Entschliessung 189 (2004)1 über die Garantie der Grundrechte der Gebietskörperschaften, die Instrumente des Europarates: Die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung und der Entwurf des Übereinkommens über die regionale Selbstverwaltung

Der Kongress,

1. Nach der gemeinsamen Tagung seines Institutionellen Ausschusses mit der Fachkommission des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union für konstitutionelle Fragen und Regieren in Europa, die am 21. September 2004 in Prag, Tschechische Republik, stattfand,

2. Angesichts:

a. der Entschließung 97 (2000) über die Kontrolle der Anwendung der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, die sich zum ersten Mal auf die Einrichtung eines europäischen Systems der Rechtsgarantien für die Hauptprinzipien der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in Europa bezieht;

b. der Entschließung 106 (2000), in der die Entschlossenheit bekräftigt wird, die Lage der Gemeinde- und Regionaldemokratie in den Mitgliedstaaten und die Anwendung der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung durch die Ausarbeitung von spezifischen Berichten und die Annahme von Empfehlungen und Entschließungen für die betroffenen Zentral- und Territorialbehörden zu überwachen;

c. der Empfehlung 156 (2004), in der das Ministerkomitee des Europarates aufgefordert wird, rasch den Entwurf des Übereinkommens des Europarates über die regionale Selbstverwaltung zu verabschieden, die sich auf den Text des Lenkungsausschusses für Gemeinde- und Regionaldemokratie (CDLR) stützt, ausgehend von den Leitlinien, die bei der 13. Konferenz der europäischen Minister zuständig für Regionen und Gemeinden verabschiedet wurden (Helsinki, 25. – 26. Juni 2002);

3. Nach Prüfung des der vorliegenden Entschließung zugrunde liegenden Berichtes, den Hans Ulrich Stöckling (Schweiz, R, GILD), Vorsitzender des Institutionellen Ausschusses des Kongresses in seiner Eigenschaft als Berichterstatter zusammen mit Jan Mans (Niederlande, L, SOC) und Carlo Andreotti (Italien, R, PPE/DC), Vize-Präsidenten des gleichen Ausschusses, Ko-Berichterstatter bei der in Ziffer 1 erwähnten gemeinsamen Tagung ausarbeiteten;

4. Zeigt sich zufrieden damit, dass das europäische System der Rechtsgarantien für die Hauptprinzipien der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in der Europäischen Union in letzter Zeit beträchtlich erweitert wurde;

5. In der Auffassung, dass bis heute diese Garantien so abgefasst sind:

a. auf Ebene des Europarates, Bestimmungen der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung2, internationaler Vertrag, der die Grundrechte der Gemeinden in ihren jeweiligen Staaten festlegt;

b. auf Ebene der Europäischen Union, Bestimmungen des Vertrages, der eine Verfassung für Europa vorsieht3 und die kommunale und regionale Selbstverwaltung als Verfassungsprinzipien der Union festlegt und zum ersten Mal die unterstaatliche Ebene bei der Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips anerkennt;

6. Unterstreicht die Bedeutung der dem Kongress und dem Ausschuss der Regionen übertragenen Verantwortlichkeiten bezüglich der Verteidigung und der Förderung der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung jeweils im Europarat und der Europäischen Union, ausgehend von den Bestimmungen des oben erwähnten Völkerrechts;

7. Eingedenk der Tatsache, dass die Verantwortlichkeiten einander ergänzen, wodurch der Kongress und der Ausschuss der Regionen die Einhaltung der Prinzipien der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung durch die Zentralbehörden der 46 Mitgliedstaaten des Europarates und die Institutionen der Europäischen Union kontrollieren können, auch wenn diese noch unvollständig sind;

8. Unter Verweis einerseits auf seine eigene Kontrollverantwortung in diesem Bereich:

a.  bezüglich der Beziehungen zwischen den Zentralbehörden und den Gemeinden und Regionen der Mitgliedstaaten des Europarates;

b. gründet sich auf die statutarische Entschließung (2000) 1 des Ministerkomitees, die festlegt, dass der Kongress über die effektive Umsetzung der Prinzipien der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten des Europarates wacht4;

c. die gemäß Artikel 37.1 der Geschäftsordnung durch den Institutionellen Ausschuss mit Hilfe der Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, die ihr angegliedert ist, umzusetzen sind5;

9. In der Auffassung, dass es bei der regionalen Selbstverwaltung nicht akzeptabel ist, dass die europäischen Regionen dort, wo es sie gibt, europaweit noch nicht wie die Gemeinden über spezifische Rechtsgarantien verfügen, die ihre Grundrechte betreffen;

10. Unter Verweis andererseits auf die Verantwortung des Ausschusses der Regionen in diesem Bereich: 

a. insbesondere bezüglich der Beziehungen zwischen den Institutionen mit Gesetzesbefugnis der Europäischen Union und den Gemeinden und Regionen der 25 Mitgliedstaaten der Union;

b. gründet sich auf die Bestimmungen des in Absatz 5 b oben erwähnten Vertrages und bezieht sich insbesondere auf:

i. die Vorbereitungsphase und den Vorschlag eines Gesetzgebungsaktes der Union für die Bereiche, in denen die Konsultation des Ausschusses der Regionen obligatorisch ist, damit dieser die Auswirkungen der Gesetzgebungsakte auf eine Verordnung, die auf kommunaler und regionaler Ebene umgesetzt wird und die möglichen finanziellen Auswirkungen beurteilen kann;

ii. auf das Recht des Ausschusses der Regionen, den Gerichtshof bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips anzurufen6;

11. Verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass obwohl der Vertrag, der eine Verfassung für Europa vorsieht, den Ausschuss der Regionen nicht berechtigt hat, in das Frühwarnsystem in der Vorbereitungsphase der Gesetzgebungsakte der Union einzugreifen, der Vertrag nicht ohne Folgen für den Ausschuss der Regionen ist, da er direkte Auswirkungen auf den Entscheidungsprozess und die interinstitutionellen Beziehungen und somit auf den Verlauf der Konsultationen des Ausschusses der Regionen hat;

12. Wünscht, angesichts des Vorangegangenen, folgende Überlegungen vorzulegen:

a. auch nach der Annahme des Vertrages, der eine Verfassung für das Europa der Europäischen Union einsetzt, bleibt das europäische System der Rechtsgarantien für die Hauptprinzipien der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung unvollständig, obwohl es bereits gestärkt wurde;

b. dieses System wird erst dann vollständig sein, wenn der oben erwähnte Vertrag in Kraft tritt und das neue Übereinkommen des Europarates über die regionale Selbstverwaltung ebenso wie die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung schließlich von allen Mitgliedstaaten des Europarates angenommen werden;

c. angesichts der einerseits notwendigen Fristen, um dieses Ziel zu erreichen und andererseits der Dringlichkeit der europaweiten Probleme bei der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung ist es wünschenswert, dieses System der Garantien schon jetzt einzurichten, obwohl es in einigen Aspekten noch unvollständig und provisorisch ist;

d. hierzu wäre es gut, die bestehenden Bestimmungen über die kommunale und regionale Selbstverwaltung und die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, die jeweils in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, dem Vertrag, der die Verfassung für Europa vorsieht und dem Entwurf eines Übereinkommens über die regionale Selbstverwaltung
7 enthalten sind, in einem gemeinsamen politischen Dokument des Kongresses und des Ausschusses der Regionen zusammenzufassen;

e. dieses Dokument, das einfach, strukturiert und kohärent alle Bestimmungen in Form eines „Europäischen Kodex der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung“ darstellt, dient den europäischen Kommunal- und Regionalpolitikern sowie ihren jeweiligen Verbänden dazu, die geltenden europäischen Rechtsnormen, die zum Schutz ihrer Grundrechte verabschiedet oder vorgeschlagen wurden, zu kennen, zu beherrschen und zu nutzen;

f. es ist wichtig, dass der Kongress als Beobachter in die Kontrolltätigkeiten des Ausschusses der Regionen bei der Einhaltung der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung durch die Institutionen der Europäischen Union eingebunden wird und umgekehrt, dass der Ausschuss der Regionen ebenfalls an den Arbeiten des Kongresses zur Kontrolle der Prinzipien der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten des Europarates beteiligt wird;

g. in diesem Rahmen sollte der Vorschlag, der im Ausschuss der Regionen vorgebracht wurde, Gegenstand einer tiefgreifenden Prüfung durch die zuständigen Behörden des Kongresses sein. Er bezieht sich auf die Möglichkeit, dass die Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, die in Absatz 8c oben erwähnt wird, zu den Aktivitäten des oben erwähnten Ausschusses der Regionen beitragen könnte8;

h. angesichts der Entschließung (2000) 1 des Ministerkomitees sollte diese Prüfung im Rahmen einer allgemeineren Aussprache über die Stärkung des Statuts der Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung des Europarates durchgeführt werden;

13. Angesichts der Überlegungen in Absatz 12, beauftragt den Institutionellen Ausschuss:

a. einen vorläufigen Entwurf eines „Europäischen Kodex der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung“ mit Hilfe der Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung auszuarbeiten und die Fachkommission des Ausschusses der Regionen für konstitutionelle Fragen und Regieren in Europa über seine Arbeiten zu informieren;

b. diesen vorläufigen Entwurf an das Präsidium des Kongresses zu überweisen, damit der Ausschuss der Regionen gegebenenfalls durch die Kontaktgruppe Kongress/Ausschuss der Regionen zusammen mit dem Vorsitzenden des Institutionellen Ausschusses entsprechend über die weiteren Arbeiten konsultiert wird, um eine endgültige Entscheidung über eine mögliche Annahme des Kodex durch den Kongress und den Ausschuss der Regionen herbeizuführen;

c. aufmerksam die Aktivitäten des Ausschusses der Regionen bei der Kontrolle der Einhaltung der Subsidiarität durch die Institutionen der Europäischen Union zu verfolgen und regelmäßig einen Vertreter der zuständigen Stelle des Ausschusses der Regionen zu den Sitzungen über die Einhaltung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten des Europarates einzuladen;

d. die Vorschläge dem Präsidium des Kongresses zur endgültigen Entscheidung vorzulegen, betreffend:

i. der Stärkung des Statuts der Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung des Europarates,
ii. den Beitrag der Gruppe zu den oben erwähnten Aktivitäten des Ausschusses der Regionen. Hierzu sollen sich die Vorschläge auch auf das Konsultationsverfahren des Ausschusses der Regionen gegebenenfalls über die Kontaktgruppe Kongress/Ausschuss der Regionen beziehen;

14. Ist in diesem Sinne der Auffassung, dass gegebenenfalls Fragen bezüglich:

a. der Einrichtung eines „Europäischen Kodex der Subsidiarität und der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung“, der sich auf ein europäisches System der Rechtsgarantien für die Hauptprinzipien der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in Europa bezieht;

b. der Beteiligung der Vertreter des Kongresses an den Aktivitäten des Ausschusses der Regionen bei der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die Institutionen der Europäischen Union und der der Vertreter des Ausschusses der Regionen an den Aktivitäten des Kongresses bei der Einhaltung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten des Europarates;

c. des Beitrags der Gruppe unabhängiger Experten für die europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung an den Aktivitäten des oben erwähnten Ausschusses der Regionen

die Beziehungen zwischen dem Europarat und der Europäischen Union zu gegebenem Zeitpunkt im Rahmen eines allgemeinen Abkommens zwischen dem Kongress und dem Ausschuss der Regionen aufgenommen werden könnten;

15. Angesichts des Vorangegangenen beauftragt seinen Präsidenten, die vorliegende Entschließung dem Präsidenten des Ausschusses der Regionen und zur Information dem Präsidenten des Ministerkomitees und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vorzulegen.

1 Diskussion und Annahme durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 4. November 2004 (siehe Dok. CG (11) 26. Entschliessungsentwurf vorgelegt durch H.-U. Stöckling (Schweiz, R, GILD), J. Mans (Niederlande, R, SOC) und C. Andreotti (Italien, R, EVP/CD), Berichterstatter).

2 Dieser Vertrag wurde vom Ministerkomitee des Europarates am 15. Oktober 1985 verabschiedet; er trat am 1. September 1988 in Kraft. Bis heute wurde er von 39 Mitgliedstaaten des Europarates, darunter 24 der Europäischen Union ratifiziert (Frankreich, das bis jetzt die Charta nur unterzeichnet hat, hat vor kurzem das Ratifizierungsverfahren eingeleitet).

3 Vertrag, der eine Verfassung für Europa einsetzt, der vom Europäischen Rat von Brüssel am 17. und 18. Juni 2004 verabschiedet wurde.

4 Artikel 2, Absatz 3 der Entschließung (2000) 1

5 Das Statut der Gruppe unabhängiger Experten über die Europäische Charta für kommunale Selbstverwaltung wurde vom Institutionellen Ausschuss des Kongresses am 27. April 2001 angenommen – Dokument CG/INST (7) 33 rev2.

6 Artikel 7 des Protokolls über die Anwendung der Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit des Vertrages, der eine Verfassung für Europa festlegt und Artikel III-270 der Verfassung.

7 So wie vom CDLR ausgearbeitet, unter Berücksichtigung möglicher Bemerkungen der 14. Konferenz des Europarates der Minister zuständig für Gemeinden und Regionen (Budapest, Ungarn, 24. – 25. Februar 2005) zu diesem Entwurf.

8 Dieser Vorschlag wurde bei der „Ersten Konferenz zum Thema Subsidiarität“, den die Fachkommission des Ausschusses der Regionen für konstitutionelle Fragen und Regieren in Europa am 27. Mai 2004 in Berlin organisierte, vorgelegt.