15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29. Mai 2008
Die regionale Demokratie in Griechenland
Empfehlung 247 (2008)[1]
Der Kongress, befasst mit einem Vorschlag der Kammer der Regionen,
1. Bezieht sich auf :
a. Artikel 2 Absatz 1.b der den Kongress betreffenden satzungsgemäßen Entschließung (2007) 7, der vorsieht, dass eine der Aufgaben des Kongresses darin besteht, « dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung der kommunalen und regionalen Demokratie zu unterbreiten » ;
b. Artikel 2 Absatz 3 der den Kongress betreffenden satzungsgemäßen Entschließung (2007) 7, der vorsieht, dass « der Kongress regelmäßig Länderberichte über die Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in allen Mitgliedsstaaten des Europarats sowie in den Staaten, die um Beitritt zum Europarat nachgesucht haben, erstellt und insbesondere darüber wacht, dass die Grundsätze der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung auch tatsächlich umgesetzt werden » ;
c. seine Entschließungen 31 (1996), 58 (1997) und 106 (2000), mit denen Grundsätze für die Erstellung der erwähnten Berichte festgelegt wurden ;
d. die dem Institutionellen Ausschuss der Kammer der Regionen gegenüber vorgebrachte Bitte der Nationalen Vereinigung der Präfekturen Griechenlands (ENAE), angesichts der jüngsten Entwicklung der regionalen Demokratie und der gegenwärtigen Reform der regionalen Ebene in Griechenland einen Bericht über den Zustand der regionalen Demokratie in Griechenland zu erstellen ;
e. die Schlussfolgerungen der Konferenz über « Die regionalen Strukturen und Entwicklungsaussichten – Europäische Erfahrungen, die Lage in Griechenland » (17.-18. Juni 2004, Piräus), die dem Institutionellen Ausschuss von Herrn Yiannis Michas (Griechenland, SOZ), dem Präfekten von Piräus und stellvertretenden Vorsitzenden der ENAE, am 3. November 2004 vorgetragen worden waren ;
2. Macht auf die 2002 vom Kongress verabschiedete Entschließung (131) und Empfehlung (109) zur kommunalen und regionalen Demokratie in Griechenland aufmerksam ;
3. Nimmt den vom Berichterstatter, Herrn Jean-Claude van Cauwenberghe (Belgien, SOZ, R) im Anschluss an zwei offizielle Besuche in Griechenland vom 14. bis 16. Mai 2007 und vom 28. bis 29 Januar 2008 erstellten Bericht (CPR(15)2REP) zur Kenntnis. Bei Erledigung seines Auftrags wurde der Berichterstatter von Prof. António Rebordão Montalvo (Portugal), einem Mitglied der Gruppe unabhängiger Experten zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, unterstützt, dem der Kongress für seinen wertvollen Beitrag dankt ;
4. Möchte den griechischen Behörden der kommunalen, regionalen und staatlichen Ebene (auf Staatsebene der Regierung und dem Parlament), insbesondere dem Minister des Inneren, der öffentlichen Verwaltung und der Dezentralisierung, den örtlichen Gebietskörperschaften und ihren Dachverbänden (ENAE und KEDKE), dem Parlamentsausschuss für öffentliche Verwaltung sowie den verschiedenen Experten für die während den Besprechungen mit der Delegation übermittelten Informationen und vorgebrachten Anmerkungen danken ;
5. In Anbetracht dessen, dass :
a. Griechenland am 6. September 1989 unter Vorbehalten hinsichtlich der Artikel 5, 7 (Abs. 2), 8 (Abs. 2), 10 (Abs. 2) die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung ratifiziert hat und diese in Griechenland am 1. Januar 1990 in Kraft getreten ist;
b. Artikel 102 der griechischen Verfassung im Anschluss an die Verfassungsänderung vom April 2001 zwei Abstufungen örtlicher Gebietskörperschaften vorsieht und dabei lediglich feststellt, dass die erste Ebene von den Städten und Gemeinden gebildet wird. Die Gebietskörperschaften der zweiten Ebene werden allerdings in der Verfassung nicht näher bestimmt. Nach Auskunft des Innenministers war die ratio legis dieser Formulierung die Absicht, dem Parlament zu gegebener Zeit bei der Bestimmung der zweiten Gebietskörperschaftsebene nach seinen Wünschen « freie Hand zu lassen » ;
c. trotz des Fehlens einer verfassungsmäßigen Festlegung der zweiten Gebietskörperschaftsebene politisch davon ausgegangen wird, dass die « Präfekturen » (54 an der Zahl, auch bekannt unter dem Namen «nomoi») diese zweite Ebene bilden, die nach den Kriterien des Kongresses die regionale Ebene (Regionen ohne Gesetzgebungsbefugnisse) darstellt, weil diese Gebietseinheiten über demokratisch gewählte Mitglieder und (seit 1994) über Zuständigkeiten und Haushaltsmittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen ;
d. die regionale Aufteilung Griechenlands zahlreiche politische und verwaltungsmäßige Probleme aufwirft, was zu einer allgemeinen Bereitschaft geführt hat, die Ebene der regionalen Verwaltung zu reformieren. Bei der Debatte um die Reform der Regionalebene geht es vor allem um Demokratisierung (Möglichkeit der Wahl der regionalen Gremien einschließlich des künftigen Generalsekretärs oder Superpräfekten) sowie eine gebietsmäßige Neugliederung (Verringerung der Zahl der Regionen und Präfekturen und Eingliederung von Präfekturen in neu zu schaffende regionale Einheiten) ;
6. Stellt mit Befriedigung fest, dass :
a. die eingeleitete Reform der regionalen Selbstverwaltung in Griechenland entschlossen angepackt wird ; der Entwurf eines neuen Präfekturverwaltungsgesetzes wurde dem Parlament zugeleitet ; die Verabschiedung dieses Gesetzes könnte die Zuständigkeiten der Präfekturen klären helfen und ihre institutionelle Stellung als örtliche Gebietskörperschaften verstärken[2];
b. der Reformanstoß sowohl von den Vertretern der Staatsregierung als auch denen der kommunalen und regionalen Ebene im Allgemeinen sehr wohlwollend aufgenommen wurde, auch wenn es mitunter unterschiedliche Erwartungen hinsichtlich der möglichen Ergebnisse dieser Reform gibt ;
c. unter den drei im Parlament vertretenen Parteien ein großes Maß an Übereinstimmung herrscht, was die Verabschiedung der Regionalreform wesentlich erleichtern dürfte ;
d. die neue Gemeindeordnung zur Regelung der Behörden der unteren Ebene (Gesetz 3463/2006 über Städte und Gemeinden vom 8.6.2006) abgesehen von einigen besonderen Bestimmungen am 1. Juni 2006 in Kraft getreten ist ; nach diesem Gesetz werden die städtischen und gemeindlichen Gremien in allgemeinen Wahlen direkt gewählt und verfügen über Zuständigkeiten zur Verwaltung und Regelung der ihnen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Bürgernähe übertragenen örtlichen Angelegenheiten ;
e. eine weitere Städte- und Gemeindereform zur Verringerung der Zahl der Gemeinden geplant ist ;
7. Bedauert, dass der Entwurf des neuen Präfekturgesetzes den Vertretern der ENAE nicht offiziell zur Stellungnahme zugeleitet worden war, bevor dieser Text der Delegation des Kongresses bei ihrem zweiten Besuch im Januar 2008 übergeben wurde. Der Umstand, dass der Gesetzesentwurf der ENAE nicht vorlag, gibt angesichts von Artikel 4.6 der Charta, der die Anhörung der örtlichen Gebietskörperschaften bei der Planung und Beschlussfassung über alle sie unmittelbar betreffenden Angelegenheiten verlangt, Anlass zu Besorgnis. Die Kongressdelegation bedauert ferner, dass sie keine Gelegenheit hatte, den Gesetzesentwurf mit den Vertretern der ENAE zu besprechen ;
8. Nimmt zur Kenntnis, dass das System der örtlichen Selbstverwaltung sich mit den Normen und Grundsätzen der Charta schwer tut und unterstreicht die nachfolgend aufgeführten Probleme beim Funktionieren der kommunalen und regionalen Demokratie in Griechenland :
a. die dem Generalsekretär der Region («peripheria», die dekonzentrierte Verwaltung) gegenüber den Kommunen zugedachte Rolle widerspricht dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung, insbesondere, was seine Befugnis zu Verwaltungseingriffen bei der Beschlussfassung in örtlichen Angelegenheiten anbetrifft, also etwa im Bereich der kommunalen Haushaltsaufstellung und Haushaltsführung, sowie seine Befugnisse zur Kontrolle und verwaltungsmäßigen wie haushaltsmäßigen Überwachung beider Gebietskörperschaftsebenen ;
b. die Finanzausstattung der Städte und Gemeinden ist nach wie vor äußerst unzureichend. Sie beruht fast ausschließlich auf staatlichen Zuweisungen ;
c. die Finanzausstattung der Präfekturen entspricht nicht den Normen der Charta und den Grundsätzen der regionalen Selbstverwaltung. Die Präfekturen verfügen über keinerlei Eigenmittel. Alle ihre wesentlichen Einnahmen stammen auf die eine oder andere Art aus den Überweisungen der verschiedenen Ministerien, in deren Bereich die auf der Ebene der Präfekturen vorgenommenen Investitionen fallen. Die Mittel der Präfekturen werden in den Haushalten der Ministerien ausgewiesen und von Zeit zu Zeit überwiesen. Trotz der Erhöhung der den Präfekturen zugewiesenen Mittel steht dieser Zustand im Widerspruch zu Artikel 9 Abs. 3 der Charta ;
d. die Verwaltung der Mittel aus dem Europäischen Strukturfonds erfolgt ziemlich zentral. Sie erfolgt durch die Generalsekretäre der Regionen («peripheria»). Die Dachverbände der Gebietskörperschaften (ENAE et KEDKE) sind zwar in dem Gremium, das die europäischen Gelder verteilt, vertreten, haben aber kein Stimmrecht ;
e. die Organe der Präfekturen üben auch ihnen übertragene staatliche Aufgaben aus und sind insoweit staatliche Stellen und als solche der hierarchischen Kontrolle der Regierung unterworfen, die unmittelbar von den Generalsekretären der Regionen ausgeübt wird. Das derzeitige Fehlen eigener Zuständigkeiten der Präfekturen sowie das Eingreifen der Generalsekretäre bei der Beschlussfassung in Angelegenheiten der örtlichen Verwaltung stehen im Widerspruch zur Idee der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 3 Abs. 1 der Charta festgelegt ist, und zum Grundsatz der Subsidiarität in Artikel 4 Abs.3 ;
f. die Stellung des Personals der Präfekturen wirft etliche Probleme im Hinblick auf die Anwendung von Artikel 6 der Charta auf, der davon ausgeht, dass die örtlichen Gebietskörperschaften die volle Befugnis über ihre Personalverwaltung haben. In Griechenland wird das Personal der Präfekturen jedoch nicht von diesen, sondern vom Staat besoldet. Dieser Umstand verstärkt die Zweideutigkeit der Stellung der Präfekturen und ihres Verhältnisses zum Staat und bewirkt, dass die Personalverwaltung und Dienstaufsicht der Präfekturorgane nur sehr schwach ausgeprägt sind ;
9. Empfiehlt den nationalen Behörden Griechenlands :
a.mit der angekündigten Reform der Präfekturen fortzufahren und den institutionellen Charakter der Präfekturen als örtliche Gebietskörperschaften klarzustellen, dabei die durch den Fortbestand bestimmter Besonderheiten der Rechtsstellung der früheren staatlichen Präfekturen bedingte Zweideutigkeit zu beseitigen, denn diese dürfen weder als staatliche Stellen noch als untere Behörden der Staatsverwaltung behandelt werden, und schließlich zu bestätigen, dass diese Machtbefugnisebene unter den Anwendungsbereich der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung fällt ;
b. die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die vielfältigen « Abhängigkeiten » der Präfekturen im Verhältnis zur Regierung zu beseitigen, beispielsweise das Fehlen eigener Zuständigkeiten ; die ausschließliche Wahrnehmung staatlich übertragener Aufgaben ; ihre Finanzausstattung ausschließlich aus Haushaltstiteln verschiedener Ministerien ; die Besoldung ihres Personals durch die Regierung usw.;
c. die Entwicklung des Systems der Finanzausstattung im Sinne von Artikel 9 Abs. 4 der Charta auf breiter gefächerte Finanzquellen der örtlichen Gebietskörperschaften auszurichten und dabei durch die Erschließung örtlicher Einnahmen (Gebühren und Preise, Anleihen und direkte Steuern) die Grundlagen für eine größere finanzielle Autonomie zu schaffen ;
d. im Rahmen der Dezentralisierung und der Übertragung von Zuständigkeiten auf die örtlichen Gebietskörperschaften die örtliche Finanzausstattung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Abs. 1 und 2 der Charta zu verbessern und dabei einen stärkeren Anteil der Finanzen der örtlichen Gebietskörperschaften am Bruttoinlandsprodukt und der Gesamtheit der öffentlichen Ausgaben vorzusehen ;
e. mit der Zeit eine gemeinsame Verwaltung der Gelder aus dem Europäischen Strukturfonds anzustreben, bei der die örtlichen Gebietskörperschaften entscheiden können, welche Projekte in ihrem Bereich in den Genuss einer Mitfinanzierung durch die Gemeinschaft kommen sollen ;
f.die Mitsprache der örtlichen Gebietskörperschaften und ihrer Dachverbände (ENAE et KEDKE) bei der Verwaltung der von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellten Gelder auszubauen. Auf jeden Fall ist darauf zu achten, dass sie in den privatrechtlichen Gesellschaften ( den sog.Namos AG), deren Gründung die Regierung zum Zweck der Verwaltung der Gelder aus dem Fonds der Gemeinschaft plant, vertreten sind und Einfluss erhalten ;
g. eine Änderung der Funktion des Generalsekretärs der « peripheria » vorzusehen, da diese nicht im Einklang mit der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und ganz allgemein den Grundsätzen der regionalen Selbstverwaltung steht. Es empfiehlt sich, die entsprechenden Befugnisse hinsichtlich der Verwaltung der örtlichen Gebietskörperschaften, der Beschlussfassung über die Finanzierung ihrer Arbeiten und Investitionen sowie die Dienstaufsicht über ihre Organe einschließlich der Vollmacht, Strafen wie eine Suspendierung der Organe der örtlichen Gebietskörperschaften zu verhängen und sie von ihren Aufgaben zu entbinden, einem demokratisch gewählten Organ zu übertragen ;
h. auf die Schaffung von Regionen europäischen Zuschnitts, was Umfang und Zuständigkeiten angeht, hinzuarbeiten, indem die « peripheria » in echte Regionen mit direkt gewählten Organen, wesentlichen Zuständigkeiten und hinreichender finanzieller Autonomie umgewandelt werden, damit sie die ihnen übertragenen Aufgaben ordentlich wahrnehmen können ;
i.die Zahl der vorgesehenen Regionen (derzeit 13) zu verringern, um die politische Koordinierung auf Gebietsebene zu erleichtern ;
j. das Bestehen zweier Machtbefugnisebenen unterhalb der staatlichen Ebene vorzusehen : starke Städte und Gemeinden sowie starke Regionen unter Berücksichtigung der geografischen Gegebenheiten Griechenlands ;
k. den politischen Dialog mit dem Kongress zur Prüfung der Möglichkeiten und Aussichten einer vollständigen Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und der Grundsätze der regionalen Selbstverwaltung sowie zur Durchführung der Reform der regionalen Ebene in Griechenland weiterzuführen ;
l. bei der Ausarbeitung und Einführung der Reform die beiden Ebenen der örtlichen Gebietskörperschaften so weit wie möglich unter Berücksichtigung ihrer Interessen, zu Rate zu ziehen ;
10. Empfiehlt den örtlichen Gebietskörperschaften und ihren Dachverbänden (ENAE et KEDKE), auch weiterhin eine recht aktive Rolle im Verlauf der verschiedenen Phasen der Ausarbeitung und Durchführung der laufenden Regionalreform zu spielen ;
11. Empfiehlt dem Ministerkomitee, die vorliegende Empfehlung und ihren Begründungstext den griechischen Behörden zu übermitteln ;
12. Empfiehlt der Parlamentarischen Versammlung, die vorliegenden Bemerkungen und Empfehlungen im Rahmen des gelegentlichen Berichtsverfahrens über Mitgliedsstaaten, die nicht Gegenstand eines förmlichen Verfahrens zur Kontrolle eingegangener Verpflichtungen oder eines entsprechenden Nachverfahrens sind, zu berücksichtigen ;
13. Empfiehlt den für die kommunale und regionale Selbstverwaltung zuständigen griechischen Behörden :
a. einen hochrangigen Regierungsvertreter zur Teilnahme an einer der kommenden Sitzungen des Kongresses und zur Berichterstattung über den Stand der zur Umsetzung der vorliegenden Empfehlung ergriffenen und/oder geplanten Maßnahmen zu benennen ;
b. vorzumerken, dass die griechischen Behörden gebeten werden, dem Präsidenten des Kongresses binnen angemessener Frist einen Bericht über die Umsetzung der in dieser Empfehlung vorgeschlagenen Maßnahmen zu erstatten.
[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 27. Mai 2008 und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CPR(15)2REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch J.‑C. Van Cauwerberghe (Belgien, R, SOC), Berichterstatter).
[2] Im Einklang mit der griechischen Gesetzgebung bezieht sich der Ausdruck « örtliche Gebietskörperschaft » in der vorliegenden Empfehlung auf beide Ebenen der gebietsmäßigen Selbstverwaltung Griechenlands : die Städte und Gemeinden sowie die Präfekturen.