15. PLENARSITZUNG
Straßburg, 27. - 29. Mai 2008
Die Notwendigkeit einer regionalen kulturellen Identität
Empfehlung 250 (2008)[1]
1. Regionale kulturelle Identitäten stellen ein natürliches und notwendiges Gegengewicht zu den weltweiten Bewegungen für eine wirtschaftliche und kulturelle Integration dar, die allgemein als Globalisierung bekannt ist. Die europäischen Regionen und Europa als Ganzes haben ein grundlegendes Interesse daran, die regionalen kulturellen Identitäten zu fördern, da diese den Grundstein für die kulturelle Vielfalt Europas bilden;
2. Die Staatsregierungen haben eine Verantwortung gegenüber den Regionen, diesen über die Bereitstellung des erforderlichen Raums und der erforderlichen Instrumente zu ermöglichen, eine Identität zu formen und zu fördern. Gleichzeitig wird diese Identität auf regionaler Ebene gefördert und entwickelt, und sie sollte Gegenstand der kontinuierlichen Evaluierung durch die Region selbst sein. Obwohl viele Regionen eine starke, historisch bedingte und lebendige Identität haben, ist die Identität anderer Regionen relativ schwach. Dies kann zu einer sozialen Entwurzlung führen, da der Grad der Identitätsentwicklung sich unmittelbar auf die soziale Integration einer Region auswirkt. Starke regionale Identitäten müssen nicht die Stärke der nationalen Identität beeinträchtigen. Ganz im Gegenteil, muss die nationale Identität ausreichend offen und flexibel sein, um die spezifischen Merkmale der Regionen, die den Staat bilden, einzuschließen und aufzunehmen;
3. Bei der Förderung von Identität muss ein Gleichgewicht zwischen Eingrenzung und Ausgrenzung hergestellt werden. Die Regionen selbst tragen die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung eines gewissen Grades an Offenheit. Sie müssen das Vorhandensein unterschiedlicher kultureller Gruppen in ihren Territorien und den Beitrag anerkennen, den diese Gruppen zur Identität der Region leisten, einschließlich jener Gruppen, die als neue und vorübergehende Bewohner betrachtet werden. Die Regierungen sollten den Regionen bei der Herausforderung helfen, integrierende Identitäten zu entwickeln;
4. Die Sprache ist ein wichtiges Element der Identität. Wo Regional- und Minderheitensprachen aktiv gefördert und unterstützt werden, bilden sie einen wichtigen Beitrag zum einzigartigen und besonderen Charakter einer Region. Auch ein Heimatgefühl ist ein wesentlicher Teil der Identitätsbildung; Landschaft und kulturelles Erbe, die natürliche und bebaute Umwelt müssen dementsprechend behandelt werden;
5. Aufgrund ihrer einzigartigen Merkmale zeigen regionale Identitäten die natürliche Tendenz, sich in Bezug auf andere zu definieren und sie fühlen sich, häufig aus historischen Gründen, nicht automatisch zueinander hingezogen. Der Europarat muss Instrumente entwickeln, welche die Kompatibilität und das positive Interagieren der einzelnen regionalen Identitäten sicherstellen. Dies schließt Aufklärungskampagnen wie das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs und Fördermaßnahmen ein, um interkulturelle Kommunikationsfähigkeiten zu erwerben und zu verbessern;
6. Der Kongress, angesichts des Vorstehenden:
a. in Erinnerung seiner bisherigen Arbeit zur Kulturpolitik der europäischen Regionen, insbesondere der Florenz-Erklärung „Kultur und Regionen: Kulturarbeit im regionalen Kontext“ (Mai 1987) und dem 6. Wirtschaftsforum der Regionen Europas (Weimar, 3.-4. Mai 1999) über Kultur als Wirtschaftsfaktor, am 16. Mai 1987 vom Rat für kulturelle Zusammenarbeit und der Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas verabschiedet;
b. in Erinnerung an das Weißbuch des Europarats zum Interkulturellen Dialog (das auf der Mai-Sitzung des Ministerkomitees verabschiedet werden soll);
c. überzeugt vom Wert starker regionaler Identitäten für das Wohlergehen regionaler Bevölkerungen und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Regionen;
d. überzeugt von der Notwendigkeit, regionale Identitäten zu entwickeln, die alle sozialen, ethnischen und kulturellen Gruppen eingrenzen;
e. im Glauben, dass die wertvollsten Güter der Regionen die Vielfalt und das kulturelle Erbe ihrer Bevölkerungen sind;
7. Empfiehlt dem Ministerkomitee, die Mitgliedstaaten zu ermutigen:
a. die Bedeutung starker regionaler kultureller Identitäten für die politische Stabilität und den Wohlstand von Regionen, für deren Kreativität, Vitalität und das Wohlergehen ihrer Bürger, die erfolgreiche Integration auf nationaler Ebene anzuerkennen und eine ausgewogene Politik für alle Regionen des Landes zu erreichen;
b. anzuerkennen, dass starke integrierende Regionen, die erfolgreich ihre Bürger davon überzeugt haben, sich mit der Region zu identifizieren und mit dieser Region identifiziert zu werden, die Fähigkeit für Innovation aufweisen und in der Lage sind, die Ressourcen und Fähigkeiten ihrer Bevölkerung zu nutzen und die kulturelle Vielfalt und Kreativität ihrer Bevölkerungen dafür einsetzen, die Attraktivität der Region zu erhöhen und ihnen einen Wettbewerbsvorteil zu sichern;
c.sicherzustellen, dass die Regionen über ausreichende Mittel zur Bildung starker Identitäten verfügen, die gleichzeitig eingrenzend sind und auf alle Gruppen in ihrem Gebiet eingehen, und den Grundsätzen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs, dem Schutz von Minderheiten und der Achtung ihrer kulturellen Rechte die gebührende Aufmerksamkeit widmen und sich der Gefahren des Ethnozentrismus bewusst sind;
d.sicherzustellen, dass die für die Kultur zuständigen staatlichen Mitarbeiter ausreichend ausgebildet sind im Hinblick auf die komplexe Natur der Identitätsbildung, damit sie Fallstricke und Gefahren der Ausgrenzung und der Entfremdung vermeiden;
e.sicherzustellen, dass Staatsbeamte mit regionaler Zuständigkeit in Bezug auf die spezifische kulturelle Identität der Region, in der sie eingesetzt werden, eine Sonderausbildung erhalten, bevor sie ihre Aufgaben antreten;
f. die öffentlichen regionalen Medien aufzufordern, zur positiven Entwicklung regionaler Identitäten beizutragen und Schritte zu ergreifen, die sicherstellen, dass diese eine angemessene Förderung erfahren;
g. die Bedeutung von Sprache zur kulturellen Identität anzuerkennen, jene Mitgliedstaaten, die die Rahmenkonvention zum Schutz von nationalen Minderheiten und die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen noch nicht ratifiziert haben, dazu drängen, dies zu tun, und den Einsatz von Regionalsprachen durch die Verwaltungen der betreffenden Regionen zu fördern.
[1] Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Regionen am 28. Mai 2008 und Annahme durch den Kongress am 29. Mai 2008, 3. Sitzung (siehe Dokument CPR(15)4REC, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch K.‑H. Lambertz (Belgium, R, SOC), Berichterstatter.