Empfehlung 45 (1998)1 betreffend die Situation der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in der Republik Bulgarien
Der Kongress,
1. erinnert an den 1996 von Herrn Cuatrecasas ausgearbeiteten Zwischenbericht und seine Entschliessung 58 (1997) betreffend die Abfassung eines Schlussberichts über die Lage der Gemeindedemokratie in Bulgarien;
2. hat vom 3.-6. Dezember 1997 und vom 11.-14. März 1998 eine aus den beiden Co-Berichterstattern, Herrn M. De Sabbata und Herrn Cuatrecasas, einem Fachberater und dem Sekretariat bestehende Delegation nach Bulgarien entsandt und deren Bericht zur Kenntnis genommen;
3. erstattet den bulgarischen Behörden auf allen Kompetenzebenen seinen Dank für die seiner Delegation bereitete Aufnahme und für die offene, zum Gespräch und zur Zusammenarbeit bereite Gesinnung, mit der sie diese empfangen haben;
4. stellt mit Befriedigung fest, dass der selbe Geist auch im Landesinneren herrscht und sich eine Zusammenarbeit zwischen den bulgarischen Gemeindeverbänden, insbesondere dem nationalen Gemeindeverband, einerseits und den zentralstaatlichen Organen (Regierung und Parlament) andererseits eingestellt hat;
5. gibt dem Wunsch Ausdruck, dass sich diese Zusammenarbeit zunehmend vertieft und entwickelt, sodass Bulgarien vertrauensvoll die nächsten Wahlen erwarten kann, um Freiheit und kommunale Selbstverwaltung bleibend zu festigen;
6. nimmt mit Interesse die in Bulgarien in den letzten Jahren im Bereich der Gemeindedemokratie erzielten Fortschritte zur Kenntnis und gibt dem Wunsch Ausdruck, dass die Reformen - auch im Bereich der regionalen Selbstverwaltung - in Zukunft mit der gleichen Energie und Beharrlichkeit fortgesetzt werden;
7. stellt jedoch das Fortbestehen gewisser aus der Vergangenheit überkommener Strukturen, Verfahren oder Praktiken fest, die mit der neuen Situation und der europäischen Stellung des Landes nicht mehr vereinbar sind und es deshalb verdienen, rasch geändert zu werden;
8. ist überzeugt, dass Bulgarien sowohl auf bilateraler wie auf europäischer Ebene - und hier auch über eine breitere, wirksamere interkommunale und interregionale Zusammenarbeit - mehr Hilfe verdient, als es bisher erhalten hat, um seinen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Übergang zu vollenden;
A) hält es für zweckmässig, zuhanden der zuständigen Behörden der Republik Bulgarien die folgenden Erwägungen und Empfehlungen abzugeben:
1. hinsichtlich der Kontrolle der kommunalen Tätigkeiten und Organe:
1.1 die Gesetzgebung und Praxis hinsichtlich der verschiedenen, vonseiten des Regionalgouverneurs und der zentralstaatlichen Ministerien ausgeübten Formen von Kontrolle im Lichte der in Artikel 8 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung enthaltenen Grundsätze eingehend zu überprüfen und namentlich:
- die Schranken gegenüber jeder Art von übermässiger oder abwegiger Nutzung der Legalitätskontrolle (Art. 8, 2) zu verstärken;
- die Interventionen der Kontrollbehörde nach Massgabe des Ausmasses des Verstosses gegen die Gesetze einerseits und der zu wahrenden Interessen andererseits auszutarieren (Grundsatz der Verhältnismässigkeit: Artikel 8,3);
- die Rechtsmittel zu rationalisieren, um die tatsächliche Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung sicherzustellen;
- die in den meisten Mitgliedstaaten des Europarats gängige Praxis hinsichtlich der Vereinbarkeit der Funktionen eines Regionalgouverneurs einerseits mit denjenigen eines kommunalen Abgeordneten oder Bürgermeisters andererseits zu übernehmen;
1.2 die Macht der Staatsanwaltschaft, kommunale Abgeordnete zu suspendieren, sowie die Rechtsmittel einer strengen Überprüfung zu unterziehen, um den gewählten Kommunalvertretern den in Artikel 7 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung geforderten Respekt (freie Ausübung ihres Amtes) zu verschaffen, namentlich:
- den Verlust des Abgeordnetenstatus ausschliesslich nach der Verurteilung zu einer schweren Strafe und nach Inkrafttreten eines endültigen (nicht anfechtbaren) Urteils vorzusehen;
- die Suspendierung von Kommunalabgeordneten auf die blosse Hypothese schwerer und gefährlicher Kriminalität hin dadurch zu drosseln, dass immer ein Richter eingeschaltet wird;
- die absolute Einhaltung der Fristen zu fordern;
- bei jedem Suspendierungsbeschluss der Staatsanwaltschaft eine rechtliche Kontrolle durch eine Instanz ausserhalb der Anklagebehörde vorzusehen;
- einen Rechtsweg für Fälle der Suspendierung von Abgeordneten vorzusehen;
2. hinsichtlich der kommunalen Kompetenzen und Finanzen:
2.1. in der Frage der zwischen Staat und Kommunen "geteilten Kompetenzen" eine klare, in ein Rahmengesetz (Prinzipien) sowie geeignete Verhandlungsstrukturen und -prozeduren zu übersetzende Grundlinie anzunehmen, um das gegenwärtig bestehende Ungleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten auszugleichen bzw. eine gerechte Verteilung der Befugnisse zu erreichen, sowie alle Fragen der praktischen Umsetzung zu regeln;
2.2 zu einer besseren Angleichung der kommunalen Finanzmittel an die den Kommunen überwiesenen Aufgaben zu gelangen, insbesondere auch im Bereich der "geteilten Kompetenzen";
2.3 das Verhältnis zwischen den Eigenmitteln und den staatlichen Überweisungen zugunsten ersterer zu verändern;
2.4 den Gemeinden ein den finanziellen und administrativen Erfordernissen qualitativ wie quantitativ entsprechendes Immobiliarvermögen zu sichern;
3. hinsichtlich der Regionalisierung:
3.1 die laufenden Überlegungen betreffend die Schaffung regionaler Selbstverwaltungsstrukturen gestützt auf die in der Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung verkörperten Richtlinien zu vertiefen und von dem Fachwissen, das der Kongress und insbesondere dessen Kammer der Regionen bieten kann, Gebrauch zu machen;
3.2 in Erwartung einer umfassenden Gesetzgebungsreform mit dem Ziel, eine zweite Selbstverwaltungsebene mit demokratisch verfassten Entscheidungsorganen zu schaffen:
- unverzüglich eine auf dem Subsidiaritätsprinzip gründende Methode der Raum- und Wirtschaftsplanung zu konzipieren;
- die Beziehungen zwischen "Raumordnung" und "Regionalentwicklung" zu klären;
- mit Unterstützung der betroffenen Gemeindevorstände regionale Entwicklungspläne für die innerhalb der gegenwärtigen territorialen Verwaltungseinheiten gelegenen Gebiete festzulegen;
- staatlichen Vertretern auf der Ebene der regionalen Verwaltungseinheiten die Koordination (mithilfe der nötigen Mittel) aller durch die Kommunen ausgearbeiteten Entwicklungspläne anzuvertrauen; diese Koordination bildet die Grundlage für den gesamten interkommunalen Finanzausgleich (Artikel 9,5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung);
- die Schaffung regionaler Entwicklungsfonds vorzusehen;
- die Frage der interregionalen Zusammenarbeit und der geographischen Entwicklungspläne (Schwarzes Meer, Donau, Berggebiete, Ebenen usw.) nicht aus dem Auge zu verlieren;
4. hinsichtlich der Unterstützung der Tätigkeit der Gemeinden und ihrer Verbände, diese aufzufordern:
- eine Planung nach dem Subsidiaritätsprinzip - kommunale Programme, regionale Pläne und nationaler Plan - vorzusehen;
- innerhalb jeder derzeitigen regionalen Verwaltungseinheit unverzüglich gut strukturierte Verbände ins Leben zu rufen;
- die Programme für die interregionale Entwicklung weiterzuführen;
- sich unverzüglich eine wohlüberlegte Stellungnahme zu erarbeiten und sich so auf die Debatte über Regionalisierung und regionale Entwicklung vorzubereiten, die unter Mitwirkung möglichst zahlreicher Gemeindevertreter, Experten und interessierter Bürger stattfinden soll;
B) Empfiehlt den Gemeinden und Regionen im Europarat,
1. jede Form der interkommunalen und interregionalen Zusammenarbeit zwischen den übrigen europäischen Staaten und Bulgarien zu fördern und zu unterstützen;
2. ihre Verbände in eine engere Zusammenarbeit mit denjenigen Bulgariens, vor allem dem nationalen Verband Bulgariens, einzubinden;
3. spezielle Hilfe zur Lösung der Verwaltungsprobleme der grossen bulgarischen Städte und zur Förderung der Regionalisierung zu leisten;
C) Empfiehlt der Parlamentarischen Versammlung, Bulgarien voll in die Aktivitäten mit Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen den Mittelmeer- und den Schwarzmeerländern zu integrieren;
D) Empfiehlt dem Ministerkomitee, in Anbetracht der obenstehenden Überlegungen und Empfehlungen den in Bulgarien stattfindenden Demokratisierungsprozess und namentlich auch die kommunale und regional Selbstverwaltung mithilfe des Programms Lode aktiv zu unterstützen.
E) Empfiehlt, dass die zuständigen europäischen Organe, insbesondere die Europäische Union ihre finanzielle und andere Unterstützung der Programme für die Regionalentwicklung in Bulgarien – wie desjenigen für die Aufwertung des Donaubeckens einschliesslich der Donau-Rhein-Achse und der Schwarzmeerregion – verstärken.
1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 28. Mai 1998, 3. Sitzung (siehe Dok. CG (5) 3, Empfehlungsentwurf vorgelegt von Herren G. De Sabbata und L. Cuatrecasas, Berichterstatter).