Empfehlung 141 (2003)1 über die Regionaldemokratie in Norwegen

Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Regionen,

1. Unter Verweis auf:

a. Artikel 2, Absatz 1 b der statutarischen Entschließung (2000) 1 des Kongresses, der vorsieht, dass „der KGRE dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie vorlegt“ ;

b. Artikel 2, Absatz 3 der statutarischen Entschließung (2000) 1 des Kongresses, in dem es heißt, „der Kongress bereitet regelmäßige Länderberichte über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in allen Mitgliedstaaten sowie den Beitrittskandidaten des Europarates vor und beaufsichtigt insbesondere die praktische Umsetzung der Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung“;

c. die Entschließungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000), die die Leitlinien für die Ausarbeitung solcher Berichte festlegen;

2. Unter Berücksichtigung des Berichtes über die Lage der Regionaldemokratie in Norwegen, der nach zwei offiziellen Besuchen in Oslo (30. – 31. Januar 2003 und 16. Juni 2003) und einem offiziellen Besuch von Roberto Ruocco (Italien, Kammer der Regionen), Berichterstatter, in Trondheim und Lillehammer (17. – 18. Juni 2003) mit Hilfe von Fabrice Hugot, Experte und Verwaltungsbeamter des Französischen Senats, ausgearbeitet wurde, dem der Kongress für seine Mithilfe danken möchte;

3. Unter Verweis auf das Kolloquium über die Regionalisierung in Norwegen, das der Kongress am 2. und 3. Mai 2002 in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Verband der Gemeinden und Regionen organisierte;

4. Dankt:

a. dem norwegischen Verband der Gemeinden und Regionen für seine Unterstützung bei der Organisation der Besuche der KGRE-Delegation in Norwegen und die detaillierten Beobachtungen, die bei den oben erwähnten Besuchen vorgebracht wurden;

b. den norwegischen Regierungs- und Parlamentsbehörden, insbesondere dem Ministerium für Gemeinderegierung und Regionalentwicklung, für den wertvollen Beitrag bei der Ausarbeitung des Berichtes über die regionale Demokratie in Norwegen;

5. Begrüßt die Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (am 26. Mai 1989) ohne Erklärungen oder Vorbehalte durch Norwegen;

6. Begrüßt ebenfalls die Ratifizierung der Europäischen Rahmenkonvention zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden (am 12. August 1980), der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (am 10. November 1993) sowie der Rahmenkonvention zum Schutz der nationalen Minderheiten (am 17. März 1999) durch Norwegen;

7. Stellt mit Befriedigung fest, dass die Gemeindedemokratie in Norwegen weiterhin sehr stark ist;

8. Stellt fest, dass die norwegische Verfassung von 1814, die keine Bestimmungen für die kommunale oder regionale Selbstverwaltung enthält, seither dahingehend nicht geändert wurde und dass das Gesetz Nr. 107 über Gemeinden vom 25. September 1992 ebenfalls keine zwingenden allgemeinen Bestimmungen über den Rechtsschutz der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in Norwegen vorsieht;

9. Bedauert, dass Norwegen bei der Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung den Europarat nicht offiziell darüber informiert hat, dass es die Charta auf seine Beziehungen zu den Bezirksbehörden anwenden wird;

10. Unter Verweis auf die zahlreichen Vorschläge und Initiativen der norwegischen Behörden bezüglich der Reform der bestehenden Regionalstrukturen einerseits und andererseits den fehlenden Konsens in norwegischen Politikerkreisen über die Zukunft der Regionen in dem Land;

11. Macht die norwegischen Regierungs- und Parlamentsbehörden auf folgende Überlegungen und Empfehlungen aufmerksam:

a. insgesamt und angesichts der positiven Beispiele vieler europäischer Länder ist eine regionale Verwaltungsebene, die über Eigenkompetenzen verfügt und aus demokratisch gewählten Vertretern besteht, ein wesentlicher Faktor bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und eine potentielle Quelle der Solidarität und der sozialen und territorialen Kohäsion;

b. Regionen, die historisch begründet und geographisch kohärent sind und echte und klar definierte Befugnisse haben, sind ein effektives Instrument für das Regieren. Sie ermöglichen es, die Erwartungen der betroffenen Bevölkerung zu erfüllen, ihre Interessen zu verteidigen und ihre Identität zu wahren;

c. unter Berücksichtigung der derzeitigen Strukturen der Territorialverwaltung in Norwegen sowie der Anforderungen an die öffentlichen Dienste, die Verwaltungseffizienz und die Vereinfachung der Funktionsweise der staatlichen Behörden in verschiedenen Bereichen, insbesondere bei der Regionalentwicklung, erscheint eine Reform der Territorialverwaltung angemessen und notwendig;

d. die Struktur der künftigen Regionen sollte sich an die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung und an die Prinzipien der regionalen Selbstverwaltung des Europarates anlehnen, die im Entwurf der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung, der vom Kongress angenommen wurde, niedergelegt sind;

e. bei dieser Reform sollte Folgendes berücksichtigt werden:

i. angesichts der geographischen und demographischen Merkmale Norwegens erscheint es wünschenswert, die drei Regierungsebenen zu bewahren – kommunale, regionale und zentrale – und gleichzeitig eine regionale Ebene mit gewählten Behörden, die demokratisch legitimiert sind, beizubehalten, so dass das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der Nähe besser berücksichtigt werden können;

ii. bei jeder Modernisierung oder Reform der bestehenden Regionalstrukturen sind die regionale Identität und die besonderen Merkmale der verschiedenen norwegischen Regionen zu beachten;

iii. es ist wichtig, dass eine übermäßige Zentralisierung und Machtkonzentration auf Ebene der Zentralregierung vermieden wird, damit die Prinzipien der Subsidiarität, Komplementarität und Solidarität erhalten bleiben und die Befugnisse besser auf die verschiedenen Ebenen der staatlichen Behörden verteilt werden, indem die Beziehungen zwischen der Zentralregierung, den Regionen und den Gemeinden geregelt werden;

iv. man sollte sich ebenfalls fragen, falls die bestehende Struktur nicht aufrechterhalten werden kann, wie die Regionalebene auszusehen hat und welche Kompetenzen die künftigen Regionen erhalten sollten;

12. Bei der Einsetzung demokratischer Regionalstrukturen sollte zwischen folgenden Optionen gewählt werden: Beibehaltung der bestehenden Bezirke, Schaffung größerer Regionen durch Zusammenlegung mehrerer Bezirke oder Stärkung der Kooperation zwischen den Gemeinden und Zusammenlegung der Gemeinden;

a. falls die gewählten Behörden der bestehenden Bezirke beibehalten werden:

i. ist es notwendig, dass die Bezirke eine größere Rolle bei der Regionalentwicklung spielen, indem eine strukturelle Rationalisierung durchgeführt wird und ihre Befugnisse erweitert werden und ihnen ausreichende Finanzressourcen zugestanden werden, damit sie diese Verantwortung erfüllen können und sichergestellt wird, dass diese Ressourcen effizient genutzt werden;

ii. wäre es außerordentlich wichtig, die Beziehungen zwischen der Zentralregierung, den Bezirken und Gemeinden sowie die Überwachungsorgane klar zu definieren und dabei die Prinzipien der Selbstverwaltung, Subsidiarität, Komplementarität und Solidarität zu beachten;

iii. ist festzustellen, dass die schrittweise Übertragung der Befugnisse der Bezirke an die Zentralregierung (die Verantwortung für Krankenhäuser wurde 2002 an die Zentralregierung übertragen, die Übertragung besonderer Sozialdienste ist für 2004 vorgesehen) ein alarmierendes Zeichen für eine verstärkte Zentralisierung ist und die Verantwortung der Bezirke stark einschränkt;

iv. wäre es notwendig, die Regionalstruktur der Vertreter des Staates (Bezirksgouverneure) zu überprüfen und die Übertragung einiger Befugnisse an die gewählten Bezirksbehörden vorzusehen;

v. sollte die Kontrolle über die Entscheidungen der Gemeinden und Bezirke, die von den staatlichen Behörden durchgeführt wird, auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen beschränkt werden und die Einmischung der Zentralbehörden in regionale Angelegenheiten durch eine angemessene Kontrolle der Zweckmäßigkeit auf ein Minimum beschränken;

vi. angesichts der Tatsache, dass die Finanzressourcen der Bezirke größtenteils aus den globalen staatlichen Subventionen stammen und angesichts der Steuerbeschränkung der letzteren, scheint der Handlungsspielraum der Bezirksbehörden bei Finanzen und Haushalt stark von der Zentralregierung abzuhängen;

vii. unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundsatzes der Gleichheit und des Grundsatzes von Recht und Billigkeit zwischen den Bezirken in der norwegischen Tradition wäre es dennoch vorstellbar, ein asymmetrisches System der Verantwortungsbereiche zu schaffen, die an die verschiedenen Bezirke übertragen werden;
b. bei Zusammenlegung von Bezirken zu großen Regionen durch Schaffung neuer größerer Regionen, die die derzeitigen Bezirke ersetzen:

i. könnten die neuen Regionen mehrere bestehende Bezirke zusammenlegen und so ihre Zahl verringern;

ii. wäre es für einen besseren Übergang zwischen den Systemen ratsam, zunächst die Zusammenarbeit zwischen den Bezirken, ihre freiwillige Fusion und die Regionalpartnerschaften zu fördern;

iii. sollten die künftigen Regionen mit demokratischen, direkt gewählten Strukturen über Befugnisse und Eigenressourcen verfügen, damit sie funktionsfähig sind und autonom handeln können;

iv. könnten im Rahmen dieses Verfahrens die Gemeindegrenzen neu gezogen werden;

c. falls kein Regionalmodell ausgewählt wird, wäre die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und gegebenenfalls die Zusammenlegung von Gemeinden eine mögliche Alternative zu den bestehenden Bezirken:

i. die Zusammenarbeit und insbesondere die Zusammenlegung sollte freiwillig sein und die Effizienz, die besonderen Merkmale und Bestrebungen der verschiedenen Gemeinden berücksichtigen;

ii. in diesem Sinne ist es wichtig, die Befugnisse der Gemeinden zu überdenken, d.h. zu stärken und ihre Finanzressourcen aufzustocken, insbesondere da die Befugnisse im Bereich Landwirtschaft und Umwelt ab 2004 an die Gemeinden übertragen werden;

iii. bei der Einsetzung solcher neuer Strukturen wäre es gut, die Frage zu stellen, ob die gemeindeübergreifenden Organe in der Lage sein werden, die Befugnisse für Regionalplanung und -entwicklung einzusetzen und gegebenenfalls zu klären, welche demokratisch kontrollierten Strukturen hierfür verantwortlich sein sollten;

13. Allgemein ist es notwendig:

a. Partnerschaften einzurichten und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und Bezirken zu fördern, um die Koordination und Effizienz zu verbessern;

b. vor einer größeren Reform eine ausführliche Einschätzung der verschiedenen laufenden Pilotprojekte für die Bezirke – „der einheitliche Bezirk“, der Kooperation zwischen den verschiedenen Bezirken in einer Region bei der Umsetzung der gemeinsamen Befugnisse sowie der Übertragung einiger Befugnisse der Bezirke an die Gemeinden oder Befugnisse der Zentralregierung an die Bezirke vorzunehmen;

c. festzustellen, dass der Begriff der „einheitliche Bezirk“ - die Fusion von Bezirksgouverneur und Bezirksbehörde (gewähltes Organ) in einem einzigen Verwaltungsorgan – kein geeignetes Modell für eine Regionalverwaltung zu sein scheint, angesichts der dominierenden Position der Zentralregierung in diesem Organ und der fehlenden Transparenz bei den tatsächlichen Befugnissen der gewählten Vertreter und Regierungsbehörden ;

d. auf jeden Fall die Bürger auf die Notwendigkeit und die Bedeutung der Existenz und der guten Funktionsweise der gewählten Regionalbehörden aufmerksam zu machen und diese in den Augen der Bewohner attraktiver zu gestalten, damit diese Behörden nicht nur als Erbringer öffentlicher Dienste, sondern als geeigneter Rahmen für den demokratischen Ausdruck des Willens der Bürger betrachtet werden;

14. Um sicherzustellen, dass die norwegischen Regionalbehörden die Rechtsgarantien der verschiedenen internationalen Instrumente in diesem Bereich erhalten, unabhängig von der nach der Reform gewählten Lösung, sollten die norwegischen Regierungsbehörden sich für eine der folgenden Lösungen entscheiden:
a. Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (ausgehend von Artikel 13) auf die Bezirksbehörden oder die künftigen Regionalinstitutionen;
b. Vorbereitung und Beitritt zu einem europäischen Rechtsinstrument über regionale Selbstverwaltung, das derzeit im Europarat vorbereitet wird;
15. der Kongress fordert daher:

a. das Ministerkomitee auf, diese Empfehlung und den Begründungstext an die norwegischen Regierungs- und Parlamentsbehörden weiterzuleiten;

b. die norwegischen Regierungs- und Parlamentsbehörden auf:

i. bei den nationalen Diskussionen über die Zukunft der Gemeinden und Regionen in Norwegen die oben vom Kongress dargelegten Schlussfolgerungen zu berücksichtigen;

ii. Lösungen für die künftige Struktur der Territorialverwaltung in Zusammenarbeit mit den Vertretern der Gemeinden und Regionen zu suchen;

iii. sich bei den Reformen nicht nur auf das Kriterium der Verringerung der territorialen Verwaltungsstrukturen zu beschränken, sondern auch den Wunsch der Bürger zu berücksichtigen, dass ihre gewählten Vertreter wirklich am Gemeindeleben beteiligt werden;

c. den norwegischen Minister für Gemeinden und Regionalentwicklung auf, an einer der kommenden Sitzungen der Kammer der Regionen teilzunehmen, um die getroffenen und/oder beabsichtigten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Empfehlung darzulegen.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 25. November 2003 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 26. November 2003 (siehe Dok. CPR (10) 6, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Herrn R. Ruocco, Berichterstatter).