Empfehlung 96 (2001)1 betreffend die Gemeindedemokratie in Zypern

Der Kongress,

Mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Dem nach einer Absprache mit dem Ausschuss der Regionen der Europäischen Union getroffenen Präsidiumsbeschluss zufolge, wonach ein Bericht erstellt werden sollte über die Lage der Gemeindedemokratie in dem EU-Anwärterstaat Zypern;

2. Erinnernd an die Entschliessung 31 (1996) betreffend die Überwachung der Einhaltung der durch die Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen;

3. Gestützt auf den durch Herrn Micallef (Malta) erstellten Bericht des Institutionellen Ausschusses der Kammer der Gemeinden;

4. Den Vertretern der Regierung Zyperns (Innenministerium, Finanzministerium und Aussenministerium) und des zypriotischen Parlaments (Parlamentarischer Ausschuss für innere Angelegenheiten), dem Generalstaatsanwalt (Attorney General) und dem Leiter der Verhandlungen über den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union dankend für ihren Beitrag zu offenen und konstruktiven Gesprächen und für die ausführlichen Informationen, die sie zu dem Bericht beigetragen haben;

5. Insbesondere auch dem Verband der Stadtgemeinden Zyperns und dem Verband der Landgemeinden Zyperns2 dankend für ihre liebenswürdige Unterstützung mit benötigten Informationen und Dokumentationen und für die hervorragende Organisation der Besuche in Zypern;

6. Begrüssen die Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung durch Zypern am 16. Mai 1988, im Bewusstsein allerdings der Vorbehalte, die das Land hinsichtlich des Artikels 7, Abschnitt 2 (finanzielle Entschädigung für die Gemeindeabgeordneten) angebracht hat;

7. Angesichts der Tatsache, dass Zypern ein Land ist, dessen geringer Umfang in institutioneller Hinsicht zwar gewisse Einschränkungen auferlegt, wo dafür aber die staatliche Verwaltung bürgernah ist;

8. Im Bewusstsein der Tatsache, dass die politische Situation in Zypern beherrscht ist von der Frage der Teilung der Insel infolge der militärischen Ereignisse von 1974, behandelt der vorliegende Bericht die Lage der Gemeindedemokratie in dem Gebiet, das sich unter Kontrolle der international anerkannten zypriotischen Regierung befindet;

9. Festhaltend, dass die Ereignisse von 1974 sehr konkrete Folgen für das Land - auf der Ebene sowohl der zentralstaatlichen wie der kommunalen Verwaltung - gezeitigt haben angesichts der etwa 200 000 Flüchtlinge, denen Unterkunft und Arbeit verschafft werden musste und die immer noch Ursache sind für den Bedarf nach weiteren Infrastrukturen;

10. In Anbetracht dessen, dass der mögliche Beitritt Zyperns zur Europäischen Union sich unmittelbar auf die Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften auswirken und deren Beteiligung an den neuen, mit dem Beitritt der Republik zusammenhängenden Verpflichtungen erfordern wird;

11. Ist der Ansicht, dass die nationalen Behörden die beiden Stadt- bzw. Landgemeinden vertretenden Verbände im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Bestimmungen in Zypern systematischer konsultieren sollten;

12. Gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass die - gegenwärtig unterbrochenen - Verhandlungen über eine Regelung der zypriotischen Frage unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen in einem neuen politischen Umfeld, wie es durch einen Beitritt Zyperns zur Europäischen Union und durch die Kandidatur der Türkei um einen Beitritt zur Europäischen Union geschaffen wird, wiederaufgenommen werden könnten;

13. Erklärt sich bereit, im Falle einer Wiederaufnahme der Verhandlungen in Zusammenarbeit mit der Kommission von Venedig technische Hilfe zu leisten bei Fragen im Zusammenhang mit bereits vorliegenden europäischen Erfahrungen in Bundesstaaten;

14. Bezeugt seinen Respekt vor den zypriotischen Behörden, die die rechtliche Basis der kommunalen Selbstverwaltung in den letzten Jahren beträchtlich verbessert haben, indem sie das Gesetz für die Stadtgemeinden verbesserten und 1999 ein neues Gesetz für die ländlichen Gemeinschaften einführten, um die Grundprinzipien der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung umzusetzen;

15. Drückt die allgemein bekundete Meinung aus, wonach das revidierte Gesetz für die Stadtgemeinden und das neue Gesetz über die ländlichen Gemeinschaften eine solide Grundlage für die kommunale Selbstverwaltung in dem Lande darstellen, auch wenn hinsichtlich der Vereinbarkeit gewisser Bestimmungen mit der Europäischen Charte der kommunalen Selbstverwaltung noch Bedenken bestehen können;

16. In dem Bewusstsein, dass die Kommunalverwaltung in Zypern nach zweierlei Systemen - nämlich einmal die Städte, ein andermal die Landgemeinden betreffend - erfolgt, tut seine Meinung über die Situation dieser beiden Kategorien von Gebietskörperschaften kund:

17. Hinsichtlich der Stadtgemeinden:

a. in Anbetracht des Bestehens von 33 Stadtgemeinden in Zypern, von denen 24 auf dem durch die zypriotische Regierung kontrollierten Gebiet liegen und 9 nach den Ereignissen von 1974 verlegt worden sind;

b. angesichts des kommunalen Wahlsystems, das den europäischen Normen entspricht, gibt dennoch einer gewissen Besorgnis darüber Ausdruck, dass allen Beamten, einschliesslich Lehrern und Angestellten halbprivater Organisationen, die Möglichkeit verwehrt ist, bei Gemeindewahlen zu kandidieren, welche sehr starke Einengung der bürgerlichen Rechte dieses Personenkreises schwer zu rechtfertigen ist;

c. in Anbetracht der Tatsache, dass das Gesetz über Stadtgemeinden, welches die Zustimmung des zypriotischen Ministerrats zu den Anstellungsbedingungen in der Verwaltung der Stadtgemeinden erfordert, zu Kompatibilitätsproblemen mit den Artikeln 6 und 8 der Charta führen könnte, und angesichts dessen, dass die praktische Anwendung dieser Regel bereits kürzlich vereinfacht worden ist, empfiehlt die Abschaffung dieser Bestimmung und ihren Ersatz durch ein System, worin die Grundprinzipien der Stadtverwaltung durch die nationale Regierung festgelegt werden;

d. feststellend, dass die zypriotischen Stadtgemeinden eine breite Palette von Aufgaben wahrnehmen, gibt einer gewissen Besorgnis darüber Ausdruck, dass die Stadtplanung grundsätzlich Sache der zentralstaatlichen Verwaltung und durch diese nur an die vier grösseren Städte (Nicosia, Limassol, Paphos und Larnaka) delegiert ist; ist der Ansicht, dass die zypriotische Regierung die Möglichkeit erwägen sollte, den kommunalen Gebietskörperschaften die Befugnis zu eigener Städteplanung zu übertragen und sie zugleich mit der für die Wahrnehmung dieser Aufgaben notwendigen interkommunalen Zusammenarbeit zu beauftragen;

e. ist der Ansicht, dass die zypriotische Regierung auch die Abtretung noch weiterer Kompetenzen, wie etwa der Schulverwaltung, an die Stadtgemeinden erwägen sollte;

f. erachtet die Artikel 65 und 66 des Gesetzes über die Stadtgemeinden, worin festgelegt ist, dass die Städte für ihren Haushalt das a priori-Einverständnis des Ministerrats einholen müssen, als nicht vereinbar mit Artikel 8 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, anerkennt allerdings, dass diese Aufsicht den Gebietskörperschaften in der Praxis keine Probleme zu stellen scheint, auch wenn sie ihren Haushalt mit dem Innenministerium aushandeln müssen;

g. gibt der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Kontrolle der städtischen Rechnungsführung durch den staatlichen Buchprüfer (Auditor General) auf eine Kontrolle der Legalität beschränkt und somit vereinbar bleibt mit Artikel 8 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung;

h. begrüsst den durch die zypriotische Regierung vor kurzem gefassten Beschluss, die nach den Vorschlägen des Verbandes der Stadtgemeinden Zyperns den Städten zugeteilten Pauschalsubventionen zu erhöhen;

i. erklärt seine Besorgnis angesichts der gegenwärtigen Praxis der gemeinsamen Finanzierung städtebaulicher Vorhaben, die sich zentralisierend auswirkt;

j. ist der Ansicht, dass die Zustimmung des Bezirksvorstehers (District Officer) zur Benennung oder Umbenennung von Strassen abgeschafft werden sollte;

18. Hinsichtlich der ländlichen Gemeinschaften:

a. in Anbetracht des Bestehens von 356 ländlichen Gemeinschaften auf dem durch die Regierung kontrollierten Gebiet, wovon 3 Gruppierungen von Gemeinden sind;

b. in Anbetracht der Tatsache, dass das neue Gesetz über die ländlichen Gemeinschaften von 1999 für diese Kategorie kleiner Gebietskörperschaften eine den Städten ähnliche Situation schafft, erklärt sich allerdings beunruhigt angesichts einiger ins einzelne gehender Bestimmungen dieses Gesetzes;

c. ist der Meinung, dass das Statut der gewählten Abgeordneten in den ländlichen Gemeinschaften noch der Verbesserung bedarf und dass diese insbesondere ein Anrecht auf eine Entschädigung oder andere Formen der finanziellen Vergütung für ihre Funktionen haben sollten;

d. fordert die zypriotische Regierung auf, die Abschaffung der allgemeinen Bestimmungen von Artikel 17(4) des Gesetzes über die ländlichen Gemeinschaften zu prüfen, wonach Wahlen auf dieser Stufe durch die Regierung "aus Gründen der gegenwärtigen Umstände und im öffentlichen Interesse" nicht organisiert werden können;

e. ist vor allem beunruhigt angesichts einer Reihe von Kontrollen, denen die ländlichen Gemeinschaften unterliegen, insbesondere:

i. das zur Besetzung offener Arbeitsstellen einzuschlagende Verfahren wie auch die allgemeinen Anstellungsbedingungen für Ratspersonal sowie die Ausübung von Disziplinargewalt ihnen gegenüber (Artikel 49(2) des Gesetzes über ländliche Gemeinschaften);

ii. die Zustimmung des Bezirksvorstehers (des Gemeindevertreters bei der Regierung) zum Haushalt der ländlichen Gemeinschaften (Artikel 66d des Gesetzes über die ländlichen Gemeinschaften);

iii. die Macht des Bezirksvorstehers über jeden Erwerb von Wassernutzungsrechten;

iv. die Zustimmung des Bezirksvorstehers zu Zuwendungen für gemeinnützige Zwecke;

v. die Zustimmung des Bezirksvorstehers zur Benennung oder Umbenennung von Strassen;

vi. die Tatsache, dass die meisten ländlichen Gemeinschaften keine eigene Verwaltung haben, da diese Funktion durch den Bezirksvorsteher gegen Bezahlung wahrgenommen wird;

f. empfiehlt, manche der im vorangehenden Abschnitt aufgezählten a priori-Zustimmungen zu vereinfachen oder aufzuheben und so die Selbstverwaltung auf der Stufe der ländlichen Gemeinschaften zu verbessern;

g. unterstreicht insbesondere, dass die a priori-Zustimmung des Bezirksvorstehers zum Haushalt der ländlichen Gemeinschaften, die impliziert, dass er über die Zweckmässigkeit gewisser Ausgaben befinden kann, Sorgen hinsichtlich der Einhaltung von Artikel 8 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung macht;

h. ist der Ansicht, dass das aktuelle System, wonach der Staat den ländlichen Gemeinschaften spezifische Mittel für gewisse Entwicklungsvorhaben und Infrastrukturarbeiten zuweist, teilweise in ein System pauschaler Zuweisungen umgeändert werden könnte, die nach Kriterien des Finanzausgleichs unter die Gemeinschaften zu verteilen wären;

19. Die Tatsache zur Kenntnis nehmend, dass in der Verfassung nichts ausdrücklich vorgsehen ist hinsichtlich des rechtlichen Schutzes der kommunalen Gebietskörperschaften, ist der Meinung, dass die Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung dazu angetan ist, den rechtlichen Schutz der Selbstverwaltung in Zypern abzusichern;

20. Ist allgemein der Ansicht, dass das Vorhandensein kleiner Stadtgemeinden und noch kleinerer ländlicher Gemeinschaften wie auch von Ballungsräumen in Zypern die zypriotische Regierung dazu veranlassen sollte, Systeme einer obligatorischen Zusammenarbeit zwischen Gemeinden einzuführen, um die Fähigkeit der Gemeinden zur Erfüllung ihrer wachsenden Aufgaben zu verbessern;

21. Fordert die zypriotische Regierung auf, in Konsultation mit den die Städte und die Landgemeinden vertretenden Verbänden die Möglichkeit einer Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Gesetze über die Stadtgemeinden und die ländlichen Gemeinschaften zu einem einzigen Gesetz über kommunale Selbstverwaltung zu prüfen, worin diese beiden Kategorien von Gebietskörperschaften teils gemeinsamen, teils je spezifischen Bestimmungen unterliegen;

22. Ist in Berücksichtigung alles bisher Erwogenen der Ansicht, dass der Zeitpunkt für eine generelle und rasche Modernisierung der Gesetze über kommunale Selbstverwaltung in Zypern gekommen ist und dass diese Gelegenheit genutzt werden sollte, ein neues Gleichgewicht in die Beziehungen zwischen der Zentralregierung und den Gemeinden des Landes einzuführen.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeiden am 30. Mai 2001 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 31. Mai 2001 (siehe Dok. CPL (8) 3, Empfehlungsentwurf vorgelegt durch Herrn I. Micallef, Berichterstatter)

2 Der Status der Stadtgemeinden entspricht demjenigen von Städten; bei den Landgemeinden handelt es sich um recht ländliche, nicht zu den Stadtgemeinden zählende Gemeinschaften.