Empfehlung 79 (2000)1 betreffend die finanzmittel der gemeinden im verhältnis zu ihren kompetenzen: ein konkreter subsidiaritätstest

beruhend auf dem 4. allgemeinen Bericht
über die politische Kontrolle der Anwendung
der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung

[Anwendung der Artikel 3.1,4 (Abschnitte 1-5) & 9 der Charta]

Der Kongress,

Mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

1. Feststellend, dass die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung das einzige internationale Übereinkommen für den Schutz der Rechte der Gemeinden in Europa darstellt, und dass sie bis jetzt durch 34 Mitgliedtaaten des Europarats unterzeichnet und ratifiziert, durch drei weitere Mitgliedstaaten nur unterzeichnet und durch vier weitere Mitgliedstaaten noch nicht unterzeichnet worden ist2;

2. Erinnernd an die Vereinbarung des Ministerkomitees und an den erläuternden Bericht zu der Charta, wodurch ihm seit 1994 die Kontrolle über die Anwendung der Charta mithilfe einer ad hoc-Arbeitsgruppe, unterstützt durch eine Gruppe unabhängiger Experten, möglich ist;

3. Mithilfe dieser Strukturen die rechtlichen Fundamente und die Bedingungen für die Ausübung der kommunalen Selbstverwaltung geprüft habend in den die Charta nur unterzeichnet habenden Staaten, im übrigen daran erinnernd, dass diese Prüfung einen Mechanismus zur politischen Anregung, (nicht für juristischen Sanktionen) darstellt, der die grosse Vielfalt der Systeme und Ausübungsformen der Selbstverwaltung in den europäischen Staaten respektiert und sie nicht zu vereinheitlichen sucht. So kann der bestehende Mechanismus den Besonderheiten jedes Staats Rechnung tragen und die Normen der Charta in der Entwicklung angepasster Weise interpretieren;

4. Feststellend, dass diese Untersuchungen, vielleicht wegen ihrer sowohl politischen wie rechtlichen Züge, ein kraftvolles politisches Instrument darstellen, um die Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung der Grundprinzipien der Gemeindedemokratie zu bewegen;

5. Überzeugt, dass dieses Kontrollsystem über die Anwendung der Charta einen besonders geglückten Kompromiss der Überwachung eines internationalen, die interne Organisation der Staaten betreffenden Vertrages darstellt; die Anwendungskontrolle wird darin in gesamteuropäischem Umfang durch die kommunalen Volksvertreter geleistet, die letztendlich auch die Nutzniesser der in der Charta niedergelegten Bestimmungen sind;

6. Daran erinnernd, dass die erwähnte Arbeitsgruppe zwei unterschiedliche Verfahren anwendet:

7. Begrüsst die Ausdauer und die Ernsthaftigkeit der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe, dank welcher die Verfahren zur Absicherung der Befolgung der Charta innerhalb des Kongresses eine allmähliche Institutionalisierung erfahren. Es gilt im übrigen im Auge zu behalten, dass es sich bei den in diesen Verfahren zutage tretenden Schwierigkeiten nur um das Gegenstück des seit ihrer zu Beginn mehr pragmatisch ausgerichteten Arbeit im Laufe der Zeit vertieften und objektivierten Vorgehens der Arbeitsgruppe handelt;

8. Daran erinnernd, dass der Kongress aufgrund dieses Prozesses seit 1994 drei Empfehlungen und drei Entschliessungen3 betreffend die Befolgung einer grossen Anzahl von Bestimmungen aus der Charta angenommen hat. Diese auf drei fertiggestellte Berichte und einen vierten in Rohfassung vorliegenden Bericht gestützten Texte sind in den 5 Arbeitsjahren durch die Arbeitsgruppe und die unter ihrer Aegide arbeitende Expertengruppe ausgearbeitet worden;

9. Nach Prüfung des vierten Berichts betreffend "Die Finanzmittel der Gemeinden im Verhältnis zu ihren Kompetenzen: ein konkreter Subsidiaritätstest", welcher den Abschluss einer neuen Etappe der Anwendungskontrolle ex officio bedeutet;

10. Zur Kenntnis nehmend, dass dieser 4. Kontrollbericht sich auch stützt auf die Schlussfolgerungen einer durch die Arbeitgruppe vom 14. bis 16. Oktober 1999 in Ancona (Italien) durchgeführten internationalen Konferenz über "Die Charten des Europarats der kommunalen und der regionalen Selbstverwaltung: Subsidiarität in Aktion, Finanzen und Kompetenzen der Gemeinden und der Regionen";

11. Bekundet seine grosse Besorgnis angesichts der ungenügenden Anwendung von Artikel 9 der Charta betreffend die finanziellen Ressourcen der Gemeinden, und insbesondere

12. Fordert die Mitgliedstaaten und das Ministerkomitee auf, die in Anhang I zu dieser Empfehlung enthaltenen Punkte zu berücksichtigen, wenn sie Beschlüsse fassen, welche die Gemeinden und deren Finanzmittel im Verhältnis zu ihren Kompetenzen betreffen;

13. Fordert das Ministerkomitee auf, den Lenkungsausschuss für kommunale und regionale Demokratie (CDLR) zu beauftragen, in Zusammenarbeit mit dem KGRE eine internationale Konferenz über die oben erwähnte Frage zu organisieren, um einen offenen und konstruktiven Dialog zwischen den Vertretern der zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten des Europarats anzuregen.

14. Nach Annahme einer sehr günstigen Stellungnahme [12 (1999)] über den Entwurf der Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung, der im Rahmen der Aktivitäten der Kommission für menschliche Siedlungen der Vereinten Nationen (UNCHS) ausgearbeitet wurde, fordert, einerseits, die einundvierzig Mitgliedsstaaten des Europarates und, andererseits, das Ministerkomitee – in seiner Eigenschaft als Regionalvertreter jener Staaten auf Weltebene – auf, dieses Projekt zu stützen und den von der Annahme der obengenannten Charta betroffenen Behörden der Vereinten Nationen ihre Unterstützung zu gewähren.

ANHANG I

I. Die Kompetenzen der kommunalen Gebietskörperschaften:

a) Eine der ersten Bedingungen für die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips findet sich in Artikel 3, Abschnitt 1, der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, wonach die Gemeinden "die tatsächliche Fähigkeit [haben sollen,] im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohl ihrer Einwohner zu regeln und zu gestalten" (Begriff der kommunalen Selbstverwaltung).

b) Diese Fähigkeit besteht nur dann, wenn den Gemeinden das Recht zur Ausübung eigener Kompetenzen in den ihre Einwohnerschaft am stärksten betreffenden Bereichen zugestanden wird. Dieses Recht muss sich konkretisieren in der Zuerkennung einer minimalen Anzahl von Basiskompetenzen an die Gemeinden, die im Gesetz, oder, besser noch, in der Verfassung verankert sind. Es kann sich als günstig erweisen, mithilfe sektorieller Gesetzgebungen für jeden Bereich die zentralstaatlichen Aufgaben gegen diejenigen der Gebietskörperschaften auf allen Ebenen klar abzugrenzen.

c) Dieser normative Rahmen sollte ergänzt werden durch eine vom Gesetz oder besser noch, von der Verfassung anerkannte Generalklausel betreffend die Zuständigkeiten, welche den Gemeinden in allen jenen Bereichen das Recht zu handeln gibt, die nicht von ihrer Zuständigkeit ausgenommen oder einer anderen Behörde anvertraut sind;

d) Die Gesetze betreffend die allgemeinen Bedingungen für das Bestehen und Funktionieren von Gemeinden sollten auch Bestimmungen hinsichtlich der Grundsätze enthalten, welche die Gemeindeaufgaben regeln. Das würde die Bürger unmittelbar dazu veranlassen, die Selbstverwaltung der Gemeinde nicht nur als eine administrative Angelegenheit, sondern als etwas zu sehen, was sehr fühlbare Auswirkungen gerade auf die wichtigen Aspekte ihres Alltags hat. Solche Gesetze sollten die für die Gemeinden ins Auge gefassten Aufgabenbereiche auflisten, während andere, spezifischere Gesetze über deren genauen Inhalt und die Anwendung informieren.

e) Es muss vermieden werden, den Gemeinden zu viele Aufgaben ohne entsprechende finanzielle Kompensationen aufzubürden. Die zentralstaatlichen Behörden dürfen nicht Aufgabenbereiche nur zum Zwecke ihrer eigenen Entlastung von den damit verbundenen finanziellen Bürden übertragen. Es ist daher ein ständiges Bemühen um ein gutes Gleichgewicht vonnöten, das sicherstellt, dass kommunale Selbstverwaltung echte Wahlfreiheit und die Fähigkeit bedeutet, die kommunalen Dienste nach den Bedürfnissen der Bürger zu gestalten. Ebenso könnte die Dezentralisierung und Übertragung zuvieler Aufgaben dazu führen, dass die Gemeindeabgeordneten schliesslich nur die zentralstaatlichen Politiken umsetzen. Ausserdem stellt sich mit wachsendem Umfang der Aufgaben auch die Frage der gleichmässigen Verteilung der Dienste über das gesamte Land; ein angemessenes Eingreifen des Zentralstaats wird damit immer notwendiger, um die Handlungsspielräume der Gemeinden einander anzugleichen und einen Finanzausgleich herzustellen.

II Die finanziellen Ressourcen der kommunalen Gebietskörperschaften:

a) Um ihre Kompetenzen im Rahmen der nationalen Wirtschaftspolitik ausüben zu können, müssen die Gemeinden über hinreichende finanzielle Eigenmittel verfügen, die sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen frei einsetzen können und die diesen Kompetenzen angemessen sind.

Der 4. Bericht über die politische Kontrolle der Anwendung der Charta durch den Kongress hat diesbezüglich die folgenden Mängel zutage gefördert:

i. einen begrenzten Anteil an Eigenmitteln aus echtem kommunalem Steueraufkommen, dessen Hebesatz die Gemeinden selber festlegen können: nur in 8 Mitgliedstaaten des Europarats machen die Eigenmittel 50% oder mehr ihrer gesamten Finanzmittel aus;

ii. die Tendenz zu abnehmenden reinen oder gemeinsamen Gemeindesteuern und die Praxis der zentralstaatlichen oder regionalen Behörden, diese durch Subventionen oder geteilte Steuern zu ersetzen, welch letztere zwar keine echten Subventionen sind, aber von den Empfängergemeinden dennoch nicht autonom beschlossen werden können;

iii. das im Verhältnis zu den Eigenmitteln heute bestehende zu grosse Gewicht der Subventionen ist in manchen Ländern noch verschlimmert durch das Überwiegen der gebundenen über die pauschalen Subventionen;

iv. der relative Mangel an Produktivität der Steuern, deren Erhebung den Gemeinden gestattet ist (immer noch vorwiegend Grund- und Vermögenssteuern, während die Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten im Namen des freien Wettbewerbs weiterhin reduziert werden);

v. ein gewisses Durcheinander zwischen der Finanzierung der Gemeindehaushalte, der Kompensation der übertragenen Zuständigkeiten und der Durchführung des Finanzausgleichs;

vi. in manchen Ländern das Fehlen festgelegter Kriterien für die Methoden und Ziele des Finanzausgleichs und die diesbezügliche Willkür mancher zentralstaatlicher oder regionaler Behörden;

vii. die Instabilität und Ungewissheit der kommunalen Finanzierungsquellen, die verhältnismässig geringe Inanspruchnahme von Anleihen durch die Gemeinden und die Gelegenheit, die solche Anleihen den Zentralbehörden geben, alte Formen der Aufsicht weiter auszuüben;

viii. die durch die zentralen oder regionalen Behörden über die kommunalen Haushalte ausgeübten Kontrollen, unter denen sich zuweilen a priori-Kontrollen der Opportunität der kommunalen Beschlüsse verbergen, was im Widerspruch zur Charta steht;

ix. die Auswirkungen der nationalen Finanzschwierigkeiten auf die kommunale Selbstverwaltung, insbesondere in den durch den Vertrag von Maastricht gebundenen Ländern. In den EU-Staaten und in den unmittelbaren Beitrittskandidaten zur EU bewirkt die Sorge um eine strikte Haushaltspolitik häufig allgemein verschärfte finanzielle Zwänge, von denen die Gemeinden nicht verschont bleiben, wenn damit nicht gar für sie ein Verlust an Unabhängigkeit oder ein Infragestellen der Dezentralisation (als die öffentlichen Defizite erhöhend) gerechtfertigt wird; dieses Problem besteht wegen der Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds zu einer stärkeren Zentralisierung der öffentlichen Mittel auch in gewissen zentral- und osteuropäischen Ländern.

x. die Unzulänglichkeiten der Verfahren für die gemeinsame (Staat undGemeinden) Finanzierung öffentlicher Investitionen.

b) Angesichts dieser - durch den Kongress bereits in seiner Entschliessung 71 (1998) aufgezählten - Punkte erscheint es als wichtig, eine Reihe von Begriffen zu präzisieren.

i. Der Begriff "Eigenmittel" bezieht sich auf Mittel, die aus unabhängigen Beschlüssen der Gemeinden resultieren, über welche sie frei verfügen und, im Fall von Besteuerung, deren Hebesätze sie nach ihren Bedürfnissen und entsprechend dem Ausmass, das von den Steuersubjekten akzeptiert wird, verändern können.

ii. Die Gemeinden müssen einen erheblichen Anteil ihrer Mittel aus ihrem eigenen Steueraufkommen und aus Abgaben herleiten, deren Höhe sie frei festlegen können müssen.

iii. Exklusivsteuern kommen den idealen Steuern am nächsten. Es sind dies Steuern, die von Rechts wegen der Kategorie von Gebietskörperschaft zugesprochen sind, zu welcher die betreffende Gebietskörperschaft gehört, sodass diese allein die betreffenden Steuern erheben kann.
Exklusivsteuern sind das deutlichste Zeichen für die Selbstverwaltung einer Gemeinde;

iv. Geteilte Steuern werden vollständig durch andere Behörden erhoben und dürfen nicht zu der Kategorie "eigenes Steueraufkommen" gezählt werden. Diese Mittel liegen den Subventionen näher als den Steuern.
Die Gebietskörperschaften können nämlich weder auf die Bemessungsgrundlage noch auf den Hebesatz von geteilten Steuern Einfluss nehmen. Doch sind sie stabiler als Subventionen (sofern die Verteilungskriterien gesetzlich oder verfassungsmässig festgelegt sind), und ihre Beiehung zu der von der betreffenden Gemeinde praktizierten Politik kann äusserst gering sein;

v. Steuern, deren Bemessungsgrundlage auch für andere Körperschaften gelten, deren Hebesatz aber von den Gemeinden verändert werden kann, gehören in die Kategorie der "gemeinsamen Steuern". Zwar handelt es sich nicht um Exklusivsteuern, doch können sie, anders als die geteilten Steuern, doch als der betreffenden Gemeinde unmittelbar zur Verfügung stehend gelten;

vi. Die Gemeinden müssen das Recht haben, die Höhe der von ihnen erhobenen Steuern zu verändern. Man kann somit nicht von echter Selbstverwaltung sprechen, wenn die Gemeinden nicht die Möglichkeit haben, ihren Hebesatz im gesetzlichen Rahmen und, gegebenenfalls, innerhalb einer zuvor festgelegten Spanne selber festzulegen. Es ist wichtig, dass die Abgeordneten über dieses Recht verfügen, damit sie ihren Aufgaben gegenüber ihren Mitbürgern nachkommen können. Wo es fehlt, gerät das Konzept der kommunalen Selbstverwaltung als wichtigstes Forum der Demokratie in Gefahr.

vii. Das Recht, die Höhe der erhobenen Steuern zu verändern ist es, was die Eigenmittel von den Subventionen unterscheidet, welche von einer anderen Behörde als der Gemeinde immer wieder neu festgelegt werden. Subventionen dürfen die kommunale Autonomie nicht beeinträchtigen. Deshalb sollten nach Möglichkeit Pauschalsubventionen, die nicht besonderen Zwecken zugewiesen sind, bevorzugt werden.

viii. Ebenso soll auch der dem Finanzausgleich dienende Anteil der Subventionen die Autonomie nicht behindern. Der Finanzausgleich darf die reicheren Gemeinden nicht von der Erwirtschaftung zusätzlicher Steuern abhalten mit der Begründung, dass dies ja doch nur der Umverteilung diene. Ebenso darf er die ärmeren Gemeinden nicht davon abhalten, ihre Steuerkraft voll auszuschöpfen;

III Die notwendige Entsprechung zwischen Aufgaben und finanziellen Mitteln

a) Der 4. Bericht über die politische Kontrolle der Charta hat gezeigt, dass die meisten europäischen Gemeinden gemessen an den von ihnen ausgeübten Kompetenzen nicht über hinreichende Finanzmittel verfügen.

b) Die finanziellen Schwierigkeiten vieler dieser Gemeinden erklären sich aufgrund einer Reihe von Mechanismen, die schliesslich zur kompensationslosen Übertragung von Aufgaben führen4.
In anderen Fällen werden die Gemeinden durch den Zentralstaat gedrängt, sich ausserhalb jeder allgemeinen legislativen Regelung an einer Ausgabe zu beteiligen5.

So sehen zahlreiche Gemeinden ihren Handlungsspielraum auf die Ausführung der nationalen Politik begrenzt, ohne sich um ihre eigenen Aufgaben kümmern zu können6.

Diese Probleme werden dadurch verschärft, dass der Grundsatz, wonach die Mittel den Aufgaben zu entsprechen haben, in der Gesetzgebung dieser Mitgliedstaaten nicht eindeutig festgehalten ist. Die Anwendung dieses Grundsatzes bleibt somit dem Wohlwollen der Gesetzgeber im jeweiligen Kontext der jährlichen Finanzgesetze überlassen.

c) Vor der Formulierung von Vorschlägen betreffend die notwendige Wahrung des Gleichgewichts zwischen Aufgaben und Mitteln seien noch einmal die Gründe genannt, weshalb eine bürgernahe Verwaltung budgetmässig einer zentralisierten Verwaltung grundsätzlich vorzuziehen ist: je "massgeschneiderter" die Beschlüsse, desto besser die Ausgabenkontrolle. Dies trifft umso mehr zu, als ein Grossteil der eingesetzten Mittel von den Beschlüssen der gewählten Gemeindeabgeodneten selbst abhängt. Daher besteht gesamthaft ein Interesse an der vermehrten Dezentralisierung der Eigenmittel.

d) Bezüglich der Lösung dieses Problems - auch erschöpfende Aufstellungen der zu leistenden Aufgaben und ihrer möglichen Finanzierung können eine solche darstellen - scheint es von Vorteil, wenn die von den Regierungen gewählten Systeme für jede Veränderung der Aufgabenverteilung grösste Transparenz vorsehen, sodass die Gemeinden und deren Vertreter den vollen Überblick über die veränderte Situation behalten und für entsprechende Subventionierungen sorgen können.

e) Diese Systeme sollten auf einem Rechtsgrundsatz fussen, der im Gesetz oder in der Verfassung festgelegt ist. Dieser Grundsatz, den man "Konnexitätsprinzip" nennen kann, müsste besagen, dass im Sinne der Aufrechterhaltung des genannten Gleichgewichts jede ins Auge gefasste Übertragung neuer Kompetenzen von einem klaren Finanzierungsmodus - sei dies eine neue Steuerressource, eine neue Subvention, die Zuweisung von neuem Personal oder die Abtretung materieller Strukturen - begleitet sein muss.

f) Der Gesetzgeber sollte im übrigen eine deutlichere und systematischere Bekanntgabe der übertragenen Kompetenzen auf allen Ebenen vornehmen, und es sollte eine echte Kultur der Kontrolle der Aequivalenz von übertragenen Kompetenzen und Mitteln gepflegt werden;

g) In der Praxis hängen die Vorschläge für die Lösung dieses Problems stark von der Wachsamkeit der Gemeinden selbst und ihrer Verbände und von der Möglichkeit ihrer Beteiligung an den sie betreffenden Beschlüssen ab. Sicherlich wäre die Schaffung von gemischten Ausschüssen Staat/Gemeinden für die Evaluation des jeweiligen Gleichgewichts zwischen Aufgaben und Mitteln wünschenswert7. Wenn die Dezentralisation neuer Steuern nicht möglich ist, sollten die Gemeinden mit der zentralstaatlichen Verwaltung finanzielle Stabilitätsabkommen schliessen, die den kommunalen Mitteln eine gewisse Stabilität verleihen. Auch könnten die Regierungen dazu angeregt werden, über ein optimales Verteilungsmass der Kompetenzen zwischen Staat und Gemeinden nachzudenken.

h) In technischer Hinsicht ruft die Sorge um ein Gleichgewicht zwischen Kompetenzen und Mitteln nach der Schaffung von Ausgleichssystemen auf Initiative der Staaten, damit jede Gebietskörperschaft, ungeachtet ihres Umfangs oder Reichtums, in der Lage ist, die ihrer Kategorie von Gemeinwesen zufallenden Aufgaben zu erfüllen.

i) Das Subsidiaritätsprinzip steht jedoch keineswegs im Widerspruch dazu, dass die Gemeinden im Dienste derErhaltung ihrer Anpassungsfähigkeit aufgerufen sein müssten, hinsichtlich des Umfangs der Kompetenzen, die zu übernehmen sie willens sind, eine Auswahl zu treffen (beispielsweise in Funktion ihrer Einwohnerzahl).

j) Was schliesslich die Einschätzung der benötigten Mittel betrifft, so besteht die beste Lösung darin, der Gemeinde Mittel in Höhe derjenigen zukommen zu lassen, die der Zentralstaat für die Ausübung der betreffenden Kompetenz einsetzte. Die Erfahrung zeigt allerdings deutlich, dass die im allgemeinen bürgernäheren Gemeinden, sofern sie mit angemessenen technischen Mitteln und Humankapital ausgestattet sind, die ihnen anvertrauten Bereiche in einer den Bedürfnissen der Bevölkerung besser entsprechenden Weise bewirtschaften können als dies den zentralstaatlichen Behörden möglich ist. Daher ist es wichtig, dass die übertragenen Mittel entwicklungsfähig sind (wie dies bei Steuern der Fall ist) oder Neueinschätzungen unterliegen können.

k) Die Charta lässt die Wahl möglicher Mechanismen für die Einbeziehung in die Beschlussfassung offen, wobei allerdings die Ausformungen dieser Einbeziehung ohnehin ein Kernstück der institutionellen Organisation jedes Staates darstellen.

ANHANG II

EUROPÄISCHE CHARTA DER KOMMUNALEN SELBSTVERWALTUNG
STE Nr.: 122

Zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten aufgelegter Vertrag
Situation am 18.04.00
ZUR UNTERZEICHNUNG AUFGELEGT:

Ort: Strassburg
Datum: 15.10.85
INKRAFTTRETEN:

Bedingungen: 4 Ratifikationen.
Datum: 01.09.88

Mitgliedstaaten des Europarats:

Staaten

Datum
Unterzeichnung

Datum
Ratifikation

Datum
Inkrafttreten

Anmerkg.

R.

D.

A.

T.

C.

O.

Albanien

27/05/98

04/04/00

01/08/00

             

Andorra

                   

Österreich

15/10/85

23/09/87

01/09/88

   

X

       

Belgien

15/10/85

                 

Bulgarien

03/10/94

10/05/95

01/09/95

   

X

       

Kroatien

11/10/97

11/10/97

01/02/98

   

X

       

Zypern

08/10/86

16/05/88

01/09/88

   

X

       

Tschechische Republik

28/05/98

07/05/99

01/09/99

   

X

       

Dänemark

15/10/85

03/02/88

01/09/88

   

X

 

X

   

Estland

04/11/93

16/12/94

01/04/95

   

X

       

Finnland

14/06/90

03/06/91

01/10/91

             

Frankreich

15/10/85

                 

Georgien

                   

Deutschland

15/10/85

17/05/88

01/09/88

   

X

 

X

   

Griechenland

15/10/85

06/09/89

01/01/90

   

X

       

Ungarn

06/04/92

21/03/94

01/07/94

   

X

       

Island

20/11/85

25/03/91

01/07/91

             

Irland

07/10/97

                 

Italien

15/10/85

11/05/90

01/09/90

   

X

       

Lettland

05/12/96

05/12/96

01/04/97

   

X

       

Liechtenstein

15/10/85

11/05/88

01/09/88

   

X

       

Litauen

27/11/96

22/06/99

01/10/99

             

Luxemburg

15/10/85

15/05/87

01/09/88

             

Malta

13/07/93

06/09/93

01/01/94

   

X

       

Moldau

02/05/96

02/10/97

01/02/98

             

Niederlande

07/01/88

20/03/91

01/07/91

   

X

 

X

   

Norwegen

26/05/89

26/05/89

01/09/89

             

Polen

19/02/93

22/11/93

01/03/94

             

Portugal

15/10/85

18/12/90

01/04/91

             

Rumänien

04/10/94

28/01/98

01/05/98

   

X

       

Russland

28/02/96

05/05/98

01/09/98

             

San Marino

                   

Slowakei

23/02/99

01/02/00

01/06/00

   

X

       

Slowenien

11/10/94

15/11/96

01/03/97

   

X

       

Spanien

15/10/85

08/11/88

01/03/89

   

X

 

X

   

Schweden

04/10/88

29/08/89

01/12/89

   

X

       

Schweiz

                   

Ehemals jugoslawische Republik Mazedonien

14/06/96

06/06/97

01/10/97

             

Türkei

21/11/88

09/12/92

01/04/93

   

X

       

Ukraine

06/11/96

11/09/97

01/01/98

             

Vereinigtes Königreich

03/06/97

24/04/98

01/08/98

   

X

       

Nichtmitgliedstaaten des Europarats:

Etats

Datum
Unterzeichnung

Datum
Ratifikation

Datum Inkrafttreten

Anmerkg

R.

D.

A.

T.

C.

O.

Internationale Organisationen:

Organisationen

Datum
Unterzeichnung

Datum
Ratifikation

Datum Inkrafttreten

Anmerkg

R.

D.

A.

T.

C.

O.

Anmerkungen:
(a) Beitritt - (s) Unterzeichnung bedarf der Ratifikation - (su) Rechtsnachfolge - (r) Unterzeichnung "ad referendum". - R.: Vorbehaltsklausel - D.: Deklarationen- A.: Behörden - T.: räumlicher Geltungsbereich -C.: Mitteilung - O.: Einrede.

1 Diskussion und Zustimmung durch die Kammer der Gemeinden am 23. Mai 2000 und Annahme durch den Ständigen Ausschuss am 25. Mai 2000 (siehe Dok. CPL (7) 3, Empfehlungsentwurf vorgelegt von Herrn J.-C. Frécon, Berichterstatter)

2 Die Liste der Unterzeichnungen und Ratifikationen figuriert im Anhang II zu dieser Empfehlung.

3 Es handelt sich um die Empfehlungen 2(1994), 20 (1996) und 39 (1998) sowie die Entschliessungen 3 (1994), 34 (1996) und 71 (1998).

4 Beispielsweise übertragen gewisse Staaten ihren Gemeinden besonders kostspielige obligatorische Aufgabenbereiche wie Altenpflege, Jugendhilfe, Kinderkrippen. Von ihrem Inhalt her ist die Übertragung dieser Bereiche logisch; wegen der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Abhängigkeits- und Pflegefälle bedeutet sie aber eine nicht unerhebliche finanzielle Bedrohung.

5 Dies gilt für die vertraglichen Verfahren zur Finanzierung einer besonderen Einrichtung oder öffentlichen Tätigkeit auf irgendeinem Gebiet. Dies kann bis zur regelrechten Erpressung von Gemeinden gehen.

6 Siehe hierzu beispielsweise den Bericht über die Lage der kommunalen Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland, Rec.64 (1999)

7 Diese Massnahme wurde bereits in der Empfehlung des Kongresses Nr. 64 (1999) betreffend die Situation der kommunalen Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen.