Entschliessung 129 (2002)1 betreffend Gemeinden in der Konfrontation mit Naturkatastrophen und Notlagen

Der Kongress, mit Bezug auf den Vorschlag der Kammer der Gemeinden,

KONTEXT UND DEFINITIONEN:

1. Besorgt angesichts der Häufigkeit von Katastrophen und hohen Risiken, denen sich die Gemeinden ausgesetzt sehen und die erhebliche Schäden und Verluste für die Gemeinwesen, die Industrie, den Handel, die Lebensräume und Wohnstätten, das kulturelle Erbe sowie die Verkehrs- und Kommunikationsmittel mit sich bringen;

2. In dem Wunsch, die Tragweite der Auswirkungen solcher Katastrophen deutlich zu machen und daraus Folgen in der Form von Vorschlägen zu ziehen, die den Umgang mit diesen Problemen vor allem für die kommunalen Gebietskörperschaften erleichtern;

3. Unterscheidet zum Zwecke dieser Vorschläge nicht zwischen Naturkatastrophen und solchen, die von Menschen verursacht wurden, da die Reaktionen und Verantwortlichkeiten der Gemeinden, ungeachtet des Ursprungs der Katastrophe, die selben sind;

4. Möchte seine Überlegungen hinsichtlich der Naturkatastrophen auf Überschwemmungen, Stürme, Erdbeben, Erdrutsche, Lawinen, Dürre und Waldbrände konzentrieren und auf die Erläuterungen verweisen, worin die Tragweite dieser Erscheinungen beschrieben ist;

5. Möchte seine Überlegungen hinsichtlich der durch Menschen verursachten Katastrophen auf Gewässer- und Luftverschmutzung, mit Industrie und Verkehr verbundene sowie mit Infrastrukturen für die Kommunikation zusammenhängende Risiken konzentrieren und auf die Erläuterungen verweisen, worin die Tragweite dieser Phänomene beschrieben ist;

EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUR GEGENWÄRTIGEN SITUATION:

6. Möchte an der Aktion oder Reaktion öffentlicher Stellen und der verschiedenen Verwaltungsebenen auf dem Gebiet der Prävention wie auch angesichts der Katastrophen selbst eine Reihe von Unzulänglichkeiten hervorheben, so unter anderem die ungenügende Kenntnis oder Anerkennung der Tragweite des langfristigen Klimawandels, ein Durcheinander der Zuständigkeiten bei den involvierten Organen, die ungenügende Koordination von Stellen, eine übermässige Disparität der Informationsquellen für die Öffentlichkeit, die ungenügende Planung des Eventualfalls, Mängel in der Prävention oder der Risikoanalyse;

7. Im Bewusstsein, dass ein vollständiger Schutz niemals gewöährleistet werden kann, dass es aber doch möglich wäre, im Bereich der Verhütung und der Voraussage von Katastrophen, der Information des Publikums, in der Ausbildung und in der Wiederherstellung nach Katastrophen mehr zu tun, vor allem für die Koordination zwischen den Gebietskörperschaften und spezialisierten Organen;

8. Im Bewusstsein auch, dass das Publikum zuweilen ungerechtfertigte Kritik an den Gemeinden übt, als wären diese für die Schäden irgendwie verantwortlich, wobei das Publikum selbst nicht immer das nötige tut, um sich vor Risiken zu schützen;

9. Dessen ungeachtet der Ansicht, dass die Gemeinden mit der Koordination der Dienste eine eindeutige Verantwortung zufällt, sodass sie vor, während und nach der Katastrophe eine Schlüsselrolle innehaben;

10. Sich allerdings auch dessen bewusst, dass die zentralstaatlichen Regierungen den kommunalen Gebietskörperschaften häufig die Verantwortung überbürden, sich mit diesen Situationen auseinanderzusetzen, ohne ihnen die für eine angemessene kollektive Antwort notwendigen Mittel oder Strukturen an die Hand zu geben;

11. Fordert die Gemeinden der Mitgliedstaaten auf, in Kontakt mit den übrigen Stufen der Gebietsverwaltung sowie den einschlägigen Spezialorganen

HINSICHTLICH PRÄVENTION:

12. Das volle Ausmass der im Falle ihrer Gebietskörperschaft vorliegenden Gefahren und Risiken in ein Inventar aufzunehmen und eine Karte der potenziellen Bedrohungen sowie erschöpfende Analysen der Risiken zu erstellen, selbst wenn dies erhebliche Kosten verursacht;

Naturkatastrophen und natürliche Risiken

13. Bezüglich des Risikos von ÜBERSCHWEMMUNGEN, die Entwicklung einer kohärenten Bewirtschaftung der Wasserläufe und Uferzonen zu fördern, wobei es beispielsweise zu vermeiden gilt, dass an einer Stelle errichtete Schutzbauten an anderer Stelle zu Überschwemmungen führen; sicherzustellen, dass die öffentlichen, privaten und landwirtschaftlichen Entwässerungsvorrichtungen in gutem Zustand sind;

14. Die Ansiedelung von Industrie- und Wohngebieten in Risikozonen zu verhindern und nötigenfalls zu verbieten; bei Immobilientransaktionen und notariellen Akten über allfällige Überschwemmungsrisiken zu informieren;

15. Die Abwehrmechanismen gegen Überschwemmungen zu verstärken, indem sie beispielsweise für genügend Vorräte an Sandsäcken sorgen, und die Eigentümer davon zu überzeugen, zu ihrem eigenen Schutz selber beizutragen;

16. Im Hinblick auf STÜRME für die unterirdische Verlegung der Leitungen für Elektrizität und Kommunikation zu sorgen, hinreichend ausgerüstet zu sein mit Generatoren, um die Versorgung mit Wasser und Strom aufrechterhalten zu können, dafür zu sorgen, dass in den Feuerwehrkasernen Notmannschaften aufgeboten werden können;

17. Überall dort, wo die kommunale Wirtschaft stark von der Forstwirtschaft abhängt, eine Diversifizierung dieser Wirtschaftsgrundlage ins Auge zu fassen; von Stürmen heimgesuchte Wälder mit einer Vielfalt von Holzarten aufzuforsten; je nach den ökologischen Bedingungen am Ort Pflanzungen in unterschiedlicher Höhe zu fördern, in Gegenden mit stark fragmentierten Besitzverhältnissen eine Flurbereinigung der bewaldeten Flächen ins Auge zu fassen, sodass eine kohärentere und nachhaltigere Bewirtschaftung möglich ist; in Gegenden mit zuwenig einschlägigem Personal mehr Flexibilität bei der Anstellung ausländischer Berufsleute zu zeigen;

18. Darauf zu achten, dass Gebäude von architektonischem und kulturellem Interesse gut instandgehalten sind, was eine regelmässige Inspektion ihres inneren und äusseren Zustandes erfordert;

19. Betreffend ERDBEBEN, Einwohner und Industrie davon abzuhalten, auf betroffenen Stellen erneut zu bauen; sich vor allfälligen Beschlüssen über die Ansiedelung, die Konzeption und das Errichten neuer Wohn- oder anderer Bauten über die neuesten diesbezüglichen Voraussagen zu informieren; sicherzustellen, dass neue Bauten möglichst erdbebensicher sind; sicherzustellen, dass Rettungsteams mit guter Ortskenntnis zu raschem Einsatz bereit sind, dass die benötigte Rettungsausrüstung an strategischen Punkten bereitliegt und dass das Vorgehen und die Pläne den Anwohnern wie der Gesamtbevölkerung erschöpfend erklärt werden;

20. Was ERDRUTSCHGEBIETE betrifft, dafür zu sorgen, dass besonders empfindliche und risikoreiche Gebiete wie z.B. Steinbrüche und Bergwerkstollen kartographisch aufgenommen und dass nötigenfalls Programme für Zugangs- und Ausbaubeschränkungen oder für ein Wiederauffüllen erstellt werden;

21. Hinsichtlich LAWINEN, Risikozonen abzugrenzen und Skifahrer wie Wanderer von "Varianten" ausserhalb der Markierungen abzuschrecken;

22. Hinsichtlich DÜRRE: das Bauen auf Böden, die bei Trockenheit einzusinken drohen, zu verhindern; Massnahmen zum sparsamen Wasserverbrauch einzuführen, beispielsweise durch unterschiedliche Klärung und Preisbildung für Trink- und für industrielles Brauchwasser; dafür zu sorgen, dass Rohrleitungen und Reservoirs wasserdicht sind;

23. Betreffend WALDBRÄNDE: Bepflanzungspolitiken mit Freilassung angemessener Feuerschneisen zu fördern; für zahlreiche und gut sichtbare warnende Hinweistafeln zu sorgen; dafür zu sorgen, dass Wohn- und Freizeitgebiete nicht von Bäumen und Gebüsch überwachsen sind;

Katastrophen und Risiken im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten

24. Betreffend GEWÄSSERVERSCHMUTZUNG: die Landwirte und Grundbesitzer zur Begrenzung des Einsatzes von Nitraten und Pestiziden zu ermutigen; das Entsorgen oder Lagern chemischer Produkte und schädlicher Stoffe industriellen, landwirtschaftlichen oder häuslichen Ursprungs in Flussbecken zu reduzieren; Schutzgebiete für die Wasserversorgung abzugrenzen; das Bauen und die Ansiedelung von Industrie an Flussufern einzuschränken;

25. Betreffend LUFTVERSCHMUTZUNG: Vorrichtungen für das Erfassen von Substanzen wie Ozon einzuführen, Massnahmen zur Eindämmung der Luftverschmutzung durch Motorenabgase zu ergreifen, den Übergang zu alternativen Energiequellen wie Wind oder Meeresströmung zu begünstigen; für das Anbringen angemessener Sicherheitseinrichtungen gegen Luftverschmutzung an Industrie- und Nuklearanlagen zu sorgen sowie dafür, dass die Betriebe der öffentlichen Dienste Massnahmen ergreifen, um schädliche Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Umwelt einzudämmen, schliesslich für die Ausarbeitung einer lokalen Agenda 21 besorgt zu sein;

26. Betreffend INDUSTRIEEIGENE RISIKEN: die auf ihrem Territorium befindlichen Vorrichtungen für Industrie und Handel, Infrastrukturen und öffentlichen Einrichtungen hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Risiken zu inspizieren und potenziell gefährliche Aktivitäten entsprechend den Seveso-Richtlinien der EU einzuschränken;

27. Darauf zu achten, dass neue Industrieanlagen in hinreichender Entfernung von Wohngebieten angesiedelt werden und die Ausdehnung von Wohngebieten bis in die Nachbarschaft bestehender Industriezonen zu verhindern;

28. Sicherzustellen, dass der Sicherheit in Schulen und schulischen Einrichtungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird;

29. Betreffend ÖFFENTLICHEN VERKEHR UND INFRASTRUKTUREN FÜR DAS KOMMUNIKATIONSWESEN: dafür zu sorgen, dass diese regelmässig gewartet werden; dass die wichtigsten Strukturen wie Strassen- und Bahntunnels höchsten Sicherheitsstandards für die Benützer entsprechen, sich möglichst wenig auf die Umwelt auswirken und die Ortsbevölkerungen so wenig wie möglich belasten; dass Giftmülltransporte strengen Kontrollen unterliegen; dass wirksame Massnahmen zur Verminderung des von Tankern und anderen Schiffen ausgehenden Risikos der Meeres- und Küstenberschmutzung eingeführt werden;

30. Vorkehrungen zu treffen für die Organisation von NOTDIENSTEN einschliesslich der Ausarbeitung von Interventionsplänen, der Einübung von deren Durchführung, der Definitionen und Simulationsmodelle für die Sicherstellung, dass die benötigten Mittel und Fähigkeiten im Katastrophenfall tatsächlich mobilisiert und koordiniert werden;

BETREFFEND INFORMATION:

31. Vollständige und angemessen finanzierte Informationsprogramme für andere Gebietskörperschaften, für die Spezialdienste wie auch für die gesamte eigene Bevölkerung auszuarbeiten; ein öffentliches Warnsystem, vorzugsweise in Verbindung mit einem einzigen Informationszentrum, einzurichten; in Schulen, Wohngebieten und Strassen Programme für die Erziehung und Sensibilisierung durchzuführen, hierbei die Unterstützung der Medien zu suchen; Anhörungen und öffentliche Debatten in ihren Gemeinden zu veranstalten;

WÄHREND UND NACH DER KATASTROPHE

32. Im Katastrophenfall dafür zu sorgen, dass Alarm ausgelöst wird; die Leitungen der Operationen vor Ort zu unterstützen; sich an den Hilfeleistungen einschliesslich psychologischer Hilfe für die Opfer zu beteiligen; die provisorische Unterbringung sowie Lieferung von Kleidung, Nahrung und Sozialdiensten zu unterstützen; Notdienste wie Feuerwehr, Polizei und andere, einschliesslich Spezialisten aus der Armee, zu koordinieren;

33. Nach dem Ereignis alle notwendigen Massnahmen für die Wiederherstellung der betroffenen Gebiete und die Wiederaufnahme des normalen Lebens durch die Bevölkerung zu ergreifen; unabhängige, wirksame und rasche Untersuchungen zu fördern und bei deren Durchführung zu kooperieren; dafür zu sorgen, dass den finanziellen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten aufseiten der Versicherer und Schuldigen nachgekommen wird, dass die notwendigen Lehren gezogen und, wenn ratsam, Korrekturmassnahmen eingeleitet werden; wenn angebracht, öffentliche Spendenaufrufe zu lancieren;

34. Die Einrichtung eines Systems für eine effiziente und unparteiische Entschädigung der Katastrophenopfer zu fördern;

35. FORDERT DAS PRÄSIDIUM DES KGRE UND INSBESONDERE DEN KGRE-AUSSCHUSS FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG AUF:

36. Die vorliegende Entschliessung den nationalen Kommunalverbänden sowie den einschlägigen Spezialstellen in den Mitgliedstaaten zu übermitteln;

37. Zuhanden der Gemeinden und Bürger die Ausarbeitung eines Leitfadens für gutes Vorgehen inbezug auf Risiken und Katastrophen vorzusehen, der sich auf einen breiten Fächer von Elementen aus allen Ländern stützt;

38. Bei seiner Weiterarbeit an diesem Thema die Zusammenarbeit mit der Organisation LACDE ("Local Authorities Confronting Disasters and Emergencies" - Gemeinden in der Konfrontation mit Katastrophen und Notlagen), vor allem auch in deren Projekt "Safer Cities Award" (Preis für sicherere Städte), fortzusetzen.

1 Diskutiert und zugestimmt vonseiten der Kammer der Gemeinden am 21.März 2002, angenommen durch den Ständigen Ausschuss des Kongresses am 22.März 2002 (s.Doc. CPL(8)6, durch die Berichterstatter, Frau Bordron und Herrn Whittaker, vorgelegter Entschliessungsentwurf).