15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29. Mai 2008
Die soziale Reintegration von Kindern, die auf der Straße leben und/oder arbeiten
Entschliessung 271 (2008)[1]
1. Der rasante, soziale, wirtschaftliche und politische Wandel, der in vielen Ländern stattfand, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, hatte erhebliche Auswirkungen auf große Teile der Bevölkerung und besonders auf Familien und Kinder. Steigende Arbeitslosenzahlen, Armut und der Zusammenbruch der Wohlfahrts- und Absicherungssysteme gefährden viele Kinder. Bei diesen Kindern ist eine der am stärksten marginalisierten Gruppen die der „Straßenkinder“;
2. Der Begriff „Straßenkinder“ bezieht sich auf alle Kinder, die auf der Straße leben und/oder arbeiten.Diese Gruppe schließt obdachlose Kinder und ausländische Kinder ohne Begleitung Erwachsener ein. Gemeint sind auch jene, die sich, obwohl sie offiziell bei ihren Eltern oder in einer staatlichen Einrichtung leben, nichtsdestotrotz in einer Lage befinden, in der sie nicht unmittelbar durch einen verantwortlichen Erwachsenen geschützt oder betreut werden;
3. Die ungeschützte Situation dieser Kinder erhöht ihre Schutzbedürftigkeit erheblich, und das Leben auf der Straße setzt sie dem schwerwiegenden Risiko körperlichen und sexuellen Missbrauchs, gesundheitlichen Problemen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten aus. Ihre Zukunft wird durch unzureichende Bildungsmöglichkeiten ernsthaft beeinträchtigt;
4. Es besteht ein Mangel an systematischen Informationen über das Ausmaß dieses Phänomens, da die Kinder aufgrund ihrer Lebensumstände nicht in eindeutigen statistischen Kategorien zu erfassen sind. Trotzdem besteht dahingehend Einigkeit, dass das Phänomen der Straßenkinder allgemein in Europa in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema in einer Reihe von Ländern geworden ist und für die Städte und Großstädte ein ernstes Problem darstellt, da sie Wege finden müssen, der Marginalisierung und der sozialen Ausgrenzung einer großen Zahl von Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken;
5. Die zwei grundsätzlichen Fragen, die sich bei der Analyse des Problems von Straßenkindern ergeben, sind: wie kann man am besten verhindern, dass Kinder auf der Straße enden, und wie kann man ihnen helfen und sie unterstützen, wenn sie dort gelandet sind;
6. Gute Praktiken in Europa zeigen, dass, auch wenn die Not dieser Kinder große Sorgen bereiten, die lokalen Behörden durchaus in der Lage sind, ihnen in mancherlei Weise zu helfen. Der Kongress empfiehlt dementsprechend den lokalen Behörden der Mitgliedstaaten des Europarats, dem Problem der Straßenkinder Priorität einzuräumen und der schweren Lage dieser Kinder die erforderliche Aufmerksamkeit zu zollen und:
Effektive Datenerfassung
a. auf kommunaler Ebene ein gemeinsames und effektives System für die Erfassung und Bereitstellung von aktuellen Daten über Straßenkinder im Hinblick auf deren Zahl, Charakteristiken, Hauptfaktoren für ihre Situation und alle erfolgreichen Maßnahmen zu etablieren, die zu ihrer sozialen Wiedereingliederung führen;
Integrierte lokale Aktionspläne
b. einen langfristigen, kommunalen Aktionsplan für Straßenkinder zu erstellen, der – soweit dies möglich ist – auch die Meinungen der Kinder einschließt, und:
i. integraler Teil einer umfassenden kommunalen Strategie zur Bekämpfung der Armut, der Bereitstellung von Wohnraum und der Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist;
ii. eindeutig die Aufteilung der Zuständigkeiten der verschiedenen öffentlichen Stellen festlegt, die im Bereich des Kinderschutzes auf lokaler Ebene tätig sind;
iii. Kurse zur Berufsausbildung und zum lebenslangen Lernen einschließt, die darauf abzielen, diese Kinder in die Lage zu versetzen, den Kreislauf aus Armut zu durchbrechen, sowie die Einrichtung von konkreten Arbeitsplatzmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche;
iv. für den notwendigen Schutz, eine angemessene medizinische Versorgung, Ausbildung und andere soziale Dienste sorgt, einschließlich für Kinder, die keine ordnungsgemäßen Identitätspapiere oder keinen Wohnsitz haben;
v. der Erholungsangebote und Dienste für die soziale Reintegration von Straßenkindern anbietet, die Opfer von körperlichem, sexuellem oder Drogenmissbrauch geworden sind;
vi. der sicherstellt, dass gefährdeten Kindern praktikable Alternativen zur Straße oder einem schwierigen Elternhaus zur Verfügung stehen, indem:
- man die Anzahl kommunaler Tagesbetreuungszentren, Notfalleinrichtungen und anderen Orten erhöht, die Straßenkindern Unterstützung (medizinisch und psychologisch) und Unterkunft anbieten;
- man den entsprechenden NRO und kommunalen Organisationen städtische Räumlichkeiten kostenlos oder kostengünstig zur Verfügung stellt;
vii. der Hilfs- und Kontaktdienste bereitstellt, u.a. Kindernotrufe und andere frühzeitige Interventionsinstrumente;
viii. der angemessene Mechanismen vorsieht, um Beschwerden von Straßenkindern über Missbrauchs- und Gewaltfälle entgegennehmen zu können;
ix. der die Wiedervereinigung mit den Familien oder anderen Verwandten fördert, wenn dies im Interesse der Kinder liegt, wobei die Meinung der Kinder zu berücksichtigen ist;
x. der alternative Handlungen für die Unterbringung bettelnder Straßenkinder einschließt;
Training
c. ein gezieltes Training aller Berufsvertreter und des kommunalen Verwaltungspersonals der verschiedenen Abteilungen sicherzustellen, die für den Schutz von Kindern zuständig sind und die mit Straßenkindern in Kontakt kommen (Sozialarbeiter, Lehrer, Psychologen, Polizeibeamte, etc.), mit besonderer Betonung der Menschenrechte von Kindern. Dies sollte eng verknüpft sein mit Personalbewertungen und –beurteilungen;
Konzertiertes Handeln und Dialog
d. einen regelmäßigen, konstruktiven Dialog und eine Koordinierung der Handlungen zur Schaffung der kommunalen Plattformen und Netzwerke sicherzustellen, was die Einbeziehung aller relevanten Akteure im Bereich des Kinderschutzes der kommunalen Behörden bedeutet (Sozialdienste, Schulen, Polizei, lokale Gerichte, Krankenhäuser) sowie von NRO und Akteuren aus dem Privatsektor;
Partnerschaften
e. deren unmittelbare Mitarbeit an (u.a. finanzielle Unterstützung) und Unterstützung der lokalen Projekte und Aktivitäten zu stärken, die von Dritten zum Wohle der Straßenkinder durchgeführt werden, u.a. Beschäftigungsmaßnahmen, und die dadurch bewirkte Gewährleistung der Nachhaltigkeit dieser Initiativen und möglicherweise eine solidere finanzielle Abdeckung durch Heranziehen weiterer wichtiger Spender;
Verabschiedung und Förderung eines nichtdiskriminierenden, interkulturellen Ansatzes
f. einen interkulturellen Ansatz zugrunde zu legen, der u.a. Folgendes beinhalten könnte:
i. Erstellen öffentlicher kommunaler Listen von interkulturellen Mediatoren, die für Situationen bereit stehen, in denen besondere sprachliche oder kulturelle Erfahrung vonnöten sind;
ii. Einrichtung einer besonderen Abteilung innerhalb der lokalen Polizeibehörde, die in der Lage ist, im Umgang mit Straßenkindern einen interkulturellen Ansatz zu verfolgen, einschließlich eine fremdsprachliche Mediation;
iii. Stereotypen (seitens der Öffentlichkeit, der Medien und der eigenen Verwaltung) über Kinder, die entweder als Opfer oder Täter auf der Straße leben/arbeiten durch umsichtige Aufklärungskampagnen und gezielte Trainingsmaßnahmen entgegenzuwirken und vorwegzunehmen.
7. Der Kongress begrüßt die Rolle des Programms „Aufbau eines Europas für und mit Kindern“ des Europarats, das die Aktivitäten der Organisationen koordiniert, die sich mit Kindern und der Einbindung der Kinderrechte in die Politik des Europarats befassen.In Anerkennung, dass es das primäre Ziel des Programms ist, Entscheidungsträgern und Betroffenen dabei zu helfen, nationale Strategien und politische Ansätze zur Förderung von Kinderrechten und zur Verhinderung von Gewalt gegen Kinder zu verfassen und zu implementieren, bittet der Kongress den Ausschuss für soziale Kohäsion, im Rahmen seiner Arbeit zum Thema Gewalt gegen Kinder zu diesem Programm beizutragen.
[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 28. Mai 2008 und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CPL(15)6RES, Entschliessungsentwurf vorgelegt durch I. Henttonen, (Finnland, L, ILDG), Berichterstatter).