FRÜHJAHRSTAGUNG
Malaga, 13. – 14. März 2008

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in ländlichen Gebieten, ein zentraler Faktor in der Politik der territorialen Kohäsion

Entschließung 252 (2008)[1]

1. Die ländlichen Gebiete sind entscheidend für das Wohlergehen und die Dynamik Europas. Ein Großteil der europäischen Wirtschaft liegt in diesen Gebieten und die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und die Biodiversität sind unentbehrliche Elemente für die Ernährung und andere wichtige Güter.

2. Die wirtschaftliche Umstrukturierung sowie die Landflucht führten zu großen Veränderungen in der Gesellschaft. Die Aufrechterhaltung von lebensfähigen ländlichen Gebieten ist lebenswichtig für die territoriale und soziale Kohäsion  sowohl in den ländlichen als auch in den städtischen Gebieten.

3. Die Tendenz läuft auf einen Teufelskreis hinaus, in dem der Austausch zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten sehr unausgewogen ist; die Migrationströme führen zu einer Überalterung der Bevölkerung und sozialen Ungleichheiten im ländlichen Raum, während der Druck auf die Städte und Ballungsgebiete eine Ausbreitung der Stadtgebiete und eine Zersplitterung der regionalen Netze bedeutet.

4. Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates ist überzeugt, dass Gleichberechtigung und gleicher Zugang zu den Diensten von allgemeinem Interesse[2] grundlegende Elemente für die territoriale und soziale Kohäsion sind. Er unterstreicht, dass die Hauptaufgabe der Gebietskörperschaften auf allen Ebenen darin besteht, darauf zu achten, dass die Dienste von allgemeinem Interesse allen angeboten werden, unter Achtung der Prinzipien der Universalität, der Subsidiarität, der Nachhaltigkeit, der Kostenbegrenzung, der Kontinuität und der Transparenz.

5. Derzeit ist ein allgemeiner Rückgang der Qualität und der Zugänglichkeit der Dienste von allgemeinem Interesse in Europa festzustellen. Insbesondere in den ländlichen, dünn besiedelten Gebieten ist er bedenklich, da die fehlende kritische Masse dazu führt, dass die öffentlichen Dienste nicht an diese Gebiete angepasst sind.

6. Der Kongress stellt fest, dass die Tendenz heute zu einer Deregulierung und Liberalisierung der öffentlichen Dienste und zu neuen Partnerschaftsformen bei der Bereitstellung der Dienste geht. Er ist der Auffassung, dass das erste Anliegen der öffentlichen Hand die Qualität und Zugänglichkeit der Dienste sein sollte, unabhängig davon, wie diese Dienste organisiert und geregelt sind.

7. Außerdem ist die Aufrechterhaltung des Angebots an effizienten Diensten von allgemeinem Interesse in Europa eine politische Herausforderung, die auf allen Ebenen der Territorialverwaltung im Rahmen einer sozio-geographischen Solidarität zu sehen ist.


8. Der Kongress ist überzeugt, dass die Nachhaltigkeit in alle Aspekte der Territorialpolitik integriert werden sollte und die Dienste von allgemeinem Interesse so organisiert sein sollten, dass ihre negative Auswirkung auf die Umwelt verringert wird. Dies gilt insbesondere für die integrierte Verkehrspolitik, die das Rückgrat der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit darstellt und wesentlich für die territoriale, lokale und regionale Dynamik und Gleichheit ist.

9. Der Kongress bekräftigt, dass die Prinzipien der Subsidiarität und Dezentralisierung, so wie sie in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung dargelegt sind und in der Empfehlung (2007) 4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die öffentlichen lokalen und regionalen Dienste aufgegriffen werden, die Grundstruktur für eine effiziente Raumordnung darstellen. Eine enge Kooperation zwischen allen Parteien ist unentbehrlich für die Konsolidierung und die Garantie einer adäquaten Einschätzung der tatsächlichen Bedürfnisse sowie eine angemessene Antwort auf diese Bedürfnisse in den ländlichen Gebieten.

10. Der Kongress erinnert an die Notwendigkeit, multifunktionale Modelle der Territorialentwicklung sowie eine grenzüberschreitende Kooperation vorzusehen, um die Entwicklung der integrierten regionalen Infrastrukturen in den betreffenden Regionen sicherzustellen, wie in der Entschließung 245 (2007) über die Randregionen und dünn besiedelten Regionen dargelegt.

11. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas fordert die Gemeinden und Regionen auf:

a. Dienste von allgemeinem Interesse vorzusehen und bereitzustellen, die so organisiert sind, dass die geographisch benachteiligten Gebiete und die besonders schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen nicht von diesen Diensten ausgeschlossen sind und die:

i.          eine große Beteiligung aller Akteure an der Einschätzung des Dienstleistungsbedarfs vorsehen;

ii.          darauf achten, dass die Gebietskörperschaften die globale Verantwortung für die Bereitstellung der öffentlichen Dienste übernehmen, unabhängig von der Art der Leistung und der Finanzierung (interne, öffentlich-rechtliche, öffentlich-private Partnerschaften, Kooperativen, Zulieferer zu externen Betreibern);

iii.         die Standards für einen Mindestdienst festlegen, damit die Kontinuität der Leistung der wichtigsten Dienste garantiert ist;

iv.         eine spezifische Politik zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung im ländlichen Raum einrichtet, die auf die angesprochenen Probleme eingeht wie niedrige Gehälter, Landflucht der Jugendlichen, verstärkte Armut bei Frauen, Schwierigkeiten beim Zugang zu Kinderbetreuung zu erschwinglichen Preisen und fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten;

v.         Instrumente für finanzielle Beihilfen vorsieht, damit die Bevölkerung im ländlichen Raum bleibt (Subventionen, Preisstaffelung, Sozialhilfe, Wohngeld).

b. Die Informations- und Kommunikationstechnologien und jede Form der Innovation für die Beibehaltung der örtlichen Nachbarschaftsdienste zu nutzen, darunter Verwaltung, Bildung, Soziales und Gesundheitswesen. Zum Beispiel:

- mobile Dienste (Bibliothek, Krippe, Geschäfte),

- Mehrzweckzentren und Pole mit unterschiedlichen Diensten (Bank, Post, Geschäfte, Verwaltungsdienste),

- Aufteilung der Räume (für Bildung, Kultur, ärztliche Versorgung, Sport und Religion),

- Internetzugang (Abstimmung, Verwaltung, Medizin).

c. Transportsysteme auszuarbeiten, die die Abhängigkeit vom Auto verringern, die Mobilität benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen verbessern und die multifunktionale Entwicklung in, zwischen und um die Regionen herum erleichtern.

12. Der Kongress beschließt mit Hilfe seines Ausschusses für nachhaltige Entwicklung seine Reflexionen über die Zukunft der ländlichen Gebiete sowie die gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem städtischen und ländlichen Raum fortzusetzen und Möglichkeiten zur Bekämpfung der Kluft im Hinblick auf die Arbeiten an der Europäischen Städtecharta II zu prüfen.



[1] Diskussion und Zustimmung durch den Ständigen Ausschuss der Kammer der Regionen am 13. März 2008, und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 14. März 2008 (siehe Dokument CPR(14)8RES, Entschließungsentwurf vorgelegt durch C. Abela Baldacchino (Malta, R, SOC) und M. Neureiter (Österreich, R, EVP/DC), Berichterstatter).

[2] Die Dienste von allgemeinem Interesse umfassen materielle Güter wie öffentlicher Verkehr, Wohnungsbau, Energie, Wasser, Müllabfuhr, Telekommunikation und Bankwesen sowie immaterielle Güter wie Gesundheit, Kultur, Bildung und Sozialdienste.