Empfehlung 145 (2004)1 zu Fragen der kommunalen Demokratie in Südosteuropa

Der Kongress,

1. Bezieht sich bei der nachfolgenden Empfehlung auf

a. die Empfehlung 112 (2002) über die Foren der Städte und Regionen Südosteuropas;

b die Empfehlung 132 (2003) über kommunales Eigentum im Licht der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung;

c. die politische Erklärung von Chişinǎu über die grenz- und gebietsüberschreitende Zusammenarbeit der Staaten Südosteuropas;

d. den Europäischen Verhaltenskodex für gewählte Kommunal- und Regionalpolitiker;

e. die für den Kongress erstellten Berichte über kommunale und regionale Demokratie;

f. die anlässlich der Foren der Städte und Regionen Südosteuropas verabschiedeten Erklärungen;

g. den Bericht der Europaratsabordnung zu Dezentralisierungsfragen im Kosovo;

h. die politischen und juristischen Ratschläge des Europarats bezüglich der neuen Gesetzesentwürfe zur kommunalen Demokratie in Südosteuropa;

i. die Arbeiten der Ad hoc-Arbeitsgruppe südosteuropäischer Kommunal- und Regionalpolitiker (GT-SEE) sowie den Bericht von Herrn Sofianski;

2. Nimmt ferner Bezug auf die Arbeiten anderer internationaler Organisationen und Einrichtungen, insbesondere auf die Europäische Union (EU), den Stabilitätspakt für Südosteuropa und das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des sog. „Prozesses der Zusammenarbeit in Südosteuropa“ (SEECP);

3. Erkennt an, dass die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung von den meisten Ländern Südosteuropas ratifizierte wurde und dass die Mehrzahl von ihnen in jüngster Zeit die Stellung der Gemeinden und Regionen im Sinne der Charta gesetzlich geregelt, entsprechende Gesetze ausgearbeitet oder bestehende neu gefasst hat;

4. Stellt fest, dass sich zwischen dem Europarat, vor allem dem Kongress, und den zuständigen Behörden der Länder Südosteuropas eine umfassende Zusammenarbeit entwickelt hat;

5. Ist sich dessen bewusst, dass bestimmte Nachbarländer Südosteuropas künftig der Europäischen Union angehören werden (seit 1. Mai 2004 der EU angehören) und dass einige Länder Südosteuropas in absehbarer Zeit mit dem Beitritt rechnen können;

6. Geht davon aus, dass es ein Hauptanliegen der Gemeinden der Region ist, von der Zentralgewalt politisch unabhängig zu werden. Derzeit ist der Grad der kommunalen Selbstverwaltung von Land zu Land sehr verschieden.;

7. Ist davon überzeugt, dass die Länder Südosteuropas mittlerweile die Notwendigkeit einer Stärkung der Gemeinden einsehen und entsprechende Reformen in die Wege geleitet haben;

8. Stellt mithin fest, dass die kommunale Demokratie in Südosteuropa große Fortschritte macht;

9. Ist der Überzeugung, dass eine aktive Beteiligung der Bürger für eine ordentliche Gemeindeverwaltung wesentlich ist und ihr insoweit eine wichtige Rolle zukommt;

10. Ist sich dessen bewusst, dass den Gemeinden Anreize für eine verantwortungsbewusste, wirtschaftliche, transparente und den Wünschen der Bürger entsprechende Verwaltung geboten werden müssen. Die Bürger erwarten, dass die Gemeinde ihre Aufgaben korrekt, gerecht und effizient erfüllt;

11. Spricht den Informationsstellen für kommunale Demokratie (Local Democracy Agencies) und ihren europäischen Partnern – Städten, Regionen und Nichtregierungsorganisationen – seine Anerkennung aus. Sie tragen in wertvoller Weise zur Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, der Zivilgesellschaft und der demokratischen Stabilität bei;

12. Stellt mit Befriedigung folgende Entwicklungen fest:

a. bedeutsame Bemühungen der Länder Südosteuropas, ihre Gesetzgebung neu zu fassen und den Anforderungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung anzupassen;

b. Fortschritte bei der Reform der öffentlichen Verwaltung;

c. laufende Übertragung von Aufgaben und Zuständigkeiten von der Zentralgewalt auf die Gemeinden;

d. Bemühungen der Länder Südosteuropas um ordentliche Verwaltung und Eindämmung der Korruption auf örtlicher Ebene, womit die Transparenz erhöht und das Verantwortungsbewusstsein der Gemeindeorgane gestärkt wird;

e. wachsende Zusammenarbeit unter den Gemeinden und stete Entwicklung von Instanzen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, immer häufiger als Euroregionen bezeichnet;

f. Gründung des Netzes der Dachverbände der Gemeinden und Regionen Südosteuropas (NALAS), die unter der Schirmherrschaft des Stabilitätspakts für Südosteuropa erfolgte und von der Schweizer Regierung sowie dem Gemeindeverwaltungsprojekt des Open Society Instituts technisch und finanziell unterstützt wurde;

g. die Initiative des Stabilitätspakts, in Zusammenarbeit mit dem Europarat bis Ende 2004 eine Ministerkonferenz zu Fragen einer ordentlichen Gemeindeverwaltung und stärkerer Stellung der Gemeinden in Südosteuropa einzuberufen;

13. Empfiehlt den südosteuropäischen Mitgliedsstaaten des Europarats folgende Schritte zur Entwicklung der kommunalen Demokratie:

a. mit der Revision und Anpassung ihrer Gesetzgebung an die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung fortzufahren und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass die entsprechenden Gesetze auf die kommunale Demokratie auch Anwendung finden;

b. diesbezüglich eine schlüssige staatliche Politik zu verfolgen und bei der Dezentralisierung Schwerpunkte zu setzen;

c. die Zuständigkeiten und Aufgaben der verschiedenen Ebenen der öffentlichen Gewalt zu klären;

d. die verschiedenen Gremien und Organe der Gemeinden zu stärken;

e. in nennenswertem Umfang Aufgaben von der staatlichen auf die kommunale Ebene zu übertragen und ihr damit zugleich die erforderlichen Mittel in finanzieller, sachlicher und personeller Hinsicht zuzuweisen;

f. die Gemeindefinanzreform weiter zu verfolgen;

g. die steuerliche Dezentralisierung zu fördern;

h. den Gemeindebehörden zu gestatten, in eigener Verantwortung ihre Arbeit zu planen, auszuführen und aus dem eigenen Haushalt und eigenen Finanzmitteln zu finanzieren;

i. mit der Übertragung von Eigentum auf die Gemeinden fortzufahren und Fragen des Gemeindevermögens gesetzlich zu regeln;

j. den Gemeinden verschiedenartige Anreize für eine verantwortungsbewusste, wirtschaftliche, transparente und den Wünschen der Bürger entsprechende Verwaltung zu bieten;

k. die Gemeinden für ihr Handeln verantwortlich zu machen;

l. die Gemeinden besser in die Lage zu versetzen, Rechnung zu legen und Berichte zu erstellen;

m. Anreize für eine stärkere Bürgerbeteiligung an Entscheidungen auf örtlicher Ebene zu entwickeln;

n. der Fortbildung der Gemeindebediensteten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und eine entsprechende staatliche Aus- und Fortbildungspolitik zu fördern;

o. die Gemeinden aufzufordern, Zusammenschlüsse zu bilden, internationalen Dachverbänden von Gemeinden beizutreten und mit Gemeinden anderer Regionen zusammenzuarbeiten;

p. Kontakte und Zusammenarbeit unter den Gemeinden sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern;

q. zu diesem Zweck das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften von 1980 (Europ. Vertragsreihe Nr. 106) sowie seine beiden Zusatzprotokolle, nämlich das von 1995 über die Rechtspersönlichkeit von Stellen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, die von Gebietskörperschaften eingerichtet wurden, und den rechtlichen Charakter von Entscheidungen, die im Rahmen eines Abkommens zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit getroffen wurden (Europ. Vertragsreihe Nr. 159) und das von 1998 in Bezug auf die interterritoriale Zusammenarbeit (Europ. Vertragsreihe Nr. 169) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

r. die Meinungsfreiheit, den Schutz der Informationsquellen, den Zugang zu Informationen und die Vielfalt der Medien zu gewährleisten und gegen verantwortungslosen Journalismus vorzugehen;

14. Lädt die für Gemeindefragen zuständigen Minister der Länder Südosteuropas ein, an der gemeinsam vom Stabilitätspakt für Südosteuropa und dem Europarat veranstalteten Regionalkonferenz für Südosteuropa teilzunehmen, um in einer feierlichen politischen Erklärung ihre Bereitschaft zur erfolgreichen Durchführung der Reform zu bekunden;

15. Fordert die Europäische Union auf :

a. ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um den Ländern Südosteuropas beim Aufbau der kommunalen Demokratie und der Zivilgesellschaft und dem Fortgang der Reform der öffentlichen Verwaltung zu helfen, damit sie zu gegebener Zeit Mitglieder der Europäischen Union werden können;

b. ihre Unterstützung des in den meisten südosteuropäischen Ländern eingeleiteten Reformprozesses zu bekräftigen, um - gestützt auf einen gesunden Staatsaufbau, solide kommunale Zuständigkeiten sowie angemessene Haushaltsmittel und steuerliche Möglichkeiten – zu einer wirksamen Dezentralisierung zu gelangen;

c. den Ländern Südosteuropas, insbesondere mit Hilfe des CARDS-Programms, die nötige Unterstützung zum Aufbau der kommunalen Demokratie zukommen zu lassen;

d. Rechtsvorschriften zur Förderung verstärkter grenzüberschreitender Zusammenarbeit und zur Entwicklung von Euroregionen in den Ländern Südosteuropas auszuarbeiten und dabei Sorge zu tragen, dass diese nicht im Widerspruch zum Madrider Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und seinen Zusatzprotokollen stehen;

16. Fordert die UN-Verwaltung für das Kosovo (MINUK) auf :

a. die Stellung der Gemeinden im Kosovo unter Berücksichtigung des Berichts der Europaratsabordnung zu Dezentralisierungsfragen im Kosovo zu stärken, um die ethnischen Trennungslinien zu überwinden, Parallelstrukturen überflüssig zu machen und die Beteiligung der Bürger auf kommunaler Ebene anzuspornen;

b. dafür zu sorgen, dass die sog. „Normen für das Kosovo“ mit der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Einklang stehen.

 

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 27. Mai 2004, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (11) 7, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch S. Sofianski (Bulgarien, L, EVP/CD) Berichterstatter)