Entschliessung 25 (1995)1 über die botschaften lokaler demokratie

Der Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE),

1. ist empört über die Ereignisse der letzten vier Jahre nach der Auflösung des ehemaligen Jugoslawien, die in die Geschichte eingehen werden;

2. erinnert an die Initiative der Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen, die in ihrer Entschliessung 251 (1993) das Programm der Botschaften lokaler Demokratie (BLD) eingeführt hat;

3. erinnert an die starke Mobilisierung, die der Appell für Frieden und Solidarität von November 1993 bei den Gemeinden und Regionen Europas ausgelöst hat;

4. hebt hervor, daß die Effizienz lokaler und regionaler Demokratie von Rechts wegen zur Verwirklichung des Konzepts der «demokratischen Sicherheit», das beim «Wiener Gipfel» des Europarates entwickelt wurde, beiträgt;

5. ist sich der derzeitigen Probleme für die Entwicklung lokaler Demokratie, die den normalen Arbeitsablauf der kommunalen und regionalen Strukturen in manchen Ländern erschweren, bewußt;

6. unterstützt die Entschliessung 1066 (1995) der Parlamentarischen Versammlung hinsichtlich der Situation in manchen Gebieten des ehemaligen Jugoslawien;

7. begrüßt die Friedensbemühungen;

8. begrüßt die Aktionen, die die Gemeinden und Regionen Europas, insbesondere die Partner der BLD von Maribor (Slowenien), Osijek (Kroatien), Subotica (Serbien-Montenegro) und Tuzla (Bosnien-Herzegowina) in den letzten drei Jahren unternommen haben;

9. unterstützt den Appell von Tuzla vom 2. Oktober 1995 anläßlich der Einweihung der Botschaft lokaler Demokratie (siehe Abschlußerklärung im Anhang);

10. beachtet den Bericht der Botschaften lokaler Demokratie, der von Magdalena TOVORNIK, Mitglied des KGRE und Vorsitzende des Koordinierungskomitees der Botschaften lokaler Demokratie, vorgelegt wurde;

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11. weist auf die Notwendigkeit hin, den derzeitigen Prozeß durch wirtschaftliche und moralische Hilfe für die kriegsgeschädigten Gemeinden zu unterstützen;

12. bringt seinen Wunsch zum Ausdruck, am Friedensprozeß teilzunehmen und einen Beitrag zum geplanten Wiederaufbau der besonders kriegsgeschädigten Länder und Gebietskörperschaften zu leisten, indem er seine Erfahrung und die Kooperation der Gebietskörperschaften innerhalb des KGRE in ihren Dienst stellt;

13. betont, daß der Wiederaufbau sich nicht auf die materiellen Infrastrukturen beschränkt, sondern auch die Entwicklung von Lebensbedingungen einschließt, die es den Bürgern erlauben, in freier und demokratischer Weise am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben mitzuwirken. Er betont weiter, daß den Gemeinden und Regionen hierbei eine wichtige Rolle zukommt.

Fordert die Städte und Regionen Europas hiermit auf,

14. sich dem Programm der Botschaften lokaler Demokratie anzuschließen

─ durch die Partnerschaft mit einer Stadt, in der sich eine BLD befindet

─ oder durch eine finanzielle Unterstützung mittels des zu diesem Zweck eröffneten Sonderkontos

─ und einen politischen Verantwortlichen zur Betreuung dieser Projekte zu ernennen;

15. sich aktiv am Wiederaufbauprozeß zu beteiligen bzw. ihre diesbezüglichen Bemühungen fortzusetzen;

16. ihren Beitrag zum «räumlichen Wiederaufbau» durch die Teilnahme an internationalen Kooperationsprogrammen zur Unterstützung und Ausbildung von Gemeindepersonal zu leisten;

17. die Schirmherrschaft für den Wiederaufbau von Städten in diesem Teil Europas zu übernehmen. In dieser Hinsicht würde die Hilfe der Gebietskörperschaften Europas für das gesamte Unternehmen des «territoriales Wiederbaufbaus» benötigt, insbesondere für die Wiederherstellung städtischer Gebäude wie Rathäuser, Schulen und Schulmaterial sowie bestimmter Infrastrukturen wie öffentliche Verkehrsmittel. Aufgrund des Ausmaßes der Zerstörungen sollte Bosnien-Herzegowina vorrangig in den Genuß dieser Maßnahmen kommen;

18. die von den NGO eingeleiteten Hilfs- und Beistandsprogramme zu unterstützen;

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19. bekräftigt seine Unterstützung der Mission zur Koordinierung lokaler und regionaler Initiativen für Solidarität und Zusammenarbeit, die von den bestehenden BLD durchgeführt werden und hebt hervor, welche Funktion sie im Rahmen eines Wiederaufbauplanes erfüllen und erfüllen könnten;

20. betont, wie notwendig es ist, in nächster Zeit durch einen erneuten Appell und andere medienwirksame Aktionen Initiativen zur Sensibilisierung der Gemeinden und Regionen durchzuführen;

21. schlägt daher vor, während seiner nächsten Tagung ein Rundtischgespräch zu folgenden Themen zu organisieren: Beitrag der Gemeinden und Regionen zum Friedensprozeß, zum Wiederaufbau und zur Rolle der internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf die Wiederherstellung einer effizienten lokalen und regionalen Demokratie;

22. fordert das Koordinierungskomitee auf, seine Arbeit fortzusetzen und zu vertiefen, indem es die Arbeit der bestehenden BLD stärkt und die Projekte der BLD schnellstmöglich konkretisiert, insbesondere die für Sarajewo, Brtonigla-Verteneglio, Ohrid/Struga/Pogradec, Mostar und Sisak und sich dabei auf die vorgeschlagenen Partnerschaften stützt;

23. beschließt, das Koordinierungskomitees unter der Bezeichnung «Koordinierungskomitee der Botschaften lokaler Demokratie», wie vom Vorstand des Kongresses am 3. Juli 1995 gebilligt, für die nächsten zwei Jahre in seinem Amt zu bestätigen und ihm die Möglichkeit zu geben, BLD außerhalb der Grenzen des ehemaligen Jugoslawien in geeigneten Städten und Regionen zu gründen, wo eine Aktion zur Stärkung der demokratischen Sicherheit in Betracht gezogen werden könnte.

ANHANG

Tuzla, den 2. Oktober 1995

Konferenz

Auf der Suche nach einer friedlichen Lösung
des Krieges in Bosnien-Herzegowina:
die Rolle der Gebietskörperschaften,
die Aufgabe der Botschaften lokaler Demokratie

ABSCHLUSSERKLÄRUNG

Wir, die Teilnehmer der Konferenz «Auf der Suche nach einer friedlichen Lösung des Krieges in Bosnien-Herzegowina: die Rolle der Gebietskörperschaften, die Aufgabe der Botschaften lokaler Demokratie», sind hier versammelt zur Eröffnung der Botschaft lokaler Demokratie von Tuzla und wollen an einer friedlichen Lösung des Konflikts in Bosnien-Herzegowina arbeiten. Wir können bestätigen, daß ein dauerhafter Frieden nur dann möglich ist, wenn sich die verschiedenen Gemeinschaften der Region einig sind, zusammenleben zu wollen, ob in einem oder in mehreren Staaten bzw. einer anderen geopolitischen Struktur. Dennoch müssen die Entscheidungen über die institutionelle Zukunft von Bosnien-Herzegowina dem bosnischen Volk überlassen bleiben.

Absolute Bedingung für das Zusammenleben ist der Fortschritt im Hinblick auf die Entstehung einer demokratisch geprägten politischen Kultur, multiethnische Toleranz und Öffnung nach außen. Eine Strategie für den Frieden muß auf «Normalität» und Vertrauen ausgerichtet sein und die Entwicklung eines demokratischen Prozesses in diesem Teil Europas unterstützen. Daher ist es notwendig, die Achtung der Menschenrechte ebenso zu fördern wie die Rechte der Minderheiten und die Gesetzes- und Sozialstruktur zu stärken, um die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen zu ermöglichen. Zudem müssen die Kriegsverbrecher einzeln verurteilt werden und dürfen nicht in die Friedensverhandlungen miteinbezogen werden. Der Erfolg dieses Prozesses erfordert die Integration eines multikulturellen Bosnien-Herzegowina in die europäischen Strukturen wie den Europarat. Neben der Achtung und Förderung der demokratischen Prinzipien müssen soziale und wirtschaftliche Verbesserungen den Friedensprozeß begleiten.

Der Friedensprozeß muß auch auf lokaler Ebene durchgeführt werden, da die lokale Demokratie ein Instrument ist, das die Wiederherstellung der sozialen Beziehungen garantiert. Um diese Bedingungen zur Entwicklung lokaler Demokratie zu schaffen, fördern wir die Idee der offenen Städte und der Gemeindezusammenschlüsse in Bosnien-Herzegowina als Grundlage für die Vereinigung der Verschiedenartigkeit. Daher unterstützen wir mit Nachdruck die Idee eines vereinigten Mostar, Sarajewo und die Einheit anderer bosnischer Städte.

Die Botschaften lokaler Demokratie haben zum Ziel, durch den Austausch von Ideen, Informationen und Menschen dynamische Beziehungen zu schaffen und alle Formen der Zusammenarbeit zwischen den Stadtverwaltungen, den NGO, den Vereinen und Bürgerinitiativen zu fördern und zu unterstützen. Dadurch können die lokalen Initiativen gestützt und gestärkt werden, einschließlich der Menschenrechte, der mikroökonomischen Initiativen, der Aktivitäten der NGO, der aktiven Teilnahme der Bürger und Bürgervereinigungen am materiellen, gesellschaftlichen, kulturellen und psychologischen Wiederaufbau, denen so ein Raum für Dialog und Auseinandersetzung geboten wird.

Die Eröffnung der Botschaft lokaler Demokratie in Tuzla kann in diesem Zusammenhang ein konkretes Instrument sein. Sie ist das Ergebnis des Arbeitsseminars zum Thema «die lokale Demokratie in Bosnien-Herzegowina und Europa», das hier im November 1994 stattfand. Diese Botschaft ist auf Anregung einer Gruppe europäischer Städte und NGO entstanden, und wird von der Stadtverwaltung von Bologna koordiniert; sie wird unterstützt vom Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas des Europarats.

Im Rahmen der Initiativen zur Unterstützung des Friedensprozesses fordern wir, daß die vorrangige Aufgabe der Zusammenarbeit, die von den Städten als ein grundlegender Aspekt für den Erfolg dieses Friedensprozesses betrachtet wird, Anerkennung findet. Wir verpflichten uns, bei der Europäischen Kommission, beim Europarat und anderen internationalen Organisationen in diesem Sinne zu intervenieren. Hierfür müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Daher haben die europäischen Vereinigungen der Gemeinden (Eurocities und RGRE) beschlossen, mit Unterstützung der europäischen Kommission eine gemeinsame Initiative zur Erarbeitung eines Wiederaufbauplans für die bosnischen Städte zu entwickeln.

1 Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 21. November 1995 (siehe CG (2) 20, Teil I Res., Entschliessungsentwurf vorgelegt von der Berichterstatterin, Frau M. Tovornik).