Entschliessung 76 (1999)1 betreffend die lokale und regionale Informationsgesellschaft

Der Kongress,

Bezugnehmend auf

1. den von Herrn Risto Koivisto (Finnland) im Namen der Arbeitsgruppe über die "Lokale und regionale Informationsgesellschaft" vorgelegten Bericht;

2. die Ergebnisse einer Reihe von Seminarien des KGRE über die lokale und regionale Informationsgesellschaft, worin es um die Rolle der öffentlichen Politik bei der Förderung von Konkretisierungen der Informationsgesellschaft wie auch um die praktische Realität der Informationsgesellschaft im Geschäftsleben, in der öffentlichen Verwaltung und für die Bürger ging;

3. die anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung des Europarats angenommene Erklärung des Ministerkomitees zu einer europäischen Politik inbezug auf die neuen Informationstechnologien.

In der Erwägung,

4. dass die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie, vor allem Computernetze wie Internet, die Geschwindigkeit und den Umfang der Kommunikation sowie die Leichtigkeit des Zugangs zu Information enorm erhöht hat;

5. dass die Entwicklung der globalen Informationstechnologie etwas anderes als nur vermehrte und wirksamere Kommunikationsmittel bedeutet. Vielmehr wird sich die Informationsgesellschaft auf unser Leben ganz allgemein auswirken, in privater wie in öffentlicher Hinsicht, einschliesslich unserer Arbeit und unserer Aktivitäten in der Gemeinschaft und in der Freizeit. Ausserdem wird sie auch den Gemeinden und Regionen neue Entwicklungsmöglichkeiten und neue Herausforderungen bringen;

6. dass die Entwicklung der Informationsgesellschaft nicht nur zu Globalisierung führt, sondern dass sie dort, wo Initiativen an der Basis entstehen und von dorther Aktionen aufgebaut werden, auch Dezentralisierung mit sich bringt. In diesem Prozess spielen die Gemeinden und Regionen eine grundlegende Rolle, denn es liegt weitgehend in ihrer Verantwortung, die Bedingungen herzustellen, welche die Entwicklung der Informationsgesellschaft in die richtige Richtung lenken;

7. dass in den meisten europäischen Ländern die Finanzüberweisungen vom Zentralstaat an die Regionen und Gemeinden erheblich abnehmen und die Forderung nach Steuerdisziplin im öffentlichen Sektor zunimmt. Gleichzeitig soll die Qualität der Dienstleistungen aufrechterhalten und sollen die kundenorientierten Dienste sowie der Zugang für die Bürger zu Information noch verbessert werden;

8. dass die Schwierigkeiten und Kosten der Erbringung öffentlicher Dienste in ländlichen oder spärlich bevölkerten Gegenden noch grösser sind: eingeschränkte Arbeitsmärkte erschweren hier die Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit im Privatsektor, und die Abwanderung von Arbeitskräften schwächt das wirtschaftliche Potential zusätzlich;
9. dass die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben vermittels der jetzt vorhandenen Systeme repräsentativer Demokratie in vielen Ländern gering ist. Bevor die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien aufkamen, schien es unpraktisch wo nicht unmöglich, ein System zu erfinden und zu betreiben, worin jeder Bürger das Recht hat, in öffentlichen Angelegenheiten mitzuentscheiden;

Hervorhebend,

10. dass die Lösung dieser Probleme in Realisierungen der Informationsgesellschaft liegen können, denn solche Realisierungen erleichtern die radikale Innovation öffentlicher Dienstleistungen: durch deren Erbringung in integrierter Form; durch Fernunterricht und andere Ferndienste (beispielsweise in der medizinischen Diagnostik oder durch rechtliche Dienstleistungen); durch die Fernlieferung von kulturellen und anderen persönlichen oder Freizeitdiensten und durch Telearbeit als Ausgleich für enge Arbeitsmärkte;

11. dass das ökonomische und soziale Wohl in Zukunft davon abhängt, wie Publikum und Behörden den grösstmöglichen Nutzen aus dem Einsatz der neuen Informationstechnologie ziehen, trägt diese doch prinzipiell bei zu einer ausgewogeneren Entwicklung der Regionen, indem sie mehr peripher gelegenen Gegenden Europas Zugang zum gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene verschafft;

12. dass die Informationsgesellschaft die Arbeitsweise von Regierungen und die Beziehungen zwischen gewählten Abgeordneten und Verwaltungsbehörden umfassend ändern kann. Die "Informatisierung" von Regierung und Verwaltung hat erhebliche Folgen für den Bürger; so können sich Vorteile für diese in Form eines erleichterten Zugangs zu Abgeordneten, Beamten, aber auch zu den verschiedensten Informationen ergeben;

13. dass darin die Möglichkeit einer neuen Art von Beteiligung auf lokaler Ebene gesehen werden kann in Form einer Kombination des herkömmlichen Systems der repräsentativen Demokratie mit einem System der direkten Beteiligung via Netz, wodurch die Bürger sich zu Fragen, die sie betreffen, direkt einbringen können. Damit ergibt sich für die Bürger die Chance, bei kollektiven Entscheidungen mehr Verantwortung zu übernehmen, sodass die Notwendigkeit einer indirekten Vertretung abnimmt und die Beschlüsse, seien sie nun delegiert oder in direkter Mitsprache gefasst, den Willen der Wählerschaft genauer wiedergeben;

14. dass neue Informationstechnologien, wenn sie richtig genutzt werden, Möglichkeiten bieten,

i für eine breitere Beteiligung der einzelnen Bürger an sie betreffenden Beschlüssen zu sorgen;

i die Leistungsfähigkeit und die Leistungen der öffentlichen Dienste zu verbessern;

i zur Stärkung der öffentlichen Dienste beizutragen;

i die Kommunikation zwischen Publikum und Regierung zu verbessern;

i die Transparenz und den Zugang zu öffentlicher Information zu verbessern.
15. dass diese neuen Dienste, sollten sie etwa nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung genutzt werden können, nicht nur in ihrer Wirksamkeit geschwächt würden, sondern auch zu vermehrter sozialer Ausgrenzung führen würden. Für die grosse Mehrheit der Bevölkerung, die an den Gebrauch des Computers nicht gewöhnt ist, wird es sehr viel schwerer werden, sich die in den neuen Angeboten steckenden Vorteile zunutze zu machen. Es besteht daher eindeutig die dringende Notwendigkeit, die Bevölkerung als ganze mit dem Computer vertraut zu machen;

Fordert die Gemeinden und Regionen auf,

16. die Rolle der Informationstechnologie für eine Reform der durch die Behörden und ihre Agenturen angebotenen Dienste zu bedenken. Die Gemeinden und Regionen sollten mit qualitativ hochstehenden, vertrauensbildenden Beispielen öffentlicher Dienstleistung den Weg in die Informationsgesellschaft ebnen: sie sollten als Akteure des Wandels in vorderster Front auftreten und bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Vorzüge der Informationsgesellschaft eine deutlich sichtbare Rolle spielen;

17. die öffentliche Verwaltung wirksamer, offener und transparenter zu gestalten durch Nutzung der mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien entstehenden Möglichkeiten, durch die Verbesserung der allgemeinen Fähigkeit zu ihrer Nutzung auf lokaler und regionaler Ebene, durch die volle Ausschöpfung der öffentlichen Informationsmittel und dadurch, dass sie mittels öffentlicher Informationsnetze den Zugang zu diesen für alle Bürger erleichtern. Gleichheit des Zugangs zu offenen Netzen ist eine unerlässliche Bedingung dafür, dass das Potential und der Nutzen aus dem freien Informationsfluss tatsächlich realisiert wird;

18. die Entstehung einer Zweidrittels-Informationsgesellschaft zu verhüten, in der nur ein Teil der Bevölkerung Zugang zu den neuen Diensten hat und sich im Umgang mit ihnen wohlfühlt. Die Gemeinden und Regionen sollten sich der mit einer solchen Entwicklung verbundenen Gefahren und Herausforderungen bewusst sein: eine Aufspaltung der Gesellschaft in Erstklass- und Zweitklassbürger je nachdem, wieviel Mittel und Kenntnisse für den Gebrauch neuer Technologien vorhanden sind, ist eine echte, mit allen Mittel zu verhütende Gefahr;

19. die Gleichheit, sowohl unter den Individuen wie unter den Regionen, anzuheben, Offenheit und Transparenz der Regierung und Verwaltung durch den sorgfältigen Einsatz der neuen Informationstechnologien zu stärken und sicherzustellen, dass alle potentiellen Benützer - Personen wie Unternehmen - in sämtlichen europäischen Gemeinden und Regionen die Vorteile der neuen Technologien wahrnehmen können. Dabei ist es entscheidend, dass gerade auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen, und nicht etwa nur die grossen Körperschaften, vollen Gebrauch davon machen;

20. Partnerschaften zwischen den verschiedenen Regierungsebenen, unter den Behörden, den Unternehmen und dem Publikum zu fördern. Diese Aufgabe bedarf der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene sowie unterstützender Aktionen: jede europäische Region und Gemeinde sollte ihre eigenen Pläne für die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch, eine Ideenbörse für Beispiele erfolgreicher Anwendungen und Verfahren sowie für die Steuerung gezielter Projektprogramme besitzen;

21. Aktivitäten zur Sensibilisierung für die Chancen und möglichen Auswirkungen der Förderung neuer Informationstechnologien in Gang zu setzen. Solche Prozesse, Programme, Anlässe und anderen Aktionen sollten alle Städte und Regionen zur Nutzung der Informationsgesellschaft und ihres Aufstiegs anregen. Ausserdem sind sie notwendige Vorstufen zu einer Aktivierung der öffentlichen Verwaltungen, des Privatsektors und der einzelnen Bürger.

22. Öffentliche Konsultationsforen aus Vertretern der verschiedenen sozialen Gruppen, der Benützer, der Inhalts- und der Servicelieferanten, der Netzbetreiber, Ausrüstungshersteller und der Institutionen einzurichten, worin die sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Entwicklung der Informationsgesellschaft und deren Auswirkungen in den folgenden Bereiche diskutiert werden:

i Beschäftigung und die Schaffung von Arbeitsplätzen

i gesellschaftliche und demokratische Werte und die Zukunft der neuen Dienste sowie der Medien

i allgemeiner Zugang und Konsumentenschutz bzw. -unterstützung

i das Schicksal der Nachhaltigkeit in einer Informationsgesellschaft

i öffentliche Dienste: die Annäherung zwischen Verwaltung und Bürgern

i lebenslanges Lernen;

23. überholte Haltungen und Arbeitsmethoden in allen öffentlichen Organisationen neu zu überdenken: wohl steckt ein grosses Potential in der heute verfügbaren Technologie, wenn sie jedoch nur für die herkömmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen eingesetzt wird, kann viel von diesem Potential verlorengehen;

24. den Bürgern zu der Entdeckung neuer Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Lebens- und Arbeitsumstände zu verhelfen, indem sie in Bildungs- und Ausbildungssysteme zur Stärkung der menschlichen Fähigkeiten investieren und kulturelle und soziale Haltungen unterstützen, die den Informationstechnologien zugewandt sind. Es muss sichergestellt werden, dass jedermann die Grundfähigkeiten besitzt zur Nutzung der durch die vernetzte Informationsgesellschaft gebotenen Dienste: e-mail, Informationsdienste, elektronischer Handel und neue Dienstleistungsangebote vonseiten der Behörden sollten überall zugänglich sein;

25. den örtlichen Gemeinschaften die Möglichkeit zu geben, ins Netz zu gehen und hierfür eine Reihe öffentlicher, kostenlos oder zu jedermann erschwinglichem Preis zur Verfügung stehender Zugangsstellen zu schaffen. Langfristig sollte jeder von zuhause aus so einfach Zugang zum cyperspace haben wie zum Telefon;

26. die Entwicklung der Informationsgesellschaft in den am wenigsten begünstigten ländlichen Gebieten zu unterstützen, beispielsweise durch die Erstellung von "Telepavillons", wo eine Reihe von örtlichen, auf Computer und Telekommunikation gestützten Diensten unter einem Dach vereinigt sind: Ausbildung, informatisierter Arbeitsplatz, Kinderbetreuung, Serviceangebote für Unternehmen, gesellschaftliche Anlässe, Arbeitsmöglichkeiten am Netz, die sich gemeinsam anregend auf die Gründung kleiner, ländlicher Unternehmen und die Schaffung neuer Arbeitsformen auswirken;

27. die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien für die Stärkung der demokratischen Regierung und ihrer Legitimität und für die Verbreitung von Werten wie Offenheit, Transparenz und Verantwortlichkeit der Verwaltung zu nützen. Die neuen Technologien können in dieser Hinsicht folgendes beitragen:

i Warnung und Information über öffentliche Angelegenheiten, die Diskussion erleichtern

i bessere Kenntnis von Bewerbern um öffentliche Ämter und Stellen vermitteln, z.B. Bekanntmachung ihrer Qualifikationen und politischen Fähigkeiten, bisherigen Leistungen und der durch sie unterstützten Interessengruppen

i dem Wähler eine besser informierte, kritischere Wahl ermöglichen

i dem Bürger zwischen den Wahlkampfzeiten das öffentliche Mitdiskutieren, das Beeinflussen der öffentlichen Meinungen und Beschlüsse sowie das Verfolgen von Wahlversprechen ermöglichen;

i den Mitgliedern politischer Parteien eine bessere Beurteilung ihrer eigenen Vertreter oder Bewerber auf öffentliche Ämter ermöglichen

i die Bürger zu Eigenaktivität ermutigen und verhelfen; diese kann die Form von Interessengruppen, Belehrung und Unterrichtung Anderer über Veröffentlichungen online, moralischen Aufrufen, Protest- und Sozialbewegungen, Nichtregierungs-Organisationen oder Referendumsinitiativen annehmen.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 16. Juni 1999, 2. Sitzung (siehe Dok. CG(6) 3, Entschliessungsentwurf, vorgelegt durch Herrn R. Koivisto, Berichterstatter)