15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29
. Mai 2008

Elektronische Demokratie und direkte Mitsprache bei urbanen Projekten

Empfehlung 249 (2008)[1]

1. Die demokratischen Anforderungen und die öffentliche Mitsprache sind Schwerpunkt der aktuellen politischen Debatte.  Die öffentlichen Behörden müssen sich mit der Loslösung der Bürger von der Politik und einer Vertrauenskrise in die Politiker und die politischen Institutionen auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene befassen. Diese Probleme spiegeln sich in einer geringen Wahlbeteiligung, einem Anstieg des Extremismus und einem abnehmenden zivilen Engagement wider;

2. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats ist der Überzeugung, dass dieser Trend durch erneuerte Governance-Praktiken umgekehrt werden kann, insbesondere durch eine größere Transparenz der Entscheidungsprozesse, eine Überwachung demokratischer Institutionen und eine verstärkten Mitwirkung und einen besseren Informationszugang;

3. Der Kongress bekräftigt seine Überzeugung, dass der wichtigste Aspekt der elektronischen Demokratie oder der Cyberdemokratie die Erneuerung der Entscheidungsprozesse und die Anwendung des Grundsatzes der Partizipation ist. Dies geht Hand in Hand mit der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung, die besagt, dass „das Recht der Bürger auf Mitwirkung bei der Durchführung öffentlicher Angelegenheiten einer der demokratischen Grundsätze ist, die allen Mitgliedstaaten des Europarates gemeinsam sind“. Die Aarhus-Konvention bekräftigt ebenfalls diesen Grundsatz und das Recht auf Information, insbesondere im Hinblick auf Umweltthemen;

4. Die digitale Revolution konfrontiert unsere Gesellschaften mit weitreichenden und bisher unbekannten Veränderungen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bieten neue Möglichkeiten, die Öffentlichkeit zu erreichen, unterschiedliche Gruppen zu mobilisieren und Kontakt mit bestimmten Bevölkerungsschichten aufzunehmen, z. B. Jugendlichen. Sie ermöglichen den Bürgern, sich einzeln oder in Gruppen einzubringen; sie sind ein wichtiger Beitrag zum Neuaufbau politischer und demokratischer Prozesse;

5. Die Gemeinden spielen eine wesentliche Rolle bei der weiterreichenden Nutzung der IKT und sie müssen alle ihre Möglichkeiten erwägen, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Konsultationen und den Austausch mit der Öffentlichkeit bei Projekten, welche die Kommunen und die Umwelt, in der sie leben, verändern. Die Behörden sollten nach innovativen Lösungen suchen, um im Vorfeld von Entscheidungen neue und experimentelle Verfahren für die öffentliche Debatte zu fördern;

6. Der Kongress ist der Meinung, dass die territoriale Entwicklung und die Planungsentscheidungen die Zivilgesellschaft einschließen sollten und dass die direkte Mitsprache die öffentlichen Stellen in die Lage versetzt, ihre Pflichten auszuführen und wohlbegründete Entscheidungen zu treffen. Zu diesem Zweck müssen sie einen transparenten Dialogprozess schaffen, bei dem die Meinungen der Menschen gehört wird, bevor wichtige Projekte durchgeführt werden;


7. In dieser Hinsicht ist die eDemokratie besonders nützlich, sei es im Hinblick auf Meinungen, öffentliche Befragungen, weniger formelle Konsultationen oder rein zur Bereitstellung von Informationen. Diese interaktiven Tools können in allen Phasen der Gestaltung der öffentlichen Politik und von städtischen Projekten eingesetzt werden;

8. Cyberdemokratie erfordert, in anderer Weise öffentliche Dienste zu konzipieren und zu betrachten. Die Gemeinden können durch eine vollständige und verständliche Bereitstellung von Informationen über ihre öffentliche Politik und ihre Projekte einerseits ihre Praktiken und ihre Verwaltungsstellen modernisieren und andererseits das Vertrauen und den Dialog zwischen Öffentlichkeit, gewählten Vertretern und Verwaltungsstellen neu aufbauen;

9. Der Einsatz elektronischer Kommunikationsinstrumente kann bei der Erklärung aller Dimensionen der Stadtplanung nützlich sein. Es erfordert komplexe Projekte und Ideen, die eindeutig formuliert werden müssen, macht Informationen leichter zugänglich und transparenter und stellt der Öffentlichkeit Bereiche vor, die bisher nur Experten vorbehalten waren;

10. Der Kongress ist der Überzeugung, dass die breite Partizipation der Öffentlichkeit sowohl die Bedürfnisse der kleinsten Gemeinschaften als auch großer Metropolen erfüllen kann. Während die ePartizipation neue Dialogmöglichkeiten eröffnet, muss sie dennoch Teil eines konventionelleren Prozesses der Partizipation sein, um alle Erwartungen zu erfüllen und einer Ausgrenzung vorzubeugen. In dieser Hinsicht sollten die Behörden einen flächendeckenden Internetzugang entwickeln, insbesondere für benachteiligte und geografisch isolierte Gruppen;

11. Die Gemeinden müssen außerdem Online-Methoden der partizipatorischen Demokratie umsetzen, die nicht die repräsentative Demokratie unterminieren, zu keiner Überrepräsentierung bestimmter Gruppen führen und die die Bürger in die Lage versetzen, auf individueller Basis an der öffentlichen Debatte teilzunehmen. Die Qualität des relevanten Fachwissens sollte die Messlatte für diesen Partizipationsprozess sein;

12. Ein Vergleich der vielfältigen Erfahrungen mit eDemokratie in Europa unterstreicht das Vorhandensein des politischen Willens und der Akzeptanz eines transparenteren und demokratischeren Managements unter den Politikern, wichtige Faktoren für den Erfolg der Konsultationsprozesse bei städtischen Projekten;

13. Angesichts des oben Aufgeführten empfiehlt der Kongress dem Ministerkomitee des Europarats:

a. die umfangreichen Erfahrungen der kommunalen und regionalen Stellen mit der elektronischen Demokratie zu nutzen und ihre Aufmerksamkeit der Förderung einer breit angelegten Implementierung von eDemokratie-Tools zu widmen, insbesondere beim 4. Forum „Zukunft der Demokratie“ (Madrid, Oktober 2008);

b. den Ad hoc-Ausschuss für eDemokratie (CAHDE) einzuladen, Richtlinien über die elektronische direkte Mitsprache auszuarbeiten, welche dem Geist der Offenheit des Partizipationsprozesses, dem Prinzip der Transparenz der Entscheidungs- und Verwaltungsprozesse und der Notwendigkeit der Berücksichtigung vollständiger Entscheidungszyklen Rechnung tragen. Diese Prinzipien stellen eine pragmatische Ergänzung des Entwurfs des Zusatzprotokolls der Europäischen Charta der Selbstverwaltung über Bürgerbeteiligung dar

14. Der Kongress empfiehlt dem Ministerkomitee des Europarates die Mitgliedstaaten aufzufordern:

a. den legislativen und regulativen Rahmen für Konsultationen zu verstärken und die Erneuerung der Entscheidungsprozesse zu fördern und es für alle Ebenen der Governance verpflichtend zu machen, die Öffentlichkeit an Projekten zu beteiligen, die sie betreffen, insbesondere im Hinblick auf eine nachhaltige Stadtplanung, Raumordnung und im Hinblick auf lokale Infrastruktureinrichtungen;

b. auf nationaler Ebene vorgeschaltete Konsultationsprozesse über nationale Infrastruktur- und Raumordnungsprojekte durchzuführen, die neue, elektronische Verfahren für eine öffentliche Debatte fördern;

c. in Vorbildfunktion die Bedingungen für eine breit angelegte Nutzung des Internets und der IT-Technologien bei der öffentlichen Partizipation zu schaffen und zu regeln und;

i.          eine Strategie für die zukünftige Entwicklung und Verbesserung von eDemokratie-Initiativen und Tools umzusetzen, damit sich nicht-elektronische Formen der Partizipation und des demokratischen Engagements ergänzen und zusammenwirken können;

ii.          in Übereinstimmung mit den Grundsätzen von Gleichheit und Beständigkeit und mit Blick auf die Erhöhung der Attraktivität der zahlreichen Regionen und die Reduzierung der Ungleichheit beim Internetzugang eine IT-Infrastruktur in ihrem Territorium zu entwickeln;

iii.         sicherzustellen, dass transparente, hochwertige, leicht zugängliche, lesbare und korrekte Online-Informationen bereitgestellt werden, damit die Öffentlichkeit ermutigt wird, Interesse an der kommunalen Maßnahmen zu zeigen und eine konstruktive Rolle bei der Gestaltung der Zukunft ihrer Umwelt einzunehmen;

iv.         zu erwägen, Mediatoren einzusetzen, die relevante Informationen identifizieren, zusammenfassen und erklären;

v.         sicherzustellen, dass elektronische Unterschriften zur Überprüfung von Beiträgen zuverlässig sind;

vi.         das Wissen über IT zu fördern und die Nutzung von IT durch alle Bürger zu ermutigen und die Beamten der zentralen und anderen Hierarchieebenen der Regierung in Informationsmanagement und dem Potenzial von IT-Technologien auszubilden;

d. die Gemeinden bei ihren Versuchen der ePartizipation und ihren Innovationen zu unterstützen und in dieser Hinsicht:

i.          die notwendigen Informationen und Daten bereitzustellen, damit die Gemeinden und Regionen auf der Grundlage vollständiger Fakten Entscheidungen über eine nachhaltige Stadtplanung treffen können;

ii.          Grundlagen- und angewandte Forschung über Technologien zu unterstützen, die das Verständnis und die Illustrierung von Raumordnungsthemen erleichtern (Mapping, Geodaten, 3D-Software für Stadtplanungsmodelle, etc.);

15. Der Kongress empfiehlt des Weiteren dem Ministerkomitee des Europarats, die Europäische Union aufzufordern:

a. in Partnerschaft mit allen Ebenen der Governance das Informationsgesellschaftsprojekt durchzuführen und den Zugang der Gemeinden und Regionen zu den neuen Rahmenprogrammen zu fördern;

b. die Zielsetzungen der Digitalen Lokalen Agenda (EUSCO 2007) in den i2010-Strategierahmen der Europäischen Kommission aufzunehmen und auf diesem Wege sicherzustellen, dass die Regionen und Gemeinden eine zentrale Rolle bei der Förderung der Informationsgesellschaft und digitalen Integration in ganz Europa spielen.



[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 27. Mai und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CPL(15)3REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch H. Himmelsbach (Deutschland, L, NR), Berichterstatter).