Empfehlung 151 (2004)1 über die Vorteile und Nachteile der Gemeindeexekutive ausgehend von den Grundsätzen der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung
Der Kongress, gestützt auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,
1. Im Hinblick auf:
a. Artikel 2, Absatz 1, Anstrich b der Entschließung (2000) 1 des Ministerkomitees über den Kongress des Europarates, in dem als eines der Ziele des Kongresses die Vorlage von Vorschlägen an das Ministerkomitee zur Förderung der Gemeindedemokratie genannt wird;
b. Artikel 2, Absatz 3 der gleichen Entschließung nach der der Kongress dafür zu sorgen hat, dass die Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Folgenden als „die Charta“ bezeichnet) umgesetzt werden;
c. den Begründungstext und die Empfehlung CPL (11) 2 über die Vor- und Nachteile der Direktwahl der Gemeindeexekutive (im Folgenden „Gemeindeexekutive oder Bürgermeister“ genannt) (CPL (11) 2 Teil II);
d. Empfehlung 113 (2002) des Kongresses betreffend die Beziehungen zwischen Bürgern, dem Gemeindeparlament und der Exekutive in der Gemeindedemokratie;
2. Stellt fest, dass:
a. in den letzten Jahren in Europa eine stetige Entwicklung hin zur Direktwahl der Gemeindeexekutive zu beobachten ist;
b. in den Ländern, in denen aufgrund der indirekten Wahlen eine Intervention der Zentralregierung vorliegt oder Regalien, eine schrittweise Lockerung zu verzeichnen ist;
3. Ist der Auffassung, dass die untenstehenden Gründe, die sich auf die Praxis und die Erfahrungen der letzten zehn Jahre der kommunalen Selbstverwaltung in Europa stützen, für die Direktwahl der Gemeindeexekutive sprechen:
a. EINE GRÖßERE LEGITIMITÄT. Der erste Vorteil einer direkt gewählten Exekutive ist die politische, demokratische und moralische Legitimität, die der Bürgermeister erhält, wenn er direkt von der Bevölkerung gewählt wird, im Gegensatz zu einem System, in dem er von einer kleinen Gruppe von Beratern ernannt wird. Daher wird nach Ansicht des Kongresses diese Direktwahl:
i. insgesamt die Legitimität des politischen Systems auf kommunaler Ebene stärken und den Bürgern doppelt die Gelegenheit geben, sowohl für einen Parteikandidaten als auch für einen unabhängigen Kandidaten zu stimmen;
ii. eine klarere Gewaltenteilung zwischen den repräsentativen und exekutiven Organen garantieren ;
iii. dem Bürgermeister die Möglichkeit geben, mehr oder weniger unabhängig vom Parteidruck der Mitglieder des Stadtrates zu agieren, die verschiedenen politischen Parteien angehören;
iv. die Unabhängigkeit der repräsentativen Versammlung gegenüber der Exekutive und dadurch auch die Kontrolle stärken;
b. EINE GRÖßERE IDENTIFIKATION. Ein weiterer Vorteil ist zweifellos die Stärkung der partizipativen Demokratie, der Partizipation und des Engagements der örtlichen Bevölkerung, was sich auch auf die Wahlbeteiligung auswirken sollte. Daher wird nach Ansicht des Kongresses diese Art der Wahl:
i. zur Konsolidierung der Wurzeln der Gemeindedemokratie in der Anfangsphase ihrer Entwicklung beitragen und der Bevölkerung helfen, klar die Gemeindeebene der öffentlichen Behörden aufzuzeigen und sich mit dem Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung vertraut zu machen;
ii. dazu beitragen, die Bevölkerung für das Konzept der kommunalen Selbstverwaltung als Ganzes zu sensibilisieren sowie die Integration der Bewohner und die Identifikation mit der Gemeinde zu stärken;
iii. dem Bürgermeister direkt helfen, das zu symbolisieren, was die Einwohner wünschen und was sie sind;
iv. einfach und leicht zu organisieren und kostengünstiger sein.
c. EINE GRÖßERE VERANTWORTUNG. Die Direktwahl des Bürgermeisters schafft ein transparentes System der politischen Verantwortlichkeit. Die Ausübung der Leitung der Gemeinde dient der Erbringung der Dienstleistung und macht den Bürgermeister gegenüber der Bevölkerung direkt verantwortlich für das was er/sie tut oder nicht tut. Die Bürger fühlen sich offensichtlich mehr einbezogen in die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten, wenn sie selbst die Person gewählt haben, die am besten ihren Erwartungen entspricht. Daher ist der Kongress der Ansicht, dass die Direktwahl:
i. eine gestärkte und verantwortungsbewusstere Ausübung der politischen Macht sowie die Einrichtung eines transparenteren Aktionsprogramms und eine direktere Beteiligung der Bürger fördert;
ii. die Person des Bürgermeisters hervorhebt, die Aufmerksamkeit der Medien erregt, den Aktionen der kommunalen Selbstverwaltung eine größere Resonanz verleiht, deren Verantwortungsbewusstsein dadurch gestärkt wird;
iii. dazu dient, unmittelbarer und offensichtlicher auf örtliche Probleme zu reagieren;
d. EIN BESSERES REGIEREN UND EINE GRÖßERE STABILITÄT. Die Direktwahl der Exekutive kann ein Stabilitätsfaktor für das Mandat sein. Die Gewaltenteilung ist klarer und daher ist auch die Transparenz größer, wenn die Gemeinderegierung nicht in den Händen eines einzigen beschlussfassenden Exekutivorgan liegt. Dieses System schafft:
i. eine effizientere Leitung und Kohäsion;
ii. Beschleunigung der Verwaltungsverfahren und Entscheidungen ;
iii. minimale Gefahr der politischen Konfrontation, die der Verwaltung der Angelegenheiten schaden könnte;.
4. Stellt außerdem fest, dass die unten stehenden Punkte als Nachteile des Systems gesehen werden können, die unter gewissen Umständen das Mandat der direkt gewählten Exekutive gefährden können:
a. POLITISCHE SACKGASSE. Im Allgemeinen liegt die größte Gefahr darin, dass ein politischer Konflikt ausgelöst wird, wenn der Bürgermeister und das Gemeindeparlament unterschiedliche politische Meinungen vertreten. In einer solchen Situation steigt die Gefahr, dass die Verwaltung ineffizient arbeitet und in eine Sackgasse gerät, insbesondere beim Haushalt und insgesamt eine gewisse politische Instabilität hervorgerufen wird;
b. ÜBERMÄßIGE MACHTKONZENTRATION IN DEN HÄNDEN EINER EINZIGEN PERSON. Ein weiterer Nachteil kann die Befürchtung einer möglichen übermäßigen Machtkonzentration in den Händen des Bürgermeisters sein, die ihrerseits folgende unerwünschte Folgen haben kann:
i. Schwächung der Rolle des repräsentativen Rates;
ii. Polarisierung der Entscheidungsfindung auf Gemeindeebene;
iii. Personifizierung der Macht und Entstehung von „Klientelismus“;
iv. Personifizierung der Figur des Bürgermeisters oder Zersplitterung des Systems der politischen Parteien;
v. Verringerung der internen Kontrollmöglichkeiten der Gemeindeverwaltung.
c. GEFAHR DES POPULISMUS. Es ist bekannt, dass die Kandidaten, die eine Kampagne über nur eine einzige Frage führen oder sehr herausragende Personen den Populismus in der örtlichen Politik fördern können, denn das Amt kann Kandidaten anziehen, die zwar sehr bekannt, jedoch nicht in der Lage sind, das Amt des Bürgermeisters zu meistern;
d. SCHWÄCHUNG DER POLITISCHEN PARTEIEN UND DER POLITISCHEN DYNAMIK. Unabhängige Kandidaten würden die Rolle der politischen Parteien im Wahlkampf verringern und die Gemeindewahlen weniger politisch machen;
5. Der Kongress, angesichts aller dieser Argumente:
a. fordert die Mitgliedstaaten des Europarates auf, die oben genannten Schlussfolgerungen des Kongresses bei ihrer Reform der Gemeindeverwaltung zu berücksichtigen ;
b. ruft die Mitgliedstaaten auf, besonders auf das System der ausgewogenen Gewaltenteilung zwischen den präsentativen und exekutiven politischen Organen zu achten, das, wenn es fehlt oder keine partizipative politische Kultur bei den Bürgern oder keine starke öffentliche Meinung gäbe, dazu führen könnte, dass die Exekutive das Gemeindeparlament beherrschen würde;
c. fordert die Mitgliedstaaten auf, besonders auf die Verwaltung des Gemeindeeigentums zu achten, die der Kontrolle des Gemeindeparlaments unterstehen sollte;
d. erinnert an die Grundsätze, die die Beziehungen zwischen dem Gemeindeparlament und der Exekutive bestimmen und die der Kongress in seiner Empfehlung 113 (2002) (Anhang Teil 3) darlegt.
1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 25. Mai 2004 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 27. Mai 2004 (siehe Dok. CPL (11) 2, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch Dr. I. Micallef (Malta, L, EVP/CD) und Dr. G. Rhodio (Italien, L, EVP/CD), Berichterstatter).