Empfehlung 158 (2004)1 über die Herausforderungen der Regionalisierung in Südosteuropa

Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Regionen,

1. Unter Verweis auf Empfehlung 65 (1999) betreffend den gegenwärtigen Stand und die Aussichten der Regionalisierung in Europa und Empfehlung 99 (2001) betreffend die internationale Zusammenarbeit auf regionaler Ebene;

2. Angesichts der Empfehlung 156 (2004) über das „Übereinkommen des Europarates über die regionale Selbstverwaltung – Fortschritte beim Entwurf“ und die Entschließungen 146 (2002) und 161 (2003) betreffend den erreichten Fortschritt im Hinblick auf die Annahme des Entwurfs einer europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung des Europarates;

3. Eingedenk der politischen Erklärung von Chişinău über die grenzüberschreitende und interterritoriale Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Südosteuropa, die das Ministerkomitee des Europarates bei seiner 113. Sitzung im November 2003 sowie die Empfehlung 112 (2002) betreffend die Foren der Städte und Regionen in Südosteuropa verabschiedete;

4. Unter Hinweis auf zahlreiche Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen und des Europäischen Parlaments zugunsten der Regionalisierung und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit;

5. Nach Prüfung des Berichtes von Carlo Andreotti (Italien, R, EVP/CD) über die Herausforderungen der Regionalisierung in Südosteuropa;

6. In dem Bewusstsein, dass sich die Regionalisierung derzeit in vielen Mitgliedstaaten des Europarates entwickelt und dass die Politik der Dezentralisierung in vielen Ländern zahlreiche positive Zeichen setzt;

7. Unterstreicht die Vorteile der Regionalisierung, die als eines der wichtigsten Instrumente gilt, um auf die Herausforderungen der politischen Entwicklung in Europa einzugehen. Durch sie können die territorialen Besonderheiten jedes Mitgliedstaates berücksichtigt und besser auf die Bedürfnisse der Bewohner eingegangen werden;

8. In der Auffassung, dass die Erfahrung der europäischen Länder mit der Regionalisierung gute Beispiele liefert und die Entwicklung der Verwaltung in Südosteuropa stimuliert;

9. In der Überzeugung, dass:

a. die Förderung, Einsetzung und Stärkung einer authentischen Regionaldemokratie entscheidende Elemente des politischen Stabilisierungsprozesses darstellen und eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung der Regionen in Südosteuropa sind;

b. die Regionalebene ein wichtiger Rahmen des demokratischen Lebens in jedem Land ist und daher über ausreichende Befugnisse verfügen muss, damit sie die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen kann;

c. die Regionalstrukturen die beste Grundlage für eine dezentralisierte Verteilung der Finanzressourcen bieten;

d. die Region Südosteuropa vor allem effizienter Aktionen bedarf, um die notwendigen Gebietsreformen durchzuführen, Institutionen zu entwickeln und geeignete Organe auf regionaler Ebene einzusetzen;

10. In dem Bewusstsein, dass die Regionalisierung in Südosteuropa noch häufig als Gefahr für die territoriale Integrität und nicht als Voraussetzung für den Erfolg der demokratischen Entwicklung gesehen wird;

11. In der Auffassung, dass die Regionalisierung des Territoriums ein Prozess ist, der die Verwaltung eines Landes eher stärkt als schwächt;

12. In der Überzeugung, dass eine Regionalisierung, die rechtzeitig und in Abstimmung mit der Bevölkerung der Regionen durchgeführt wird, ein politisches Instrument bei der Prävention von sozialen und kulturellen Spannungen oder Konflikten im Inneren des Staates sein kann;

13. In der Auffassung, dass die Förderung der Selbstverwaltung und die territoriale Aufteilung die Koexistenz der verschiedenen Volksgruppen im Inneren einer Region und eines Landes begünstigen und die interethnischen und interreligiösen Beziehungen stärken sollten;

14. In der Überzeugung, dass:

a. die Regionen den geeigneten Rahmen für die verschiedenen spezifischen Aktionen bilden, die für die Umsetzung der Projekte zur politischen, kulturellen und sozioökonomischen Entwicklung notwendig sind und dazu beitragen, die derzeitigen Herausforderungen leichter zu identifizieren;

b. die Regionen am besten in der Lage sind, die notwendigen Aktivitäten horizontal mit anderen Regionen des gleichen Landes oder im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu koordinieren und zu verwalten;

15. In der Überzeugung, dass:

a. die Förderung der interregionalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine der Hauptforderungen und -ziele der europäischen Politik darstellt, sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch auf Ebene des Europarates;

b. diese Zusammenarbeit ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung und demokratischen Entwicklung der Region Südosteuropa sowie ein Mittel zur Stärkung des Gefühls der Verbundenheit und der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Bevölkerungen darstellt, die auf beiden Seiten der Grenzen leben;

16. Besorgt über die Notwendigkeit, einen sozialen Konsens in den Ländern Südosteuropas über die politische Umsetzung der Dezentralisierung der Staatsorganisation zu finden;

17. Unter Verweis darauf, dass der Lenkungsausschuss für Gemeinde- und Regionaldemokratie (CDLR) die Arbeiten für einen Entwurf für ein Übereinkommen über die regionale Selbstverwaltung und einen Empfehlungsentwurf des Ministerkomitees des Europarates über die regionale Selbstverwaltung abgeschlossen und diese an das Ministerkomitee überwiesen hat;

18. In dem Bewusstsein, dass die Europäische Union und der Europarat mit ihren Programmen für Südosteuropa eine wichtige Rolle zur Unterstützung des Prozesses der territorialen und administrativen Umgestaltung der Region spielen;

19. Empfiehlt den Mitgliedstaaten:

a. dafür zu sorgen, dass die Regionalisierung und die Dezentralisierung in den Ländern Südosteuropas sich effizient und konstruktiv entwickeln können und die rechtlichen und administrativen Hindernisse für die Regionalisierung aus dem Weg geräumt werden;

b. die Regionen Südosteuropas aufzufordern, von den positiven Erfahrungen mit der Regionalisierung in einigen europäischen Ländern zu profitieren, in denen die Regionalisierung ein nicht zu vernachlässigender Faktor für eine bessere nationale Kohäsion war und spezifische Mittel und Methoden auszuarbeiten, um diese Erfahrungen besser weiter zu vermitteln;

c. die Beziehungen der Regionen zu den Zentralbehörden, den Gemeindeverwaltungen und internationalen Organisationen, die die Funktionsweise auf regionaler Ebene beeinträchtigen können, besser zu bestimmen;

d. eine effiziente Politik gegenüber den Regionen der Länder Südosteuropas zu betreiben und insbesondere die regionalen Entscheidungsbefugnisse, die effektive Entwicklung der Institutionen und die Ausbildung von Verwaltungspersonal zu verstärken;

e. die rasche Annahme einer europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung durch den Europarat in Form eines internationalen Übereinkommens zu unterstützen, das, einmal verabschiedet, als Grundlage für die Umgestaltung der territorialen Verwaltung der Länder Südosteuropas dienen kann;

f. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Südosteuropa zu stärken und die Initiativen in diesem Bereich zu unterstützen, um strukturierte Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wie z.B. die Euroregionen zu schaffen;

g. das Interesse der Staaten Südosteuropas und der Nachbarstaaten an der Ausarbeitung des Rechtsrahmens für ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu stärken, um entsprechende zwischenstaatliche Abkommen für die Umsetzung des Rahmenübereinkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften oder Behörden des Europarates zu schließen;

h. entsprechende Strukturen zu schaffen, die über ausreichende Befugnisse verfügen, um tatsächlichen und dauerhaften Einfluss auf das Leben in den betroffenen Grenzregionen auszuüben, damit sie die internen und externen Hindernisse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Südosteuropa überwinden und diese Zusammenarbeit erfolgreich durchführen können;

i. die interregionalen Verbände und Netze in den Ländern Südosteuropas zu fördern, die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch zu stärken und dadurch zur Verbreitung und Umsetzung des Gedankens der Regionalisierung, so wie er heute in anderen Teilen des europäischen Raumes existiert, sowie zur politischen und demokratischen Stabilität der Region beizutragen;

j. in den europäischen Instanzen und insbesondere den Instanzen der Gemeinschaft tätig zu werden, um Unterstützung für die Regionalisierung und die Dezentralisierung in Südosteuropa zu finden;

20. Empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarates :

a. europäische Strategien und Aktionen zu entwickeln, die die Situation im Bereich der Regionalisierung und der Dezentralisierung verbessern und insbesondere den Regionen Südosteuropas zugute kommen sollen;

b. in sein zwischenstaatliches Aktivitätenprogramm die regionale Dimension und insbesondere spezifische Studien über die Regionalisierung in Südosteuropa und die Erfahrungen und den Beistand, den die Mitgliedstaaten leisten können, aufzunehmen;

c. in seinen spezifischen Beistandsprogrammen für die Länder Südosteuropas dem Kongress der Gemeinden und Regionen einen festen Platz einzuräumen, damit er im Rahmen seiner Kompetenzen zur Schaffung und Umsetzung der regionalen demokratischen Strukturen in diesen Ländern beitragen kann;

d. die Regierungen der Länder Südosteuropas aufzufordern:

i. ihre Bemühungen um die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips mit Hilfe von Initiativen und geeigneten Maßnahmen zur Förderung der Dezentralisierung und Schaffung demokratischer Strukturen der regionalen Selbstverwaltung fortzusetzen;

ii. die grenzüberschreitende dezentralisierte Zusammenarbeit weiter auszubauen und die Möglichkeit eines multilateralen Abkommens zu prüfen, das, wie in der Empfehlung 112 (2002) des Kongresses vorgeschlagen, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften eine Rechtsgrundlage gibt;

iii. ihre informellen Ministertagungen fortzusetzen, um die europäische Integration und die Regionalisierung in ihren Ländern voranzubringen;

21. Fordert die Europäische Union auf:

a. über ihre verschiedenen Entwicklungsprogramme die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und die Politik zur Dezentralisierung und Regionalisierung zu unterstützen, insbesondere im Rahmen der gemeinsamen Programme mit dem Europarat;

b. in Südosteuropa für ein effizientes regionales territoriales System, das operationell und absolut demokratisch ist, einzutreten;

c. weiterhin die Regionalisierung als entscheidendes Element für die demokratische Stabilität und die nationale und regionale sozioökonomische Entwicklung zu fördern;

d. die Regionen Südosteuropas eng in die Umsetzung ihrer transnationalen und interregionalen Kooperationsprogramme einzubinden und die transnationalen Kontakte zur Umsetzung neuer Kooperationsprojekte zu pflegen; 

e. zu verhindern, dass nach der Erweiterung die neuen kontinentalen und maritimen Grenzen, die durch das Schengener Abkommen gezogen werden, zu undurchlässigen Trennlinien werden und neue Hindernisse für eine enge Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen den demokratischen Staaten darstellen;

f. die neuen Nachbarschaftsprogramme auf die Länder Südosteuropas auszuweiten, die ab jetzt oder in Zukunft an den Grenzen der Europäischen Union liegen;

g. rasch das neue Instrument, das die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, zu fördern. Laut der Stellungnahme 24 (2004) über den Entwurf eines Fortschrittsberichts des Ausschusses der Regionen betreffend „Ein neues Rechtsinstrument für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, die der Kongress bei seiner 11. Plenartagung verabschiedete, sollen dadurch die Euroregionen erweitert werden;

h. die Konferenz der Regionalminister für Südosteuropa, zuständig für die kommunale Selbstverwaltung (25. – 26. Oktober, Zagreb, Kroatien), die gemeinsam vom Stabilitätspakt für Südosteuropa und dem Europarat organisiert wird, für die Förderung der Kooperation und der Dezentralisierung in Südosteuropa zu nutzen.

i. fordert den Ausschuss der Regionen auf, 2005 gemeinsam mit dem Kongress ein neues Forum der Städte und Regionen Südosteuropas zur Förderung ihrer Kooperation über die Grenzen der Europäischen Union hinaus zu organisieren.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 4. November 2004 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 5. November 2004 (siehe Dok. CPR (11) 6, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch C. Andreotti (Italien, R, EVP/CD) Berichterstatter).