Empfehlung 76 (2000)1 betreffend die beteiligung der ausländischen einwohner am kommunalen öffentlichen leben

Der Kongress,

1. Erinnert:

- an die zahlreichen Stellungnahmen des KGRE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in den letzten 25 Jahren und insbesondere an:

. die Entschliessungen 85 (1976) und 93 (1977) der KGRE betreffend "Massnahmen für die Unterkunft, Schulung der Kinder, bürgerlichen und politischen Rechte der Wanderarbeitnehmer" und "die Erweiterung der bürgerlichen und politischen Rechte von Einwanderern";

. die Empfehlung 799 (1977) der Parlamentarischen Versammlung betreffend "Rechte und politischen Status der Ausländer";

. die Entschliessung 236 (1992) der KGRE betreffend "eine neue Politik der multikulturellen Integration in Europa und die Erklärung von Frankfurt";

. die Europäische Städtecharta des KGRE;

- an das Übereinkommen des Europarats über die Beteiligung der Ausländer am öffentlichen kommunalen Leben, das seit Februar 1992 zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten aufliegt;

- an die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats und deren Zusatzprotokolle;

2. Dankt der Stadt Strassburg und ihrem Conseil Consultatif des Etrangers ("Konsultativrat der Ausländer" (CCE)) für die zusammen mit dem KGRE am 5. und 6. November 1999 in Strassburg organisierte Konferenz "Welche Beteiligung am öffentlichen Leben des Orts für die ausländischen Einwohner?";

3. Berücksichtigt den zum Abschluss der Konferenz durch annähernd 400 Teilnehmer aus 24 Staaten und 120 europäischen Städten angenommenen Aufruf von Strassburg;

4. Ist der Überzeugung, dass die Respektierung des Rechts von Ausländern auf politische Beteiligung in ihrer Wohngemeinde unmittelbar aus den Grundsätzen der Menschenrechte und der Demokratie folgt, welche Anliegen des Europarats sind;

5. Ist überzeugt, dass der Zugang zu diesem Recht ein wesentlicher Baustein zum sozialen Zusammenhalt der Städte sowie zu dauerhafter Toleranz und Frieden in unseren Gesellschaften ist;

6. Erachtet die Aufrechterhaltung einer Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen aus der Europäischen Union und solchen aus nicht zur EU gehörenden Staaten als diskriminierend;

7. Ist der tiefen Überzeugung, dass die Charta der Grundrechte der Bürger der Europäischen Union nicht in Widerspruch stehen darf mit diesen fundamentalen Prinzipien;

8. Stellt fest, dass in den europäischen Ländern, einschliesslich mancher Länder Zentral- und Osteuropas, zahlreiche Ausländer Wohnsitz haben, was sich teils aus neuen Grenzziehungen im Lauf der Geschichte, teils aus wirtschaftlich oder politisch begründeten Wanderungsbewegungen und teils aus den Konflikten erklärt, die manchenorts in- und ausserhalb Europas geherrscht haben;

9. Ist überzeugt, dass die Wanderungsbewegungen, auch wenn sie reglementiert werden, anhalten werden und die Zukunft geprägt sein wird von multikulturellen, offenen Städten;

10. Ist überzeugt, dass die Grundprinzipien von Demokratie und Menschenrechten notwendig erfordern, dass die in den Territorien der europäischen Staaten legal und dauerhaft untergebrachten ausländischen Bewohner nicht vom örtlichen politischen Leben ausgeschlossen werden;

Fordert die Mitgliedstaaten auf:

11. Sofern sie dies noch nicht getan haben, das Übereinkommen über die Beteiligung der Ausländer am öffentlichen kommunalen Leben so bald wie möglich zu unterzeichnen und zu ratifizieren, die darin vorgeschlagenen Massnahmen anzuwenden und allen dauerhaft bei ihnen sich aufhaltenden ausländischen Mitbewohnern nach Aufenthaltskriterien, die mit dem Geist des Übereinkommens sowie mit den demokratischen und menschenrechtlichen Grundsätzen im Einklang stehen, ohne Unterschied hinsichtlich Rasse, Ethnie, Religion und Herkunft in zunehmendem Masse politische Rechte zu gewähren;

12. Die ausländischen Einwohnervereine zu unterstützen, die auf demokratische Weise wesentlich beitragen zu ihrer eigenen Integration sowie zur Bekämpfung von Intoleranz, Rassismus und Diskriminierung und die dadurch der sozialen Kohäsion und dem harmonischen Miteinander der verschiedenen Kulturgemeinschaften in ihrer Stadt zuarbeiten;

13. Den Gemeinden und Regionen die Schaffung ihre ausländischen Bewohner vertretender Konsultativorgane zu erleichtern und sich dabei von den in vielen europäischen Städten und Regionen bereits bestehenden derartigen Einrichtungen anregen zu lassen;

14. So bald wie möglich, ermutigt durch die positiven Erfahrungen der dies bereits praktizierenden Länder, die Möglichkeit zu prüfen, diesen ausländischen Bewohnern das Stimmrecht in kommunalen und regionalen Belangen zu geben;

Fordert das Ministerkomitee auf:

15. Die vorliegende Empfehlung den zuständigen Generaldirektionen des Europarats, insbesondere der DG I (Juristische Angelegenheiten), der DG II (Menschenrechte) und der DG III (Soziale Kohäsion), zu übermitteln mit der Bitte, sie, wie auch die Schlussfolgerungen und den Aufruf von Strassburg, bei der Vorbereitung ihrer zukünftigen Arbeitsprogramme zu berücksichtigen und dadurch den Erfahrungsaustausch, die Aufklärung und die Übernahme erfolgreicher Praxis zu fördern zugunsten der Beteiligung der Einwohner, ungeachtet ihrer Herkunftsländer, als gemeindedemokratisch voll aktiver Bürger ;

16. Diese Empfehlung auch bei der Ausarbeitung des Europaratsbeitrages zu dem durch die Vereinten Nationen erklärten Jahr gegen den Rassismus (2001) zu beachten;

Fordert die Parlamentarische Versammlung auf:

17. Bei ihren Mitgliedern und denjenigen der nationalen Parlamente die Anliegen des Kongresses und der Konferenzteilnehmer von Strassburg sowie deren Aufruf so breit wie möglich bekanntzumachen;

18. Ihre(n) zuständigen Ausschuss/Ausschüsse mit der Entwicklung von Aktionen zu beauftragen, um die Kenntnis und Anwendung der in dem Übereinkommen des Europarats über die Beteiligung der Ausländer am öffentlichen kommunalen Leben enthaltenen Bestimmungen zu fördern und in Zusammenarbeit mit dem KGRE und dessen zuständigen Ausschüssen beizutragen zur Propagierung guter Vorgehensweisen;

Fordert die Europäische Union auf:

19. Dafür zu sorgen, dass die in Ausarbeitung befindliche Charta der Grundrechte der europäischen Bürger mit dem Geist des Übereinkommens des Europarats über die Beteiligung der Ausländer am öffentlichen kommunalen Leben übereinstimmt, dass sie deshalb allen ausländischen Bewohnern, unabhängig von deren Herkunftsland, den Status von Wohnbürgern zuerkennt und ihnen somit - nach Massgabe gemeinsamer Kriterien betreffend die Bedingungen ihres Bleibens - auch das aktive und passive Wahlrecht auf Gemeindeebene zugesteht.

1 Diskussion durch den Kongress und Annahme am 24. Mai 2000, 2. Sitzung (siehe Dok. CG (7) 5, Empfehlungsentwurf, vorgelegt durch Frau H. Lund, Berichterstatterin).