19..TAGUNG

Straßburg, 26. – 28. Oktober 2010

Die Integration junger Menschen aus benachteiligten Stadtteilen

Entschliessung 319 (2010)[1]

1. Der Eintritt junger Menschen in das Erdachsenleben kann ein sehr ungleicher Prozess sein: Während einige von neuen Chancen profitieren, erleben andere Schutzbedürftigkeit und Ausgrenzung. Die Herausforderung für die Gemeinden und Regionen ist, diese „Kluft innerhalb der Jugend" zu reduzieren. Dabei müssen sie auf eine Weise eine Balance zwischen proaktiver Politik und reaktiven Unterstützungsmechanismen schaffen, von der die am stärksten Benachteiligten profitieren und welche die Integration aller jungen Menschen fördern.

2. Bei der Ausarbeitung dieser Jugendpolitik und Unterstützungsmechanismen sollten die Gemeinden und Regionen berücksichtigen, dass die aktive Mitwirkung junger Menschen auf kommunaler und regionaler Ebene in Bezug auf politische Maßnahmen, die sie nicht nur als Objekte der Jugendpolitik, sondern als Akteure betreffen, ein Hauptziel des Kongresses ist, wie auch in der überarbeiteten Europäischen Charta über die Teilhabe junger Menschen am Leben der Gemeinden und Regionen beschrieben. Die Vielfalt an Jugendparlamenten und -räten in ganz Europa spricht für die Bedeutung, die junge Menschen ihrer Mitwirkung an Entscheidungsprozessen beimessen. Die Stimme der Jugend muss gehört werden, wenn eine Politik formuliert wird - sie kann zur Identifizierung von Problemen und Lösungen sowie zur Definition angemessener Antworten beitragen.

3. Junge Menschen aus benachteiligten Stadtteilen sehen sich mit einer Vielzahl von Problemen und häufig mit einer Kombination mehrerer Probleme konfrontiert: Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt, Schulabbruch, Mangel an einem Glauben an sich selbst und das Gefühl der Entfremdung sowie Drogenmissbrauch, Kriminalität, Mangel an angemessenen Unterkünften oder Obdachlosigkeit, eine schlechte psychische Gesundheit, finanzielle Ausgrenzung und eine verminderte Teilhabe am Leben der Gemeinschaft.


4. Die Gemeinden und Regionen haben die Pflicht, die Menschenrechte der Bürger zu gewährleisten, einschließlich der Sozialrechte, und sicherzustellen, dass diese Rechte allen durch die Formulierung einer entsprechenden, faktenbasierten Politik zugänglich sind. In Anbetracht der vielfältigen Probleme, mit denen junge Menschen aus benachteiligten Stadtteilen konfrontiert werden, ist ein einziger Ansatz für alle ungeeignet: Die Politik muss flexibel sein, den unterschiedlichen Bedürfnissen, Ideen und Erwartungen jedes Einzelnen Rechnung tragen; sie muss sich nicht nur mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen befassen, sondern auch die politische, kulturelle und spirituelle Dimension einbeziehen, und sie sollte vielfältige wünschenswerte Ergebnisse zulassen und nicht nur ein konkretes Ziel vor Augen haben. Des Weiteren sollte sie unter Mitwirkung junger Menschen entworfen werden, ganz im Sinne der überarbeiteten Europäischen Charta des Kongresses über Teilhabe. Es sollte ein Rahmen entwickelt werden, der die kommunalen Möglichkeiten für das Entwerfen und Umsetzen von Programmen und Praktiken stärkt, um auf diesem Wege positive Ergebnisse für junge Menschen zu erzielen und jungen Menschen zu helfen, an sich selbst zu glauben.

5. Eine Politik, deren Ziel die soziale Integration junger Menschen aus benachteiligten Stadtteilen ist, sollte sich an Chancen ausrichten und die Integration junger Menschen in die Gesellschaft anstreben, z. B. durch die Förderung des Zugangs zu Schulen und beruflichen Bildungseinrichtungen, Erleichterung des Eintritts in den Arbeitsmarkt, durch Bereitstellen angemessener Unterkünfte und medizinischer Versorgung, Zugang zu öffentlichen Diensten, Sozialrechten und -diensten, zu Grunddiensten, wie Transport, Freizeit, Kultur, Zugang zu Medien und Kommunikationsinstrumenten sowie zu Rechts- und Finanzdiensten, z. B. Darlehen.

6. Während motivierte und organisierte Jugendliche sich bereitwillig an der Formulierung von Politik beteiligen, ist es sehr viel schwieriger, Jugendliche aus benachteiligten Stadtteilen einzubeziehen. Es erfordert Zeit, Anstrengung und Vorstellungskraft, diese jungen Menschen von der Möglichkeit zu überzeugen, die Politik könne ihre Lage verbessern.

7. Politische Maßnahmen und Programme sollten mit voller Beteiligung junger Menschen erarbeitet und adaptiert werden, damit junge Menschen aus benachteiligten Gebieten, die eine Mitwirkung schwieriger finden, in die Lage versetzt werden, sich mit politischen Zielen zu identifizieren und an diese zu glauben und Verantwortung für diese Ziele zu übernehmen, damit sie sich aktiv in ihren Eintritt ins Erwachsenenleben einbringen, neue Fähigkeiten lernen, motiviert werden und Selbstvertrauen gewinnen.

8. Angesichts des Vorstehenden fordert der Kongress die Gemeinden und Regionen auf:

a.kommunale und regionale Jugendabteilungen einzurichten oder auszubauen, damit sie die Kapazität und Kompetenzen haben, um Recherchen durchzuführen, die für die Ausarbeitung effektiver, faktenbasierter politischer Maßnahmen und Programme erforderlich sind;

b.angemessene Ressourcen bereitzustellen, um eine effektive Umsetzung und effektive Evaluierungsinstrumente zu gewährleisten. Die Evaluierung sollte sowohl Investitionen als auch Ergebnisse berücksichtigen, außerdem sollten die Auswirkungen der Politik auf Einzelfälle beurteilt und Schlussfolgerungen im Hinblick auf zukünftige Maßnahmen gezogen werden;

c.mit jungen Menschen aus benachteiligten Gebieten einen Dialog, Konsultationen und eine Zusammenarbeit aufzunehmen und diese in die Planung und den Entscheidungsprozess einzubeziehen, um sie zu motivieren und um sicherzustellen, dass die politischen Maßnahmen und Programme ihren Bedürfnissen und Erwartungen entsprechen;

d.zugängliche und bedeutsame Chancen für benachteiligte Jugendliche zu schaffen, um ihre soziale Eingliederung durch das Etablieren von Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit und die Entwicklung, durch Rat und Anleitung sowie durch das Organisieren von Aktivitäten zu fördern, insbesondere durch die finanzielle oder anderweitige Unterstützung von Projekten, die von Jugendlichen, mit dem Ziel, ihr Selbstvertrauen zu stärken, in den Bereichen Soziales, Wirtschaft oder Menschen selbst initiiert oder betrieben werden;

e.darauf zu achten, dass Einrichtungen, wie z. B. Jugend- oder Gemeindezentren oder Freizeiteinrichtungen bereit gestellt werden und Jugendlichen aus benachteiligten Gebieten ein Mitspracherecht im Hinblick auf die Gestaltung und Nutzung dieser Räume einzuräumen;

f.die Möglichkeit zu prüfen, ein Mentor- oder „Kumpel"-System einzurichten, um Jugendliche aus benachteiligten Gebieten beim Erwerb von Lebenskompetenzen zu unterstützen oder außerhäusliche Angebote anzubieten, u.a. in anderen Ländern, damit sie ihren Horizont erweitern und davon profitieren und in der Lage sind, sich selbst als einen Teil der globalen Gesellschaft wahrzunehmen;

g.Geschlechtergleichheit in der Jugendarbeit zu fördern und Methoden zu entwerfen, die Gewalt gegen Frauen und Mädchen in benachteiligten Stadtteilen verhindern und bekämpfen, damit sie ihr volles Potenzial ausschöpfen und sich in die Gesellschaft integrieren können;

h.unter Verwendung geeigneter Mittel, seien dies soziale Netzwerke oder traditionellere Methoden, sicherzustellen, dass allen, die im Bereich soziale Integration arbeiten (Kommunalpolitiker, örtliche Manager, Fachleute), sowie Jugendlichen Informationen zur Verfügung stehen;

i.Aufklärung zu betreiben im Hinblick auf die überarbeitete Europäische Charta über die Teilhabe junger Menschen am Leben der Gemeinden und Regionen und deren Umsetzung sicherzustellen.

9. Im Hinblick auf ihre Jugendpolitik für Jugendliche aus benachteiligten Stadtteilen fordert der Kongress die Gemeinden und Regionen weiterhin auf:

a.mit dem Freiwilligen- und Gemeindesektor, den Gesundheitsbehörden, den Schulen, Sozial- und Justizdiensten, den örtlichen Unternehmen zu kooperieren, um konkrete, jugendorientierte Dienste und Beratungen anzubieten;

b.den Zugang zu angemessenen Lebensbedingungen und Unterkünften zu erleichtern und Obdachlosen Informationen, Hilfe und Beratung anzubieten;

c.mit den Gesundheitsbehörden zu kooperieren, um den Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung und zu Informationen sowie zu Hilfsangeboten und Beratungen für eine gesunde Lebensführung sicherzustellen;

d.darauf zu achten, dass Aufklärungs- und Informationsprogramme im Hinblick auf Drogen- und Alkoholmissbrauch z. B. in Schulen, Jugendclubs oder mittels mobiler Dienste in benachteiligten Stadtteilen durchgeführt werden;

e.den kostenlosen Zugang zu Bildung, Bibliotheken und kulturellen Einrichtungen und kostenlosen Unterrichtsmaterialien sowie einen kostenlosen oder subventionierten ÖPNV zu Bildungseinrichtungen sicherzustellen;

f.gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, Sozialpartnern und örtlichen Unternehmen an der Bereitstellung von beruflichen Praktika zu arbeiten, um berufliche Fertigkeiten zu vermitteln und die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen;

g.sicherzustellen, dass die beruflichen Ausbildungsangebote für Jugendliche eng verknüpft sind mit Stellenangeboten und der Schaffung von Arbeitsplätzen, z. B. in kleinen und mittleren Unternehmen und im Rahmen kommunaler Bauprojekte. Diese Ausbildung sollte Jugendliche in die Lage versetzen, ihre Kritikfähigkeit und Argumentationsfähigkeit und ein besseres Verständnis für sich und die Welt zu entwickeln;

h.Informationen, Beratungsangebote und Leitlinien für Beruf, Berufsausbildung und Schulungsmaßnahmen bereitzustellen – sowohl formell als auch informell – um den Übergang von der Schule oder Arbeitslosigkeit ins aktive Leben zu erleichtern;

i. die aktive Bürgerschaft zu fördern, indem sie jungen Menschen bei der Entwicklung von Bürgerkompetenzen helfen, sie ermutigen, sich an Bürgerinitiativen, Verbänden, Organisationen zu beteiligen, z. B. karitativen Organisationen oder Sportvereinen, politischen Parteien und Gewerkschaften;

j.den Zugang zu IKT zu ermöglichen, um die e-Partizipation zu fördern.


10. Im Rahmen der Vorbereitung einer Empfehlung an das Ministerkomitee des Europarats über „Ansätze in der Jugendpolitik: Zugang zu Sozialrechten für Jugendliche aus benachteiligten Stadtteilen” fordert der Kongress seine Mitglieder auf, Beispiele guter Praktiken aus ihren Kommunen und Regionen für das Expertenseminar bereitzustellen, das im Dezember 2010 zum gleichen Thema stattfindet.



[1] Diskussion und Annahme durch den Kongress am 28. Oktober 2010, 3. Sitzung (siehe Dokument CG(19)15, Begründungstext, Berichterstatter: E. Campbell‑Clark, Vereinigtes Königreich (L, SOZ)