Empfehlung 58 (1999)1 betreffend die Krise im Kosovo

Der Kongress,

1. Bekundet aufs neue seinen Abscheu und seine Verurteilung angesichts der im Kosovo verfolgten Politik der systematischen ethnischen Säuberung, insbesondere der Ermordung unschuldiger Zivilpersonen, der Entführung und Vergewaltigung von Frauen, der Zerstörung von Dörfern und ganzen Stadtteilen und der Vertreibung Hunderttausender in die Nachbarländer unter Konfiszierung ihrer Identitätspapiere und Zerstörung der entsprechenden amtlichen Register;

2. Erinnert an das beim Internationalen Tribunal für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien gegen die hierfür Verantwortlichen und die diese Kriegsverbrechen Durchführenden eingeleitete Gerichtsverfahren;

3. Gibt seinem Mitgefühl und seiner Solidarität mit allen unschuldigen zivilen Opfern des Kosovo-Konflikts innerhalb des Kosovo wie auch in der übrigen Bundesrepublik Jugoslawien Ausdruck;

4. Bekundet im weiteren seine grösste Besorgnis angesichts der schweren Probleme, vor denen die Nachbarn des Kosovo - die übrigen Regionen der Bundesrepublik Jugoslawien, aber auch Albanien und die "Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien" - stehen, welche nicht nur mit der Last der Aufnahme der Vertriebenen und Flüchtlinge, sondern überdies noch mit dem ihrer Wirtschaft zugefügten beträchtlichen Schaden fertig werden müssen;

5. Stellt fest, dass die Gemeinden dieser - von Kongressmitgliedern besuchten - an Kosovo grenzenden Länder und Regionen Belastungen haben auf sich nehmen müssen, die ihre Mittel weit übersteigen;

6. Begrüsst die diesbezüglich durch die internationale Gemeinschaft und insbesondere durch die auf den ersten Aufruf des Kongresses bereits reagiert habenden Städte und Regionen sowie durch den Fonds für soziale Entwicklung des Europarats bewiesene Einsatzbereitschaft;

7. Fordert die europäischen Städte und Regionen daher auf, dem Aufruf des Kongresses noch umfangreicher nachzukommen und so eine breite Solidaritätsbewegung in Gang zu setzen, die vor allem auch zu dauerhaften Partnerschaften führen sollte mit den die Hauptlast der Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Kosovo tragenden Gemeinden;

8. Erinnert an seine Empfehlung 44 (1998) über die Krise im Kosovo, deren wesentliche Bestimmungen betreffend ein spezielles Autonomiestatut für das Kosovo im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien noch immer volle Gültigkeit haben;

9. Schätzt sich glücklich angesichts der guten Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (genannt Kommission von Venedig) an dem Entwurf eines speziellen Autonomiestatuts für das Kosovo, welche dem Kongress eine indirekte Konsultation durch die Kontaktgruppe für Jugoslawien im Zusammenhang mit dem an der Konferenz von Rambouillet vorgelegten Entwurf einer "Verfassung" eintrug;

10. Erinnert an die verschiedenen Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung betreffend das Kosovo und macht insbesondere auf deren zwei letzte, die am 28. April 1999 gutgeheissenen und angenommenen Empfehlungen 1403 und 1404, aufmerksam sowie auf das Presse-Kommuniqué des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung vom 11. Juni 1999, worin auf die Gemeindedemokratie als eines jener Gebiete verwiesen wird, auf denen der Europarat zu sachdienlichen Beiträgen im Kosovo speziell befähigt wäre;

11. Erinnert an die vom Ausschuss der Regionen der Europäischen Union am 3. Juni angenommene Entschliessung, worin nach einer breiten, sich in regionalen und lokalen Partnerschaften äussernden Solidaritätsbewegung gerufen wird;

12. Begrüsst die Tatsache, dass die diplomatischen Bemühungen vorab der Europäischen Union und der Russischen Föderation zu einem Plan für die Beendigung des Konflikts geführt haben, welcher den Rückzug der serbischen und jugoslawischen Streitkräfte aus dem Kosovo, die Demilitarisierung der UCK, die Beendigung der NATO-Luftschläge sowie den Einmarsch einer internationalen Friedenstruppe unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen beinhaltet, welche in der Lage ist, die tatsächliche Rückkehr der Vertriebenen und der Flüchtlinge sowie die Wahrung der Menschenrechte und der Sicherheit von Personen und Besitz im Kosovo sicherzustellen;

13. Nimmt mit grossem Interesse zur Kenntnis, dass die durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 10. Juni 1999 angenommene Entschliessung den Generalsekretär der Vereinten Nationen ermächtigt, "mit Unterstützung durch die einschlägigen internationalen Organisationen eine internationale zivile Präsenz im Kosovo einzurichten, um eine Interimsverwaltung zu schaffen [...], unter welcher die Bevölkerung des Kosovo in den Genuss einer nennenswerten Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien gelangen könnte". Zu den Hauptaufgaben einer solchen internationalen zivilen Präsenz würde gehören:

a. "die Einrichtung und Überwachung vorläufiger Institutionen demokratischer Selbstverwaltung, um damit die Bedingungen für ein friedliches und normales Leben aller Einwohner des Kosovo sicherzustellen";

b. "die Übernahme fundamentaler Verwaltungsaufgaben dort wo nötig und solange wie nötig";

c. "in Erwartung einer endgültigen Regelung: die Förderung der Entstehung einer substanziellen Autonomie und Selbstverwaltung im Kosovo unter voller Berücksichtigung von Anhang 2 2 und der Abkommen von Rambouillet (S/1999/648)";
d. "die Übertragung ihrer Verwaltungsaufgaben an die [oben erwähnten] Institutionen nach Massgabe von deren erfolgter Einrichtung";

14. Hat mit Befriedigung Kenntnis genommen von dem Stabilitätspakt für Südost-Europa, welchem durch die auf Initiative des Präsidiums der Europäischen Union einberufene Konferenz über die Stabilität von Südost-Europa am 10. Juni 1999 zugestimmt worden ist;

15. Stellt mit Interesse fest, dass dieser Pakt, obwohl ohne präzisen Hinweis auf die kommunale Selbstverwaltung, dem Europarat, unter anderem im Bereich der demokratischen Institutionen, eine wesentliche Rolle zuweist;

16. Ist der Ansicht, dass die Rückkehr eines dauerhaften Friedens nach Südost-Europa eng abhängt von der Errichtung einer echten Demokratie auf dem soliden Fundament einer mit den Grundsätzen des Europarats im Einklang stehenden kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in sämtlichen Ländern des Gebiets, einschliesslich der Bundesrepublik Jugoslawien;

17. Gratuliert dem Ministerkomitee des Europarats zu der raschen Annahme, anlässlich seiner Zusammenkunft am 7. Mai in Budapest, eines "Stabilitätsprogramm[s] für Südost-Europa - ein Beitrag des Europarats", welches der Region Südost-Europa die besondere Sachkenntnis des Europarats zur Verfügung stellen möchte, zu welcher auch die Entwicklung der Gemeindedemokratie vor allem durch die Tätigkeit des Kongresses gehört;

18. Begrüsst in diesem Zusammenhang die durch das Ministerkomitee auf eigene Initiative bereits erfolgte Konsultation der Vertreter des Kongresses über dessen Hilfsaktion für die Kosovo-Flüchtlinge und wertet dies als ein gutes Vorzeichen für eine aktive Mitarbeit des Kongresses an diesem Programm;

19. Der Kongress erklärt sich bereit und darauf vorbereitet,

- unverzüglich mitzuarbeiten an der Einrichtung der in der Entschliessung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vorgesehenen "Übergangsverwaltung" im Blick auf die schrittweise Einführung einer substanziellen kommunalen und regionalen Selbstverwaltung im Kosovo im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien,

- sich voll zu beteiligen an dem Programm des Europarats für die Stabilität Südost-Europas,

- sich zu beteiligen an einem Beitrag des Europarats zum Arbeitskreis Nr. 1 - über Demokratisierung und Menschenrechte - des von der Europäischen Union initiierten Stabilitätspakts für Südost-Europa;

20. Ersucht den Ministerrat des Europarats, für seinen Stabilitätspakt für Südost-Europa sowie für seinen Beitrag zu dem durch die Europäische Union initiierten Stabilitätspakt ein Sonderbudget unter Verwendung der nicht verbrauchten Haushaltsmittel von 1998 und danach von 1999 vorzusehen, wie dies die Parlamentarische Versammlung empfiehlt, und mit der Europäischen Union Verhandlungen zu führen über das System gemeinsamer Programme, worin die Dimension der Gemeinde- und Regionaldemokratie eine Stärkung erfahren sollte;

21. Appelliert noch einmal an alle Gemeinden, Städte und Regionen der Mitgliedstaaten des Europarats und an deren nationale und europäische Verbände, ihre Anstrengungen zu verstärken in Form von:

- Partnerschaften mit den Städten und Gemeinden in den übrigen Regionen der Bundesrepublik Jugoslawien, in Albanien und der "ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien", die Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgenommen haben;

- Unterstützung der Arbeit des Kongresses im Kosovo als konkreter Beitrag zum Wiederaufbau demokratischer, ein multikulturelles Leben respektierender Institutionen in den Gemeinden und Regionen in Form insbesondere von Partnerschaften, die zum gegebenen Zeitpunkt in Agenturen der Gemeindedemokratie umgewandelt werden könnten, oder in Form von Überweisungen auf das zu diesem Zweck beim Europarat eröffnete Sonderkonto;

22. Beauftragt sein Präsidium, seine Berichterstatter und sein Sekretariat, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den Kongress zu einem praktischen Beitrag an den Wiederaufbau der kommunalen und regionalen Demokratie sowohl speziell im Kosovo als auch in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien allgemein (Serbien und Montenegro, nicht zu vergessen die Region Vojvodina und die Probleme im Sandjak) zu befähigen;

23. Erklärt sich bereit, zum gegebenen Zeitpunkt und zu angemessenen Bedingungen, gestützt auf die in seiner Empfehlung 44 (1998) festgelegten Grundsätze, mit der Kommission von Venedig an einem speziellen Statut für das Kosovo zusammenzuarbeiten;

24. Bekräftigt aufs neue nachdrücklich die Notwendigkeit, dem Kosovo im Rahmen der Oberhoheit und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, unter Erhaltung seiner eigenen territorialen Integrität und seines multikulturellen Charakters, eine substanzielle Autonomie, vergleichbar der ihm 1989 entzogenen, zurückzugeben.

1 Diskussion und Annahme durch den Kongress am 17. Juni 1999, 3. Sitzung (siehe Dok. CG(6) 13 rev., Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch die Herren L.Cuatrecasas und A.Saltykov, Berichterstatter)

2 Anhang 2 der Entschliessung Nr. 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, angenommen am 10. Juni 1999.