strömung zu erzeugen, die Neuerungen zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung positiv aufnimmt;

i. auf sorgfältig ausgearbeitete Botschaften aufbauende Sensibilisierungskampagnen zu organisieren, um Informationen zu verbreiten sowie Verhaltensmuster und Meinungen über Verkehrsoptionen zu ändern;

j. von Anfang an die wichtigsten Partner in die Planung einzubeziehen und sie auch weiterhin, während der gesamten Umsetzungsphase, einzubeziehen (Medien, Politiker, Unternehmer, örtliche pressure groups);

k. eine dauerhafte städtische Koalition oder ein mächtiges Aktionsnetz zu schaffen, das die verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Akteure und die Interessengruppen vereinigt, die eine grundlegende strategische Vision von der Stadt und den städtischen Transportmöglichkeiten miteinander teilen;

l. die nachfolgend aufgeführten Städtebaupolitischen Massnahmen umzusetzen, um die notwendigen Fahrten zu reduzieren und Formen der Stadtentwicklung zu begünstigen, welche die Abhängigkeit vom Privatauto vermindern:

i. mittels einer Begrenzung ihrer Gesamtfläche und einer Ausweisung der in jeder Gemeinde zu urbanisierenden Zonen verhindern, dass Städte sich immer weiter ausbreiten;

ii. verschiedene Kategorien der Bodenwidmung in die örtlichen Raumpläne einführen, die klar unterscheiden zwischen Stadtteilen für Büros, für den Handel und für Industrien;

iii. für eine genügende Dichte der neuen Urbanisierungszonen sorgen, um ein befriedigendes Angebot an Diensten und eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz zu sichern;

iv. die heute häufige Praxis der mithilfe verdeckter Subventionen betriebenen Finanzierung von Infrastrukturen für Wohnüberbauungen in entfernten, noch unbebauten Zonen meiden;

v. durch Aufrechterhaltung der Qualität und Anziehungskraft der Stadtzentren den im Stadtinneren und in den zentral gelegenen Quartieren wohnenden Bevölkerungsanteil vergrössern;

vi. die Anzahl Arbeitsplätze im Stadtinneren und in den zentral gelegenen Quartieren vergrössern;

vii. die Kapazität an Strassen und Parkmöglichkeiten reduzieren oder doch zumindest nicht vergrössern;

viii. die Anzahl Parkplätze nach Massgabe der verschiedenen Kategorien kommerzieller Bauten beschränken;

ix. die Grundstücksabgaben für bebautes Vorstadtgelände allgemein erhöhen und sie gleichzeitig abschaffen oder stark reduzieren für jene Eigentümer, die in Befolgung der eine Verdichtung fördernden örtlichen Raumordnungspläne den Bodennutzungskoeffizienten ihres Grundstücks erhöhen;

m. integrierte Parkplatzstrategien in den Stadtzentren umzusetzen und dabei folgende Grundsätze zu berücksichtigen:

i. in den Stadtzentren sollten Parkplätze immer kostenpflichtig oder reglementiert sein;

ii. Preis und Anzahl der Parkplätze ermöglichen eine Regulierung der Nachfrage nach kurz- oder langfristigem Parken (hohe Gebühren an begehrten Stellen);

iii. welches auch immer die gefahrene Strecke sei, die Gesamtkosten für die Nutzung und das Parkieren des Privatautos dürfen nicht geringer sein als diejenigen für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel;

iv. wenn öffentliche Transportmittel zur Verfügung stehen, sollte das Parkplatzangebot reduziert werden;

v. das Parkieren in den Strassen sollte so weitgehend wie möglich reduziert und für ein hinreichendes Parkplatzangebot ausserhalb des öffentlichen Strassennetzes an bequem an der Peripherie gelegenen Stellen gesorgt werden, um das Herumfahren auf der Suche nach einem Parkplatz zu verhindern und den Betrieb eines effizienten Leitsystems zu erleichtern;

vi. es sollte so wenig wie möglich einzeln oder durch Privatgesellschaften betriebene Parkplätze in den Stadtzentren geben. Der Betrieb der Parkplätze durch eine einzige Gesellschaft begünstigt die Koordination und Optimierung der Verkehrsströme;

n. die Qualität der öffentlichen Verkehrsbetriebe zu verbessern, sie im Vergleich zu anderen Transportmöglichkeiten wettbewerbsfähiger zu machen und ihre Rentabilität zu sichern durch besondere Beachtung folgender Punkte:

i. Evaluation unter dem Gesichtspunkt der Leistung des gesamten Systems und nicht nur der Kostendeckung;

ii. vergleichende Erhebung der Leistungsmerkmale und häufige Kontrollen des Leistungsstandes;

iii. Gebührenfestsetzung und Finanzierungspolitik nicht nur im Blick auf die Kostendeckung sondern auch auf das Kundenverhalten;

iv. engere Integration des öffentlichen Verkehrs in das gesamte städtische Mobilitätssystem;

v. verbesserte Zugänglichkeit und Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrsnetzes aufgrund kluger Dienstleistungen und Linienführung sowie dynamischer on-line-Information der Passagiere;

vi. angemessenes Vorfahrtsrecht für die öffentlichen Verkehrsmittel (gerechte Aufteilung der Fahrbahn nach Massgabe der Anzahl sie befahrender Personen);

vii. "Segmentierung" der angebotenen Dienste (d.h. Vielfalt der den Kunden angebotenen, über das Basisangebot hinausgehenden "Produkte");

viii. Zuteilung von Dienstverträgen aufgrund wettbewerbsorientierter Ausschreibungsverfahren;

o. die Rolle des öffentlichen und diejenige des privaten Sektors so zu regulieren, dass aus beiden der grösstmögliche Nutzen im Dienste einer gemeinsamen Vision von einem städtischen Verkehrsnetz zu ziehen ist, das jedem Verkehrsmodus und -betreiber bestmögliche Arbeitsbedingungen bietet;

p. die Einführung von Massnahmen der Gebührenfestsetzung für den öffentlichen Verkehr vorzusehen, die die Modalverteilung in den Agglomerationen zugunsten der öffentlichen Verkehrsmittel, der "Park & Ride"-Systeme und der nichtmotorisierten Transportformen verändern. Solche Massnahmen können im übrigen bedeutende Einnahmen verschaffen, die für die Finanzierung angemessener Transportsysteme und für Umweltverbesserungen eingesetzt werden können;

q. alle Kosten zu internalisieren, um den Ersatzsystemen für den Personen- und Warentransport bessere Chancen zu geben;

r. ein kohärentes, auf einer "integrierten Preiskalkulation für den Verkehrssektor" gegründetes System sämtlicher mit der Mobilität in den Agglomerationen zusammenhängender Gebühren und Abgaben einzuführen. Eine solche Konzeption bringt Veränderungen der Preisstruktur und der Preise des Transportwesens mit sich (gebührenpflichtige Strassen, Parkgebühren, Fahrpreise in öffentlichen Verkehrsmitteln, Transportsteuern):

i. wenn Parkgebühren nicht mehr wirksam sind, müsste die Einführung von Strassennutzungsgebühren überlegt werden;

ii. die Einführung von Strassennutzungsgebühren ist wirksamer und wird besser akzeptiert, wenn sie Teil eines Massnahmenpakets zur Deckung von Nachfragen ist;

iii. die Massnahmen der Gebührenfestsetzung für den öffentlichen Verkehr sollten ergänzt werden durch Systeme der integrierten Bezahlung;

iv. um die Wirkung der Massnahmen zur Gebührenfestlegung für den öffentlichen Verkehr zu erhöhen, müssten diese Massnahmen durch eine Verbesserung der Intermodalität flankiert werden, etwa durch die Einführung von Systemen des "Park & Ride" mit integrierter Ausstellung von Fahrkarten;

v. die Art und Weise der Verwendung der Einnahmen ist der Schlüssel zur Akzeptanz der Massnahmen zur Gebührenfestlegung;

s. Die Schaffung einer Stelle zu erwägen, die sämtliche Aspekte der Mobilität, der Bodennutzung und der städtischen Umwelt für ein gegebenes Territorium koordiniert, um so die Integration der verschiedenen Entscheidungstypen und die Entwicklung von kohärenten Programmen zu verbessern. Solche Strukturen brauchen vorerst vielleicht keine offizielle Rechtsstellung zu haben, sondern könnten nach Massgabe ihrer Nutzung für die Zusammenarbeit der verschiedenen Partner eine Form finden.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 6. Juni 2002, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (9) 10, Entschliessungsentwurf vorgelegt durch die Herren G. Ciuhandu und K. Whitmore, Berichterstatter)