Empfehlung 63 (1999)1 betreffend die Gemeindedemokratie in der Republik San Marino

Der Kongress,

mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Den Bericht zur Kenntnis genommen habend, den Herr MANUECO ALONSO nach seinem am 25.- 26. Februar 1999 in Begleitung zweier Fachberater und eines Sekretariatsmitglieds der Republik San Marino abgestatteten Besuch verfasst hat;

2. Bringt seinen Dank zum Ausdruck gegenüber den Behörden aller Kompetenzebenen von San Marino für die freundliche Aufnahme des Berichterstatters und für den Geist der Offenheit, des Dialogs und der Zusammenarbeit, den sie ihm gegenüber zeigten;

3. Bekundet seine Hochachtung vor dieser alten Republik und ihren Bürgern, die es verstanden haben, ihre Grundfreiheiten und freien Institutionen über die Zeiten hinweg zu bewahren;

4. Anerkennt die mit der Geschichte San Marino's, seinem Rechtswesen, den knappen Abmessungen seines Territoriums und seiner geringen Einwohnerzahl zusammenhängenden Besonderheiten der Republik;

5. Erinnert insbesondere an die den Bürgern offenstehende Möglichkeit, dank der Arengo genannten Institution einzeln oder gemeinsam unmittelbar beim Consiglio Grande e Generale (Parlament) Petitionen einzugeben;

6. Betont, dass das Gesetz Nr. 22 vom 24. Februar 1994 betreffend die neun Giunte di Castello (durch die Bürger gewählte örtliche Kollegialorgane, die von einem die Liste der obsiegenden Partei anführenden Capitano präsidiert werden) einen grundlegenden Abschnitt in der Entwicklung der gemeindedemokratischen Institutionen von San Marino kennzeichnet;

Stellt fest,

1. dass die Republik San Marino ungeachtet der kürzlich durchgeführten Reformen gegenwärtig noch immer ein stark zentralisierter Einheitsstaat ist;

2. dass die durch die Capitani präsidierten Giunte di Castello Organe mit einer im politischen Sinn des Wortes beschränkten Selbstverwaltung sind, und insbesondere :

3. Dass die Organisation und Führung der öffentlichen Geschäfte praktisch vollständig durch die zentralen Institutionen (Consiglio Grande e Generale/Parlament und Congresso di Stato/Regierung) besorgt wird, welche die für das Leben der Gemeinschaft relevanten Beschlüsse fällen, wie dies z.B. der zentrale Bodennutzungsplan für das gesamte Territorium von San Marino illustriert;

4. Dass Ausländer, die seit langem ihren Hauptwohnsitz auf dem Territorium der Republik haben, auf kommunaler Ebene weder das aktive noch das passive Wahlrecht besitzen.

Ist der Ansicht,

1. Dass die Bilanz der 1994 mit dem Gesetz betreffend die Giunte di Castello eingeführten Reformen im grossen ganzen positiv ist, das System jedoch seine Grenzen offenbart hat;

2. Vor allem, dass die gegenwärtige Organisation von San Marino erheblich abweicht von der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (ECKS) definiert ist oder in den übrigen europäischen Ländern praktiziert wird;

3. Dass die geringe Grösse und Einwohnerzahl von San Marino keinen Einwand darstellt gegen eine Umsetzung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung, welches unabhängig von der Grösse und Form eines Staats das Vorhandensein autonomer gemeindedemokratischer Strukturen fordert;

4. Dass kein verfassungsmässiges oder politisches Hindernis vorzuliegen scheint für eine Stärkung und Entwicklung des heute noch embryonenhaften Gemeindesystems, welche über eine Erweiterung der Zuständigkeiten der Giunte di Castello in Sektoren mit Bedeutung für die örtliche Bevölkerung anzusteuern wären;

5. Dass es wünschenswert und auch möglich ist, ein Gleichgewicht zu finden zwischen den Besonderheiten der Republik San Marino und der Notwendigkeit, sich den Prinzipien anzunähern, wie sie in den benachbarten Ländern vorherrschen und in der ECKS aufgeführt sind.

Nimmt zur Kenntnis

1. Die Tatsache, dass die Frage der Zukunft der lokalen Institutionen von San Marino in verschiedenen Kreisen der Republik aufgeworfen wird;

2. Die Tatsache, dass die Capitani der Giunte di Castello zweimal jährlich kollektiv mit den Staatschefs zusammenkommen;

3. Die Tatsache, dass die Capitani punktuelle, wirksame Verbesserungen wie etwa eine obligatorische Geltung der "Stellungnahmen" sowie erheblichere Zuständigkeiten im Bereich des Strassenverkehrs, des Städtebaus, der industriellen und anderer Einrichtungen, der Umwelt usw. einführen möchten;

4. Die Folgerungen aus dem am 19. Januar 1998 eingereichten Schlussbericht der durch den Consiglio Grande e Generale eingesetzten "Sonderkommission für institutionelle Reformen", worin die Notwendigkeit festgehalten ist, den Giunte di Castello mehr Autonomie und verstärkte Befugnisse in von ihnen selbst zuvor bezeichneten Sektoren sowie eine [allgemeine -?VISA svp !] Erweiterung ihrer Kompetenzen zuzugestehen;

5. Die Tatsache, dass die Regierung von San Marino die Grenzen der heutigen Situation erkennt und eine Reform der kommunalen Selbstverwaltung ins Auge fasst.

Empfiehlt Regierung und Parlament der Republik San Marino,

1. die Unterzeichnung und Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (ECKS) zu prüfen und als so rasch wie möglich zu erreichendes Ziel festzulegen;

2. In Berücksichtigung der in der ECKS enthaltenen Grundsätze sowie in enger Konsultation mit den Giunte di Castello und mit ihrer Hilfe und Mitarbeit rasch einen Reformprozess einzuleiten, der die kommunale Selbstverwaltung in San Marino den für die Ratifizierung der Charta erforderlichen Mindeststandards deutlich annähert;

3. Insbesondere festzulegen, welchen "wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten" (Art.3 ECKS) die Giunte di Castello das Recht haben sollen, vor allem in das örtliche Leben prägenden Sektoren zu "regeln" und zu "gestalten";

4. Diesen Körperschaften die "tatsächliche Fähigkeit" (Art.3 ECKS) hierzu auf den Ebenen des Rechts, der Verwaltung, des Kapitals und des Finanzwesens zu übertragen;

5. Die Bereiche, in welchen die Giunte di Castello umfassend und ausschliesslich zuständig sind (Artikel 4.4 ECKS), präzise festzulegen;

6. Das Konzept einer geteilten Macht oder Zuständigkeit in Anlehnung an Artikel 4 der ECKS umzusetzen, jedoch unter strikter Festlegung der betreffenden Bereiche;

7. Den Giunte di Castello die Möglichkeit zu geben, die Bürgerschaft in Fragen zum Leben am Ort frei zu konsultieren sowie örtliche Referenden wie auch alle übrigen direktdemokratischen Verfahren durchzuführen;

8. Einen tatsächlichen Rechtsweg gemäss dem Wortlaut von Artikel 11 der ECKS für die Giunte di Castello einzuführen;

9. Die Möglichkeit zu prüfen, schon lange im Lande lebenden ausländischen Einwohnern die Beteiligung an lokalen Wahlen mit aktivem und passivem Wahlrecht zuzugestehen;

10. Den Giunte di Castello in Übereinstimmung mit Artikel 10 der ECKS das Vereinigungsrecht innerhalb und ausserhalb der Republik zu geben;

11. In Konsultation mit den Giunte di Castello einen genauen Zeitplan für die Reform der kommunalen Selbstverwaltung in San Marino festzulegen und diesen dem Präsidium des KGRE zu übermitteln;

12. Während des gesamten Reformprozesses in Verbindung zu bleiben mit den zuständigen Stellen des KGRE, die auf Wunsch mit jeder Hilfe, Stellungnahme oder Intervention zur Verfügung stehen.

1 Diskutiert und gutgeheissen in der Kammer der Gemeinden am 15. Juni 1999 ; angenommen durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 17. Juni 1999 (siehe Dok. CPL (6) 4, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Herrn Vallejo De Olejua im Namen des Herrn Manueco Alonso, Berichterstatter).