Empfehlung 143 (2004)1 zur kommunalen und regionalen Demokratie in der Russischen Föderation

Der Kongress,

1. Bezieht mit der vorliegenden Empfehlung auf

a. Artikel 2, Abs.1.b der satzungsmäßigen Entschließung (2000)1, der besagt, dass es zu den Aufgaben des Kongresses gehört, „dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie zu unterbreiten“;

b. Artikel 2, Abs.3 der satzungsmäßigen Entschließung (2000)1, der bestimmt, dass „der Kongress regelmäßig der Reihe nach Länderberichte über die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedsstaaten des Europarats sowie den Staaten, die Beitragskandidaten sind, erstellt und vor allem über die praktische Verwirklichung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung wacht;

c. seine Entschließungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000), die Richtlinien für die Erstellung der erwähnten Länderberichte festlegen;

d. seine Empfehlung 30 (1997) zum Stand der kommunalen Demokratie und des Föderalismus in Russland;

2. Berücksichtigt dabei den erläuternden Bericht CG (11) 5 zur kommunalen und regionalen Demokratie in Russland. Dieser Bericht wurde nach zwei offiziellen Besuchen in Moskau (8.-9. Juli 2003 und 31.März - 2. April 2004) sowie einem offiziellen Besuch im Wolga-Bundesdistrikt (28. – 30. Januar 2004) von den beiden Berichterstattern, Guido Rhodio (Italien, Kammer der Gemeinden, EVP/CD) und Hans Ulrich Stöckling2 (Schweiz, Kammer der Regionen, ULDG), erstellt. Sie wurden dabei von Prof. Francesco Merloni, dem Vorsitzenden der Unabhängigen Expertengruppe zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Folgenden: die Charta), und Prof. Michel Lesage als Europaratsexperten unterstützt. Beiden danken die Berichterstatter für ihre wertvolle Hilfe;

3. Dankt gleichfalls:

a. der russischen Kongress-Delegation und dem Kongress der Gemeinden Russlands für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung des Berichts und der Organisation der Besuche vor Ort;

b. der Präsidialverwaltung der Russischen Föderation, der Föderationsregierung , der Föderationsversammlung, dem Obersten Gerichtshof, der Staatsanwaltschaft (Prokuratura), dem Wolga-Bundesdistrikt, der Region Nischni Nowgorod, den örtlichen Behörden und den wissenschaftlichen Instituten für ihre Gesprächsbereitschaft und Hilfe bei der Erstellung des Berichts und ihre den Berichterstattern gegenüber gemachten Anmerkungen;

4. Möchte die russischen Föderationsbehörden (Bundesbehörden) auf die unten aufgeführten allgemeinen Bemerkungen und Empfehlungen aufmerksam machen;

I. DIE REFORM DER KOMMUNALEN UND REGIONALEN SELBSTVERWALTUNG IM ALLGEMEINEN:

5. Beglückwünscht die russischen Behörden zum Abschluss der ersten Stufe der Reform der kommunalen Selbstverwaltung und des Föderalismus, gekennzeichnet durch die 2003 erfolgte Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Änderung und Ergänzung:
- des Bundesgesetzes über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der Gesetzgebungs- ²(Vertretungs-) und Vollzugsorgane der Staatsgewalt in den Teilgebieten der Russischen Föderation und
- des Bundesgesetzes über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation
(im Folgenden: die Rahmengesetze).

6. Äußert seine Anerkennung dafür, dass die mit dieser Reform der russischen Gebietsverwaltung beauftragte Kommission (im Folgenden: die Kommission) unter dem Vorsitz von Dmitri Kosak durch ihre Arbeit einen konstruktiven Prozess in mehreren aufeinander folgenden Stufen in Gang gesetzt und den Grundstein für eine ausgewogenere Zuständigkeitsverteilung zwischen den drei Ebenen der öffentlichen Gewalt in Russland (Föderation, Teilgebiete der Föderation und Gemeinden) gemäß dem Grundsatz der Subsidiarität (Artikel 4, Abs.3 der Charta) gelegt hat;

7. Begrüßt die fruchtbare beratende Zusammenarbeit zwischen der (russischen) Kommission und dem Europarat (Abteilung für die Zusammenarbeit in Fragen der Demokratie auf kommunaler und regionaler Ebene) im Verlauf der Ausarbeitung der Entwürfe für die Rahmengesetze;

8. Bittet die russischen Behörden, mit der Reform fortzufahren, da deren strikte Umsetzung zur langfristigen Entwicklung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in Russland beitragen wird;

9. Fordert die russischen Behörden auf, die Bestimmungen der Rahmengesetze durch eine entsprechende Ergänzung der Steuerordnung und der Haushaltsordnung zu vervollständigen, damit die Gemeinden über die notwendigen Finanzmittel verfügen, um die im Bundesgesetz festgelegten Aufgaben übernehmen zu können;

II. DIE ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN DEMOKRATIE IN RUSSLAND:

A. Garantien und Errungenschaften

10. Nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die russischen Föderationsbehörden die in seiner Empfehlung 30 (1997) enthaltenen Empfehlungen berücksichtigt haben;

11. Begrüßt die Tatsache, dass der Gedanke und die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung trotz hitziger Debatten über ihren Platz und ihre Zukunft im russischen Staatsaufbau sich allmählich im Lauf der letzten zehn Jahre in der politischen Wirklichkeit durchgesetzt haben;

12. Begrüßt ferner die Tatsache, dass im Lauf der letzten zehn Jahre etwa 12000 Gemeinden in Russland mit gewählten politischen Organen ausgestattet wurden, auch wenn dies in gewissen Teilgebieten der Föderation mit einigen Schwierigkeiten verbunden war;

13. Stellt fest, dass die kommunale Selbstverwaltung sich heute in Russland auf Föderationsebene auf beträchtliche Verfassungsgarantien (Artikel 12 und 130 – 133 der Föderationsverfassung) stützen kann und als vollwertige Ebene der öffentlichen Gewalt anerkannt ist;

14. Begrüßt es, dass die Russische Föderation 1998, relativ kurz nach ihrer Aufnahme in den Europarat, die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (im Folgenden: die Charta) ohne Vorbehalt ratifiziert hat, was von ihrer Bereitschaft zur Einhaltung der europäischen Verpflichtungen im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zeugt;

15. Stellt fest, dass die russischen Gerichte sich bei ihren Entscheidungen bezüglich der Rechte der Gemeinden im Lande vom Text der Charta leiten lassen;

16. Ist sich dessen bewusst, dass das Bundesgesetz über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation (im Folgenden: das Bundesgesetz Nr. 154) den Zweck hatte, gestützt auf die Grundsätze der Föderationsverfassung die rechtlichen Grundlagen des Systems der kommunalen Selbstverwaltung zu legen;

17. Stellt ferner fest, dass im Laufe der Durchführung des Bundesgesetzes Nr. 154 verschiedene weitere Gesetze zur kommunalen Selbstverwaltung verabschiedet wurden (insbesondere über die finanziellen Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation, die Grundlagen des kommunalen öffentlichen Dienstes in der Russischen Föderation, die Gewährleistung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger der Russischen Föderation, die Organe der kommunalen Selbstverwaltung zu wählen und bei der Wahl zu kandidieren.). Weitere Regelungen zahlreicher Zuständigkeiten der Organe der kommunalen Selbstverwaltung finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch der Russischen Föderation, im Grundstücksgesetz der Russischen Föderation, im Stadtplanungsgesetz sowie im Bundesgesetz über die grundlegenden Garantien der Wahlrechte der Bürger der Russischen Föderation und ihres Rechts der Teilnahme an Volksabstimmungen;

18. Nimmt ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die öffentliche Verwaltung auf örtlicher Ebene im Lauf der letzten zehn Jahre in die Hände gewählter, ihren Wählern gegenüber politisch verantwortlicher kommunaler Organe übergegangen ist;

19. Ist der Ansicht, dass die 1998 erfolgte Gründung des Kongresses der Gemeinden der Russischen Föderation und seine Anerkennung als gesamtstaatlicher Dachverband der Gemeinden zur Vertretung ihrer Interessen auf Bundesebene durch zwei Präsidialerlässe (Nr. 1281 vom 22. 10. 1998 und Nr. 1370 vom 15. 10. 1999) einen überaus bedeutenden Schritt zur Festigung der kommunalen Selbstverwaltung im Lande darstellt;

B. Aufgetauchte Schwierigkeiten und gesetzliche Lücken

20. Gleichzeitig stellt der Kongress Folgendes fest:

a. das Bundesgesetz Nr. 154 ist zwar durchaus demokratisch, aber als Rahmen mitunter recht unbestimmt. Es wird nicht klar und erschöpfend gesagt, was Fragen von örtlicher Bedeutung sind, wie weit die diesbezüglichen Zuständigkeiten reichen und in welchem Verhältnis sie zu den Zuständigkeiten der Staatsbehörden stehen. In Folge dessen klaffen die Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung und die dafür verfügbaren Haushaltsmittel erheblich auseinander;

b. das Gesetz bestimmt nicht eindeutig das Verfahren zur Übertragung und Wahrnehmung bestimmter bisher staatlicher Zuständigkeiten. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden und Konflikte mit den regionalen Behörden;

c. was die Beziehungen zwischen den Organen der kommunalen Selbstverwaltung einerseits und den Bundesbehörden, den Bürgern und der Wirtschaft andererseits angeht, fehlen klare Verfahrensregeln;

d. kein Bundesgesetz regelt die Übertragung von Zuständigkeiten auf die Organe der kommunalen Selbstverwaltung, die Bedingungen für die Übertragung von Eigentum der Föderation und/oder der Regionen auf die Gemeinden, die Rechtsstellung der gewählten Gemeindevertreter sowie die Bedingungen für die Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Arbeiten auf kommunaler Ebene;

e. die Mehrzahl der Gemeinden der Russischen Föderation verfügt bis heute nicht über eine ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Ausstattung zur Erledigung der Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung;

f. die Einsetzung von Organen der kommunalen Selbstverwaltung stößt in manchen Teilgebieten der Föderation auf beträchtliche Schwierigkeiten;

g. angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes sinken die Gemeindeausgaben ständig;

h. die Haushaltsmittel der Gemeinden reichen nicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben;

21. Stellt mit Befriedigung fest, dass diese rechtlichen und mit dem wirtschaftlichen Wandel und den damit allgemein einhergehenden sozialen Problemen verbundenen Schwierigkeiten die Bundesbehörden zu einer bedeutenden Reform des rechtlichen und institutionellen Rahmens der kommunalen Selbstverwaltung veranlasst haben. Zweck dieser Reform war eine eindeutigere, ausgewogene und gerechte Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen der öffentlichen Gewalt sowie ihre Anpassung an die vorhandenen Haushaltsmittel;

22. Stellt weiter fest, dass es bei dieser Reform auch um eine Gebietsreform des Landes geht. Es gilt, auf dem gesamten Gebiet der Föderation lebens- und funktionsfähige Gemeinden zu schaffen;

C. Die Reform

23. Nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Neufassung des Bundesrahmengesetzes über die allgemeinen Organisationsgrundsätze der kommunalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation vom Oktober 2003 (im Folgenden: das neue Rahmengesetz oder das Bundesgesetz Nr. 131) darauf ausgerichtet ist, die Probleme zu überwinden, die dem Funktionieren der kommunalen Selbstverwaltung im Wege standen, dieses System weiterzuentwickeln und es später in Übereinstimmung mit der Verfassung der Russischen Föderation zu bringen;

24. Begrüßt es insbesondere, dass

a. das neue Gesetz die kommunalen Behörden als Teil der öffentlichen Gewalt anerkennt, die kommunale Selbstverwaltung als einen der Grundpfeiler der russischen Verfassungsordnung bestätigt und ihre Verwirklichung auf dem gesamten Gebiet der Föderation garantiert;

b. das neue Gesetz in Artikel 1 Abs.2 die Wahrnehmung der kommunale Selbstverwaltung durch die Bevölkerung unmittelbar oder durch gewählte Organe in eigener Verantwortung garantiert;

c. das neue Gesetz in Artikel 4 Abs. 1 ausdrücklich sagt, dass völkerrechtliche Verträge, die von der Russischen Föderation ratifiziert wurden, eine der Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung in Russland bilden;

25. Stellt mit Befriedigung fest, dass das neue Rahmengesetz zahlreiche wichtige Bestimmungen enthält, die im Bundesgesetz Nr. 154 entweder ganz fehlten oder anders formuliert waren. Sie betreffen:

a. die Grundsätze für die gebietsmäßige Organisation der kommunalen Selbstverwaltung (Schaffung von drei Arten von kommunalen Gebietskörperschaften: die [Stadt- oder Land-] Gemeinde, der Stadtbezirk und der Stadtkreis);

b. die Regelung der örtlichen Angelegenheiten je nach dem Status der örtlichen Körperschaft;

c. die Schaffung gesetzlich vorgeschriebener Organe der Gemeindeverwaltung;

d. das Verbot der Ämterhäufung: das Oberhaupt der örtlichen Körperschaft darf nicht gleichzeitig Präsident eines repräsentativen Gremiums und Verwaltungschef sein;

e. eine genauere Regelung der Formen der Bürgerbeteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung;

f. die Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Körperschaften und die Schaffung eines Dachverbands der Gemeinden für jedes Teilgebiet der Föderation;

g. die Volksbefragung zur Absetzung eines gewählten Kommunalpolitikers, zu geplanten Grenzänderungen und zu Änderungen des Status der Gemeinde;

h. Änderungen der Haushaltsordnung und der Eigentumsregelungen;

26. Ist der Ansicht, dass das neue Modell es gestattet:

a. konkrete Probleme örtlicher Bedeutung auf der Ebene zu behandeln, welche die hierfür erforderlichen Mittel, die organisatorischen Möglichkeiten und entsprechenden Strukturen besitzt;

b. ein doppeltes Ziel zu erreichen, nämlich die bestmögliche Gestaltung der Beziehungen einerseits zwischen der Gemeinde und der Bevölkerung, andererseits zwischen der Gemeinde und der Staatsgewalt;

c. klare Grundsätze und Verfahrensregeln für die Übertragung von Zuständigkeiten sowie die Aufgabenverteilung unter den verschiedenen Ebenen der öffentlichen Gewalt aufzustellen und Kontrollmechanismen sowohl durch die Bevölkerung als auch durch die Staatsgewalt zu schaffen;

d. eindeutig die Art und Weise der Übertragung bisher staatlicher Zuständigkeiten auf die Organe der kommunalen Selbstverwaltung zu regeln;

e. die Föderation daran zu hindern, den Gemeinden neue Aufgaben ohne die entsprechende Finanzausstattung aufzubürden;

f. den Gedanken einer Zusammenarbeit unter den Gemeinden zu entwickeln, der im Gesetz von 1995 überhaupt nicht erwähnt war;

D. Empfehlungen an die Bundesbehörden

27. Wird bestimmte, mit der allmählichen Durchführung des neuen Gesetzes verbundene Fragen weiterhin aufmerksam verfolgen und ist der Ansicht, dass die weiter unten aufgeführten Anmerkungen betont zu werden verdienen. Er fordert die Bundesbehörden daher auf, ihnen beim Vollzug des Rahmengesetzes besondere Aufmerksamkeit zu schenken und dabei im Geist der Charta zu handeln;

a. Finanzausstattung (Artikel 9 der Charta) und gemeindliches Eigentum:

der Erfolg der Reform würde in Frage gestellt, wenn die neu geschaffenen Gemeinden letztlich nicht über die nötigen Mittel zur Erledigung ihrer Aufgaben verfügten. Das ist ein Kernproblem. Aus diesem Grunde ist darauf zu achten, dass sie über hinreichende Haushalts- und Sachmittel zur Erledigung ihrer Aufgaben verfügen. Zu diesem Zweck bedarf es der angekündigten Änderung des Steuerrechts und der Haushaltsordnung sowie eines neuen Gesetzes über öffentliches Eigentum;

b. Bildung neuer Gemeinden, evtl. Änderungen ihres Status und ihrer Grenzen (Artikel 5 der Charta):

die Frage der Umwandlung bestehender Stadtgemeinden (Städte) in Stadtkreise (gorodskije okrugi) ist für die Stadtentwicklung in Russland und folglich für das ganze Land von großer Bedeutung. Man sollte deshalb Sorge tragen, Städte mit gesunder wirtschaftlicher und sozialer Grundlage, deren Einwohner sich auch mit ihrer Stadt klar identifizieren, beizubehalten, um eine willkürliche Abänderung des Status der Gemeinden zu verhindern;

c. Verlagerung von Zuständigkeiten vom Staat auf die Gemeinden (Artikel 4 Abs.5 der Charta):

diese Frage ist ebenfalls in dem Maße von Bedeutung, in dem Gemeindeorgane bestimmte Aufgaben zu erledigen haben, die ihnen vom Staat übertragen wurden. Dabei ist objektiv zu ermitteln, ob die Organe der kommunalen Selbstverwaltung in der Lage sind, die ihnen vom Staat übertragenen Zuständigkeiten wahrzunehmen. In jedem Fall müssen, wie es das Bundesgesetz vorschreibt, mit der Zuständigkeit auch die nötigen Haushaltsmittel übertragen werden;

d. Rechtsaufsicht (Artikel 8 der Charta) :

i. die Verwaltungsaufsicht über die Rechtmäßigkeit gemeindlichen Handelns obliegt der Staatsanwaltschaft und den Gerichten. Für die Gemeinden ist dies eine wichtige Errungenschaft;

ii. das neue Gesetz legt das Rechtsaufsichtsverfahren fest, desgleichen das Verfahren für ein Einschreiten und etwaige Sanktionen der Aufsichtsbehörde gegenüber gewählten Organen der kommunalen Selbstverwaltung [Vertretungsgremium, d.h. Stadt- oder Gemeinderat, Gemeindeoberhaupt und Verwaltungschef]. Die Gemeinden verfügen über ausreichende Garantien, um notfalls mit Hilfe der Gerichte gegen sie betreffende Entscheidungen vorzugehen. Es obliegt den Gerichten, ihre Rolle insoweit wahrzunehmen;

iii. nach dem Gesetz soll ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde wegen Pflichtverletzung gewählter Gemeindeorgane nur in Ausnahmefällen erfolgen;

e. Rechtsschutz (Artikel 11 der Charta)

i. die Gemeinden haben mittlerweile unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Formen die Möglichkeit, zur Verteidigung ihrer Rechte Beschwerde beim Verfassungsgericht einzulegen ;

ii. es empfiehlt sich, das Bundesverfassungsgesetz über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation dahingehend zu ändern, dass die Gemeinden das Verfassungsgericht unmittelbar anrufen können, wenn sie glauben, ein Gesetz oder eine Verordnung der Föderation verletze ihre Rechte ;

f. Staatsorgane, zuständig für die kommunale Selbstverwaltung ;

fordert die Bundesbehörden auf, in der Regierung der Russischen Föderation ein Staatsorgan zu schaffen, das für die Kooperation und die Umsetzung der Staatspolitik im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zuständig ist ;

g. Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben:

die russischen Behörden sind aufgefordert, das Europäische Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben (Nr. 144 der Europäischen Vertragsreihe) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

III. DIE REGIONALE SELBSTVERWALTUNG:

E. Der allgemeine Rahmen der Reform

28. Stellt fest, dass die Beziehungen zwischen der Föderation und ihren Teilgebieten noch Schwierigkeiten bereiten :

a. beim Vollzug der Verfassungsbestimmungen über die Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben ergeben sich Unklarheiten;

b. es erscheint noch schwierig, im russischen Staatsaufbau einen geeigneten Platz für für Vereinbarungen und Abkommen zwischen der Föderation und ihren Teilgebieten zu finden;

c. die Zuständigkeiten der Teilgebiete und die dafür verfügbaren Mittel klaffen auseinander;

d. die verschiedenen Teilgebiete sind unterschiedlich entwickelt;

e. die Rechtsaufsicht der Behörden der Föderation ist nicht klar geregelt;

29. Stellt fest, dass die auf der Verfassung beruhende und mit dem Bundesgesetz vom 4. Juli 2003 (im Folgenden: das Bundesgesetz Nr. 95) eingeleitete Reform des Föderalismus vor allem folgende Ziele im Auge hatte:

a. es galt, die in den Artikeln 71 – 73 der Verfassung niedergelegten Grundsätze in einem allgemeinen Gesetz näher zu umreißen. Nicht nur Gesichtspunkte der Organisation der öffentlichen Gewalt in den Teilgebieten der Föderation, sondern auch der Rahmen für die Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben waren zu regeln. Bei den Gemeinschaftsaufgaben gab es oft Streit zwischen der Föderation und ihren Teilgebieten;

b. der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht war zu bekräftigen ;

c. Zuständigkeiten und Haushaltsmittel mussten in Einklang gebracht werden;

d. die Bundesaufsicht musste besser organisiert werden;

30. Ist der Ansicht, dass die Kommission unter dem Vorsitz von Herrn Dmitri Kosak und der russische Gesetzgeber Beträchtliches geleistet haben, um die Verfassungsbestimmungen über die Beziehungen zwischen der Föderation und ihren Teilgebieten, vor allem in Bezug auf die Gemeinschaftsaufgaben, zu präzisieren und zu erläutern;

31. Hält das neue Gesetz gleichzeitig für flexibel genug, um mit besonderen Situationen und Krisen (vor allem mit Hilfe vertraglicher Vereinbarungen) im Rahmen der Bundesverfassung fertig zu werden;

32. Findet dieses Bemühen um Klarheit und Präzision lobenswert, weil es dazu beiträgt, Situationen zu beenden, in denen die regionale Gesetzgebung in glattem Widerspruch zum Bundesrecht stand;

33. Begrüßt in diesem Zusammenhang die zwischen 2000 und 2003 erfolgten Bemühungen, die regionale Gesetzgebung in Einklang mit der Verfassung und dem Bundesrecht zu bringen;

F. Empfehlungen an die Bundesbehörden:

34. Wird weiterhin eine Reihe von Problemen, die mit dem Vollzug des neuen Gesetzes verbunden sind, im Auge behalten. Er hält es für erforderlich, die nachstehend aufgeführten Punkte zu betonen, und bittet die Bundesbehörden in diesem Zusammenhang, beim Vollzug des Rahmengesetzes darauf besonders zu achten;

a. Begriff der Souveränität :

i. nimmt zur Kenntnis, dass das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Juni 2000 bekräftigt hat, dass die Souveränität ausschließlich bei der Russischen Föderation liegt, und dass die von dieser Entscheidung und der Verordnung vom 27. Juni 2000 betroffenen Teilgebiete in ihren Verfassungen die vom Verfassungsgericht für nichtig erachteten Bestimmungen gestrichen haben;

ii. erinnert daran, dass er mit seiner Entschließung CG (11) 5 die Teilgebiete der Föderation auffordert, sich an diese Entscheidung des Verfassungsgerichts zu halten;

b. Verträge und Abkommen:

i. stellt fest, dass zwischen 1994 und 1998 42 Verträge mit 46 Teilgebieten der Föderation geschlossen wurden und dass die Mehrzahl der Regionen mittlerweile den Gedanken eines Vertrags zur Abgrenzung der Zuständigkeiten mit der Föderation aufgegeben hat, weil sie ihre historische Aufgabe erfüllt haben und alle Verträge binnen zwei Jahren bestätigt werden müssen;

ii. ist der Ansicht, dass das neue Verfahren für den Abschluss von Verträgen das Bemühen der Föderation widerspiegelt, die Wahrung der Grundrechte der Bürger und die Rechtseinheit auf dem gesamten Staatsgebiet sicherzustellen;

iii. stellt fest, dass der Abschluss von Verträgen zur Abgrenzung der Zuständigkeiten nur gestattet ist, sofern besondere wirtschaftliche, geographische und sonstige Umstände in einem Teilgebiet der Föderation dies erfordern und zwar nur in dem Ausmaß, in dem solche besonderen Umstände eine vom Bundesrecht abweichende Zuständigkeitsverteilung sinnvoll erscheinen lassen (wobei derartige Verträge nur eine Laufzeit von zehn Jahren haben dürfen);

iv. ist der Ansicht, dass diese Verfahrensweise hinreichenden Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten von Teilgebieten der Föderation lässt, eine Anzahl schwieriger Situationen zu vermeiden hilft und bei aller Vielfalt der Regionen Russlands eine gewisse Einheitlichkeit sicherstellt;

c. Zuständigkeitsverteilung

i. ist der Ansicht, dass die Bestimmungen des neuen Gesetzes, mit denen die Verteilung der Zuständigkeiten an die finanzielle Verantwortung und die Verfügbarkeit der nötigen Mittel geknüpft wird, mit dem Grundsatz des Zusammenhangs zwischen Aufgaben und Finanzausstattung im Einklang stehen und die Verantwortung der regionalen Behörden gegenüber ihren Wählern stärken;

ii. wird die Anwendungen der neuen Bestimmungen weiter beobachten. Viel hängt von den tatsächlichen Haushaltsmitteln der Teilgebiete und vom Finanzausgleich zwischen ihnen ab;

iii. stellt fest, dass das Gesetz einen solchen Finanzausgleich vorsieht, und zwar durch Zuwendungen an die Teilgebiete der Föderation aus einem Hilfsfond des Bundeshaushalts;

iv. wird mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, wie sich die Wahrnehmung der eigenen Zuständigkeiten der Teilgebiete der Föderation und die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben im neuen gesetzlichen Rahmen entwickelt;

d. Bundesaufsicht

i. teilt die Auffassung der Bundesbehörden, dass die Einhaltung der Verfassung, der Bundesgesetze und der diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen auf dem gesamten Gebiet der Föderation gewährleistet werden muss;

ii. ist insbesondere der Auffassung, dass die Anwendung der Bundesgesetze auf Fragen der Menschenrechte und Rechte der Minderheiten voll and ganz zu gewährleisten ist;

iii. ist der Meinung, dass das im neuen Gesetz vorgesehene Aufsichtsverfahren den regionalen Behörden, vor allem dank der vorgesehenen Gerichtsverfahren, genügend Garantien bietet;

iv. gleichwohl wird der Kongress dieses Problem weiterhin wachsam verfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte ihrer Aufgabe nach dem im Gesetz vorgesehenen neuen Verfahren in vollem Umfang nachkommen werden;

v. erinnert daran, dass das in Artikel 29, Abs. 2 – 3, des neuen Gesetzes vorgesehene Absetzungsverfahren wirklich das letzte Mittel (die ultima ratio) bleiben und sich auf Fälle beschränken muss, in denen eine schwere Verletzung von Bundesrecht vorliegt und es darum geht, einer allzu großzügigen Auslegung der Bestimmungen entgegenzutreten;

e. Zusammensetzung des Föderationsrats:

unterstützt die russischen Behörden bei ihren weiteren Überlegungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Föderationsrats (einer Vertretung der Teilgebiete auf Föderationsebene, vergleichbar dem deutschen Bundesrat), um seine wirklich demokratische Repräsentativität sicherzustellen und die Bindung der Mitglieder des Föderationsrats an die Regionen zu stärken;

f. Idee eines Europäischen Übereinkommens über die regionale Selbstverwaltung

bittet die russischen Behörden, das Projekt eines Europäischen Übereinkommens über die regionale Autonomie zu unterstützen;

g. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

i. bittet die russischen Behörden, auch künftig die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gemeinden und Regionen Russlands mit den Gebietskörperschaften der Nachbarländer, insbesondere auf der Grundlage der Empfehlung 125 (2003), zu fördern;

ii. fordert die russischen Behörden auf, die Zusatzprotokolle Nr.1 und Nr.2 (Europ. Vertragsreihe Nr. 159 und 169) zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (Europ. Vertragsreihe Nr. 106) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

G. Politischer Dialog mit dem Kongress des Europarats:

35. Fordert die zuständigen Vertreter der russischen Bundesbehörden auf, ihn (d.h. den Kongress) auf seiner nächsten institutionellen Sitzungsperiode über Fortschritte bei der Reform der kommunalen Selbstverwaltung und des Föderalismus in Russland zu unterrichten.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 26. Mai 2004, 2. Sitzung (siehe Dok. CG (11) 5, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch G. Rhodio (Italien, L, EVP/CD) und U. Stöckling (Schweiz, R, ULDG), Berichterstatter) 2 Stellvertretender Berichterstatter der Kammer der Regionen