Empfehlung 44 (1998)1 betreffend die Krise im Kosovo

Der Kongress,

1. In Kenntnis der am 5. März 1998 durch das Kongress-Präsidium und sodann am 6. März 1998 durch den Ständigen Ausschuss herausgegebenen Kommuniqués, worin zu dem Zeitpunkt, da die serbische Polizei ihren Unterdrückungsschlag führte, ein dringender Appell an die internationale Gemeinschaft, das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung gerichtet war;

2. Vermerkt insbesondere, dass er bereits in diesen beiden Kommuniqués die Wiederherstellung des speziellen Autonomiestatuts verlangte, den der Kosovo von 1974 bis 1989 innehatte;

3. In Anbetracht der Erwägungsgründe, mit deren Ausarbeitung das Präsidium des Kongresses die Herren Cuatrecasas (Spanien), Berichterstatter, und Likhatchev (Russische Föderation), Mitberichterstatter, betraut hatte;

4. Zur Kenntnis genommen habend, dass das Kongress-Präsidium anlässlich seiner Zusammenkunft vom 25. Mai 1998 die Vertreter des Demokratischen Bundes vom Kosovo, der Ständigen Konferenz der Städte und Gemeindevorstände Jugoslawiens, der Vereinigung der freien Gemeinden Serbiens sowie des Bosnischen Nationalrats vom Sandjak angehört hat;

5. Unterstützt die von der Parlamentarischen Versammlung in ihren beiden aufeinanderfolgenden Empfehlungen Nr.1360 (18. März 1998) und Nr.1368 (22. April 1998) zum Ausdruck gebrachten Standpunkte, insbesondere:

5.1 die strikte Verurteilung des übermäßigen und blinden Einsatzes von Gewalt durch die serbischen Sicherheitskräfte,

5.2 die Beunruhigung angesichts der zunehmenden Unterdrückung der um objektive Berichterstattung aus dem Kosovo bemühten Medien,

5.3 die Verurteilung des Einsatzes von Gewalt und des Waffenhandels aufseiten gewisser Elemente der albanischen Bevölkerung des Kosovo,

5.4 die an die serbische Obrigkeit gerichtete Aufforderung, eine Vermittlung vonseiten der internationalen Gemeinschaft, insbesondere durch die von Felipe Gonzalez im Namen der OSZE und der Europäischen Union geführte Mission, zu akzeptieren,

5.5 die Aufforderung, das Römer Abkommen von 1996 betreffend das Bildungswesen im Kosovo umzusetzen,

5.6 den an die Obrigkeit der Bundesrepublik Jugoslawien gerichteten Appell, den Aufforderungen der internationalen Gemeinschaft zu demokratischen Reformen im Lande nachzukommen,

5.7 die Befürwortung einer vermehrten, über die gegenwärtige serbische Verfassung hinausgehenden Autonomie für den Kosovo innerhalb der BR Jugoslawien,

5.8 die an das Ministerkomitee gerichteten Empfehlungen, sich weiterhin um den Kosovo zu kümmern und die Möglichkeiten zu untersuchen, wie der Europarat die Kontakte erleichtern und Beihilfe zu Verhandlungen zwischen der jugoslawischen Obrigkeit und der albanischen Bevölkerung im Kosovo leisten könnte,

5.9 die Kritik an dem durch die serbische Obrigkeit auf Vorschlag von Präsident Milosevic organisierten Referendum betreffend die Annehmbarkeit ausländischer Vermittlung;

6. Zu Kenntnis genommen habend das von der Bundesrepublik Jugoslawien eingereichte Beitrittsgesuch zum Europarat sowie die ersten Reaktionen hierauf vonseiten des Ministerkomitees und der Parlamentarischen Versammlung, welch letztere ein Eintreten auf das Gesuch von den Fortschritten aufseiten der Obrigkeit der BRJ in der Angelegenheit des Kosovo abhängig machte;

7. Verurteilt strikte den Einsatz von Gewalt, von wem er auch komme, und die den Kosovo in den vergangenen Wochen überziehenden Zwischenfälle, beklagt die Opfer auf beiden Seiten, vor allem auch unter den unschuldigen Kindern; besteht auf der absoluten Notwendigkeit, die bewaffneten Konflikte abzubrechen und zum Frieden zurückzukehren, unterstützt diesbezüglich die auf völligen Rückzug der bewaffneten Kräfte aus der Region gerichtete Forderung der Kontaktgruppe; verurteilt im übrigen alle Arten auf dem Territorium des Kosovo verübter terroristischer Handlungen und jede Verbreitung von Waffen in der Region;

8. Begrüßt die nach dem Treffen der Herren Milosevic und Rugova vom 15. Mai, mit nachfolgender Besprechung am 22. Mai, dank amerikanischer Vermittlung zustande gekommene Aufnahme von Verhandlungen zwischen der serbischen Obrigkeit und den Vertretern des Kosovo; ist überzeugt, dass die im Verlauf dieser Verhandlungen eintretenden Fortschritte entscheidend sein werden für die Prüfung des Beitrittsgesuchs der Bundesrepublik Jugoslawien zum Europarat;

9. Ist der Ansicht, dass die internationale Gemeinschaft berechtigt ist, ein internationales Vermittlungsverfahren zu fordern angesichts vorab der Risiken, die die Krise im Kosovo über dem gesamten Balkan und dem Friedensprozess von Dayton heraufbeschwört sowie angesichts der schweren Probleme, die allfällig neu entstehende Flüchtlingsströme aufwerfen würden;

10. Ruft auf zu einer allen Parteien annehmbaren Regelung der Kosovo-Frage, fußend auf der Wahrung der territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, der Befolgung der Grundsätze der internationalen Organisationen, dem Schutz der Menschenrechte sowie auf den bürgerlichen und den nationalen Rechten sämtlicher Bürger des Kosovo;

11. Ist der Ansicht, dass der Europarat nutzbringend beitragen kann zur Suche von Lösungen, die unter Wahrung sowohl der territorialen Integrität der BRJ als auch der Rechte der gesamten Einwohnerschaft des Kosovo, sei sie albanischen, serbischen oder anderen Ursprungs, den legitimen Autonomieforderungen des Kosovo entsprechen;

12. Ist überzeugt, über die vertraglichen Grundlagen wie auch über eine einmalige Erfahrung mit speziellen Autonomiestatuten in föderalen, regionalisierten und unitarischen Ländern zu verfügen und zählt überdies in seiner Kammer der Regionen zahlreiche Vertreter föderaler und regionaler, mit Sonderstatuten versehener Einheiten;

13. Erklärt seine Bereitschaft, sich im Rahmen der vom Europarat und der internationalen Gemeinschaft diesbezüglich unternommenen Initiativen an den Überlegungen über Lösungsmöglichkeiten des Problems eines speziellen Autonomiestatuts für den Kosovo zu beteiligen und hält bereits heute für ratsam:

13.1 sich in erster Linie an das für den Kosovo aufgrund der Verfassung von 1974 bis 1989 geltende Autonomiestatut, unter Weglassung der nichtdemokratischen Elemente aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, zu halten und

13.2 die einschlägigen Grundsätze aus der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, dem Rahmenübereinkommen über den Schutz nationaler Minderheiten, der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen und dem Entwurf einer Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung zu berücksichtigen;

13.3 aufbauend auf dem Rahmenübereinkommen für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und dessen Zusatzprotokoll Nr. 1 sowie in Anlehnung an vergleichbare Beispiele anderswo in Europa Verpflichtungen zur Zusammenarbeit, insbesondere auf kulturellem, wirtschaftlichem und ökologischem Gebiet, mit den Grenzregionen des Kosovo, insbesondere den von albanischer Bevölkerung bewohnten, vorzusehen;

13.4 die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft bekanntzugeben, das ausgehandelte Abkommen zum gegebenen Zeitpunkt und nach Modalitäten, die noch auszuarbeiten sein werden, mit einer internationalen Garantie zu versehen;

14. Schätzt sich glücklich angesichts der bereits erprobten guten Zusammenarbeit zwischen dem Kongress und der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (genannt Kommission von Venedig), insbesondere gelegentlich des Autonomiestatuts für Gagausien sowie der kommunalen Neuaufgliederung der Föderation von Bosnien und Herzegowina, und erklärt sich bereit zu jeder Art nutzbringender Zusammenarbeit mit der genannten Kommission an einem Sonderstatut für den Kosovo;

15. Steht für das Vorhaben der Eröffnung einer Agentur der Gemeindedemokratie im Kosovo zur Verfügung, sobald die jugoslawische Obrigkeit zur Aufnahme einer solchen Einrichtung bereit und die notwendige Finanzierung möglich ist;

16. Ersucht das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung, bei allfällig durch sie hinsichtlich des Kosovo unternommenen Aktionen die in der vorliegenden Empfehlung zum Ausdruck gebrachte Bereitschaft des Kongresses sowie seine Vorschläge in Erwägung zu ziehen;

17. Ersucht das Ministerkomitee, bereit zu sein, eventuell in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ein technisches Hilfsprogramm für die Umsetzung eines möglichen Sonderstatuts für den Kosovo wie auch für den Schutz der Rechte sämtlicher in den Einheiten der BRJ lebenden Minderheiten aufzustellen;

18. Fordert die OSZE und die Europäische Union sowie insbesondere deren Vermittler, Herrn Felipe Gonzalez, auf, bei ihren Überlegungen zum Kosovo-Problem den Beitrag des Kongresses und dessen in der vorliegenden Empfehlung enthaltene Vorschläge in Erwägung zu ziehen;

19. Fordert die Obrigkeit der Bundesrepublik Jugoslawien und die führenden Kräfte des Kosovo auf, die in der vorliegenden Empfehlung enthaltenen Vorschläge zu berücksichtigen;

20. Erklärt seine Absicht, gegebenenfalls und im Rahmen eines Eintretens auf das Beitrittsgesuch der BRJ durch das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung, die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in der gesamten BRJ einschließlich der Vojvodina und des Sandjak zu überprüfen.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 28. Mai 1998, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (5) 13, Empfehlungsentwurf vorgelegt von Herren L. CUATRECASAS und V. LIKHATCHEV, Berichterstatter).