Empfehlung 54 (1999)1 betreffend die lokale und regionale Informationsgesellschaft

Der Kongress,

Im Hinblick auf

1. den von Herrn Risto Koivisto (Finnland) namens der Arbeitsgruppe über die "lokale und regionale Informationsgesellschaft" vorgelegten Bericht;

2. die Ergebnisse einer Reihe von Seminarien des KGRE über die lokale und regionale Informationsgesellschaft, worin es um die Rolle der öffentlichen Politik bei der Förderung der Konkretisierungen der Informationsgesellschaft sowie um die praktische Realität der Informationsgesellschaft im Geschäftsleben, in der öffentlichen Verwaltung und für die Bürger ging;

3. die anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung des Europarats angenommene Erklärung des Ministerkomitees zu einer Europäischen Politik inbezug auf die neuen Informationstechnologien.

In der Erwägung,

4. dass sich die globale Informationsgesellschaft rasch entwickelt, sodass weltweit immer mehr Menschen billig Zugang zu Information bekommen. Das Resultat ist eine Globalisierung sowohl ihrer Vorzüge als auch ihrer Probleme;

5. dass die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Informationsgesellschaft vielfältig und in mancher Hinsicht noch nicht vorhersehbar sind. Es versteht sich, dass sich die Regierungen angesichts der Aufgabe, jedermann etwa vergleichbare Arbeitsbedingungen zu bieten, beim Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien weltweit über Verfahren und Normen verständigen müssen;

6. dass konkrete Aktionen nötig sind, um die Aufmerksamkeit und das Verständnis der Öffentlichkeit für die Chancen, Vorzüge und möglichen Gefahren zu erhöhen. Dabei ist ein interdisziplinärer Zugang erforderlich, der technologische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Aspekte, Bildung und Ausbildung, Verhaltensmuster, Werte und Motivationen der Menschen berücksichtigt;

7. dass die Rolle der Informationsgesellschaft für die Beschäftigung, für die Lebensqualität der Bürger, für Umwelt und öffentlichen Verkehr, die Gesundheitsvorsorge, für eine Erneuerung der öffentlichen Verwaltungen und Dienstleistungen und eine stärkere Beteiligung der Bürger an der kommunalen Entscheidungsfindung lauter Beispiele sind, die dringend Aufmerksamkeit und konkretes Handeln erfordern;

8. dass allgemein der Wunsch nach höherer Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der öffentlichen Verwaltung und nach qualitativ besseren Dienstleistungen besteht. Die Leute, in diesem Fall die Kunden, wollen nicht mehr bezahlen für schlechte Dienstleistungen. Deshalb sollten öffentliche, private, universitäre und gemeinschaftliche Organisationen ihre Anstrengungen und Mittel in eine gemeinsame Strategie investieren, um die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern;

9. dass es zahlreiche Bürger gibt, die sich in Angelegenheiten, die unmittelbar ihr Leben und ihre Zukunft betreffen, stärker beteiligen möchten. Hier könnte die Informationstechnologie eine wichtige Rolle spielen; doch sollten tiefgreifende Veränderungen von Regierungssystemen nicht allzu rasch vonstatten gehen (was auch unwahrscheinlich ist);

10. dass die Behörden, obschon die Konkretisierungen der Informationsgesellschaft in der Praxis keine grossen Beträge aus öffentlicher Hand erfordern, doch insofern Verantwortung tragen, als sie eine Umgebung herstellen sollen, die solche Konkretisierungen und deren Weiterentwicklung begünstigt. Während die infrastrukturellen Bedingungen im allgemeinen durch Telekommunikationsfirmen herstellbar sein sollten, könnte die Erschliessung der vollen Zugangsmöglichkeiten zu den modernen informationstechnologischen Systemen der in abgelegeneren Gebieten behördliche Hilfe erfordern;

11. dass die Chancen und Vorteile der Informationsgesellschaft allen Europäern offenstehen sollten.

Fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf,

12. gemäss ihren nationalen Prioritäten je eigene nationale Pläne und Strategien für den Übergang ihres Landes in die Informationsgesellschaft auszuarbeiten. Diese sollten umfassen:

i Vorkehrungen für eine Sensibilisierung, die sich der ortsüblichen Sprachen bedienen muss,

i Vorkehrungen für die Unterrichtung und lebenslange Weiterbildung motivierter Bürger,

i Methoden für die Befragung der Öffentlichkeit in wichtigen Angelegenheiten (beispielsweise im Zusammenhang mit der Einführung von Vorschriften),

i und, vielleicht als Wichtigstes, die Entfaltung der Informationsgesellschaft unterstützende Aktionen;

13. umfassenden Service zu erbringen, wenn nötig, indem sie bestimmte Unternehmen damit beauftragen. Da hierzu nicht nur die Schaffung umfassender Zugangsmöglichkeiten, sondern auch die Tatsache gehört, dass diese Zugangsmöglichkeiten preislich erschwinglich sind, ist die Entscheidung darüber, mithilfe welchen Systems dieses umfassende Servise-Angebot hergestellt werden soll, Sache jedes einzelnen Landes gemäss seinen Erfordernissen;

14. sicherzustellen, dass auch Bereiche von gesamtgesellschaftlichem Interesse wie beispielsweise das Gesundheitswesen, Bildung und Ausbildung, Umwelt, Beschäftigungssysteme und öffentliche Verwaltung von der Informationsgesellschaft profitieren. Wenn die Entwicklung der Informationsgesellschaft einzig dem Privatsektor überlassen bleibt, besteht die Gefahr, dass eine Reihe von öffentlichen Sparten wegen zu geringer Ertragsaussichten in der Entwicklung zurückbleiben. Dies wäre deshalb besonders
schädlich, weil die neue Technologie die Flexibilität der Regierung und die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Dienstleistungen verbessern kann;

15. eine aktive Rolle zu übernehmen, indem sie optimal passende Trägersysteme für die Unterstützung komplexer, multisektorieller Aktionen ausarbeiten. Dazu gehört die Anregung des Transfers von Erfahrung und Verständnis mithilfe des Einsatzes geeigneter Finanzierungsinstrumente sowie die Entwicklung der Fähigkeit, praktischen Rat zu geben und Mut zu spenden für den Umgang mit den herausfordernden Veränderungen;

16. das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Informationsgesellschaft in allen europäischen Ländern und auf allen Verwaltungsebenen durch Massnahmen zu steigern, die von Sensibilisierungskampagnen bis zu spezifischen Pilotaktionen in bestimmten Anwendungsbereichen reichen können;

17. ausgewählte Aktionen im Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft finanziell zu unterstützen. Zu den Kriterien für eine solche Unterstützung sollte gehören, dass die betreffende Initiative das öffentliche Bewusstsein unmittelbar beeinflusst und zur Optimierung des sozio-ökonomischen Gewinns aus der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa beiträgt;

18. eine Europäische Charta der Informationstechnologie auszuarbeiten, um eine Reihe von Grundsätzen zu verankern in Bereichen wie etwa dem Schutz Minderjähriger, Normen für den internationalen Handel, Besteuerung, Konsumentenschutz, Urheberrecht, Datenschutz, Kryptographie und vielen weiteren. Der elektronische Handel stellt neue Anforderungen an die Grundaktivitäten der Regierungen, denen nur in umfassender internationaler Zusammenarbeit nachgekommen werden kann;

19. den Gemeinden und Regionen und ihren nationalen Verbänden die Abgabe von Stellungnahmen zur Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft gegenüber den staatlichen Regierungen und europäischen Organisationen zu erleichtern;

20. die europäischen Gemeinden und Regionen zu informieren, zu ermutigen und zu unterstützen in ihren Bemühungen, auf ihrer kommunalen oder regionalen Ebene einen eigenen Beitrag zur Entstehung der Informationsgesellschaft zu leisten. In folgenden Bereichen ist Unterstützung angezeigt:

i Information: Gemeinden und Regionen mit genauen Informationen über internationale Programme mit bezug auf die Informationsgesellschaft, über Gelegenheiten zur Projektfinanzierung sowie über den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der kommunalen und regionalen Verwaltung zu versehen;

i Partnerschaft: den Gemeinden und Regionen beim Finden passender ausländischer Partner für ihre Informationsprojekte zu helfen und die Teilnahme von Gemeinden und Regionen an transnationalen Projekten zu erleichtern;
i Erfahrungsaustausch: den aufgrund der Entwicklung der kommunalen und regionalen Informationsgesellschaft in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Erfahrungsaustausch zu fördern;

21. die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu nutzen, um die demokratischen Regierungssysteme und deren Legitimität zu stärken und Werte wie Offenheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht der Verwaltungen zu fördern. In folgenden Bereichen können die neuen Technologien bedeutsam werden:

i Information der Bürger und der privaten und öffentlichen Institutionen vonseiten der Parlamente, Regierungen und öffentlichen Organe;

i Verstärkung der Interaktion zwischen Bürgern und Politikern;

i Verstärkung der Kontrolle gewählter Volksvertreter und Regierungen durch die Öffentlichkeit, besonders in den Amtszeiten zwischen den Wahlen;

i Anregung der Diskussion und Debatte in der Öffentlichkeit zu Themen von allgemeinem Interesse einschliesslich der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie auf die Beteiligung der Bürger an der Regierung und auf die direkte Demokratie;

i elektronische Abstimmungen (a) bei der Wahl von Bewerbern, (b) über Gesetze und öffentliche Geschäfte;

i direkte Beschlussfassung durch die Bürger, zumindest in einigen Angelegenheiten;

i die allmähliche Umwandlung der repräsentativen "Abgeordneten"-Demokratie in einen durch verstärkte Einbeziehung der Bürger und vermehrte Beratungen ihrerseits gekennzeichneten Prozess;

22. die Behörden der neuen zentral- und osteuropäischen Demokratien bei der Überwindung der die Entwicklung der Informationsgesellschaft in ihren Ländern hemmenden Hindernisse wie

i Fehlen einer leistungsfähigen Kommunikations-Infrastruktur

i übermässige Zentralisierung und Schwierigkeiten bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips

i Komplexität der Verwaltungsstrukturen

i mangelnde Kommunikation und Koordination zwischen den Institutionen

i niedriger Aufklärungsstand auf allen Regierungsebenen

i Mangelndes strategisches Denken und Verhalten
zu unterstützen;

23. in die Ausbildung einer informationstechnologisch alphabetisierten Bevölkerung zu investieren, die fähig ist und bleibt, von den neuen Technologien vollen Gebrauch zu machen; den Bürgern zu helfen bei der Verbesserung ihrer Gemeinschaften durch vermehrte Zusammenarbeit, bei der Nutzung aller bald online erhältlichen Dienste, beim Erlangen von Arbeitsplätzen und Fördern ihrer Geschäfte und bei der ganz natürlichen, alltäglichen Benützung der Informationstechnologie nicht anders als des Telefons;

24. Partnerschaften zwischen unterschiedlichen Interessen auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene einzuleiten und so die Entstehung von allseits nützlichen Projekten zu unterstützen;

25. Dafür zu sorgen, dass die überall in Europa laufenden informationsgesellschaftlichen Projekte sich gegenseitig unterstützen und die wichtige Rolle derartiger Projekte zu bestätigen, legen sie doch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in die Hände von jedermann.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 16. Juni 1999, 2. Sitzung (siehe Dok. CG(6) 3, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Herrn R. Koivisto, Berichterstatter)